Die SPD ist mal wieder in Aufruhr. Es geht um ihren politischen Kurs. Die Partei, so sagen Kritiker innerhalb und außerhalb der SPD, habe in den letzten Jahrzehnten so viele Anhänger verloren, weil sie zu links geworden sei. Sie müsse in die Mitte – also nach rechts – rücken, um wieder zu alter Stärke zurückzukehren. Indes: Wenn die SPD jetzt nach rechts rücken würde, unterschriebe sie ihr eigenes Todesurteil. Die SPD muss sich als links definieren, sie muss sich allerdings dringend fragen: Was ist heute links?
Den vorerst letzten Anstoß zu dieser Kurs-Debatte in der SPD gab das miserable Ergebnis bei den jüngsten Kommunalwahlen in NRW. Die SPD kam hier nur noch auf 22 Prozent – bisheriger Tiefpunkt nach einem jahrzehntelangen Abstieg. Wann, so mag sich mancher Genosse und so manche Genossin fragen, verkommt die einstmals so stolze Arbeiterpartei endgültig zu einer marginalen Randgröße? Mit ihrem Positionspapier „Wir haben verstanden“ will die NRW-Partei nun gegensteuern. Dieses sei ein „Wendepunkt“ nach diesem erneuten „Denkzettel“ beteuerte NRW-Parteichefin Sarah Philipp – und schon die Tatsache, dass viele Bürger*innen in NRW diesen Namen gar nicht kennen, zeigt, wie sehr die Partei eines Johannes Rau inzwischen an Bedeutung und Ansehen verloren hat.
Vor allem bei ihrer einstigen Stamm-Klientel, den Arbeitern, hat die SPD massiv an Zuspruch eingebüßt. In dieser Wählerschicht ist die rechtsextreme AfD zur stärksten Kraft geworden – welch eine Schande! Die einstige SPD-„Herzkammer“ Dortmund ging an die CDU verloren, während die Genossinnen und Genossen in den Krisenstädten Duisburg und Gelsenkirchen schon die Tatsache als Sieg feierten, dass sie die AfD noch einmal übertreffen konnten.
Was sollen nun die Konsequenzen sein?
Sozialpolitik
Die SPD erhofft sich von der Umstellung des „Bürgergeldes“ auf die „Grundsicherung“ einen Stimmungsumschwung bei ihren ehemaligen Wählern. „Grundsicherung“, das hörte sich gerade für Leute, die selbst mit jedem Euro rechnen müssen, doch zu sehr nach „bedingungslosem Grundeinkommen“, nach Leistung ohne Gegenleistung an. Dass dieses System – wenn auch nur von wenigen – missbraucht wurde, hat die Partei aus einer vermeintlich linken Position viel zu lange geleugnet, statt den Missbrauch strikt zu bekämpfen. Dann wäre das Thema vom Tisch gewesen.
Das Ergebnis: Im Wahlkampf, in nahezu jeder Talkshow, wurde der Missbrauch im Bürgergeld von Politikern der Union und der FDP in nahezu grotesker Weise zum zentralen Problem Deutschlands stilisiert. Von mehrstelligen Milliardensummen, die man da einsparen könne, schwadronierten CDU-Politiker, angefeuert von einer schlimmen Hetze in den Springer-Zeitungen. Das führte dazu, dass alle Hilfe-Empfänger als Schmarotzer in Verruf kamen und die SPD als Verteidigerin des Bürgergeldes massiv in die Defensive geriet.
Fazit: Es ist nicht „links“, Missbrauch im Sozialsystem zu ignorieren. Links zu sein heißt, das System der Hilfe für Schwache zu verteidigen, das Prinzip der Solidarität hochzuhalten – und gleichzeitig den teils organisierten – Betrug in diesem System offensiv zu bekämpfen.
Fazit: Wie sich nun herausstellt, werden die Umstellungen im Sozialhilfe-System keinesfalls zu den gigantischen Einsparungen führen, wie Konservative und Liberale im Wahlkampf wider besseres Wissen suggeriert hatten. Das war bewusster Wählerbetrug. Nun ist von maximal einer Milliarde Euro Einsparung die Rede, wahrlich keine Summe, mit dem man das Krisenland Deutschland nach vorne bringen kann.
Die Korrekturen am und die Umbenennung des Bürgergeldes – etwa die Sanktionierung bei Totalverweigerern – waren nötig. Weniger aus finanzieller Sicht, sondern vielmehr, weil jeder Sozialbetrug das Gerechtigkeits-Empfinden gerade derjenigen stört, die für Lohn knapp oberhalb des Bürgergeldes hart arbeiten müssen. Das Thema hätte die SPD viel früher erkennen und rasch ab räumen müssen.
