Es war höchste Zeit, dass Olaf Scholz klare Worte fand. Nach seinem Gespräch mit Israels Premierminister Benjamin Netanyahu am Wochenende trat der deutsche Kanzler gemeinsam mit dem Israeli vor die Presse. „Wir können nicht dabei zusehen, wie Palästinenser verhungern. Das sind nicht wir, das ist nicht, wofür wir stehen.“ sagte der Kanzler. Er sprach von „schrecklich hohen Kosten“.
Lange, zu lange, war die deutsche Bundesregierung nach dem Massaker der palästinensischen Hamas-Terroristen am 7. Oktober in eine Art Schockstarre verfallen. Sie hatte völlig zurecht das Massaker der Islamisten als das verurteilt, was es war: als barbarisches Verbrechen. Während der Massenmord an weit mehr als tausend unschuldigen israelischen Zivilisten – Männern und Frauen, Babys und Greisen – in manchen intellektuellen westlichen Kreisen in ekelhafter Weise noch als „legitimer Widerstand“ verklärt wurde, bekannte sich die deutsche Politik völlig zu Recht zur Solidarität mit Israel. Und zu dessen Recht auf Selbstverteidigung. Das ist das Mindeste, was jeder Deutsche aus der Geschichte gelernt haben sollte.
Danach aber: weitgehend Schweigen. Viel zu lange schaute die Bundesregierung bei dem zu, was Israel unter der „Vernichtung der Hamas“ versteht. Die Armee walzt den Gaza-Streifen seit Oktober mit ungeheurer Feuerkraft platt, macht weite Teile unbewohnbar, schneidet die Bevölkerung von Wasser und Nahrung ab, zerstört die Infrastruktur, treibt hunderttausende schutzlose Palästinenser wie Vieh in den vermeintlich „sicheren“ Süden des Küstenabschnitts.
Inzwischen hat das gnadenlose Vorgehen der israelischen Armee auf palästinensischer Seite zehntausende Menschenleben gefordert – hauptsächlich Zivilisten. 40 Prozent der Toten sind laut UN Kinder und Jugendliche. Natürlich sind auch Hamas-Kämpfer unter den Toten – doch die Islamisten missbrauchen die eigene Bevölkerung als Schutzschild und verstecken sich feige hinter Frauen und Kindern. Die israelische Regierung scheint indes bereit, jeden Blutzoll unter den Palästinensern hinzunehmen, um nach dem Trauma des 7. Oktober die Hamas zu vernichten. Was ihr nach Einschätzung internationaler Experten nicht gelingen wird. Ganz im Gegenteil: So wird der Hass und der Terror in der Region für Generationen weiter befeuert.
Die Regierung Netanjahu scheint das billigend in Kauf zu nehmen. Wie weit will sie noch gehen? Will sie den schmalen und überbevölkerten Küstenstreifen völlig entvölkern und die Bewohner vertreiben? Sollen dort künftig gar radikale israelische Siedler eindringen, wie sie es schon fordern? Will die Regierung so einen Flächenband riskieren, in den immer mehr Länder der Region hineingezogen werden? Es scheint, als ob die mit korrupten und rechtsradikalen Politikern gespickte Regierung Netanjahu, die bei den eigenen Bürgern mehr als umstritten ist, im brutalen Krieg die einzige Chance zum politischen Überleben sieht. Welch ein Zynismus!
So schrecklich die Vorstellung ist: Das Schlimmste steht den Menschen im Gaza-Streifen offenbar noch bevor. Netanjahu hat jetzt eine Offensive seiner Armee in der Stadt Rafah angekündigt. Dort vermutet man größere Gruppen von Hamas-Kämpfern, die man vernichten will. Doch in diese südliche Region haben sich hunderttausende Palästinenser auf Geheiß Israels geflüchtet, dessen Armee den Gaza-Streifen von Norden her umgepflügt hat. Diese Menschen sitzen nun in der Falle – zwischen den Hamas-Terroristen auf der einen und der rücksichtslosen israelischen Armee auf der anderen Seite. Es droht ein fürchterliches Blutbad.
Der Westen darf nicht tatenlos zuschauen. Namentlich die beiden engsten Verbündeten Israels – Washington und Berlin – müssen unverzüglich den Druck auf die Netanjahu-Regierung erhöhen und auch mit harten Konsequenzen drohen.
Um es klar zu sagen: Bei diesem dringend erforderlichen Druck geht es nicht um den Staat Israel und dessen Existenzrecht, das außerhalb jeden Zweifels stehen muss. Es geht auch nicht um das legitime Recht auf Selbstverteidigung eines demokratischen Landes gegen islamistische Extremisten. Eigentlich sollte es unnötig sein, auf all das hinzuweisen – doch gilt es, sich von Anfang an gegen die Vereinnahmung durch falsche „Freunde“ und deren Applaus zu wappnen.
Und es geht schon gar nicht um „die Juden“ und „die Moslems“. Nicht in Nahost – und nicht in Deutschland. Wohl aber geht es um die Gleichwertigkeit aller Menschen. Wer um die von der Hamas ermordeten Israelis trauert, der darf – ja muss – auch um die tausenden palästinensischen Kinder trauern, die schon jetzt dem Krieg zum Opfer gefallen sind. Um die einen Toten zu weinen und die anderen emotionslos hinzunehmen oder deren Tod gar gutzuheißen – das ist in dem einen Fall widerlicher Antisemitismus und auch in dem anderen Fall blanker Rassismus.
Israels Regierung muss gestoppt werden. Das massenhafte Sterben muss endlich aufhören.
Wer jetzt schweigt, macht sich mitschuldig.
Bildquelle: gloucester2gaza, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons
The post Der Druck auf Netanjahu muss erhöht werden first appeared on Blog der Republik.]]>Die hochrangigen Klimakonferenzen (COPs) der Weltgemeinschaft machen Hoffnung. Ihre „ambitionierten“ Beschlüsse, das menschliche Leben zu sichern, ja glücklicher zu gestalten, werden gefeiert. Dort pflegt man die Utopie, dass die Menschheit in großartiger Selbstlosigkeit solidarisch zusammenrückt, damit die Armen der Welt ein menschenwürdiges Leben führen können. Die hochrangigen Teilnehmer dieser Konferenzen aus Politik und Wissenschaft dürften ahnen, was der dazu nötige Verzicht z.B. auf aus dem Boden sprudelnde Energien, Fleisch oder bequeme individuelle Mobilität bei ihnen zuhause bedeutet, wo Verzicht ein Unwort ist.
