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Bayer, Monsanto und Glyphosat: Täuschen, tarnen und fälschen. Worüber berichtet wird und worüber nicht berichtet wird

Christoph Habermann Von Christoph Habermann
5. Dezember 2025
Darth Vader

I.

Die Bayer AG hat 2018 die Firma Monsanto gekauft, deren bekanntestes Produkt das unter dem Namen „Roundup“ verkaufte Pflanzenschutz- bzw. Pflanzenvernichtungsmittel Glyphosat war. Nicht nur ökologisch Interessierte waren damals erstaunt, weil die Internationale Agentur für Krebsforschung der Weltgesundheitsorganisation schon 2015 festgestellt hatte, dass das Mittel „wahrscheinlich krebserregend“ ist.

Die Chefetage von Bayer verliess sich auf amtliche Genehmigungsverfahren und Zulassungen in den USA und der Europäischen Union und auf ihren durch wirtschaftliche Macht gestützten politischen Einfluss.

In den USA steckt Bayer seit der Übernahme von Monsanto in ungezählten Gerichtsverfahren, von denen etwa 65.000 noch offen sind. Es geht um Entschädigungen von Bauern und anderen Nutzern, die „Roundup“ für ihre Krebserkrankungen verantwortlich machen.

Inzwischen hat Bayer 10 Milliarden Dollar für die Beilegung von Klagen gezahlt. Weitere sieben Milliarden Euro stehen als Rückstellungen in der Bilanz.

Seit dem Kauf von Monsanto hat die Bayer-Aktie etwa zwei Drittel ihres Werts verloren.

Obwohl Bayer weiter darauf beharrt, sein Produkt sei bei sachgemässem Gebrauch unbedenklich, hat es 2023 den Verkauf an Privatkunden in den USA gestoppt und in letzter Zeit nicht mehr ausgeschlossen, sich ganz von diesem Geschäft zu trennen.

In Deutschland ist der Einsatz von glyphosathaltigen Produkten wie „Roundup“ auf öffentlichen Flächen und in Haus- und Kleingärten verboten. Für die Landwirtschaft hat die Europäische Union die Zulassung im Jahr 2023 um zehn Jahre verlängert, nachdem Bayer massiven öffentlichen und sicher noch stärkeren nicht-öffentlichen Druck ausgeübt hatte.

II.

Vor diesem Hintergrund sind zwei Entscheidungen aus den vergangenen Tagen  bemerkenswert. Über die eine Entscheidung ist in den Medien breit berichtet worden, über die andere Entscheidung so gut wie gar nicht.

Wegen gegensätzlicher Entscheidungen von Bundesberufungsgerichten in den USA drängt Bayer seit langem darauf, dass der Oberste Gerichtshof der USA eine Grundsatzentscheidung trifft. Dem hat sich jetzt die Regierung von Präsident Trump angeschlossen.

Diese Nachricht führte am Dienstag dieser Woche zu einem Kurssprung der Bayer-Aktie von bis zu 15 Prozent. Dahinter stand die Erwartung, der Oberste Gerichtshof werde den allergrössten Teil der ausstehenden Klagen zugunsten von Bayer entscheiden.

Über eine andere Entscheidung, die inhaltlich in einem engen Zusammenhang zur Meldung aus den USA steht, war in deutschen Medien nach meiner Recherche im Internet nichts zu lesen. Jenseits spezialisierter Blogs hat bisher nur Stéphane Foucart umfassend berichtet, der mit vielen Preisen für seine Arbeit ausgezeichnete Redakteur von „Le Monde“ für Fragen von Wissenschaft und Umwelt.

III.

Im Jahr 2000 hat die angesehene Fachzeitschrift „Regulatory Toxcology and Pharmacology“ einen Übersichts-Artikel von drei Wissenschaftlern über die damals vorliegenden Ergebnisse zur Bedenklichkeit oder Unbedenklichkeit von Glyphosat veröffentlicht. Die Professoren Gary M. Williams, Robert Kroes und Ian C. Munro kamen zu dem Ergebnis, dass unter „gegenwärtigen und erwartbaren Bedingungen des Gebrauchs das Roundup-Herbizid für Menschen kein gesundheitliches Risiko darstellt.“

Ein Vierteljahrhundert später, Ende November dieses Jahres hat der Herausgeber der Zeitschrift, der niederländische Wissenschaftler Martin van den Berg, emeritierter Professor an der Universität Utrecht, die Öffentlichkeit darüber informiert, dass er diesen Artikel offiziell zurückzieht und aus dem Archiv der Zeitschrift entfernt. Was war geschehen?

