Die Causa Brosius-Gersdorf ist nur scheinbar ein zweitrangiges Thema – sie kann in ihrer politisch zerstörerischen Wirkung kaum überschätzt werden: Die Regierung geschwächt, das Parlament blamiert, das Bundesverfassungsgericht beschädigt. Die extreme Rechte triumphiert; sie hat diesen Eklat orchestriert, um so die Demokratie weiter zu schwächen. Das alles lässt für die nächsten Jahre Schlimmes erwarten.
Der Fall der Verfassungsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf, die nach einer unsäglichen Schmutzkampagne gegen sie nicht zur Verfassungsrichterin gewählt wurde, wirkt hier wie der Vorbote auf einen brutalen Kulturkampf in Deutschland, wie wir ihn bislang nur aus den Trump-USA kennen. Eine entscheidende Frage dabei: Stehen CDU und CSU noch auf der Seite der liberalen Demokratie oder sind zumindest Teile der Christdemokraten bereit, sich in politischen Grundsatzfragen auf die Faschisten der AfD einzulassen?
Wenn der Bundestag Frauke Brosius-Gersdorf letztlich nicht wählt oder wenn die Kandidatin wegen all der Verleumdungen und auch der Morddrohungen gegen sie von sich aus zurückzieht, dann wird das triumphierende Geheul der Extremisten erschallen, dann haben sie wieder einmal gesiegt. Schuld hätte die Union. Schuld hätten Merz, Söder, Spahn – aus Feigheit vor rechten Influencern und dem pöbelnden Mob in den „sozialen“ Medien haben ihre Parteien die Zusage zur Wahl von Brosius-Gersdorf geopfert. Und wenn diese Herren jetzt fordern, die SPD solle doch bitte eine andere Kandidatin präsentieren, dann weiß man, dass sie längst vor den Ultrarechten eingeknickt sind. Was für ein verheerendes Signal! Das ist geradezu eine Ermunterung in Richtung AfD und deren Helfershelfer, mit ihrem zerstörerischen Treiben fortzufahren.
Denken wir einmal über die Richterwahl hinaus. Was lernen die Rechtsextremisten denn aus diesem Vorgang? Wenn sie in der Richterinnen-Frage obsiegen, können Extremisten künftig bei fast jedem x-beliebigen Thema die Debatte nicht nur an den Stammtischen der Republik bestimmen, sondern auch im Parlament. Dass sie dabei vor Hass, Hetze und Lügen nicht zurückschrecken, ist längst bekannt. Dass die Union auf solch plumpe Propaganda eingeht, ließ sich nach der teils radikalen Wende in der Migrationspolitik zwar erahnen, als offener Affront gegen die eigene Parteispitze und die Koalition allerdings als Außenstehender nicht voraussagen. Nebenbei bemerkt: Eine zusätzliche Schande ist, dass sich führende Vertreter der katholischen Kirche hinter die Lügen-Kampagne der Ultrarechten stellen.
Was also müssen wir für die nächsten Jahre befürchten.
- Thema Zuwanderung: Hier fährt die Merz-Regierung schon jetzt einen rigorosen Kurs – angeblich vor allem, um so der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Koalition führt Grenz-Kontrollen ein und lässt Asylbewerber nicht ins Land, was nach Meinung vieler Juristen gegen EU-Recht verstößt. Dass Deutschland damit auf Konfrontationskurs zu den Nachbarstaaten geht, wird billigend in Kauf genommen. Auch Menschenrechte spielen für die Christdemokraten offenbar kaum mehr eine Rolle, der Familien-Nachzug wird verhindert; die Familie ist den Christdemokraten offenbar nur dann besonders schützenswert, wenn sie deutsch ist. Die SPD schweigt dazu, aus Koalitions-Disziplin, aber auch aus Angst vor den aufgehetzten Wählern. FAZIT: Glaube doch niemand, dass die AfD bei diesem Thema klein beigegeben wird. Die Hetze gegen Migranten, die „Kopftuch-Mädchen und Messer-Männer“, haben die extremistische Partei groß gemacht, mit dem Thema „Remigration“ wird die AfD die anderen Parteien weiter vor sich hertreiben.
- Thema: Diversität: Hier hat nicht zuletzt Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) ohne jede Not den Kulturkampf befeuert. Sie verbot die Regenbogen-Flagge auf dem Parlament, mit dem sich die Volksvertretung nach außen sichtbar solidarisch mit all den vielen Menschen zeigt, die sich nicht im traditionellen Rollenbild von Mann und Frau wiederfinden. Diese queeren Menschen sind in letzter Zeit vermehrt nicht nur verbalen sondern auch körperlichen Angriffen durch Rechtsextremisten ausgeliefert, ein öffentliches Zeichen für Vielfalt und Toleranz täte da dringend Not. Dass Kanzler Merz die Regenbogen-Flagge auch noch mit dem „Zirkuszelt“ verbindet, ist dann auch wohl weniger ein geschmackloser verbaler Ausrutscher als eher der Versuch, mit offener Diskrimierung am rechten Rand zu fischen. FAZIT: Das Gestänkere aus konservativen Unions-Kreisen gegen alles Queere, gegen „Spinner“, alternative Lebensformen und Identitäten, bestärkt die radikalen Gegner einer pluralen Gesellschaft. Einzig die Tatsache, dass ausgerechnet die Ober-Extremistin Alice Weidel selbst offen lesbisch lebt, dürfte viele in ihrer Partei von noch größerer Hetze gegen Homosexuelle abhalten. Gegen die Natur hat selbst die braune Ideologie keine Chance.