Denn auf der anderen Seite steht die Unwahrscheinlichkeit, ja wahrscheinlich Unmöglichkeit einer Realisierung dieser Vorstellung, die in der wirklichen Natur des Menschen und der Endlichkeit des Planeten begründet liegt; denn selbst wenn radikaler Verzicht theoretisch die Grundbedürfnisse von 8 bis 10 Milliarden Menschen sichern könnte, würde dies den Zusammenbruch einer nachhaltig ausreichenden Versorgung nur hinausschieben; denn die Grenzen des Wachstums waren und sind real, die das Ehepaar Meadows vor 50 Jahren zum ersten Mal in unser Bewusstsein gebracht haben. Nachhaltig lebte die Menschheit weder damals mit 4 Milliarden und erst recht nicht heute mit 8. Außerdem ist das der Utopie zugrunde liegende Menschenbild so unrealistisch wie das von christlichen und islamischen Urgemeinden oder marxistischen Träumern. Folglich wird sich das Menschen-System in diesem Jahrzehnt auf andere, unerfreuliche Weise entwickeln – nicht weil es gar keine ökologischen Fortschritte geben wird, sondern weil diese viel zu langsam bleiben werden.
Diese Dystopie wird sich mittelfristig realisieren in einer Verkürzung des menschlichen Lebens durch Ernährungs- und Gesundheitsdefizite. Dabei nehmen die Verfügbarkeit von Was-ser und Ackerböden gerade dort am meisten ab, wo arme Gesellschaften überproportional zunehmen – und das zumeist in Äquatornähe. Kriegerische Verteilungskämpfe um überlebenswichtige Ressourcen, auch Territorien, werden immer wahrscheinlicher.
Die sich verschärfende ungleiche Problemlage in äquatornahen und den gemäßigten Klimazonen führt schon heute zu einem Migrationsdruck, für den keine humanitäre Auflösung möglich erscheint – nicht in und durch liberale Demokratien und noch viel weniger durch autoritäre Regime. Eher werden die privilegierten Gemeinschaften versuchen sich abzuriegeln, dabei aber lernen, dass auch die drängenden Völker in Äquatornähe moderne Technologien und Waffen haben – von Drohnen bis Kernwaffen und von Rohstoffboykotten bis Cyberwar-Fähigkeiten. Spannungen wie die zwischen dem „Westen“ und China/Russland sowie terroristische Staaten wie Iran und Nordkorea ermöglichen die Beschaffung solcher Waffen weltweit.
In den Ländern des bisher weitgehend demokratischen, liberalen Westens wird der bereits erkennbare Erfolg nationalistischer Engstirnigkeit vor diesem Hintergrund kaum gebrochen werden können. Liberale Demokratien ermöglichen es eben ihren Bürgern, ihre Interessen selbst zu definieren und zu verfolgen und an den Wahlurnen auszudrücken, und sie favorisieren dabei immer häufiger Lügner, Angeber, Alt- und Neufaschisten des Trump-Typs. Diese profitieren in besonderer Weise von der Ablehnung des „Fremden“,(Xenophobie), einem Menschheitserbe aus uralter Zeit; die „Zivilisation“ konnte das zwar eindämmen, aber nicht beseitigen – insbesondere nicht, wenn es um Großgruppen und Massen geht und nicht um einzelne Fremde, die als Gäste zumeist sogar hoch geachtet werden.
2. Wie tickt der Mensch?
Zunächst: der Mensch konnte nie viel wissen. Er war kurzsichtig in Raum und Zeit. So konnte er weitreichende Konsequenzen seines Handelns nicht bedenken.
„Was kann ich wissen?“ ist die 1. Kant‘sche Frage, die erst seit kurzer Zeit ganz an-ders beantwortet werden kann als früher. Allerdings ist die Menschheit weit davon entfernt, das verfügbare Wissen auch zu kennen, geschweige denn in ihrem Handeln zu berücksichtigen. Da Wissen Wissen erzeugt, beschleunigt sich die Lücke zwischen möglichem Verstehen und dem, was den Menschen in seinem alltäglichen Leben be-schäftigt. Selbst bei sehr informierten Menschen fallen Wissen und Handeln immer weiter auseinander. Religionsstifter ahnten das wohl, weshalb sie das Handeln nor-mierten und nur dafür erforderliches Wissen erlaubten.
Zudem ist das Wissen der Welt weder vollständig, noch als Autorität anerkannt. Falschaussagen im Internet, Verschwörungsgeschichten, Religionsgebote und Fußball-ergebnisse sind weiter verbreitet als Wahrheiten über den Zustand des Planeten und seine ökologische Zukunft. Auf die 8 Milliarden-Menschheit bezogen weiß der Durch-schnittsmensch also bei Weitem nicht, was er wissen könnte. Vielmehr gilt unverän-dert: „Die Aufmerksamkeit der Menschen ist die knappste Ressource unserer Welt!“, um die hochintelligente Werbefachleute und die Unterhaltungsindustrie mit größerem Einsatz kämpfen als kluge Politiker und die Wissenschaft.
Aber selbst der, der zumindest ahnt, was ökologisch auf dem Spiel steht, stößt bei der 2. Kant‘schen Frage „Was soll ich tun?“ auf uralte Prägungen. Die Denk- und Hand-lungsgewohnheiten ändern sich eben viel langsamer als der Wissensstand der Eliten.
Und man muss auch an verhaltenssteuernde ökonomische Erkenntnisse erinnern: So bin ich der Überzeugung, dass der schon historische Stern-Report (Nicholas Stern 2006) recht hatte, wenn er für genügend viele Klimaschutzmaßnahmen eine langfristi-ge Wirtschaftlichkeit konstatierte. Nur reicht das eben nicht, weil wir alle die Zu-kunft rediskontieren, d.h. für jeden von uns ist ein kurzfristiger Nachteil entschei-dender als ein langfristiger Vorteil (und umgekehrt), der eventuell sogar jenseits un-serer Lebenszeit liegt. Diese Abwertung künftiger Vor- oder Nachteile wird unter-stützt durch Vermutun¬gen wie die folgenden: sind Zukunftsaussagen nicht immer unsi-cher? Wird künftiges Wissen, insbesondere der technische Fortschritt, prognosti-zierte Gefahren und Nachteile nicht verschwinden lassen? Den Menschen ist doch im-mer noch etwas eingefallen!
„Was darf ich glauben?“, die 3. Kant’sche Frage, wird zudem weithin autoritär be-antwortet – oft heißt es eher „Was muss ich glauben“. Und im liberalen Westen wird das Vertrauen in wohlmeinende kenntnisreiche Eliten in und durch „soziale“ Netzwerke systematisch zerstört. Man darf auch nicht die Augen davor verschließen, dass das demokratische Spiel zwischen Opposition und Regierung immer gefährdet ist, ein hasserfüllter Krieg zu werden. Das für die Zukunft der Menschheit heilige Gut der Demokratie kann nur bewahrt werden, wenn sich die politischen Kräfte einer Gesellschaft an faire Spielregeln halten und nicht zu Mitteln eines „Kriegsrechts“ greifen , wie zurzeit z.B. in den USA oder immer noch in Polen.
