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Home Politik

Offenes Rennen

Christian Wolff Von Christian Wolff
11. Dezember 2024
Zwei mit den Nummern "!" und "2" bemalte Schnecken auf Rasenstück

Am 23. Februar 2025 werden die vorgezogenen Wahlen zum Deutschen Bundestag stattfinden. Mit Beginn des neuen Jahres wird die heiße Wahlkampfphase starten. Derzeit ist völlig offen, wie die Wahlen ausgehen werden – auch wenn aktuelle Umfrageergebnisse suggerieren, als sei Friedrich Merz (CDU) der nächste Bundeskanzler. Jedoch lassen drei Faktoren keine verlässliche Prognose zu:

  • die Inauguration von Donald Trump als Präsident der Vereinigten Staaten am 20. Januar 2025 und seine Proklamation der Zerstörung der Demokratie;
  • der weitere Verlauf des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine;
  • die wirtschaftliche Entwicklung in den nächsten drei Monaten.

Was auffällig ist: Auch wenn die Unzufriedenheit mit der Politik der Ampel-Koalition groß war – es gab und gibt keine Wechselstimmung. Weder wird „Scholz muss weg“ skandiert, noch sehnt sich ein großer Teil der Bevölkerung nach einem Kanzler Friedrich Merz (CDU). Dafür zeigt das unrühmliche Ende der Ampel-Koalition, woran es der Regierungspolitik seit 2021 vor allem gemangelt hat: die Einsicht, dass Wahlergebnisse immer das vorläufige Ende von gesellschaftlichen Veränderungen widerspiegeln und nicht den Beginn. Das heißt: Den Parteien, die eine Regierung bilden können, wird abverlangt, dass sie in der Regierungspolitik ihr jeweiliges Programm nicht nur auf die Koalitionspartner:innen abstimmen müssen. Sie haben vor allem zu berücksichtigen, dass mit dem Beginn ihrer Regierungstätigkeit das Pendel in der politischen Stimmung wieder in eine andere Richtung schlägt. Beides erfordert, dass Regierungsparteien sich überlegen müssen, wie sie ihre Programmatik mit den jeweiligen Koalitionspartner:innen verwirklichen können, ohne ständig das Gefühl zu haben und zu vermitteln, sie würden mit Verständigung ihre eigenen Ziele verraten. Das wird nur gelingen, wenn der Konsens/Kompromiss zum Maßstab politischen Regierungshandelns gemacht wird. Daaran hat es den Koalitionspartner:innen in der Ampel von Anfang gemangelt. Das gilt vor allem für die FDP. Sie hätte am liebsten schon Ende 2021 ihr Diktum von 2017 wiederholt: „Lieber nicht regieren, als schlecht regieren.“ Von heute hergesehen muss man feststellen: Die FDP hat in der Ampel-Koalition allein schon deswegen eine schlechte Figur abgegeben, weil sie mit zunehmender Dauer den Eindruck vermittelt hat: Mit der SPD und Bündnis 90/Die Grünen wollen/können wir nicht regieren. Damit hat die FDP eine riesige Chance vertan. Sie hat offensichtlich nicht begriffen, welches Potential für die Ampel allein darin gesteckt hat, dass die FDP bei der Bundestagswahl 2021 vor allem von jungen Menschen gewählt wurde. Warum wohl? Weil diese in und nach der lähmenden Corona-Zeit von der FDP – ähnlich wie 1969 – eine Reformpolitik in allen Bereichen der Gesellschaft erwartet haben. Doch die FDP hat sich ziemlich bald nach der Regierungsbildung im Dezember 2021 immer stärker als Anwältin derer gesehen, die einen erheblichen Anteil am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stillstand der vergangenen mindestens 25 Jahre hatten und haben: die Führungsebene in der deutschen Wirtschaft. Sie war (und ist) wesentlich beteiligt am sträflichen Hinauszögern der Energie- und Mobilitätswende und am Niedergang der Infrastruktur. Insofern ist die FDP durch die Art und Weise ihres Auftretens in der Ampel-Koalition ihrer eigenen Wähler:innenschaft in den Rücken gefallen. Die FDP war nicht treibende, sondern zerstörende Kraft in der Koalition.

