Der Vorgang ist schon ein paar Tage her, aber er wird erst jetzt richtig bekannt. Es geht um den 9. November 1938, um das Gedenken an die Reichspogromnacht, als die Nazis Hunderte von Synagogen in Brand steckten, Juden ermordeten, sie jagten wie Tiere, sie u.a. ins KZ Dachau einsperrten. Ein schlimmer Höhepunkt, der im Holocaust und der Ermordung von Milllionen Juden endete. Dass die NRW-CDU einen entsprechenden Antrag der oppositionellen SPD zum Gedenken der Reichspogromnacht „Nie wieder! 9. November in der Erinnerung wachhalten“ ablehnte mit der fadenscheinigen Begründung, im Papier der SPD habe die Jahresangabe 1938 gefehlt, findet der Verwaltungsdirektor der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf schon eine „Unverschämtheit“. Im Gespräch mit dem Blog-der Republik wertet Michael Szentei-Heise den ganzen Vorgang als „Skandal“. Und zu diesem Vorgang gehört eine Rede, in der der CDU-Landtagsabgeordnete Günter Bergmann den Antrag der CDU begründete. Und in dieser ziemlich verunglückten Rede sprach Bergmann davon, dass die Zahl der Juden in Deutschland am 9. November 1938 schon sehr stark durch Flucht gesunken sei. Und es hätten mehr sein können, „wäre von den jüdischen Deutschen nur stärker gefühlt worden, dass sie früher gehen müssten.“
Da reibt man sich die Augen. Wie bitte! Die Juden seien es quasi selber schuld, sie hätten früher abhauen müssen aus Nazi-Deutschland? Aber Bergmann, ein CDU-Mann aus Kleve, ist noch nicht fertig. „Erst in den Jahren 1937, 1938 und 1939, als sie merkten, dass es keinen Ausweg mehr gab- auch nach Berlin- sind die Zahlen extrem angestiegen“, sagte der CDU-Landtagsabgeordnete. Dann folgte eine merkwürdige Belehrung durch Herrn Bergmann, der sich zu der Erklärung verstieg, die Machtergreifung der Nazis 1933 sei „de facto ja nur die Übernahme eines Regierungsauftrags durch den Reichspräsidenten in Form einer Koalitionsregierung“ gewesen- „leider wird es in unserer Wortwahl weiterhin als Machtergreifung stilisiert.“ Und „salopp gesagt“, so Bergmann, sei die Zahl der Juden damals „künstlich aufgeblasen“ gewesen.
Diese Rede fand im Plenum des Landtages statt, kaum jemand nahm Notiz von Bergmanns Ergüssen über die Juden und deren seiner Meinung nach zu langem Verbleib im Reich, sonst hätten sie die Flucht ergreifen können. Und überhaupt seien es weniger gewesen als behauptet. Es gab keine Proteste von der Opposition, keine empörten Zwischenrufe, man war wohl mit anderem beschäftigt. Ja, ich frage mich in solchen Situationen immer, wo war die SPD in diesen Minuten? Carina Gödecke, Vizepräsidentin des NRW-Landtags, führend in der Bochumer SPD, kritisierte zwar die Rede des AfD-Abgeordneten Seifen, übte auch Kritik am Verhalten der CDU, weil diese den Antrag der SPD abgelehnt hatte, mit dem mindestens verqueren Inhalt der Ausführungen von Bergmann beschäftigte sie sich nicht. Man darf historisch mahnend daran erinnern, dass die SPD die erste Partei war, auf deren Mitglieder die Nazis nach dem Ermächtigungsgesetz Jagd machten, sie verprügelten, ermordeten, einsperrten,die Partei verboten? Interessiert das denn keinen mehr, wenn jemand im Plenum des Landtages so etwas von sich gibt? Warum eigentlich ist der SPD-Fraktionsvorsitzende Kutschaty nicht ans Rednerpult gestürmt und hat laut gegen diese unsägliche Rede des Herrn Bergmann protestiert?
Als Jenninger redete
Wir verdanken es der Nacharbeit des WDR-Redakteurs Christoph Ullrich, der offensichtlich das Protokoll der Sitzung des Landtags gelesen hat und dann über die Sätze Bergmanns fassungslos gestolpert sein muss. Und der WDR-Mann erinnert sich an einen vergleichbaren Vorgang im Deutschen Bundestag in Bonn, genauer im sogenannten „Wasserwerk“, im November 1988 war es, als Philipp Jenninger als Bundestagspräsident eine Rede zum 9. November hielt. Ich saß auf der Pressetribüne, wunderte mich über die Rede, sah einen konsternierten Willy Brandt, der in der Nähe eines Herrn Filbinger Platz nehmen musste. Jenninger, ein enger Freund von Helmut Kohl, wollte wohl den im Kanzleramt und in bestimmten CDU-Kreisen nicht sehr beliebten Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker überbieten. Weizsäcker hatte am 8. Mai 1985 eine weltweit gewürdigte Rede gehalten, in der er von der Befreiung der Deutschen von der Nazi-Diktatur durch die Alliierten sprach und nicht von der Niederlage, er sprach davon, dass viele Deutsche von den Verbrechen der Nazis gewusst, aber sich abgewendet und geschwiegen hätten. Aufsehen erregend waren die Worte des deutschen Staatsoberhauptes. Jenninger vergass in seiner Rede, Zitate als solche kenntlich zu machen, er las ab, ohne die nötigen An- und Abführungen zu sagen. Und so wurde er völlig missverstanden, missglückte seine Rede. Er musste gehen, wurde aber von Kohl versorgt, indem er Botschafter beim Heiligen Stuhl in Rom wurde. Dem politischen Beobachter fällt zu Jenninger noch ein, dass dieser in den 70er Jahren Plakate des Grafikers Klaus Staeck, die ihm nicht gefielen, von den Wänden der Parlamentarischen Gesellschaft in Bonn gerissen hatte. Ein Liberaler war der nie.
