Wer in diesen Tagen Rom besucht und mit Italienern Gespräche führt, erlebt mehr denn je eine gespaltene Nation und ein taumelndes Land. Die Hauptstadt präsentiert sich wie schon immer umtriebig: Die Verkehrsadern sind infarktverdächtig, die Autos stehen eher, als dass sie sich voranbewegen. Viel Publikum gibt es auf den Straßen mit den Läden der Mode- und Schmuck-Edelmarken, in denen jedoch die Schar der Kunden recht klein ist. Dagegen genießen die Römer und insbesondere die nach wie vor zahlreichen Touristen die verlockenden Angebote der vielen Osterias mit feinen italienischen Speisen und Weinen sowie die attraktiven Eissalons mit Sorten, die sonst nirgendwo auf der Welt zu finden sind. Auf den Wegen durch die Hauptstadt liegt fast überall viel Müll, die Capitale wirkt dreckiger denn je zuvor. Die Straßen weisen viele Schlaglöcher auf, die Teerdecke ist nicht selten weggeplatzt. Die Infrastruktur ist vielfach mehr als marode, manche Stadtteile sind verfallen und morbide – und das sind nicht die antiken Stätten aus der Römerzeit.
Die Beobachtungen der äußeren Gegebenheiten und mehr noch die Gespräche mit den Italienern machen überdeutlich: Das Land taumelt am Abgrund; es befindet sich politisch, wirtschaftlich und sozial in einer tiefen Krise.
Pas de deux der Populisten
Seit vielen Wochen ringen die Rechtspartei Lega und die links-populistische „Fünf Sterne“-Partei mit den Spitzenleuten Matteo Salvini und Luigi Di Maio um eine Regierungsbildung. Bei der Wahl am 4. März dieses Jahres hatten die Fünf Sterne knapp 33 % der Stimmen erreicht und waren damit die stärkste Einzelpartei geworden. Die Lega erzielte 17 %, die mit der Lega verbündete Forza Italia rund 14 %.
Im Hintergrund versucht auch Silvio Berlusconi dabei seine Strippen zu ziehen, was eher störend denn förderlich wirkt. Doch die politischen Vorstellungen der rechten und der linken Populisten passen kaum zusammen und machen die Koalitionsverhandlungen außerordentlich schwierig. Zwar war vor wenigen Tagen eine Einigung signalisiert worden, doch dann traten wieder große Differenzen zutage. Salvini und Di Maio baten den Staatspräsidenten Sergio Mattarella, der die Protagonisten drängte, um Geduld und mehr Zeit. Ob das reicht, um eine stabile Regierung zu bilden und um ein tragfähiges Koalitionsprogramm zusammenzuzimmern, das ist nach wie vor ungewiss. Schon werden Neuwahlen nicht ausgeschlossen – möglicherweise nach den Sommerferien. Die aktuellen demoskopischen Befunde sehen die Lega im Aufwind. Polit-Experten weisen darauf hin, dass die beiden Parteien ohnehin kaum einen Vorrat an Gemeinsamkeiten finden. Es sei fast so, kommentiert ein Insider, als ob in Deutschland die AfD und die Linke miteinander ins Koalitionsbett steigen sollten.
Hohe Kosten der Wahlversprechen
Einzig einig sind sich die Lega und Fünf Sterne darin, die Rentenreform aus dem Jahre 2011 zurückzudrehen: Italiener sollen demnach wieder nach 41 Beitragsjahren -und eben nicht mit 67- in Rente gehen können. Die Kosten dafür würden sich auf bis zu 15 Mrd. € jährlich belaufen. Andere politische Programm-Ziele liegen weit auseinander, sind kaum oder gar nicht auf einen teuren gemeinsamen Nenner zu bringen. So strebt die Lega einen einheitlichen Satz von 15 % bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer an, während die Fünf Sterne-Vertreter ein bedingungsloses Grundeinkommen von 780 € je Einwohner durchsetzen wollen. Beides zusammen würde pro Jahr zwischen 80 und 120 Mrd. € kosten. Dagegen nehmen sich die Vorstellungen für eine Gegenfinanzierung eher kümmerlich und nicht realisierbar aus.