Wie die FDP die Ampelkoalition in den vergangenen Monaten hat erodieren lassen, hat in wenigen Tagen nach dem Ampel-Aus dazu geführt, dass die (bald geschäftsführende) Bundesregierung ohne parlamentarische Mehrheit dennoch mehr erreichen wird, als es mit der FDP möglich gewesen wäre. Allein das wird die Wahlaussichten der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen verbessern – zumal die FDP sich jetzt der CDU/CSU als Koalitionspartnerin andient, ohne realistische Aussicht darauf, am 23. Februar 2025 für eine solche Koalition ein Mandat zu erhalten. Das ist allein deswegen äußerst unwahrscheinlich, weil sich die FDP spätestens mit dem „D-Day-Papier“ als seriöse Koalitionspartnerin selbst aus dem Spiel genommen, drastischer: verbrannt hat. Kommt noch hinzu, dass sich die CDU durch den Vorsitzenden der CSU Markus Söder in die Handlungsunfähigkeit hat manövrieren lassen. Denn dieser hat eine Koalition mit Bündnis 90/Die Grünen nach dem 23. Februar 2025 kategorisch ausgeschlossen. So ist die kuriose Situation entstanden, dass sich mit der FDP der CDU eine Koalitionspartnerin an die Brust wirft, die die CDU nicht wollen kann, und der Koalitionspartner, mit dem die CDU in drei Bundesländern regiert, Bündnis 90/Die Grünen, darf es auf Bundesebene nicht werden. Wie die CDU unter solchen Vorzeichen einen überzeugenden Wahlkampf führen will, bleibt ihr Geheimnis. Auf diesem Hintergrund wirkt das Werben von Bündnis 90/Die Grünen um die Gunst von Friedrich Merz mehr als komisch.

Da ist die SPD allen Unkenrufen zum Trotz in einer sehr viel komfortableren Situation. Die SPD tritt mit dem amtierenden Kanzler Olaf Scholz als Spitzen-/Kanzlerkandidat an – und kann nicht nur auf eine – trotz aller Probleme in den vergangenen drei Jahren – ansehnliche Bilanz verweisen. Sie hat mit Olaf Scholz auch denjenigen zum Kanzlerkandidaten bestimmt, der beim längeren Überlegen vielen Wähler:innen und im Vergleich zu den Personalangeboten anderer Parteien als der einzige seriöse, umsichtig handelnde, zuverlässige Kanzler erscheint. Doch entscheidend ist, dass die SPD nach dem Ausscheiden der FDP aus der Ampel-Koalition keine Rücksicht mehr nehmen muss auf diesen Teil der Ampel-Koalition. Somit kann die SPD ihr sozial-und wirtschaftspolitisches Programm ohne Rücksicht auf diese Koalitionspartnerin kommunizieren. Das bedeutet: Die SPD wird in der Transformationsphase der deutschen Wirtschaft und der Energieversorgung die Arbeitnehmerrechte verteidigen und gerade durch das umstrittene Bürgergeld für soziale Gerechtigkeit sorgen. Darum tritt die SPD ein

  • für das Renteneintrittsalter von 67 Jahren und ein stabiles Rentenniveau,
  • für bezahlbaren Wohnraum und die Erneuerung der Infrastruktur,
  • für den Ausbau der Mobilität auf Schiene und im ÖPNV,
  • für die Verteidigung der freiheitlichen Demokratie,
  • für die Festigung der europäischen Einigung und die Erneuerung der europäischen Friedensordnung.

Gerade die letzten beiden Punkte sind entscheidend für eine sozialdemokratisch ausgerichtete Außen- und Sicherheitspolitik. Das ist der tiefe Grund für die starke Unterstützung der Ukraine in ihrer Abwehr der Aggression des Putin-Russland. Darum setzt sich gerade die SPD für die demokratischen Grundwerte der Verfassung und gegen jede Form des Autokratismus ein – in Deutschland und weltweit. Wenn der Wahlkampf diese Zielrichtung bekommt, wird nicht nur die SPD größeren Rückhalt in der Wähler:innenschaft erfahren, Parteien wie AfD und BSW werden stark an Bedeutung verlieren – beides ein Riesengewinn für die Demokratie. Allerdings setzt dies voraus, dass die SPD vor Ort ihr Programm mit den Menschen lebt und sich weniger mit sich selbst beschäftigt.

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