- Thema Corona: Das Thema beherrscht weiter die Debatte in rechtsradikalen und libertären Kreisen. Verschwörungstheoretiker jeder Couleur nutzen das Thema seit Jahren, um gegen den Staat zu hetzen. Dass nun eine Enquete-Kommission des Bundestages die Pandemie aufarbeiten und Lehren für eine mögliche weitere Seuche ziehen soll, wird diese Fanatiker kaum beruhigen. Hierzu schrieb Nikolaus Blome, ehemaliger „Bild“-Vize und heute unter anderem Kolumnist beim Spiegel: Die Corona-Skeptiker und Impfgegner „wollen nicht reden. Sie wollen Rache“. FAZIT: Blome, der sich selbst als „liberaler Konservativer“ bezeichnet und schon mal gegen „linke und grüne Traumtänzer“ zu Felde zieht, bringt es auf den Punkt: Mit diesen rechten Extremisten ist nicht zu reden, sie sind für sachliche Argumente nicht zu erreichen. Eine bemerkenswert klare Aussage für einen Konservativen. „Sie wollen nicht reden. Sie wollen Rache“. Das gilt für so viele Themen. Das sollte uns allen Warnung und Lehre sein.
Steht die Mitte noch zusammen?
- Das größte aller drohenden Verhetzungs-Themen aber ist künftig das „Klima“. Hierbei geht es für alle Bürger um viel Geld. Auf diesem Gebiet sage ich schon jetzt das „Schlachtfeld“ vor der nächsten Bundestagswahl voraus. Und ich sage voraus, dass die Union aus lauter Panik vor rechter Propaganda einknicken wird – und es schon jetzt tut. So sagte Kanzler Merz kürzlich im Bundestag: „Deutschland hat ungefähr ein Prozent der Weltbevölkerung. Und „wir stellen ungefähr zwei Prozent des Problems dar, was CO₂-Emissionen betrifft“. Wenn Deutschland morgen aufhören würde, CO₂ zu emittieren, so Merz mit einem süffisanten Lächeln, „würde keine einzige Naturkatastrophe auf dieser Welt weniger geschehen, würde kein einziger Waldbrand weniger geschehen, würde keine einzige Überschwemmung in Texas weniger geschehen“. Schlimmer kann man seine Ignoranz nicht ausdrücken. Wenn alle Länder dieser Logik des reichen Deutschland folgen würden, ginge der Weg in die Klimakatastrophe nicht nur ungebremst sondern mit noch größerem Tempo weiter. Schwarz-Rot ist bei diesem Thema ganz offensichtlich auf dem Rückzug. Nach wie vor gilt Klimaschutz in konservativen Kreisen als Luxusthema, auf das man in wirtschaftlich schwierigen Zeiten halt verzichten muss. Der von Christen oft beschworene „Schutz der Schöpfung“ und der Erhalt einer lebenswerten Welt für die Kinder und Kindeskinder spielt für Konservative anscheinend nur noch in Sonntagsreden eine Rolle.
- Sicherlich spielt aber auch hier die Furcht vor rechter Propaganda eine große Rolle. Vor allem ab 2027 – also kurz vor der nächsten (regulären) Bundestagswahl – werden noch einmal drastisch steigende Energiepreise in Deutschland erwartet. Dann wird, wenn es bei den bisherigen Plänen bleibt, die CO2-Bepreisung stark steigen, weil ab 2027 die entsprechenden Emissions-Zertifikate frei gehandelt werden sollen. Was das für den Wahlkampf bedeutet, lässt sich leicht ausmalen. Wie die AfD dieses Thema ausschlachten wird, wie sie gegen die gesamte Klimapolitik polemisieren wird, gegen Windräder, Solaranlagen und vor allem Wärmepumpen – das alles weiß die Union nur zu genau. Genau das nämlich hat sie selbst getan, als sie noch Opposition war. Wider alle Vernunft haben Merz und Co Front gemacht gegen die Wärmepumpe, haben Seite an Seite mit Klimaleugnern, AfD-Fanatikern und der Springer-Presse gegen Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen gehetzt. FAZIT: Merz weiß schon jetzt, was von AfD und „Bild“ auf ihn zukommt, wenn steigende Energiepreise vor den nächsten Wahlen für Unmut sorgen, der so leicht und primitiv zu schüren ist. Wie beim Thema Flüchtlinge wird die Union auch beim Thema Klima umfallen – die AfD bestimmt schon jetzt die Politik.
Das alles ist keine Schwarzmalerei, ist keine Dystopie. Das alles sind absehbare politische Entwicklungen. Um diese doch noch zu verhindern, bedürfte es eines gemeinsamen Widerstandes der Demokraten in der viel beschworenen „Mitte“. Es bedürfte Mut, Überzeugung und Beharrlichkeit. Doch die Zweifel wachsen, dass man wirklich gemeinsame Ziele vertritt. Immer stärker ist das wohl nur noch ein Wunschdenken derjenigen, die sich in Koalition und Parlament auf schwierige Zugeständnisse an CDU und CSU eingelassen haben – und die von den Konservativen doch immer wieder verraten werden.
Im Spanien der 30er Jahre benutzten die Verteidiger der Demokratie im Kampf gegen die Franco-Faschisten den Ruf „No pasarán!“- „Sie werden nicht durchkommen!“. Deutschland steht zum Glück noch nicht vor einem bewaffneten Bürgerkrieg. Doch im Kulturkampf gegen Faschisten stehen wir Demokraten schon längst. Und auch hier muss gelten: „No pasarán!“