Schon vor vielen Jahren waren interne Unterlagen des Unternehmens Monsanto bekannt geworden, aus denen hervorging, dass Monsanto zur Durchsetzung seiner wirtschaftlichen Interessen auch nicht davor zurückschreckte, anerkannte Wissenschaftler als eine Art „Bauchredner“ zu benutzen, die es mit der wissenschaftlichen Wahrheit nicht so ernst nahmen. Was aus den „Monsanto Papers“ bekannt war, brauchte allerdings noch Jahre, um Wirkung zu zeigen.

Stéphane Foucart zitiert in seinem am 4. Dezember erschienenen Artikel in „Le Monde“ den Herausgeber der Zeitschrift „Regulatory Toxicology and Pharmacology“, van den Berg so:

Er habe „mit vorsichtigen Worten“ daran erinnert, dass „Mitarbeiter von Monsanto an der Erstellung des Artikels beteiligt gewesen sein können, ohne dass sie, wie es sich gehört, als Co-Autoren genannt sind.“ „Dieser Mangel an Transparenz wirft ernsthafte ethische Fragen auf, was die Unabhängigkeit der Autoren und die wissenschaftliche Integrität der  Studien über die krebsverursachende Wirkung angeht.“

Die Autoren des Artikels waren offenbar von Monsanto dafür bezahlt worden, dass sie einen von Mitarbeitern des Unternehmens geschriebenen Text unter ihrem Namen in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht haben. Dazu van den Berg: „Die mögliche Bezahlung wirft wichtige ethische Fragen auf und stellt die akademische Objektivität der Autoren in dieser Veröffentlichung in Frage.“

Der Artikel der drei Wissenschaftler aus dem Jahr 2000 galt lange Jahre als eine Zusammenfassung aller verfügbaren Studien über die Sicherheit von Glyphosat. Van den Berg ist nun zu dem Ergebnis gekommen, dass die Autoren „mehrere Studien über die chronische Toxizität und die krebserzeugende Wirkung (von Glyphosat) nicht berücksichtigt haben.“ „Die Gründe für dieses Versäumnis bleiben unbekannt, was die allgemeine Objektivität der dargelegten Schlussfolgerungen in Frage stellt.“

So vornehm zurückhaltend beschreibt der Herausgeber einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift den Skandal, dass drei Professoren ihre wissenschaftliche Autorität dazu missbraucht haben und missbrauchen haben lassen, einem der grossen Unternehmen der Agrochemie-Industrie zu Diensten zu sein.

Der letzte noch lebende Autor der Studie aus dem Jahr 2000 hat weder auf Nachfrage der Zeitschrift noch des Journalisten von „Le Monde“ reagiert.

Dieser Vorgang erinnert an die Praktiken der Tabakindustrie, die über Jahre und Jahrzehnte Wissenschaftler dafür bezahlt hat, in Artikeln die gesundheitliche Gefährdung durch Rauchen zu bestreiten oder zu behaupten, sichere Aussagen seien noch nicht möglich und weitere Forschung sei nötig, um Zweifel zu beseitigen. Vergleichbare Veröffentlichungen gibt es in den vergangenen Jahren immer wieder auch zu den Folgen der steigenden Temperaturen durch klimarelevante Emissionen und zu anderen Themen. Wissenschaftliche Erkenntnisse und die  Unabhängigkeit der Wissenschaften wird immer wieder wirtschaftlichen Interessen grosser Konzerne oder einseitigen Vorstellungen von technischem Fortschritt untergeordnet.

Dass eine wissenschaftliche Zeitschrift eine Artikel 25 Jahre nach der Veröffentlichung offiziell zurückzieht und damit einräumt, dass er nie hätte veröffentlicht werden dürfen, ist ein ungewöhnlicher und seltener Vorgang.

Der Artikel über die angebliche Ungefährlichkeit von Glyphosat hatte ausserordentlich grosse Wirkung. Professor van den Berg dazu gegenüber „Le Monde“: „Der zurückgezogene Artikel hat viele Jahrzehnte beträchtlichen Einfluss auf die Entscheidung von Genehmigungs- und Zulassungsbehörden über Glyphosat und Roundup.“

Nach Recherchen von „Le Monde“ wurde dieser Artikel im europäischen Expertenbericht aus dem Jahr 2015, der zur Wiederzulassung von Roundup in der Europäischen Union geführt hat, etwa vierzig Mal zitiert. Der Missbrauch der Wissenschaft hat sich für Monsanto also gelohnt.

