Die beiden Chefinnen der einstmals großen Volksparteien teilen gerade den gleichen Ärger. Ihnen fällt der schäbige Deal um den ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen vor die Füße. In CDU und SPD rumort es heftig. Während Angela Merkel das in gewohnter Manier auszusitzen versucht, wird es für Andrea Nahles ungemütlich. Ihr Auftrag ist die Erneuerung der Partei, doch in Umfragen beschleunigt sich der Niedergang. Angesichts der sich dramatisch entwickelnden Dynamik, geht Nahles in die Offensive und fordert Neuverhandlungen. Das Eingeständnis ihres Fehlers mag sie Autorität kosten; nicht zu reagieren, hätte einen höheren Preis gefordert.
Von der AfD in der Wählergunst überholt, forderte die SPD-Basis die „Notbremse“. Sprich: Die Beförderung von Maaßen muss verhindert und anderenfalls die Große Koalition aufgekündigt werden. In der „Herzkammer der Sozialdemokratie“ pflegt die SPD eine deutliche Sprache. „Amtsmissbrauch und demokratiefeindliche Gesinnung dürfen nicht zur Beförderung in höchste Staatsämter führen“, heißt es in einer Erklärung des mitgliederstarken Unterbezirks Dortmund. „Dies ist ein fatales und ebenso demokratieschädigendes Signal.“
Der von Nadja Lüders, der Generalsekretärin der NRW-SPD geleitete Unterbezirk, forderte die Bundesminister der SPD auf, „der Ernennung des Staatssekretärs nicht zuzustimmen und stattdessen die Entlassung des Herrn Maaßen in den vorzeitigen Ruhestand durchzusetzen.“ Zusätzlichen Nachdruck verleiht dem Brief an die Parteivorsitzende die Bedingung: „Sollten die Bundeskanzlerin und das restliche Kabinett dieser Forderung nicht folgen, erwarten wir, dass unsere SPD diese Regierung verlässt.“
Die Causa Maaßen ist noch nicht erledigt. Andrea Nahles muss handeln, wenn sie die SPD nicht vor die Hunde gehen lassen will. Ihr parteiinternes Werben um Verständnis für ihre Zustimmung zu dem dreisten Coup von CSU-Chef Horst Seehofer, den untragbar gewordenen Maaßen im Rang eines Staatssekretärs sogar an den Kabinettstisch zu befördern, ging ins Leere. Der Vorgang, der die Politikverdrossenheit fördert, den Rechtspopulisten Auftrieb gibt und letztlich die Demokratie bedroht, ist nicht zu vermitteln.
„Dieser an sich schon nicht hinnehmbare Vorgang“, finden die Dortmunder Sozialdemokraten, „wird dadurch noch weiter verschärft, dass für die Beförderung Maaßens der verbeamtete Staatssekretär und überparteilich anerkannte Wohnungsbauexperte Gunther Adler in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden soll.“ Damit verliere das Ministerium einen ausgewiesenen Fachmann, und „das gesellschaftlich wichtige Thema Bauen und Wohnen“ werde auf der Ebene der Staatssekretäre nicht mehr angemessen vertreten.
Nicht von ungefähr hatte sich die Bundeskanzlerin, als Seehofers Plan bekannt wurde, Adler an die Luft zu setzen, aus dem fernen Salzburg eingeschaltet. Sie werde, sagte Angela Merkel am Rande des Europäischen Gipfels, eine weitere Verwendung für Adler finden. Doch die Demütigung, die Seehofer der SPD wie eine Retourkutsche beibringen wollte, ließ sich so nicht mehr aus der Welt schaffen.
„Diese Entscheidung muss revidiert werden“, forderte die Dortmunder Bundestagsabgeordnete Sabine Poschmann. Ihr Fraktionskollege Marco Bülow, ebenfalls aus Dortmund, hatte schon am Vortag den Schaden für die Glaubwürdigkeit der Politik beklagt. Immer mehr Menschen wendeten sich von den Parteien ab und brandmarkten Politik als Theater, „bei dem es hauptsächlich um Posten, Macht und immer weniger um Haltung und Ideale geht“. Die „Schmierenkomödie“ um Maaßen werde diese Entwicklung weiter verstärken. „Genau deshalb ist in der Großen Koalition die Grenze des Zumutbaren nicht erreicht, sondern überschritten.“
Wenn es Andrea Nahles nicht gelingt, den Fall Maaßen rasch und mit dem gebotenen Anstand zu klären, stellt sich erneut und drängender noch die Frage nach dem Fortbestand der Großen Koalition. Da mag einiges, was diese aus der Not geborene Regierung zustande bringt, durchaus Anerkennung finden: Die Basis erträgt es nicht länger, dass die SPD sich aus Verantwortung fürs Ganze in die Pflicht stellt und zum Dank dafür von einer schwachen Kanzlerin im Regen stehen gelassen wird. Auch Merkel wird von Seehofer ein ums andere Mal vorgeführt. Mit diesem Innenminister hat die Große Koalition keine Perspektive.
Seehofer spaltet, er provoziert und er „sabotiert fortwährend die Arbeitsfähigkeit der Bundesregierung“. Diesen Vorwurf erheben mehr als 200 Künstler, die den Minister zum Rücktritt auffordern. Noch vor der Landtagswahl in Bayern am 14. Oktober müsse der „rückwärtsgewandt und würdelos“ agierende CSU-Chef gehen, fordern Kulturschaffende wie Moritz Rinke, Inga Humpe, Günter Wallraff, Dieter Kosslick, Peter Lohmeyer, Jochen Busse, Burghart Klaußner und Meret Becker.
Damit freilich ist nicht zu rechnen. Die Wahlen in Bayern sind es ja gerade, die Seehofer zu immer neuen Attacken gegen Merkel und die Bundesregierung treiben. Aus Angst vor dem Verlust der absoluten Mehrheit überholen die Christsozialen die AfD noch rechts. Das bringt natürlich nichts, im Gegenteil: von den schäbigen Manövern profitiert allein die AfD. Schaden nehmen hingegen das Land, die Demokratie, die Würde der Menschen. Merkel lässt sich das von der Schwesterpartei bieten, die SPD sollte keine falschen Rücksichten nehmen.
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Ich finde es unerträglich, dass Seehofer in keiner Weise seinem Amt als Innenminister nachkommt. Er ist in seinen unberechenbar. Seine Entscheidung eine Männerfreundschaft mit dem Präsidenten des Verfassungsschutzes zu pflegen, der keinen Sinn für Rechtstaatlichkeit hat macht mir richtig Angst. Nach meiner Meinung gehören beide des Amtes enthoben.