Der 27. Januar ist seit 1996 – durch eine Proklamation des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog Holocaust-Gedenktag. An diesem Tag wird weltweit an die Millionen Opfer des Nazi-Regimes erinnert: Juden, Christen, Sinti und Roma, Menschen mit Behinderung, Homosexuelle, politisch Andersdenkende, Männer und Frauen des Widerstands, Wissenschaftler, Künstler und Journalisten, Kriegsgefangene und Deserteure, Greise und Kinder an der Front, Zwangsarbeiter und an die Millionen Menschen, die unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft entrechtet, verfolgt, gequält und ermordet wurden.“ Am 27. Januar 1945 wurde das größte Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau von der Roten Armee befreit. Allein hier wurden bis zu 1,6 Millionen Menschen, zumeist Juden, Männer, Frauen und Kinder ermordet, vergast, erschossen. Auschwitz ist gleichsam das Synonym für diesen Völkermord. Die Hölle auf Erden.
Am 27. Januar steht für einen Augenblick das Leben in Israel still. „Weil sich alle eines Grauens erinnern, das Nazi-Deutschalnd den Juden angetan hat und das am 27. Januar 1945 ein Ende fand.“ So hat es Rudolf Dressler erlebt, der SPD-Politiker, der fünf Jahre Botschafter in Israel war. „Man kann das kaum in Worte fassen, was in einem dann vorgeht. Man sollte auch besser schweigen.“
Überleben war Zufall
Die Ermordung von sechs bis sieben Millionen Juden in Europa wurde von den Nazis systematisch und konsequent betrieben, bürokratisch organisiert und industriell durchgeführt, eine gleichsam grundlose Massentötung. „Regelhaft war die Massenvernichtung- Überleben hingegen dem bloßen Zufall geschuldet“. Diese Vergleiche habe ich dem Werk des deutschen Historikers Heinrich August Winkler „Geschichte des Westens“ entnommen, er zitiert dort seinen Kollegen Dan Diner. „Fassungsloses Entsetzen löste dieses Menschheitsverbrechen in den westlichen Demokratien“ aus, den Feinden Hitlers. Winston Churchill kam in einem Brief an Anthony Eden, den langjährigen britischen Außenminister, zu dem Urteil, „dass es sich um das wahrscheinlich größte und schrecklichste Verbrechen der ganzen Weltgeschichte handelt, das von angeblich zivilisierten Menschen im Namen eines großen Staates und eines führenden Volkes Europas mit wissenschaftlichen Mitteln verübt wird.“ Und der schlimmste Ort war und ist Auschwitz, 60 Kilometer von Krakau entfernt. Das zum KZ dazugehörende Vernichtungslager hieß Birkenau. Es war eines von 2000 nationalistischen Konzentrationslagern in Europa.
Die russischen Soldaten wurden von den KZ-Häftlingen wie Lebensretter begrüßt. „Die Russen, die Russen“, riefen die erschöpften, völlig ausgemergelten Gestalten, bis aufs Skelett abgemagerte Menschen, deren Augen durchs die Höllenqualen so tief lagen, als seien sie nach hinten gerutscht. Nur 9000 hatten überlebt. Die Russen, die zuvor schon einen Schock erlitten hatten, als sie das KZ Lublin-Majdanek befreiten, trauten ihren Augen nicht. Einige mussten sich übergeben, andere sackten einfach zu Boden. Und was sie nicht sahen, die Befreier, war das Elend der jüdischen Häftlinge, die von der SS kurz vor der Befreiung des Lagers auf die berüchtigten Todesmärsche gehetzt wurden, rund eine Viertelmillion. Viele starben unterwegs an Entkräftung, an Hunger, andere erfroren, wieder andere wurden einfach erschossen, abgeknallt.
Zentrum der Juden-Ausrottung
Auschwitz, im oberschlesischen Industriegebiet gelegen, war quasi das Zentrum der von Hitler befohlenen Ausrottung der Juden, eine Hölle von Sadismus und Bestialität, ein Massenmord im Fließbandverfahren, so der amerikanische Historiker Raul Hilberg, zitiert im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ 2009. Der berüchtigte Arzt, Dr. Mengele, praktizierte hier seine pseudo-medizinischen Versuche an Juden, die das entweder nicht oder als Krüppel überlebten. An der Rampe von Auschwitz wurden die Häftlinge von Ärzten erwartet, selektiert. Wenn Mengele und die SS-Leute den Daumen nach rechts richteten, bedeutete das das Leben und schwerste Zwangsarbeit, wenn der Daumen nach links zeigte, hieß es Tod. Übrigens verdienten die Nazis in Auschwitz Millionen durch die Zwangs-Arbeit der Häftlinge.
