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Das Hamburger Manifest der VDW als Versuch, die Verantwortung der Wissenschaft zu präzisieren

Philipp Sonntag Von Philipp Sonntag
13. November 2025
Mädchen mit Protestplakat mit Weltkugel und Aufschrift "We need to understand"

Hamburger Manifest der VDW
veröffentlicht zum Symposium „Von den Alpen bis zum Watt“
anlässlich des 85. Geburtstags von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hartmut Graßl
Hamburg, den 25. September 2025

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Zu „vdw“ stellt Google ein Selbstverständnis bereit:

„Verantwortung in der Wissenschaft, Unabhängigkeit, Überparteilichkeit und Solidarität sind die Grundprinzipien der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler e.V.“

und die Webseite: https://vdw-ev.de mit dem Link zum „Hamburger Manifest der VDW“. Es beginnt mit:

„Wir leben in einer zunehmend polarisierten Welt, in der die Grundlagen des Lebens auf unserem Planeten und die Zukunft nachfolgender Generationen durch ständige Krisen, ungelöste geopolitische Konflikte und aktuelle Kriege sowie durch nukleare Bedrohungen, Klimawandel, Umweltdegradation, Biodiversitätsverluste und Pandemien massiv bedroht sind. Um diese Herausforderungen zu bestehen, müssen wissenschaftliche Erkenntnisse anerkannt, die Freiheit von Wissenschaft hochgehalten und verantwortungsvolle wissenschaftliche Forschung fortgeführt werden.“

Es folgt eine seriöse Darstellung der akut globalen Herausforderungen, mit Sorgfalt und Umsicht notiert.

Über all die genannten Thermen kann man sich streiten, sei es nun politisch, künstlerisch, religiös und sonst wie gesellschaftlich. Aber wissenschaftlich? Der Stil des Manifestes ist seriös, anders kann es gar nicht sein. Denn die Aussagen von Wissenschaftlern aus ganz unterschiedlichen Zivilisationen müssen miteinander vereinbar, dafür zweifelsfrei fundiert und für Gesellschaften rundum glaubwürdig sein. Jegliches fake durch unseriöse Wissenschaft verhindert die vernünftige Ansteuerung lebenswichtiger Ziele. Das Manifest appelliert nicht zuletzt an die Ehrlichkeit der Wissenschaftler. Wir brauchen:

„Einen selbstkritischen Dialog innerhalb der Wissenschaften und einen verstärkten Dialog wissenschaftlicher Organisationen und Institutionen mit der Gesellschaft über globale Probleme und mögliche Lösungswege.“

Öffentlich ist dieses vorbildliche Ansinnen keineswegs zweifelsfrei. Es gibt allzu viel wissenschaftlichen Streit und allzu oft ist dieser für Laien verwirrend. Es liegt in der Natur der Sache. Zur Wahrheitsfindung braucht die Wissenschaft seriöse Debatten – und jeder hält sich erst mal für seriös.

In diesem Artikel möchte ich veranschaulichen, wie differenziert und sensibel beide – Gesellschaft und Wissenschaft – mit real und fake umgehen können, auch mit all den Widersprüchen, Kompromissen, vorläufigen Zwischenlösungen und miteinander. „Dem VDW“ ist diese Herausforderung voll bewusst und schmerzlich vertraut. Im VDW gibt es etliche Engagierte, die versucht haben, ganz im Sinne des modernen Manifestes, Verantwortung zu übernehmen. Einfach ist das keineswegs. Das Hamburger Manifest der VDW geschah anlässlich des 85. Geburtstags von Hartmut Graßl / VDW, der sich über 40 Jahre stark mit gesellschaftlichen Gegenkräften auseinandergesetzt hat, denn „Graßl warnte bereits in den 1980er Jahren vor einer Klimaerwärmung“ (Wikipedia)

Mit dem Beispiel Léo Szilárd (siehe im September 2025 auf www.academia.edu und www.netzwerk-zukunft.de) habe ich versucht anzudeuten, wie problematisch für einen Engagierten selbst die Verantwortung sein kann, insbesondere sich verändern kann: Léo Szillárd hatte als erster erkannt, wie man technisch eine Atombombe bauen kann und er half wesentlich mit beim Manhattan-Projekt: Seine Absicht war, zu verhindern, dass Hitler womöglich allein über diese Bombe verfügen könnte. Doch nachdem die Bombe entwickelt und praktisch erprobt worden war, versuchte er vergeblich, den Einsatz in Japan zu verhindern. Vor allem gegen das atomare Wettrüsten stemmte er sich mit aller Kraft, jedoch vergebens. Und dennoch hat er uns vielleicht vor dem Atomkrieg bewahrt, ihm gelang ein – höchst schwierig – vertrauensvoller Kontakt zu Chruschtschow, das half zum Beispiel beim Einrichten des „roten Telefons“ Moskau/Washington“. Léo Szilárds Absichten damals entsprachen vollkommen den Vorschlägen des Manifestes von 2025, die innere Zerreißprobe hat ihn schier übermenschlich belastet.