3. Was verlangt eine nachhaltige Zukunft?
Und von dieser Menschheit erwarten wir in der Nachhaltigkeitsdebatte, dass sie gewaltige Änderungen ihres Lebens und Minderung ihres materiellen Lebensstandards hinnimmt um ihrer Enkel und ferner Inseln willen!
Tragischerweise ist die unmittelbar spürbare Kaufkraftminderung durch Klima-schutz, Blühstreifen oder tierethische Ställe umso größer je schneller alte z.B. fossile durch neue „grüne“ Anlagen ersetzt werden, obwohl eine enorme Beschleunigung volkswirtschaftlicher Transformation erforderlich wäre. So haben wir in Deutsch-land, der EU und den USA durchaus beträchtliche Reduktionserfolge bei den Treibhausgasen, aber gemessen an den Reduktionsnotwendigkeiten ist alles viel zu langsam.
Und dann gibt es noch eine Eigenschaft der Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsstrate-gien, die uns noch viel mehr abverlangt, als nur an unsere eigene Zukunft und die unse-rer Enkel zu denken. Klimaschutz und Nachhaltigkeit können nur als globale Strategien erfolgreich sein. Beim Klimaschutz ist dies besonders deutlich, denn es ist ein und die-selbe Atmosphäre, in der sich die Treibhausgase verbreiten: ist da z.B. wirklich zu er-warten, dass in einzelnen Regionen CO2 zu hohen Kosten aus der Atmosphäre zurück-geholt wird, während andere Regionen weitere Treibhausgase emittieren?
Ein gewaltiges Konfliktpotenzial steckt auch in den beträchtlichen Forderungen der geschädigten Regionen, die zum Raubbau am Planeten nicht beigetragen haben. Das hat die Wissenschaft auch der letzten Regierung im sogenannten globalen Süden klar ge-macht, dass es die Industrieländer mit ihren Treibhausgasemissionen waren und sind, die die globale Erwärmung zu verantworten haben. Ihre Forderung ist nun nicht nur, dass die Industrieländer damit aufhören und ihnen bei der Bewältigung der schon ein-getretenen Schäden helfen müssen, sondern es sind auch Forderungen nach Wieder-gutmachung zu erwarten sowie Hass und Terrorismus.
Es ist ja auch keine Frage, dass der Lebensstil reicher Länder weite Regionen der Erde so geschädigt hat und noch schädigt, dass die gerade dort wachsende Bevölke-rung zunehmend ihre Zukunft im wohlhabenderen Norden sucht.
Dieser Norden ist aber weitgehend unwillig, Migranten aufzunehmen, am härtesten östlich der Elbe; dieser wachsende Migrationsdruck lastet zurzeit noch zu 80% auf jeweiligen Nachbarregionen im Süden, aber die Menschenströme in die Wohlstandsge-biete des atlantischen Westens von Deutschland bis Kanada werden wohl überpropor-tional zunehmen. Und wieder müssen wir auf den Menschen schauen, jetzt den Bewoh-ner dieser Wohlstandsgebiete; wird er diese Migration weiter akzeptieren oder ge-waltsam blockieren. Dabei wird oft verkannt, wie stark die Xenophobie im Menschen verankert ist. Der zivilisatorische Firniss der Gastfreundschaft bröckelt, sobald die Immigrationszahlen ein marginales Maß übersteigen.
Es sind diese Tendenzen, eine Abschottung im Norden gegen Forderungen und Men-schenströme aus dem Süden, die mich zweifeln lassen, ob die Zukunft friedlich sein wird. Es ist die Wiederholung wert, nochmals darauf hinzuweisen, dass die Machtlosen von gestern heute sehr wohl im Stande sind, den Mächtigen von gestern großen Scha-den zuzufügen: unzählige Länder haben Zugang zu den modernsten Waffen und ver-deckter Kriegsführung im Cyberspace. Diese neue multipolare Welt wird aus vielen Gründen nicht friedlicher werden! Die Unwilligkeit der Wohlhabenden zu Solidarität wird dabei nur ein Grund sein, Wege der Gewalt und des Krieges zu beschreiten.
4. Wie sind wir in dieses Schlamassel geraten?
Das vor hunderttausenden von Jahren erwachende menschliche Hirn war zu seinem evolutionären Vorteil, Selbsterhalt und Dominanz neugierig. Das führte zu Wissenschaft, Technologie, Medizin und damit zu Produktivität und Wachstum an Menschen und Naturverbrauch. Die deutsche Sprache erlaubt zu formulieren: die Neugier führte letztlich zur Konsumgier.
Da Wissen Wissen erzeugt, war diese Entwicklung explosiv wie eine E-Funktion, so-bald Wissen z.B. von den religiösen Autoritäten nicht mehr unterdrückt wurde,. Das setzte ein Bevölkerungswachstum frei, das zu Hungersnöten im alten Europa und Mig-rationsströmen führte, die insbesondere in Amerika und Australien auf militärisch-technologisch unterlegene Völker traf, so dass deren Fast-Vernichtung innerhalb kür-zester Zeit gelang. In anderen Regionen insbesondere Afrikas traf diese technisch-militärische Überlegenheit auf Klimabedingungen, die eine europäische Besiedelung weitgehend verhinderte; statt dessen begnügten sich die Europäer mit der Beherr-schung der dortigen Völker und ihrer Ausbeutung. Diese technische Überle¬genheit Europas (sogar gegenüber Indien und China) machte sie zugleich blind für die kulturel-le Gleichwertigkeit jener Kulturen; das ist die tragische Geschichte des Kolonialismus, der nun wieder Ursache von Konflikten wird, wenn sich der Norden weigert, Migranten aufzunehmen und für die historischen Vorgänge und ökologischen Folgen zu zahlen.
Da aber 8 bis 10 Milliarden Menschen auf diesem Planeten nicht leben können wie die Völker rund um den Nordatlantik, diese aber ihren Wohlstand mit Zähnen und Klauen verteidigen werden, ist eine friedliche Zukunft schwer vorstellbar.
5. Klimaschutz – ein scheiternder Teil der Nachhaltigkeitsvision
Nun ist Nachhaltigkeit wesentlich mehr als Klimaschutz; gleichwohl taugt Klimaschutz in einem zeitknappen Vortragsrahmen als Beispiel. Dass die globale Erwärmung eine große Gefahr für die Menschheit darstellt und menschengemacht ist, war manchen schon in Rio 1992 klar; Ende des letzten Jahrhunderts gab es für diese Aussage kaum noch Zweifel. So konnte 1997 das Kyoto Protokoll verabschiedet werden, trat aber erst Jahre später in Kraft.