Rigorose Forderungen gegenüber der EU
Beide Parteien sind sich einig, sollten sie eine Koalition finden, einen Schuldenerlass von der Europäischen Zentralbank (EZB) zu fordern – und zwar in der Höhe von 250 Mrd. €. Die Staatsverschuldung Italiens hat inzwischen über 130 % des Bruttoinlandsproduktes erreicht und damit die Marke von 2.300 Mrd. € überschritten; sie liegt damit mehr als doppelt so hoch wie die 60 %, die als Maximum in den Maastricht-Kriterien festgelegt werden. Im Wahlkampf hatte auch die Lega-Führung für Italiens Ausstieg aus dem Euro und für die Nachbesserung der Verträge der Währungsunion geworben. Jedenfalls drohen hier Konflikte mit der EU und der EZB.
Schwindendes Vertrauen
Wenn auch das laute Poltern der Populisten gegen die EU und den Euro nicht unbedingt zu entsprechenden politischen Umsetzungen führen wird, treiben die derzeitigen Entwicklungen Italiens vielen Europäern tiefe Sorgenfalten auf die Stirn und führen bereits zu Turbulenzen auf den Finanz- und Kapitalmärkten. Das Vertrauen schwindet, zumal die italienische Wirtschaft nur recht schwach wächst und die Arbeitslosigkeit -vor allem von Jugendlichen- nach wie vor hoch ist. Der Euro-Kurs schwächelt zusehends; er ist deutlich unter die Marke von 1,18 Dollar für 1 Euro und damit auf den tiefsten Stand seit Dezember 2017 gefallen. Dagegen sind die Renditen für italienische Anleihen auf über 2 % gestiegen; das sind 1,5 % mehr als bei den deutschen Anleihen und verteuert die Staatsfinanzierung Italiens. Viel Kapital fließt aus Italien ab, denn Geld ist scheu wie ein Reh.
Inzwischen wurde ein Entwurf eines Koalitionsvertrages fertiggestellt. Noch völlig offen ist, wer der nächste Ministerpräsident Italiens werden soll; wahrscheinlich wird es ein Fünf Sterne-Politiker. Wenn in den nächsten Tagen aus den Reihen der Mitglieder beider Parteien Zustimmung zu dem Programm signalisiert werden sollte, könnte das Koalitionspapier bereits Anfang der nächsten Woche dem Präsidenten Sergio Mattarella präsentiert werden. Er muss es begutachten sowie über den Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten und damit über die Regierungsbildung entscheiden.
Riesige Kluft zwischen Nord und Süd
Die Lage Italiens ist keineswegs so dramatisch wie die Griechenlands vor Jahren. Doch müssen sich die EU und die EZB auf stürmische Zeiten einstellen. Das Land hat die Zeit extrem niedriger Zinsen kaum genutzt, um dringend erforderliche Reformen auf den Weg zu bringen und um die Wettbewerbsfähigkeit seiner Wirtschaft nachhaltig zu verbessern. Die Spaltung zwischen dem ökonomisch starken Norden und dem seit einiger Zeit dahinsiechenden Süden ist heute größer als jemals zuvor. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Eher steht zu befürchten, dass die Populisten von rechts und links nicht zu einer politischen und wirtschaftlichen Stabilisierung beitragen, sondern den Absturz beschleunigen werden. Die Partner in der EU müssen aufpassen und aktiv werden, um nicht in den Abgrund mitgerissen zu werden. Nach Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden rangiert Italien auf Platz 4 der wichtigsten deutschen Handelspartner in Europa. Die dunklen Wolken über Italien könnten schon bald zu gefährlichen Ausläufern für Deutschland und andere europäische Staaten werden.
Um das abzuwenden, dafür helfen allein ein Besuch und Gebet im Petersdom, der in seiner Pracht fast alles überstrahlt und den Rombesucher immer wieder aufs Neue beeindruckt, nicht. Der Vatikan, Tag für Tag Magnet und Pilgerstätte für zigtausend Menschen aus aller Welt, wirkt mit all seinen Schätzen, den Kunstwerken und den gepflegten Gärten wie eine Insel inmitten des tosenden Meeres der italienischen Hauptstadt. Dort wird immer wieder der Glaube an die Ewigkeit geweckt, während die Stadt Rom mit ihrem augenscheinlichen Verfall vielfach die Sorge um die Endlichkeit sichtbar bekräftigt.
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