„Es gibt kein richtiges Leben im falschen“, meinte 1944 Theodor Adorno. Niemals hätte Léo Szilárd geholfen, eine Atombombe zu konstruieren, außer eben gegen Hitler. Darf sich „ein anständiger Mensch“ überhaupt mit Atomwaffen befassen. Unbedingt ja, meinte Léo Szilárd als Mitgründer der Pugwash Konferenzen, die 1957 begannen. Derzeit ist Götz Neuneck der deutsche „Pugwash-Beauftragte“, traditionell aus der VDW, vor allen für Rüstungskontrolle. In den 1970er Jahren durfte ich mal ein Protokoll schreiben, für eine Gruppe von Wissenschaftlern, da war ich beeindruckt: Im Rahmen von Pugwash konnten Wissenschaftler aus USA und Russland gemeinsam, im gemeinsamen wie im globalen Interesse, Verträge zur Begrenzung von Atomrüstung vorbereiten, die danach politisch vereinbart wurden. Da konnten Wissenschaftler einem Freiraum auf der Basis gemeinsamer wissenschaftlicher Vernunft nutzen, um vertrauensbildende Maßnahmen für Diplomatie und Politik vorzubereiten.

Diametral entgegen steht der Umgang von Trump mit Universitäten wie Harvard. Es wirkt so, als würde man für ein funktionsfähiges Gerät funkensprühende Kurzschlüsse vorschreiben. So geht jegliche Kontrolle verloren, da ist Rüstungskontrolle nicht mehr vertrauensvoll möglich.

Auch gibt es Staaten, in denen die Menschen unsere westlichen Behauptungen zum Völkerrecht, zu Menschenrechten, zu fairen Wirtschaftsbedingungen usw. mit Argwohn betrachten. Das geschieht aus historischer und zeitnaher Erfahrung. Man kann es vielleicht verstehen, indem man bemerkt, es gibt ein Recht, welches nahezu jegliches andere Recht de facto und mit schweren Folgen brechen kann: Das Gewohnheitsrecht. Denn „der Mensch“, auch wir in Deutschland hatten und haben teils spektakulär frappant schlechte Gewohnheiten.

Wie schmerzlich spürbar und wie breit real das akute Ausmaß ist, das veranschaulicht allein schon das Heft Nov./Dez. von iz3w (dem Informationszentrum Dritte Welt), mit dem Titel: „Screentime & Straßenschlacht – Generation Z in Aufruhr“, mit Artikeln wie „Gegen das Establishment / Der Arabische Frühling und die Generation Z“. Diese jungen Menschen (15 bis 30 Jahre alt) machen etwa ein Drittel der Menschheit aus. Indem wir versuchen sie anzusprechen, durchaus auch als Wissenschaftler, gehören wir erst mal zum Establishment. Wer Bescheid weiß, der bemerkt: Auch in Europa gibt es Ungerechtigkeit. Nehmen wir das, was ein Wissenschaftler als Angestellter verdient, als Standard. Damit kann man leben. Aldi stell mehr bereit, als das Paradies. Gewohnheit setzt ein. Für dieselbe Arbeit bekommt man (mitsamt Altersversorgung) als Beamter in Deutschland das Doppelte, als Beamter in Brüssel das Dreifache – ich habe es geprüft. Jene, die unter Belastungen zusammenbrechen und/oder keine Wohnungen finden (für die der Staat hätte sorgen können und müssen), verarmen bis hin zur Obdachlosigkeit. Mitten im „Wohlstand“. Ein Vorbild, einfach so, sind wir nicht. Dort wo wir zur chronischen Linderung von unnötigem Elend beitragen, sollten wir das wenigstens bemerken.

Zur Art des weltweiten Elends, Warlam Schalamov berichtete aus dem sowjetischen Gulag: Als letztes verliert der Mensch seine Erbitterung. Stellen wir uns unsere Hilfe zu VBM (Vertrauens-Bildenden Maßnahmen) zwischen Palästinenser und Israelis vor. Hellwach muss der Wissenschaftler da immer neu schauen: Versuche ich etwas Richtiges im Falschen? Und ist es zugleich trotz allem vielleicht das im Moment einzig Mögliche? Dazu möchte ich anmerken: Mitten im Falschen, im weltweiten Frust und Elend, gibt es immer eine Fülle von höchst erwünschten, oft kleinen Wohltaten – oder durchaus großen, wie durch die „Ärzte ohne Grenzen“. Das wusste „schon“ unser Dichter Hölderlin. Jedoch, da ging es noch nicht um den Erhalt der Lebensfähigkeit auf unserem Planeten.

Was tun? Das Manifest nennt etwas Machbares. Es hilft auch mir; seitdem ich 15 Jahre alt war, interessierte ich mich für Fußball und frage mich seit 70 Jahren immer wieder, wieso verschleudere ich meine Zeit für sowas Unwichtiges? Heute, mit einem Hauch von Schlitzohrphrenie, meine ich: Wie hätte ich als Geflissenschaftler all das oft hautnah erlebte Leiden aushalten können – ohne solche entspannenden Pausen. Das sind ja auch die schönsten Träume der Ärmsten.

 

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