Ein paar Daten zur Situation: derzeit werden die Treibhausgasemissionen auf ein Äquivalent von 47 Gigatonnen CO2 pro Jahr geschätzt, wovon 75% aus dem Energie-sektor stammen. Das vereinfachende Budgetkonzept gibt ein paar Faustregeln zur Orientie¬rung: weitere 1000 GT werden die globale Mitteltemperatur mit 50% Wahrschein¬lichkeit um etwa 0,45° erhöhen; dementsprechen werden weitere 1200 GT die Erwärmung auf über 2° bringen – jene äußerste Grenze, die sich die Staatenge-meinschaft vorgegeben hat.
Schaut man auf den weiteren Verlauf der Emissionen, kann man ein Scheitern nicht leugnen . Seit 1940 zittert sich die globale Durchschnittstemperatur von etwa 0,2° Erwärmung (gegenüber dem vorindustriellen Durchschnittswert) auf jetzt vielleicht sogar 1,53°. Dieser letzte Wert mag ein Ausreißer in der Zitterkurve sein (der derzeitige Mittelwert wird auf 1,4° geschätzt), signalisiert aber, dass das in Paris 2015 (COP21) gesetzte Limit sicher überschritten wird. Dabei erwärmen sich die Kontinente überdurchschnittlich: Eurasien und Amerika um etwa 2,3°, Afrika um 1,7° (Daten von NOAH und DWD).
Über den weiteren Anstieg hinaus sind sog. Kipppunkte zu befürchten, wo Verände-rungen zu einer zusätzlichen Beschleunigung der Erwärmung führen, z.B. das Verschwinden von Gletschern auf Land, das Auftauen von Parmafrostböden oder das Verschwinden von borealen Wäldern, Mangroven etc.
Das World Economic Forum hat die wahrscheinlichen Schäden abgeschätzt und kam dabei bis 2050 auf fast 15 Mio. Klimatote (unter anderem durch Hochwasser 8,5, Dürren 3,5 Mio.), die wirtschaftlichen Schäden wurden auf 7.000 Mrd. $ geschätzt. Diese fast schon moderaten Folgen (man bedenke, dass jedesJahr die Größenordnung von 100 Mio. Menschen sterben!) berücksichtigen nicht, was der Kern meiner Einschätzung ist: Kriege, Bürgerkriege und Terrorismus als Folge gefährdeter Lebenschancen.
Was kann getan werden? Es steht eine Menge Technologie zur Verfügung, die Emissionen von Treibhausgasen zu reduzieren; von besonderer Bedeutung ist dabei der Übergang von fossilen Energiequellen wie Kohle, Öl und Erdgas auf erneuerbare wie Photovoltaik, Wind- und Biomassekraftwerke. Diese liefern bisher etwa 30% der globalen Stromerzeugung; gut 60% liefern immer noch fossile Kraftwerke.
Das sieht besser aus, als es ist. Denn Sonne und Wind sind nur mit gut 10% dabei, die Biomasse, die zumeist nur auf Kosten der Nahrungsmittelproduktion vermehrt eingesetzt werden könnte, liefert fast 20 Prozent. Auch die beteiligte Wasserkraft gilt nicht als wesentlich ausbaubar. Noch deprimierender: die Sektoren Verkehr, Gebäudeheizung, Metallurgie und Chemie sowie Zementindustrie laufen noch fast vollständig auf fossilen Roh- und Brennstoffen; der Weg zu ihrer Klimaneutralität führt in der Regel zur Umstellung auf erneuerbaren Strom. Dieser muss also noch viel stärker und vor allem schneller ausgebaut werden. Wir alle haben die heftigen Widerstände schon erfahren, die die Menschen gegen Windanlagen, Netzausbau und bald auch Wasserstoff-Pipelines auf die Straße und in die Arme von Populisten treiben, die versichern ein Klimaproblem gebe es gar nicht.
Es kommt hinzu, dass eine auf komplexe Stromversorgung mit Sonne und Wind ange-wiesene Gesellschaft keine Feinde haben sollte, die Lust und Interesse haben, zu stö-ren und zu zerstören! Denn die Versorgungssysteme für Nahrung und Energie sind we-sentlich empfindlicher als in der Vergangenheit. Wir spielen da nicht mit dem Feuer, sondern mit dem Black Out, der mit dem Stromsystem auch die übrige Versorgung zusammen¬brechen lässt.
Der Weg zu den erneuerbaren Energien verspricht auch kein Ende der Knappheiten oder gar der Abhängigkeit von fernen und unsicheren Lieferanten. Alle neuen Ener-gietechnologien, ob Photovoltaik, Wind, Batterien oder Brennstoffzellen und Wasser-stoff benötigen strategische Rohstoffe, über die nur wenige Staaten verfügen, oft vor allem China: Sehr kritisch sind Iridium (für Elektrolyseure), Dysprosium (Magnete, Windanlagen, E-Fahrzeuge), Lithium (Batterien, E-Fahrzeuge). Auch kritisch: Neodym und Praseodym (Magnete, Windanlagen, E-Fahrzeuge), Kobalt und Nickel (Magnete, Batterien), Graphit (Batterien).
Mindestens so wichtige Knappheiten bedrohen die Lebensversorgung mit Nahrungs-mitteln und Wasser; noch stehen der Weltbevölkerung etwa 20 ha pro Kopf an Ackerland zur Verfügung, das aber wird ständig weniger wegen der Ausbreitung von Dürregebieten und Wüsten, möglicherweise auch demnächst wegen Phosphormangel, Artenschwund und Naturschutz.
Und die Benachteiligten sind wie schon ausgeführt nicht mehr wehrlos und können ihre wirtschaftlichen oder ideologischen Interessen gegenüber Konkurrenten durchzusetzen, immer häufiger als Terrorismus und verdeckte Kriegsführung („surrogate warfare“). Was die schiitischen Huthis zurzeit im Roten Meer bewirken, können andere Mächte, nicht nur China, jederzeit an anderen Meerengen auslösen.
