Samstagmorgen in Hannover. Ich bin auf dem Weg nach Frankfurt, ein Freund heiratet. Ich will nur einen Kaffee holen, bevor ich in den Zug steige. Es ist voll im Lieblingscafé. Ich warte auf meine Bestellung. Plötzlich stürmt ein Mann an den Bestelltresen. Er gestikuliert wütend und schreit: Er habe sich nicht zu laut unterhalten, das gehe so nicht, immerhin sei er zahlender Kunde. Er werde damit an die Presse gehen, und dann werde sie schon sehen. Die Kellnerin schaut verdutzt und ich stelle mir die Schlagzeile vor: „Laute(r) Typen im Café“.
Der Zug ist zu spät. Voller Bahnsteig, voller Zug. Als ich endlich sitze, dröhnt es über die Lautsprecher: „Ladies and Gentlemen, welcome on board.“ Die Durchsage endet mit einem durchdringenden Piepen, dann ein kurzes Rauschen, dann nur noch die Menschen im Abteil. Die Agrar-Messe hat wieder viele Menschen angelockt; jetzt, auf der Rückfahrt Richtung Süddeutschland, sind einige von ihnen angetrunken. Bei Weizenbier träumen sie laut von Hektar und Traktoren. „Wer Fendt fährt, führt“, sagt einer, die anderen grinsen – eine landwirtschaftliche Operette zwischen Hannover und Karlsruhe.
Frankfurt. Es ist eine schöne Hochzeit. Die Feier findet in einem kleinen Saal statt. Die Tische stehen an den Flanken, in der Mitte ist die Tanzfläche. Es wird viel getanzt. Eine Live-Band spielt. „Musik aus Orient & Okzident“ steht auf dem Banner. Mein Freund lächelt und sagt etwas. Ich lächle zurück und nicke, habe aber kein Wort verstanden. Die Musik ist zu laut. Später stehen wir draußen. Er raucht. „Weißt du, woran man eine gute Feier erkennt?“, fragt er. „Daran, dass getanzt wird“, sage ich. Er nickt. „Wenn die Gäste tanzen, sind sie glücklich und die Feier ist gut. Wir haben wirklich großes Glück mit der Band, findest du nicht auch?“ Ich lächle und nicke. Ich habe jedes Wort verstanden.
Ich bin spät im Bett und kann trotzdem nicht schlafen – Hotelbetten. Und dann ist da noch dieses Geräusch des Kühlschranks. Ich ziehe den Stecker und setze mich an den kleinen Schreibtisch neben dem Bett – ein bisschen wie in meiner ersten Studentenbude, nur schicker. Früher konnte ich bei jeder Lautstärke schlafen, selbst in einem Zelt auf dem alten Flugplatzgelände, während nebenan die Festival-Boxen dröhnten. Staubige mecklenburgische Steppe trifft auf Techno und Psytrance – das war „Airbeat One“ in Neustadt-Glewe. Keiner verkörperte das damals besser als mein Zeltnachbar. Er hatte sich übers Wochenende den Montagewagen seines Chefs ausgeliehen und noch bevor sein Zelt stand, hatte ihn die mit Wodka gefüllte Beerpong außer Kraft gesetzt. „Trink nie Wodka, der nach russischen Präsidenten benannt ist“, hatte er mich noch gewarnt – und dann zum Jelzin gegriffen. Boris Jelzin, der selbst starke Alkoholprobleme hatte, soll im betrunkenen Zustand immerhin ein Orchester dirigiert haben.
Sonntag, 6:00 Uhr. Mein Handywecker klingelt. Ich habe vergessen, ihn auszustellen. Kleine Kinder machen es richtig, sie wenden sich einfach ab, wenn es ihnen zu laut wird. Ich drücke den Wecker aus und schlafe weiter. Wenig später knarrt es auf der Straße. Weiterschlafen unmöglich. Frankfurt, sagt eine Studie, sei 2019 die zweilauteste Stadt Deutschlands gewesen, knapp hinter Hannover. Ich freue mich schon auf die Rückfahrt. Und ich beginne zu verstehen: Man bleibt, solange man sich im Lärm noch wiedererkennt.