Hier wurden die ersten Versuche mit Zyklon B an 600 russischen Kriegsgefangenen gemacht, mit tödlichem Ende. Andere endeten an der berüchtigten Todeswand im Block 11, per Genickschuss. Die Nazis bevorzugten das Töten mit Gas aus Sorge, die SS-Offiziere würden durch Massenerschießungen von Frauen und Kindern zu stark belastet. So sah es Auschwitz-Kommandant Höß.
„Arbeit macht frei“ stand über allen Konzentrationslagern, auch über dem Eingangstor zur Hölle. „Frei für den Schornstein“, wie es Überlebende sarkastischer nicht beschreiben konnten. Denn nach der Vergasung in Räumen, die als Duschen getarnt waren und aus denen Blausäure strömte, wurden sie in den Öfen der Krematorien eingeäschert. Die Deportationen begannen 1941, seit März 1942 rollten unablässig Züge mit Juden aus allen von der Wehrmacht besetzten Ländern nach Auschwitz. In Viehwaggons waren sie eingesperrt, lediglich ein Toiletteneimer stand den meist 60 Menschen aller Altersklassen zur Verfügung. Wenn die Waggons Auschwitz erreichten, waren die ersten Häftlinge bereits tot.
Menschen waren nur noch Nummern
„Das Schlimmste für mich war die konstante menschliche Erniedrigung, das, was den Menschen vom Tier unterscheidet, beziehungsweise ist es dem Tier besser gegangen als einem Menschen“, schilderte später eine Überlebende. „Man hat uns wie Dreck behandelt.“ Jeder KZ-Häftling hatte vor der Einlieferung einen Namen, die Bürokratie des Massenmords machte Zahlen aus allen, wie Heinrich August Winkler schildert. So wurden die Opfer anonym. Winkler zitiert Primo Levi, einen italienisch-jüdischen Chemiker, der von den italienischen Faschisten aufgegriffen worden war und 1944 ins Arbeitslager Auschwitz-Monowitz kam. Levi spricht vom Vernichten eines Menschen. „Wir sind in der Tiefe angekommen, noch tiefer geht es nicht, ein noch erbärmlicheres Menschendasein gibt es nicht. Nichts ist mehr unser. Man hat uns die Kleidung, die Schuhe und selbst die Haare genommen; werden wir reden, so wird man uns nicht anhören.. Auch den Namen wird man uns nehmen.“ Levi wurde der Häftling Nr. 174517, auf seinem rechten Arm eintätowiert. „Dies ist die Hölle“, schrieb er. „Heute in unserer Zeit muss so die Hölle beschaffen sein.“ Ein anderer Auschwitz-Häftling, Chaim Herzog,
notierte in seinem letzten Brief an Frau und Tochter: „Dantes Inferno ist geradezu lächerlich , verglichen mit der wirklichen hier.“ Der Brief wurde im Februar 1945 unter der menschlichen Asche neben einem Krematorium in Auschwitz gefunden. Wie Winkler schreibt, eine Stimme aus der Gaskammer.
Alliierten wussten von Auschwitz
Übrigens wussten die Alliierten von den Zuständen in den Konzentrationslagern, von der Mord-Indiustrie der Nazis. Warum sie Auschwitz nicht bombardierten, bleibt bis heute ihr Geheimnis. Auch die Kirchen wussten vom Völkermord der Nazis an den Juden. Doch der damalige Papst Pius hielt sich mit direkter Kritik daran zurück, wohl weil er fürchtete, die Nazis würden sonst mit der Kirche härter umspringen. Dabei landeten auch Priester im KZ.
Vor kurzem hat jemand gefordert, den Besuch einer KZ-Gedenkstätte für alle Schüler zur Pflicht zu machen. Das mit der Pflicht ist so eine Sache, aber mindestens sollte man es empfehlen, wie es der Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg in der Oberpfalz, Jörg Skriebeleit, in einem Interview mit der SZ gesagt hat. Gerade weil die Täter inzwischen „steinalt oder tot“ sind. „Die Taten, die KZ, das organisierte Massen-Verbrechen an Menschen sind etwas, was berührt.“ Meint Jörg Skriebeleit. Ein Versuch wäre es wert und besser als ein Klassenausflug nach Tübingen allemal. Womit ich nicht gegen die alte Universitätsstadt gesagt haben will.
Quellen: Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens. Die Zeit der Weltkriege 1914-1945. Ian Kershaw: Höllensturz. Europa 1914 bis 1949. Der Spiegel.
Bildquelle: © Rolf Krahl / CC BY 4.0 (via Wikimedia Commons)“
Ein wichtiger Text, nur einen Typo sollten Sie korrigieren: „der amerikanische Historiker Raul Hil(s)berg“.
Vielen Dank für den Hinweis. Sie haben völlig Recht!