6. Kann so auch nur globale Klimaneutralität rechtzeitig und friedlich gelingen?
Das war die Titelfrage: Wenn man von derzeit etwa 47 Gt CO2äquivalent ausgeht und man unrealistisch optimistisch von eine sofortigen linearen Reduktion ausging, dann würden in den etwa 25 Jahren bis 2050 noch etwa 600 Gt erlaubt sein. Nach der zi-tierten Faustregel entspräche das einer weiteren Erwärmung von 0,3° auf die bereits erreichten 1,4°. Verlängert sich der (unrealistisch) lineare Reduktionsprozess um 10 Jahre, würden noch über 800 Gt emittiert, also wahrscheinlich 1,8° Erwärmung er-reicht. Die IPCC-Wissenschaftler rechnen natürlich mit realistischeren Reduktions-verläufen und haben im letzten Report zu Protokoll gegeben:
„Der Report bringt neue Abschätzungen der Wahrscheinlichkeiten, eine globale Erwärmung von 1.5° in den nächsten Dekaden zu überschreiten, und stellt fest, dass eine Limitierung der Erwärmung auf 1,5° oder gar 2,0°
außer Reichweite liegt, wenn nicht sofort schnelle und weitreichende Reduktionen der Treibhausgas-Emissionen beginnen.“
Ich möchte im Lichte des hier Vorgetragenen behaupten, dass der einschränkende Nebensatz „wenn nicht sofort schnelle und weitreichende Reduktionen der Treibhaus-gas-Emissionen beginnen“ aus psychologischen Gründen beigefügt wurde, um das klima-politische Engagement nicht zu entmutigen – nicht aber aus der Überzeugung, da wer-de ausreichend viel geschehen. China z.B. hat sich vor etwa 3 Jahren bis 2030 weite-res Emissionswachstum genehmigt und will dann bis 2060 klimaneutral sein. Die ersten Erfahrungen zeigen, dass es diesen Kurs schon bis 2023 deutlich verfehlt hat, obwohl es kräftig in Sonne und Wind investiert, aber eben 2022 auch weiter 218 GW Kohlekraftwerke genehmigen musste.
Und das Resultat verfehlter Temperaturgrenzen der Erwärmung wird eine dramatische Verschlechterung der Lebenschancen der Völker und eine Ausbreitung von Konflikten und Kriegen sein.
Klimaschutz ist dabei nur ein Teil globaler Nachhaltigkeit, die ebenso wenig auf Erfolgskurs ist, wenn es um Artenvielfalt, Bodenqualität oder den Zustand der Meere geht.
7. Zusammenfassung:
Die Menschheit ist nicht mehr kurzsichtig in Raum und Zeit. Handlungsfolgen sind abschätzbar. Unwissen ist keine Entschuldigung mehr.
Nachhaltigkeit, Arten-, Umwelt- und Klimaschutz brauchen global gemeinsames Handeln und Solidarität. Regierungen machen zwar entsprechende Versprechungen, wissen aber, dass sich ihre Völker einschneidenden Änderung eher verweigern, auf je-den Fall wirksam bremsen – trotz lautstarker Aktivisten wo erlaubt. Darum wird viel zu langsam gehandelt – wenn überhaupt.
Globale Nachhaltigkeit scheint rechtzeitig nicht erreichbar: würde versucht, sie au-toritär mit der notwendigen Geschwindigkeit erzwungen, würden die Völker sich ver-weigern und die Systeme unfriedlich destabilisieren. Deshalb wird es keine Regierung wagen (ob demokratisch oder autoritär), die notwendigen Transformationsprozesse mit der notwendigen Geschwindigkeit durchzusetzen. Verfehlt die Menschheit erwar-tungsgemäß das Ziel globaler Nachhaltigkeit in den nächsten Jahrzehnten, werden auch die internationalen Konflikte dramatisch schärfer und mit Gewalt ausgetragen werden.
8 oder gar 10 Mrd. Menschen werden nicht friedlich und gesund in eine nach-haltige Zukunft gehen; sie überfordern die Tragfähigkeit des Planeten. Zu er-warten sind also Katastrophen, Kriege, Hunger und Krankheiten und damit eine Abnahme der Weltbevölkerung, möglicherweise auf jene 2 Milliarden, wie es sie bei meiner Geburt gab.
Trotzdem – und das wurde auch in der Diskussion unterstrichen, in der es auch vereinzelt positivere, technologieoptimistische Sichtweisen gab – darf das Bemühen um Klimaschutz und die anderen Nachhaltigkeitsdefizite nicht nachlassen, um zumindest die Folgen so stark zu mildern wie irgend möglich.
The post Gelingt eine friedliche Wende zu Globaler Nachhaltigkeit? first appeared on Blog der Republik.]]>Eine ältere Dame mit roter Baskenmütze ist außer sich:
O-Ton: „Wir haben sie so satt! Was haben wir ihnen denn getan? Was haben wir Putin getan?
Unsere Kinder, unsere Urgroßeltern, wir alle haben gearbeitet, dass die Ukraine erblühen kann, und was macht er?
Hat er auch nur eine einzige Blume in diesen Boden gepflanzt?
Er macht alles nur kaputt.“
The post Medientipp: „Was haben wir Putin getan?“ Weitere Splitter des absolut sinnlosen Kriegs-Terrors first appeared on Blog der Republik.]]>
Die Entscheidung, ob der Taurus geliefert wird, ist eine des Kanzlers, nicht des Bundestages. Und der hat klipp und klar gesagt: Nein. Mit mir nicht. Also was soll das Theater? Die SZ kommentiert, Scholz und der SPD sei es in keiner Weise gelungen, die Mitkoalitionäre Grüne und FDP von den Argumenten zu überzeugen, die angeblich dagegen sprechen, die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen die russischen Invasoren nun auch mit dem Marschflugkörper zu unterstützen. Fazit für den Autoren des Kommentars: „Folglich gibt es zwei Verlierer: die Ukraine und Olaf Scholz“. Söder wird sich gefreut haben und Merz natürlich auch. Sie fordern doch seit Monaten: Die Ampel muss weg. Dabei muss man kein Freund von Scholz sein, um Söders Worte als Sprüche zu entlarven. Soll der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident doch erstmal seine Hausaugaben ordentlich machen. Wie steht es eigentlich um die Windenergie im Freistaat? Und wenn er schon mit dem Finger auf die Ampel–Koalition zeigt, sollte er bedenken, dass drei Finger derselben Hand auf ihn, Söder, zurückweisen. Oder glaubt er wirklich, seine Allianz mit den Freien Wählern und einem Hubert Aiwanger sei ein nachahmenswertes Bündnis?
Zurück zum Taurus und der Debatte im Bundestag und der Kommentierung der SZ. Kein Wort verliert der Kommentator dazu, dass die große Mehrheit der Deutschen gegen die Lieferung des Taurus an die Ukraine ist. Das haben Umfragen ergeben. Ganz nebenbei liefert Deutschland viele andere Waffen, wir helfen, wo es geht, die Türen zu unserem Land stehen Ukrainerinnen und Ukrainern offen. Der Bundeskanzler betont das immer mal wieder. Das alles ist nicht der Rede wert? Aber dass FDP und Grüne am Ende nicht mit der Union gestimmt hatten, dies sei nur der Koalitionsdisziplin und nicht den aus ihrer Sicht besseren Argumenten geschuldet. So die SZ. Es zeige sich, dass Scholz nicht einmal jene überzeugen könne, die mit ihm regieren. Gut, dass wir einen SZ-Schreiber haben, der uns die Welt erklärt. Und verheerend sei die Wirkung nach außen. Darauf wäre ich auch nicht gekommen, bin halt nicht so gewandt im Umgang mit schwersten Waffen.
