Verschiedene Medien berichten, dass der Roman Die Pest von Albert Camus (1913-1960) angesichts des Ausbruchs des Corona-Virus eine erstaunliche Renaissance erfährt.
Ich las das Buch zuerst 1967, während ich auf dem Zweiten Bildungsweg das Abitur nachholte. Wir lasen den Roman nicht wegen der darin geschilderten Ereignisse, sondern als einen der grundlegenden Texte des Existentialismus. Für mich, der ich aus der Provinz kam, war das eine aufregende Zeit. Noch bevor ich Marx oder einen der großen Philosophen las, beschäftigte ich mich mit Camus und Sartre, den Theoretikern des Absurden. Ich verstand wenig von dem, was ich da las. Aber man trank Cuba Libre oder Rotwein, rauchte Gauloises und diskutierte bis zum Abwinken. Für mich war das alles neu. Es war eine Zeit, die ich nicht missen möchte.
Der Roman handelt davon, dass in der algerischen Hafenstadt Oran eine Seuche ausgebrochen ist. Der Arzt Dr. Bernard Rieux erkennt als Erster die Gefahr und kann gegen anfangs erheblichen Widerstand durchsetzen, dass Quarantänemaßnahmen ergriffen werden. Seither herrscht in der Stadt der Ausnahmezustand. Oran wird zum Mikrokosmos einer geschlossenen Gesellschaft und zeigt, wie die Menschen auf die tödliche Bedrohung reagieren. Viele ignorieren die Gefahr und gehen nach wie vor ihren Gewohnheiten nach. Andere – wie der Pater Paneloux – sehen in der Seuche eine übernatürliche Macht am Werk und wieder andere versuchen, aus der Krise Profit zu schlagen. Angesichts der unübersichtlichen Lage versuchen die Stadt-Oberen, die Lage in den Griff zu bekommen. Man kam auf die Idee, innerhalb der Stadt bestimmte besonders stark betroffene Viertel zu isolieren und nur den Menschen, deren Dienste unentbehrlich waren, zu erlauben, sie zu verlassen. Die Pestkranken werden ghettoisiert und die ganze Stadt wird von der Außenwelt abgeriegelt.
Es soll hier nicht darum gehen, den Inhalt des Romans zu rekapitulieren und zu deuten. Nur so viel: Camus schrieb den Roman 1946 vor dem Hintergrund der Erfahrungen des Weltkrieges und der deutschen Besatzung. In seinem Tagebuch schreibt er, dass er sein Buch darüber hinaus gehend verstanden wissen wollte: Ich will mit der Pest das Ersticken ausdrücken, an dem wir alle gelitten haben, und die Atmosphäre der Bedrohung und des Verbanntseins, in der wir gelebt haben. Ich will zugleich diese Deutung auf das Dasein überhaupt ausdehnen. Die Pest wird das Bild jener Menschen wiedergeben, denen in diesem Krieg das Nachdenken zufiel, das Schweigen – und auch das seelische Leiden.
Camus gelingt es – indem er das Konkrete präzise schildert – auf das Allgemeine der menschlichen Existenz zu verweisen: es ist die Erfahrung des Absurden. Die Seuche greift wahllos um sich; sie geht jeden an; jeder kann sich anstecken. Sie folgt keiner Logik; sie rafft Kinder ebenso hinweg wie Alte, Schwache, Arme und Reiche. Sie ist nicht begreifbar, sondern in gewisser Weise völlig absurd.
Die Botschaft des Romans könnte lauten: Objektiv ist die Welt sinnlos. Mit Sinn können nur wir selbst sie füllen. Niemand hat uns gefragt, ob wir überhaupt leben wollen. Angesichts von Tod, Elend und Verderben bleibt uns nur, die kurze Zeit unserer Existenz zu einer sinnvollen zu machen. Für Camus bedeutet das: Solidarität, Freundschaft und Liebe müssen das Ziel menschlichen Zusammenlebens sein. Kämpfen gegen all die Übel – ob erfolgreich oder nicht – ist immer geboten. An einer Stelle des Buches heißt es: Die Menschen bleiben sich immer gleich. Aber seinem Protagonisten Dr. Rieux legt er am Ende des Romans in den Mund: Ich weiß, was man in Plagen lernt, nämlich dass es an den Menschen mehr zu bewundern als zu verachten gibt.
Wollen wir es hoffen.
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Immer wieder lesenswert.
Sehr schön geschrieben Joke, und jetzt habe ich auch die Zeit und Muse Deine Beträge in Ruhe zu lesen.