Rotes Risotto

Rotes Risotto oder versuchte Manipulation – Eine kleine Stil- und Medienkritik

Zur Abwechslung in diesen krisenhaft erlebten Zeiten einmal etwas relativ Unwichtiges. In der
ARD gibt es eine werktägliche Ratgebersendung namens „ARD-Buffet“. Es geht rund um den
Haushalt und um Freizeittipps. Da dürfen Kochrezepte nicht fehlen.

In der Sendung vom 11. September bereitete die Köchin Maria Groß ein rotes Risotto zu, das seine
Farbe von roten Beeten und herbstlichen Beeren bekommt. Wahrscheinlich schmeckt es gut. Wer es
nach kochen möchte, kann die Internetseite der Sendung aufschlagen und loslegen.

Die Seite zeigt auch Bilder davon wie der schwarz-rote Brei nett angerichtet werden kann. Frau
Groß hat aber eine klare Meinung davon, wie das Risotto angerichtet werden soll. Nämlich
„modern“ auf schweren Steinguttellern, auf denen gläserne Schalen stehen. Dort hinein kommt das
Reisgericht, das sich farblich nur unwesentlich von dem Steinzeug unterscheidet.

Bis dahin sieht das Gericht ziemlich unappetitlich aus (das lässt bekanntlich keine Rückschlüsse
auf den Geschmack zu). Modern sei es auch, hinzugefügte Kräuter nicht zu zerschneiden, sondern
die Blättchen am Stück zu dekorieren.

Zum Zwecke der Diskriminierung klassischer Präsentationsweise wird das tiefdunkle Risotto in
einem tiefen schneeweißen Teller angerichtet, der auf einem flachen Unterteller desselben Geschirrs
steht. Durch den Farbkontrast sieht das zuerst einmal ziemlich gut aus – finde ich.

Weil aber nach Meinung von Frau Groß oder der Redaktion schon die Verwendung von Tellern aus
derselben Geschirrserie unmodern sei, Porzellan unterschiedlicher Muster und Farben sehe viel
lebendiger aussehe, muss mein Zuschauerurteil, dass „old school“ viel appetitlicher aussieht,
korrigiert werden. Dazu werden Kräuter sehr lieblos eher zerfetzt als zerschnitten und achtlos über
einen Teil des Risottos im weißen Teller geworfen.

Dasselbe – achtloses Darüberwerfen – geschieht auch mit dem nur grob zerhackten Ziegenkäse, der
zum Rezept gehört. Jetzt sieht das nicht mehr schön aus.

Ob der Ziegenkäse , der auf das Risotto in den Glasschalen gelangt, feiner in Würfelchen
geschnitten ist, kann man nicht sehen, er wird von einem glänzenden Fächer aus Apfelschnitzen
verdeckt. Das Unappetitliche bekommt auch noch Kapuzinerkresseblüten und andere Deko auf
Risotto und auf die leeren Ränder des Steinguts. Das erspart man dem klassischen Geschirr. Nun
sieht das Unappetitliche plötzlich ganz nett und das eigentlich Hübsche total langweilig aus.
Andersherum dekoriert wäre der gegenteilige Eindruck entstanden. Als nebenberuflicher Hausmann
stelle ich mir vor, wie viel schwieriger und platzraubender die Unterbringung von stark in Form und
Material unterschiedlichen Geschirrs ist, und schon zweifle ich am Sinn dieser Empfehlung. Bei
bunt zusammengewürfeltem Geschirr darf man sich keinesfalls die aus vielen Familien erschnorrten
Teller und Tassen eines Studierenden-Haushalts vorstellen. Das wirkt ja nicht „lebendiger“ sondern
bloß chaotisch oder gar ärmlich. Nein, irgendeine Grundmelodie soll erkennbar sein. Also ist noch
mehr Zeug zu stapeln. Die in der Sendung verwendeten Glasschalen können übrigens – vermutlich
– gar nicht gestapelt werden, sodass sechs davon fast den Platz eines kompletten Kaffeegeschirrs im
Schrank beanspruchen. Ich sehe nur Nachteile der so nachdrücklich propagierten Servierempfehlung.

Die „Erziehungsziele“ dieser Manipulation, die auch durch die mündlichen Aussagen unterstrichen
wird, liegen klar zu Tage. Das verdient vielleicht sogar Lob, denn wie oft werden die Absichten
manipulativ ge-“frameter“ Aussagen verborgen?!

Man soll halt den Tisch nicht mehr wie beim klassischen Dinner oder beim Staatsbankett decken,
sondern mit unterschiedlichen, bunt zusammengewürfeltem Geschirr.

Warum soll man das und was ist der Vorteil solcher Stil-Vorschriften? Außerdem sollen Kräuter in
ganzen Blättchen dekoriert werden und nicht „fein gewiegt“, wie das früher genannt worden wäre,
als es in Haushalten sogar noch Wiegemesser dafür gab. Ja, wenn die Gewürzkräuter nur dekorieren
aber nicht den Geschmack des Gerichts mitgestalten sollen, ist das eine Stilfrage. Ansonsten ist der
Ratschlag blanker Unsinn.

Was lernen wir aus alledem? Erstens lernen wir, wie Manipulationen funktionieren; subkutan wird
nicht mitgeteilt, wie es ist, sondern wie es sein soll. Selbst wenn – wie in dem hier sezierten
Küchentipp – die Nachteile des Empfohlenen überwiegen. Zweitens lernen wir, dass es durchaus
möglich ist, das Ziel einer Beeinflussung erkennbar zu machen – vielleicht geht das Verstecken der
Absicht bei so einfachen und unwichtigen Dingen aber auch gar nicht. Die Beeinflussung bleibt
trotzdem unerwünscht. Wäre es doch auch denkbar, beide Präsentationen mit derselben Sorgfalt
anzurichten und wegen der Meinungsfreiheit einfach zu sagen, welche der Redaktion besser gefällt,
oder?

Drittens: folgt man den Empfehlungen zur Tischdekoration, müssen erwachsene Haushalte sehr viel
neu kaufen. Zufall? Eher nicht. Das ist ja der Zweck von Trends und Moden.
Viertens lernt man auch etwas über den Autor dieser Zeilen, nämlich dass er offenbar auch bei der
Fragen der Tischdekoration eher konservativ ist. Das war er auch als es seinerzeit um das
öffentliche Tragen kurzer Hosen von erwachsenen Männern ging. (Obwohl während der letzten Ü-
30°-Wochen wäre ich beinahe schwach geworden und dem Trend erlegen – beinahe!) Und ich
werde auch in Zukunft Kräuter fein wiegen oder gar zupfen, wenn sie mehr als nur dekoratives im
Essen leisten sollen.

Ein kleiner Nachsatz noch: in einigen trendigen Restaurants, die ich wegen des Essens gern
besuche, bedaure ich die Kellner*innen, weil sie wegen des besprochenen Trends unnötig schweres
und asymmetrisches Geschirr schleppen müssen. Könnte sein, dass auch solche Arbeitsbedingungen
Auswirkungen auf die Attraktivität von Gastronomieberufen haben.

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Politologe i.R.; arbeitete als politischer Referent, Büroleiter, Pressechef des Deutschen Bundestages und in der Parlamentsverwaltung; lebt in Bonn


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