Fremd ist mir seit einiger Zeit der Ton in den Medien, der den Eindruck erweckt, Friedenskanzler sei fast ein Schimpfwort. Rolf Mützenich, den der Kommentator hart kritisiert, wird nicht unglücklich gewesen sein, dass derselbe SZ-Autor ihn dann noch in die Nähe des Papstes rückt und dessen weißer Fahne. Die Wortwahl des katholischen Oberhirten mag unglücklich gewesen sein, aber mir hat das gefallen, dass er dem Frieden das Wort redet und nicht todbringenden Waffen vom Typ Taurus. Als Katholik habe ich endlich-abseits aller ekeligen Missbrauchsdebatten in der Kirche- einen Punkt, wo ich dem Papst Recht geben kann.
Wieso trommeln eigentlich die Taurus-Freunde so laut? Kein Wort zur Diplomatie kommt über ihre Lippen. Wäre doch mal an der Zeit, diese Debatte zu eröffnen. Putin ist ein Kriegstreiber, zweifellos. Doch er ist und bleibt der Ansprechpartner für irgendwelche Gespräche, die vielleicht zum Waffenstillstand führen könnten. Damit das Töten und Zerstören aufhört. Aber das ist kein Thema bei den Bellizisten. Glauben sie wirklich, dass mit dem Marschflugkörper der Krieg beendet werden könnte? Glauben sie wirklich, die Ukraine könnte Russland besiegen, die Welt- und Atommacht? Des Kanzlers Wort zu Beginn des von Putin angezettelten Krieges- „Russland darf den Krieg nicht gewinnen“- war klug und besonnen. Seine Haltung jetzt, der Ukraine den Taurus nicht zu liefern, weil er eine Ausweitung des Krieges befürchtet, die dann nicht mehr zu kontrollieren sei, des Kanzlers Sorge um Deutschland, dass kein deutscher Soldat in diesen Krieg gezogen werde,(Afghanistan ist doch ein abschreckendes Beispiel) dass daraus ja kein Weltkrieg werde, das alles ist seines Amtes. Dafür hat er den Eid geleistet, Gefahren von der Bundesrepublik abzuwenden.
In einem Punkt stimme ich der SZ zu, die ihren Bericht über die Taurus-Debatte auf der Politik-Seite mit dem Titel überschreibt: „Bammel vor dem Friedenskanzler“. Rudolf Dreßler, der 83jährige Sozialdemokrat, hatte das gerade in einem Gespräch mit dem Blog-der-Republik gesagt: „Mir ist ein Friedenskanzler lieber als ein Raketenkanzler“. Das wäre doch ein Wahlkampf-Thema. Im Sinne von Willy Brandt, dem Friedensnobelpreisträger.
The post Ist Friedenskanzler ein Schimpfwort? Und Scholz sagt Nein! first appeared on Blog der Republik.]]>Die Fregatte „Hessen“ der Deutschen Marine beteiligt sich im Roten Meer am Beschießen von Drohnen vermutlich jemenitischer Herkunft. In der Nacht zum 9. März haben westliche Kriegsschiffe im Roten Meer insgesamt 28 Drohnen getroffen. Beteiligt waren die USA, Frankreich, Dänemark und Großbritannien – die „Hessen“ war gerade andernorts unterwegs, hat sich deshalb nicht beteiligt. Militärisch gesehen war das ein Erfolg. Aber ist der auch einer auf Dauer? Oder erleben wir hier wieder eine Serie von taktischen Erfolgen, die in eine strategische Niederlage münden? Darf man solche „Erfolge“ vielleicht doch nicht addieren? Gibt hundert mal Plus hier vielleicht doch Minus?
2. Die Kosten-Nutzen-Rechnung
Sinn des Einsatzes ist angeblich der Schutz der Handelsschifffahrt. Die aber will sich weit überwiegend nicht „schützen“ lassen – der erscheint es billiger, den Umweg über die Südspitze Afrikas zu nehmen.
Kann die Deutsche Marine den Einsatz durchhalten? Die Huthi befinden sich seit 2004 im Bürgerkrieg um die Herrschaft im Lande. Im März 2015 wurden sie Ziel einer von Saudi-Arabien angeführten Militäroffensive namens „Operation Decisive Storm“, die von den USA, Frankreich und Großbritannien unterstützt wurde. „Decisive“ war daran nichts, die Huthi haben einen sehr langen Atem bewiesen. Also ist zu erwarten, dass sie ihn auch in dem Katz- und Maus-Spiel am Eingang des Roten Meeres haben werden. Dort werden Billigwaffen (Drohnen) den Katzen (Hochwertwaffen) zum Fraß vorgeworfen – und die Katzen nehmen sie unbesehen, schießen die beliebig vermehrbaren Garagenwaffen mit Hightech-Waffen ab.
Wie rechnet sich das?
Im Mandat des Einsatzes findet sich eine Berechnung der Kosten. Die lautet:
„Die einsatzbedingten Zusatzausgaben für die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an EUNAVFOR ASPIDES werden für den Zeitraum 23. Februar 2024 bis 28. Februar 2025 voraussichtlich insgesamt rund 55,9 Mio. Euro betragen“.
56 Mio. € ist auffällig wenig. Aber es ist ja auch nur von „Zusatzausgaben“ die Rede, nicht von „Kosten“. Angenommen, eine Abwehrrakete habe einen Wert von 2 Mio. €, so wäre nach gut 20 Schüssen Schluss, weil das Budget aufgebraucht ist. So kann es nicht gemeint sein.
Auf Nachfrage zur Definition von „einsatzbedingten Zusatzausgaben“, ob da einsatzbedingte Verbräuche von Munition, die ja in der Regel Ersatzbeschaffungen auszulösen haben, enthalten seien, war die Antwort: Nein. Die Begründung:
Ausgaben für die Nachbeschaffung von Munition seien in den einsatzbedingten Zusatzausgaben nicht enthalten, da Munition nicht spezifisch für einen Einsatz beschafft werde. Es gehöre vielmehr zu den Grundaufgaben von Streitkräften, ausreichend Munition zu beschaffen und zu bevorraten, um jederzeit ihren Auftrag, auch im Rahmen internationaler Einsätze, erfüllen zu können.