Verteilung des Wohlstands
Bei der mit unerträglicher Polemik geführten Debatte um das Bürgergeld ging auf der anderen Seite die Debatte um Einkommens- und Vermögensgerechtigkeit völlig unter. Es ist sicherlich gerechtfertigt, wenn man das der Union als Absicht unterstellt. Wer mit Hilfe von „Bild“ , „Welt“ und libertären Ökonomen nach unten tritt, schützt die wirklich skandalösen Machenschaften der Superreichen.
Nach seriösen Schätzungen werden Jahr für Jahr in Deutschland rund 100 Milliarden Euro Steuern hinterzogen – eine nicht nur im Verhältnis zum Sozialhilfe-Betrug – gigantische Summe.
Das ist zutiefst asozial – und Sozialbetrug von oben in gigantischen Ausmaß!
Doch darüber spricht – bis auf die Linke und einige SPDler – in der Politik fast niemand. „Links“ wäre es, diese Steuerhinterzieher schon im Wahlkampf viel stärker ins Visier zu nehmen, hier das wahre Schmarotzertum anzuprangern und dabei auch Ross und Reiter zu nennen. Diese Verbrechen gilt es viel stärker zu bekämpfen – mit Steuerfahndern und auch mit drakonischen Strafen. Warum nur verhält sich die SPD hier so passiv, warum verschenkt sie bei diesem brisanten Thema so viel Mobillisierungs-Potenzial?
Ein weiteres Thema, das die SPD kleinmütig liegenlässt, ist die himmelschreiende Ungerechtigkeit bei der Einkommens- und Vermögensverteilung im Land. Man gilt ja schon als linksradikal, wenn man sagt, kein Milliardär habe sein Vermögen aus eigener Leistung erworben – denn ein solch unermesslicher Reichtum könne nur aus leistungsloser Erbschaft oder aber aus Ausbeutung stammen. Und wenn man deshalb eine angemessene Besteuerung dieser Menschen fordert, dann melden sich all die Bedenkenträger, die juristische Scheinargumente ins Feld führen oder die Abwanderung der Milliardäre androhen. Zur Erinnerung: Unter dem Kanzler Helmut Kohl lag der Spitzensteuersatz in Deutschland Anfang der 90er Jahre bei 53 Prozent – heute sind es noch viel niedrigere 42 Prozent. Helmut Kohl war bekanntlich kein linksradikaler Marxist – er war CDU-Chef.
Warum sind die Sozialdemokrat*innen hier so zögerlich? Sehen sie die völlig ungerechte Reichtums-Verteilung in Deutschland nicht als eines der zentralen Themen im Land? Oder ziehen sie aus Furcht vor ihrem konservativem Koalitionspartner und der Springer-Presse vorsorglich den Schwanz ein?
Links wäre es, das Verteilungs- und Gerechtigkeits-Thema in den Mittelpunkt der Innenpolitik zu rücken – ständig und offensiv. Und auch mit dem Hinweis auf den fatalen Einfluss, den skrupellose (Tech-)Milliardäre auf das politische System und die gesamte Gesellschaft ausüben, wie wir es vor allem in den USA brutal sehen. Eine Hand voll Milliardäre hat mehr Einfluss als Millionen von Wählern? Wollen wir das zulassen? Hier wäre die SPD gefordert.
Fazit: Statt sich in die verhetzende Debatte ums Bürgergeld einzulassen – und gleichzeitig hier den Betrug anzugehen – hätte sich die SPD auf die Verteilungsfrage konzentrieren müsse. Das wäre „links“. Die Kluft zwischen Arm und Reich in diesem Land wird immer größer. In vielen Städten wachsen die Elends-Quartiere und die Obdachlosigkeit – und gleichzeitig die Villen-Viertel. Jeder, der will, kann das sehen. Und die SPD? Sie ist in den ärmeren Vierteln längst nicht mehr vertreten und schweigt zu dieser gefährlichen Entwicklung.
Migration
Noch so ein Themengebiet, beim dem sich die SPD auf das Terrain der Rechten hat ziehen lassen. Dabei wäre es „links“, das Asylrecht für politisch Verfolgte schon aus eigener geschichtlicher Erfahrung mit Herzblut zu verteidigen, die Chancen der Zuwanderung für eine alternde Gesellschaft zu betonen – und gleichzeitig gegen die negativen Begleiterscheinungen zu kämpfen. Wenn in sozialen Brennpunkten mit starker Zuwanderung die Kriminalität wächst, dann muss man dem mit Bildung, Sozialarbeit, Städteplanung, aber auch mit repressiven Mitteln – sprich Polizei und Justiz – entgegentreten. Letzteres gilt vor allem auch für jede Art der Organisierten Kriminalität und des religiösen Extremismus. Hier muss gelten: „Null Toleranz“.
