Jetzt kommen sie wieder, die schlimmen Tage und Nächte. Zumindest in meinem Hamburger Bezirk wird – wenn sich der Schrecken der Vorjahre wiederholt –um Silvester herum durchgeböllert. Gefühlte 24 Stunden am Tag mit wenigen Unterbrechungen. Am Neujahrsmorgen sehen die Straßen aus wie nach einer Schlacht: zerfetzte Kartons, die als Stalinorgeln für Silvester-Raketen dienten, zerborstene Flaschen, verkohlte Papier- und Pappreste zentimeterdick auf dem Asphalt. Und so wird es nicht nur in Hamburg sein. In unseren Städten Tausende Polizeieinsätze, ungezählte Brände, massenhaft Schwerverletzte, deformierte Briefkästen und Müllcontainer, in die man – ach wie witzig – Mega-Kracher geschmissen hatte, traumatisierte Haustiere, für die es aus dem Lärm- und Pyroterror kein Entrinnen gibt.
Knapp 140 Millionen Euro werden die Deutschen für die sinnlose Zündelei, Zischerei, Knallerei ausgeben. 140 Millionen, die – ja ich erlaube mir den moralisierenden Hinweis – ungezählte Kinder in den Krisengebieten dieser Welt vor dem Hungertod bewahren könnten. Die Raketen, Kanonenschläge und anderen Knallkörper werden so viel Feinstaub freisetzen wie der Straßenverkehr in zwei Monaten. Das wäre doch vielleicht etwas: Stellen wir die Deutschen vor die Alternative: Fahrverbote – oder Freie Fahrt und dafür Verzicht auf Silvester-Böllerei. Das würde die Chance auf einen Sieg der Vernunft erhöhen.
Und da meldet sich mal wieder die adrette Spezialistin für mainstream-BlaBla zu Wort, Agrarministerin Julia Klöckner. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende ist strikt gegen jedes Böllerverbot mit dem wohlfeilen Argument, es komme leider auch in anderen Bereichen des Alltags vor, dass sich „Deppen“ nicht an Regeln hielten. Aber es könne doch nicht angehen, dass „diejenigen, die sich fehlverhalten, das Leben derer bestimmen, die sich ordentlich verhalten.“ Mit dieser Denke könnte man sich gewiss manche Gesetze und Verordnungen ersparen. Es müssen sich alle nur brav benehmen. Ach, Frau Klöckner …
Und selbst wenn es keine einzige Verletzung oder Zerstörung gäbe, selbst wenn alle nach Klöckner-Vorgabe manierlich zündelten und knallten – die Vernichtung von 140 Millionen Euro in einer Welt voller Not bleibt pervers und die absolut vermeidbare Umweltbelastung ebenfalls.
Bildquelle: Dr. Bernd Gross, via wikimedia, CC BY-SA 4.0
Natürlich kann man die Knallerei doof finden und die Knaller für Deppen halten. Aber – wenn ich es richtig rauslese – sie verbieten zu wollen, das geht nicht. Manchmal ist Toleranz gefragt, wenn andere Menschen anders leben als man selbst. Um nur auf Ihr am intensivsten vorgetragenes Argument einzugehen: die „sinnlose“ Verbrennung von 140 Millionen Euro. Seit wann darf nicht mehr jeder selbst bestimmen, was er mit seinem Geld macht? Angesichts weltweiter Not ist das meiste davon natürlich Verschwendung: ein Auto zu haben (zumindest ein teures), im Restaurant zu essen, eine zu große Wohnung zu mieten oder zu besitzen, neue Anzüge zu tragen, ins Theater zu gehen etc. Aber die Parole „Brot statt Oper“ war bislang nicht erfolgreich. Oder: „Pensionen auf Hartz IV kürzen!“ Für die Gerechtigkeit, ja fürs blanke Überleben. Der Gag bei Ihrer Argumentation ist ja: andere sollen sich um die Not kümmern und dafür ihr (Böller)geld verwenden.
http://spiegelkritik.de/2018/12/31/dauerbrenner-silvesterfeuerwerk-und-kein-ende-in-sicht/
Frohes Neues!
Danke für diesen Blog. Ich bin auch dafür, dass komplett sein zu lassen. Nur wird die Lobby dagegen sein?