Wer so kalkuliert, kann schwerlich nur erkennen, wie absurd das Einsatzkonzept ist, Billigdrohnen, die die Huthi über Jahre in fast beliebiger Menge starten lassen können, mit hundertmal teureren Raketen vom Himmel zu holen; mit Waffen zudem, deren Vorräte äußerst knapp sind.
Institutionell stellt sich die Frage, wer bei der Vorbereitung einer Mission in diesen Kategorien denkt und das Ergebnis in die Beratungen einbringt. Ein Abnützungskrieg ist eine Konstellation, bei der definitorisch die Relation der Ressourcenverfügbarkeit entscheidet. Das Rechnen mit Ressourcen ist fachlich eine Aufgabe der Ökonomie. Es gibt in Deutschland lediglich eine Honorarprofessur für Sicherheits- und Militärökonomie an der Universität der Bundeswehr in München. Das ist institutionell schon alles. Kein Wunder, dass man sich bei Einsätzen verrechnet, und das augenscheinlich nicht nur bei Einsätzen. So werden Streitkräfte nicht „kriegstüchtig“, wenn sie das militärökonomische Denken nicht pflegen.
3. Die rechtliche Schwierigkeit mit der Erkennbarkeit eines Angriffs
Der Einsatz gegen die Drohnen der Huthi bringt eine rechtliche Pikanterie mit sich. Die kann man am besten veranschaulichen, wenn man sich in die Huthi hineinversetzt und denen äußerst sparsames Verhalten unterstellt.
Die sehen sich in einem Abnützungskampf, in dem sie mit ihren Billigstwaffen und guter Deckung in den Bergen die weit besseren Karten haben gegenüber der Flottille von Kriegsschiffen des Westens, die sich als Zielscheibe ohne Deckung im Meer vor ihren Bergen anbieten und wahllos mit Hochwert-Waffen auf alles schießen, was anfliegt. Sind sie knauserig, so sparen sie sich das Beladen ihrer Drohnen mit Sprengkörpern.
Abwehr ist gemäß gewohnheitsrechtlich anerkanntem Nothilferecht legitimiert, so der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages in einem Rechtsgutachten zum Einsatz im Roten Meer, gegen eine „armed attac“. Für die US-Streitkräfte muss es nicht einmal das sein, für die reiche, dass ein „hostile intent“ bzw. ein „hostile act“ seitens des Gegners vorliege. Wie aber soll das bei anfliegenden Drohnen erkennbar sein?
Das ist im Einzelfall unmöglich. Eine Drohne ist eben lediglich eine Plattform, für dual use: Man kann Detektionsgeräte darunterhängen, aber auch Sprengstoff. Also gibt es nur eine Lösung für die westlichen Kriegsschiffe: „hostile intent“ generalisiert unterstellen, dann aber auch jede Drohne, die anfliegt, ins Visier der Hochwertwaffen nehmen. Also wäre das unterstellte Sparverhalten der Huthi sinngemäß und würde nicht einmal auffallen.
The post Was kostet der Einsatz der „Hessen“ im Roten Meer? first appeared on Blog der Republik.]]>Wer Rudolf Dreßler hoch oben über Bonn in seinem Haus besucht, trifft auf einen Mann, der gerade dabei ist, wieder das Gehen zu lernen. Eine schwere Nierenvergiftung hat ihm vor Monaten schwer zugesetzt, drei Monate lag er im Krankenhaus, mehrere Wochen danach musste er zu Hause wieder lernen, in das Leben einzutauchen, wie er das nennt. Wer sich viele Wochen nicht bewegt, verliert an Gewicht, wird körperlich schwach und muss dann langsam mit viel Disziplin und Training wieder Muskeln aufbauen. Sekundär-Tugenden braucht es dazu, Geduld, weil es dauert. Aber dem Kopf hat das alles nicht geschadet, die Stimme ist klar wie immer, nur an Mobilität mangelt es noch; daran arbeitet er und hofft, irgendwann wieder reisen zu können. Zum Beispiel, um seinen jüngst geborenen Urenkel in Konstanz am Bodensee zu besuchen.
Mehr Diplomatie wagen
Die politischen Geschehnisse in aller Welt beschäftigen ihn. Der Krieg in der Ukraine geht uns alle an; die Diskussion über Waffenlieferungen, den Taurus-Marschflugkörper. Die Befürworter erwecken den Eindruck, dass sich damit der Krieg gegen Russland gewinnen lasse. Als wenn das so einfach wäre. Russland ist eine Welt- und Atommacht. Sie zu besiegen, kann außerhalb der Ukraine niemand ernsthaft als Option einstufen. Die Furcht vor dem Dritten Weltkrieg schwingt in den Debatten und Gedanken mit. Olaf Scholz hat kurz nach Ausbruch des Krieges einen klugen Satz gewählt: „Russland darf den Krieg nicht gewinnen.“ Für Rudolf Dreßler spielt hierbei ein weiteres Momentum eine ganz wichtige Rolle. „Wir müssen die Diplomatie stärker in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen, wir müssen mehr Diplomatie wagen“. Womit er ein Wortspiel des SPD-Kanzlers und Friedensnobelpreisträgers Willy Brandt aufgreift („Mehr Demokratie wagen“) und diesem unterstellt: „Brandt würde direkt nach Moskau fahren, um mit Putin zu reden. Getreu seinem Wort: „Der Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.“
Der Sozialdemokrat im Ruhestand empört sich über die Haltung vor allem des Unions-Partei- und Fraktionschefs Friedrich Merz. „Wie politisch verkommen muss jemand sein, der behauptet, die Nicht-Lieferung todbringender Waffen, wie der Taurus-Marschflugkörper eine ist, sei unehrenhaft. Der Taurus kann Deutschland in den Krieg hineinziehen. Und das soll ehrenhaft sein, um das Wort mal umzudrehen?“ Ich nenne das im übrigen ein Spektakel der Opposition und wundere mich, wie leichtfertig ein CDU-Vorsitzender bei so einem schweren Thema die Emotionen schürt. Anders als der Christdemokrat, der nach der nächsten Bundestagswahl Kanzler werden will, reagiert ein anderer Sozialdemokrat. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert formulierte: „Olaf Scholz entscheidet mit dem Kopf, nicht mit dem Bauch.“
Ja, es stimmt, die Debatte über Waffenlieferungen an die Ukraine wird auch in den Medien zumeist von Bellizisten geführt. Des Kanzlers Besonnenheit wird dabei als zögerlich beklagt, seine Politik als isolierte Meinung im Westen hingestellt, der Riss in den Beziehungen zu Frankreich betont. Dass Scholz hier die Nähe zu US-Präsident Biden sucht, wird ihm eher als Vorwurf angekreidet. Unfassbar für einen wie Rudolf Dressler und unverständlich. „Der demokratische Reflex muss doch sein: Nie wieder! Nie wieder Krieg! Krieg schürt Hass, tötet Tausende, zerstört Dörfer und Städte.“
Damit das nicht missverstanden wird: Dreßler ist kein Putin-Versteher, sondern stellt auch hier klar: „Putin hat die Ukraine überfallen. Das war und ist völkerrechtswidrig. Und doch muss jeder Versuch unternommen werden, den Krieg zu beenden und damit das Töten und Zerstören.“
Hans Böckler wollte er werden
Wer mit einem wie Rudolf Dreßler redet, darf natürlich sein Herzensthema nicht ignorieren: die Sozialpolitik. Dreßler war 20 Jahre Bundestagsabgeordneter, hat die SPD-Kanzler Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder erlebt sowie den CDU-Kanzler Helmut Kohl und Angela Merkel, die CDU-Nachfolgerin von Schröder. Bonner Journalisten nannten das SPD-Urgestein „Arbeiterführer“. Ja, er war d e r Sozialpolitiker der SPD. Wenn er das Wort erhob damals, hörten sie ihm zu, auch die politischen Gegner wie Norbert Blüm, der Arbeits- und Sozialminister in den Kabinetten von Kohl. Mit Blüm verstand er sich gut, sie waren befreundet. Die Sache der Arbeiterinnen und Arbeiter, des kleinen Mannes, das war Dreßlers Sache; um deren Sorgen und Nöte hat er sich gekümmert. Er war Gewerkschafter, gelernter Setzer, dann Metteur, in Wuppertal im November 1940 geboren. Die Schrecken des Krieges, die brennenden Häuser, diese Bilder hat er nie vergessen. Sein Vater wird Mitglied der IG Metall. Als der Sohn mal gefragt wird, was er denn werden wolle, antwortet er klipp und klar: „Hans Böckler“; das war der damalige DGB-Vorsitzende.