Das Hinnehmen dieser Zustände in vielen Großstädten ist nämlich nicht etwa Ausdruck von Toleranz und Liberalität, ist schon gar nicht „links“, sondern ist allein Ausdruck arroganter Gleichgültigkeit gegenüber den betroffenen Menschen – ob sie nun Deutsche sind oder Migranten. Unter den Augen von SPD-Oberbürgermeistern haben sich Teile der Großstädte – speziell im Ruhrgebiet – in Ghettos verwandelt. Wie konnte das geschehen? Die SPD hat, so scheint es, vielerorts längst den Kontakt zu den „kleinen Leuten“, zu deren Sorgen und Problemen, verloren: weil sie sich im Intellektuellen- und Akademiker-Milieu deutlich wohler fühlt als in den Armenvierteln; weil sie lieber über die nächste Theater-Intendanz streitet als über die Vermüllung ganzer Quartiere.
Arbeit
Nun zu dem Gebiet, auf dem die SPD wohl die meisten ihrer Anhänger verloren hat – dem Thema Arbeit. Und hier sind nicht nur die klassischen Arbeiter gemeint, die es immer weniger gibt. Hier sind all die Menschen gemeint, die Tag für Tag hart arbeiten – und doch kaum mit ihrem Geld auskommen; – ob sie nun Verkäufer, Postbotin, Straßenbauarbeiter oder kleiner Angestellter sind. Die ihre ständig steigenden Mieten und die immer teurer werdenden Lebensmittel kaum mehr zahlen können, die sich maximal eine kurze Urlaubsreise im Jahr gönnen. Für die sich der Satz „Leistung muss sich wieder lohnen“ wie Hohn anhören muss. Ein Satz, den Neoliberale auch in der Union penetrant predigen, um im gleichen Atemzug völlig leistungslosen Reichtum zu verteidigen. Für all diese als „Normalos“ abgestempelten Menschen interessieren sich die „Parteien der Mitte“ viel zu wenig. Hier ist Frust gewachsen, ja Wut. Immer weniger dieser Menschen glauben noch an das Versprechen vom „Aufstieg durch Bildung“, an den Traum von bescheidenem Wohlstand durch eigene Leistung, an eine gerechte Gesellschaft. Weil sich viele mit ihren Sorgen von der Politik allein gelassen fühlen, sind zu viele anfällig für rechte Parolen: für Hetze gegen Migranten, überhaupt gegen finanziell noch Schwächere, die auf Hilfe und Solidarität angewiesen sind.
Auch an dieser gefährlichen Entwicklung trägt die SPD durch Nicht-Kümmern Mitschuld. Wo, wenn nicht in der Sozialdemokratie, soll denn die politische Heimat der Mehrheit dieser hart arbeitenden Menschen sein? Wo bleibt der Kampf der SPD Seite an Seite mit den Gewerkschaften für höhere Löhne, für bessere Arbeitsbedingungen, gegen Ausbeutung und einen höheren Mindestlohn? Ja, dieser Kampf wäre wahrlich „links“ – zugegeben oft unspektakulär, mühsam und manchmal auch vergebens, sogar undankbar. Aber: umso wichtiger.
Was muss die SPD nun tun?
Ja, eine Wende für die Partei ist existenziell. Es wird höchste Zeit! Wenn die Sozialdemokraten so weitermachen wie bisher, werden sie – so brutal es sich anhört – den Weg der FDP gehen. Sie werden völlig bedeutungslos. Es wäre übrigens nicht die erste sozialdemokratische oder sozialistische Partei in Westeuropa, die von der politischen Landkarte verschwindet,
Vor der Wende aber muss es eine realistische Bestandsaufnahme geben. Dazu gehört der Abschied von jeder Schönfärberei, die so manche SPD-Debatte prägt. Das gilt etwa in der Verteilungsfrage, aber auch beim Thema Migration.
Die immer stärker werdende Kluft in unserer Gesellschaft lässt sich nicht allein mit der Erhöhung staatlicher Zuwendungen schließen. So wird die Bedeutung der Bildung für den Aufstieg immer noch nicht ausreichend erkannt – zumindest nicht entsprechend umgesetzt.