Zurück zu Düsseldorf und dem Fall Bergmann. Merkwürdig auch, dass sich der Ministerpräsident nicht geäußert hat, mindestens eine Entschuldigung von Armin Laschet wäre nötig gewesen, gerade jetzt in diesen Wochen nach Halle und den Wahlerfolgen der rechtspopulistischen AfD in Sachsen und Thüringen, von Laschet, dem Ambitionen aufs Kanzleramt nachgesagt werden. Michael Szentai-Heise von der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf ist die Empörung anzumerken, die Verunsicherung, in der sich viele Deutsche jüdischen Glaubens befinden. Nicht der Anschlag in Halle, der von einem Irren verursacht wurde, und den eine Eichentür daran hinderte, ein Massaker anzurichten, sei der eigentliche Grund für die zunehmenden Sorgen und Ängste jüdischer Deutscher. Vielmehr sind es die Wahlerfolge der AfD, in deren Reihen sich Neonazis tummeln, Rassisten, Fremdenfeinde. Wie anders sollen denn Juden in Deutschland auf den Wahlerfolg einer AfD in Thüringen reagieren, wo der Landesvorsitzende Björn Höcke, den man einen Faschisten nennen darf, mit seiner AfD nur von der Linkspartei geschlagen wurde? „Ein Mann, der geistig hinter dem Anschlag von Halle steht“, wie Michael Szentei-Heise bemerkt. „Das ist das Entsetzliche und das lässt uns fürchten, wohin die Reise in Deutschland gehen kann. Das lässt uns fürchten, dass die AfD bei der nächsten Bundestagswahl noch mehr Stimmen bekommt, das lässt uns fürchten, dass die AfD schließlich die Bundestagswahl 2025 gewinnt und die Regierung stellt.“
Ein schreckliches Szenario
Ein schreckliches Szenario, das da an die Wand gemalt wird, ein Versagen der Gesellschaft, die die Werte eines Alexander Gauland, einem der Anführer der AfD, „vertritt“, wie Michael Szentei-Heise kommentiert, was dieser Gauland von sich gegeben hat. Dass er die Hitler-Jahre als „Vogelschiss“ in der deutschden Geschichte einstuft, Jahre, in denen von Nazi-Deutschland ein Weltkrieg vom Zaun gebrochen wurde mit 60 Millionen Toten weltweit, Jahre, in deren Mittelpunkt ein einmaliger Zivilisationsbruch stattfand, als eine Regierung ins Zentrum ihrer Arbeit die Ermordung von Millionen Juden stellte, als Regierungsprogramm.
Ist es wirklich verwunderlich, wenn Michael Szentei-Heise im Gespräch mit dem Blog-der-Republik davon berichtet, dass Juden auf gepackten Koffern säßen, um Deutschland im Fall der Not rechtzeitig verlassen zu können? Die Diskussion darüber werde durch eine solche Rede im Düsseldorfer Landtag befeuert.
Es ist beschämend, dass so etwas passiert. Im Januar 2020 wird die Befreiung des KZ Auschwitz 75 Jahre her sein. Dort allein wurde eine Million Juden umgebracht, vergast, erschossen. Bundeskanzlerin Angela Merkel, so las ich gerade, wird Auschwitz im Dezember besuchen, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 27. Januar 2020 dort sein. Es ist an der Zeit, dass ein Besuch dieser Gedenkstätte zum Pflichtprogramm deutscher Schüler wird. Damit eines im deutschen Gedächtnis bleibt: Nie vergessen! Die Erinnerung an die Jahre der Nazi-Diktatur.
Bildquelle: Homepage von Günter Bergmann, Foto: C. Wucherpfennig
Hallo, Herr Alfons Pieper, ich danke Ihnen dafür, dass Sie diesen Skandal öffentlich machen! (Mit Herrn Jenninger würde ich das nicht unbedingt vergleichen. Der hatte ja wohl die „besten Absichten“, aber bei Herrn Bergmann offenbart sich ein groteskes, gar revisionistisches Weltbild. Er ist aber auch nur ein kleiner, sich selbst überschätzender Provinzfürst; aber Gnade uns Gott, wenn diese Sicht in der CDU Allgemeingut ist oder wird!) Der Artikel ist so interessant und auch erschreckend, dass ich mit ihn von meinem Facebook-Account aus verlinkt habe. Ich habe mir in meinem „Vorspann“ aber eine Ergänzung erlaubt:
„Kleine Ergänzung zu den Ausführungen von Herrn Pieper: Neben der SPD wurde von Anfang des Naziregimes an auch die KPD und ihre Mitglieder von den Nazis verfolgt! Von der Reichstagssitzung, auf der das Ermächtigungsgesetz durchgepeitscht wurde, war die Fraktion der KPD ausgeschlossen worden!“
Freundliche Grüße
Hans Steih