Der Kampf um gerechte Bezahlung, um Rechte für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hat das IG-Druck-Mitglied Dreßler geprägt. Schlechtere Bezahlung „hat mich aufgeregt“, zu verhindern, dass jemand seinen Job verlor, das war sein Antrieb über viele Jahre des Umbruchs in der Druck-Industrie, als Berufe überflüssig wurden und es darum ging, den Übergang so zu organisieren, dass kein Kollege auf der Straße landete. Und als Dreßler dann 1980 in den Bundestag kam, wurde er auf den letzten Metern der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt Staatssekretär im Arbeitsministerium. Logisch. Aber dann kam die Wende, Kohl löste Schmidt ab. Und Dreßler saß auf der Oppositionsbank. Viele Jahre, in denen er der Regierung Kohl/Genscher immer wieder sozialpolitisch die Leviten las.
Als Schröder Kanzler wurde, blieb Dreßler außen vor. Im Grunde war es gut so, denn er hätte manches nicht mitgemacht, nicht der Agenda 2010 zugestimmt, deren Folgen dazu führten, dass die SPD 400000 Mitglieder und Millionen Wählerinnen und Wähler verlor. Genosse der Bosse wollte er nie werden, er blieb der Arbeiterführer. Und wurde Botschafter in Israel von 2000 bis 2005. Das Thema Israel gehörte ohnehin zu seinen Lieblingsthemen.
Zurück in die Gegenwart. Und da ist einmal der Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung, Antisemitismus, gegen die AfD, die Neonazis. Wenn er könnte, würde er mitmarschieren, demonstrieren für die Grundrechte, die Freiheit, unser Grundgesetz. Dass so viele Menschen sich spontan versammeln, dass Millionen für etwas eintreten, für unsere Demokratie, die Würde des Menschen, wer hätte das gedacht. Es muss doch möglich sein, das weitere Vorrücken der AfD zu stoppen, Demokraten aller Parteien müssen hier zusammenrücken. Nie wieder ist jetzt! Rufen die Demonstranten in allen Teilen der Republik. Warum eigentlich kein Verbot der AfD? Das Grundgesetz schreibt doch Handeln vor: Keine Toleranz der Intoleranz. So hat es Carlo Schmid gesagt. Ein Thema, das jeden Demokraten anregt und aufregt. Auch Rudolf Dreßler.
Reiche stärker besteuern
Die andere Gegenwart heißt politisch Ampel und Olaf Scholz. Auch hier nimmt Dreßler kein Blatt vor den Mund, unsozial ist unsozial. Und das ist eben der Kern, das Herz der SPD. Dreßler wörtlich: „Ich werfe Olaf Scholz nicht vor, was die Ampel an Sozialpolitik beschließt. Ich weiß, dass ihm die Hände gebunden sind durch Grüne und FDP. Aber er müsste es laut sagen, was er eigentlich durchsetzen würde, hätte er die Mehrheit dafür. Er müsste laut sagen, dass die starken Schultern stärker belastet werden müssten. Dass die Reichen mehr Steuern bezahlen müssten. Es kann doch nicht sein, dass ein paar Dutzend Milliardäre mehr haben als 40 Millionen Bundesbürgerinnen und Bundesbürger. Es kann nicht sein, dass in einem reichen Land wie Deutschland die Alters- und Kinderarmut steigt, dass ein Fünftel der Jobs von Niedriglöhnern geleistet wird.“ Man stelle sich vor, erläutert Dreßler, die Ampel würde die
Vermögenssteuer ab einer Million um 1 Prozent und ab einer Milliarde um 2 Prozent erhöhen. Wir hätten Mehreinnahmen von ca. 2o Milliarden Euro jährlich. Zur Erinnerung: seit 1997 wird die Vermögenssteuer nicht mehr erhoben. Die jährliche Mindereinnahme von ca. neun Milliarden beziffert sich mittlerweile in Richtung 200 Milliarden Euro. Dreßler kommentiert das mit dem Satz: „Für diese Geschenke hat der Staat kein Geld mehr.“ Viele unserer finanziellen Probleme wären damit gelöst, auch jene der Bundeswehr. Auch wenn die FDP dies verhindere, müsse Scholz die Positionen besetzen, damit klar wird, was SPD-Politik bedeutet.
So war Rudolf Dreßler immer, so ist er noch heute. Im Sinne von Willy Brandt fordert er: Mehr Gerechtigkeit wagen. Und auch mit 83 Jahren gibt er keine Ruhe. Recht hat er. Wie sagte einst der von ihm immer mal wieder zitierte Brandt: Auch Rentner haben Stimmrecht. Dreßler wird sich weiter einmischen.
The post „Lieber Friedens- als Raketenkanzler“ – Rudolf Dreßler im Gespräch mit dem Blog-der-Republik first appeared on Blog der Republik.]]>