In der Migrationsfrage muss Realismus herrschen. Migranten sind nicht von Natur aus schlechter – aber auch nicht besser – als die alteingesessene Bevölkerung. Und eines ist klar: Integration macht Arbeit, teils auch Probleme. Die SPD muss viel mehr Menschen mit Migrationshintergrund (welch ein schräges Wort) für die Partei werben, muss in den entsprechenden Quartieren präsent sein. Und sie darf nicht mit verharmlosendem Verständnis wegschauen, wo es ernste Probleme gibt. Wenn in einigen Großstädten Teile der arabisch-stämmigen Menschen die furchtbaren Morde der Hamas-Terroristen offen auf der Straße bejubeln und antisemitische Parolen brüllen, dann darf man das ekelhaft nennen. Und wenn in Vierteln mit Zuwanderern aus Südosteuropa die Straßen, Wohnanlagen und Parks ständig neu zugemüllt werden, dann muss man das offen ansprechen – und dagegen angehen. Und wenn männerdominierte Clans breitbeinig und auch mit Gewalt versuchen, ganze Stadtviertel unter ihre Macho-Herrschaft zu bringen, dann muss die SPD notfalls auch repressive Maßnahmen gegen diese faschistoiden Strukturen befürworten.
Das alles muss offen angesprochen werden und hat nichts mit Rassismus zu tun. Denn das Recht muss für alle gelten: Deutsche und Ausländer. Die Wähler werden diese Null-Toleranz-Politik würdigen. Das gilt übrigens auch für immer mehr Zugewanderte, die – soweit wahlberechtigt – viel zu oft ihr Kreuzchen bei der AfD machen, weil sie sich von den Rechtsextremen – fälschlicherweise – eine Lösung für die teils unhaltbaren Zustände in den Quartieren erwarten. Was für ein Versagen von SPD und Union!
Die SPD war immer eine Partei des (gemäßigten) gesellschaftlichen Fortschritts. Oft brauchte sie Druck von außen, um dann schließlich zu sagen: „Wir haben verstanden!“ Das galt etwa in der Frauenfrage, mit der sich auch die männerdominierte SPD lange Zeit schwer tat. Und das galt dann auch für Fragen der sexuellen Identität. Hier gilt es, keinen Millimeter vom liberalen und weltoffenen Kurs abzuweichen. Es geht hier um elementare Menschenrechte für alle.
Was aber nicht geht, ist, dass sich Teile der Linken und auch der SPD in das Klein-Klein des von den Rechten angezettelten Kulturkampfes stürzen – und das offenbar voller Wonne und Leidenschaft. Diese Leidenschaft wünschte man sich auch bei anderen Themen, mit denen man die breite Mehrheit überzeugen kann: Arbeit, lebenswerte Umwelt, intakte Infrastruktur, Sicherheit – und vor allem Gerechtigkeit. Hier warten in Deutschland riesige Aufgaben, die den Schweiß der Edlen wert sind – auch den von Sozialdemokrat*innen.
Und wenn man dann hier auf gutem Wege ist, dann darf und sollte man auch Gendersternchen setzen und stolz die Regenbogenflagge hissen.
Mit anderen Worten: Die SPD muss sich weiterhin klar und deutlich als „links“ definieren und positionieren. Sie muss weiter auf der richtigen Seite der Geschichte stehen. Stolz, selbstbewusst und fordernd. Links zu sein ist für die Partei identitätsstiftend und deshalb überlebenswichtig.
Jeder Weg nach rechts wäre für die SPD fatal, wäre ein Verrat an der eigenen Geschichte. Denn eines steht fest: Rechts, da steht der Feind!














Der Sozialdemokratie fehlen v.a.:
– Gegnerbezug
– Hoffnungsbotschaften
– Begriffe zurückholden, z.B. Leistungsträger
– Grenze läuft nicht zwischen unterer Mittelschicht und Bürgergeldbeziehern, sondern zwischen denjenigen mit immensem, vererbtem Reichtum und Leistungsträgern.
– Klingbeil nennt die Fleißigen, aber nicht in Abgrenzung zu den leistungslos vermögenden Superreichen, sondern in Abgrenzung zu den Erwerbslosen.
– Man muss die Armut bekämpfen nicht die Armen
– Initiative zur Bekämpfung von Steuerbetrug, statt Betrugsvorwürfe im Zusammenhang mit Sozialleistungen
– Es fehlt eine eigene Fortschritts- und Gerechtigkeitserzählung
– Es ist gefährlich, wenn sich eine Partei vor allem über die Ablehnung anderer definiert – also als „Anti-AfD“-Partei. Man braucht eine eigene Agenda, eine eigene Vision, wie man das Leben der Menschen verbessern will. Eine Partei muss für etwas stehen, nicht nur gegen jemanden.
– Versprechen auf Aufstieg und Emanzipation
– Wo die eigene Zukunft blockiert scheint, werden eigene Frustrationen auf den Staat projiziert