IV.

Die Entscheidung der Zeitschrift, den wissenschaftlich verkleideten Propaganda-Artikel von Monsanto aus dem Jahr 2000 offiziell zurückzuziehen und aus ihrem Archiv zu entfernen, hat vermutlich viel damit zu tun, dass im Juli 2025 in der Zeitschrift „Environmental Science and Policy“ ein Artikel erschienen ist, in dem Alexander A. Kaurov und Naomi Oreskes, die beide an der Harvard Universität in den USA arbeiten, sich intensiv mit der Frage beschäftigt haben, welche Wirkung der Artikel aus dem Jahr 2000 auf die öffentliche Diskussion über Glyphosat und auf die Entscheidung von staatlichen Prüf- und Genehmigungsbehörden hatte. Sie kommen zu folgendem Ergebnis:

„Wir stellen fest, dass WKM2000 (so die Abkürzung für den Artikel C.H.) zwei Jahrzehnte lang beträchtlichen Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung, den wissenschaftlichen Diskurs und politische Entscheidungen hatte. WKM2000 wurde häufig auf Wikipedia zitiert als Beleg für die Sicherheit von Glyphosat; Versuche, auf die Ghost-writer-Herkunft des Textes hinzuweisen, wurden immer wieder ins Gegenteil verkehrt oder beseitigt, ein Beispiel dafür, wie von Unternehmen gesponserte Wissenschaft öffentliche Plattformen infiltriert. Eine Analyse von politischen und Verwaltungs-Dokumenten, die sich auf WKM200 beziehen, legt offen, dass die grosse Mehrheit den Text unkritisch zitiert. In der akademischen Literatur gehört WKM2000 zu den 0,1 Prozent am meisten zitierten Veröffentlichungen, die sich mit Glyphosat beschäftigen, was auf eine breite Akzeptanz hinweist, während Interessenskonflikte so gut wie nicht erwähnt wurden.Unsere Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit für strengere Regeln der Fachzeitschriften von Ghostwritern geschriebene Papiere zu prüfen und zurückzuziehen, um wissenschaftliche Integrität genauso zu schützen wie öffentliche Gesundheit und Sicherheit.“

V.

Dieser Fall hat Bedeutung weit über das konkrete Thema Glyphosat und seine von der Weltgesundheits-Organisation festgestellte krebserzeugende Wirkung hinaus.

Es wird deutlich, dass Irreführung und Desinformation der Öffentlichkeit nicht das Privileg von Verschwörungstheoretikern oder Verschwörungspraktikern sind, auch nicht das von Geheimdiensten, ob von eigenen oder denen anderer Staaten.

Die Täuschung der Öffentlichkeit in wichtigen Fragen von Gesundheit und dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gehört seit Jahrzehnten zu den selbstverständlichen Praktiken grosser Unternehmen, die ihre Umsatz- und Gewinninteressen nicht durch unabhängige Wissenschaft und kritische Öffentlichkeit gefährden lassen wollen.

Täuschen, tarnen und fälschen halten sie für erlaubt, wenn es um ihre Geschäftsinteressen geht.

Umso wichtiger ist es, dass Prüf-und Genehmigungsverfahren für die Zulassung von Stoffen, die potentielle Risiken für Mensch und Natur bergen, auf der Grundlage unabhängiger wissenschaftlicher Untersuchungen und Gutachten stattfinden.

Staatliche Behörden dürfen sich in solchen Verfahren nicht in erster Linie auf die Informationen und Testergebnisse der Unternehmen verlassen, die neue Produkte verkaufen wollen.

Im Interesse der menschlichen Gesundheit und des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen muss der Grundsatz gelten: Keine Zulassung, wenn es aufgrund unabhängiger wissenschaftlicher Arbeiten berechtigte Zweifel an der Unbedenklichkeit neuer Produkte oder Verfahren gibt.

Die wirtschaftlichen Interessen von Unternehmen und auch der berechtigte Hinweis auf die Bedeutung von Arbeitsplätzen dürfen bei Genehmigungsentscheidungen unter keinen Umständen Vorrang haben vor Gesundheit und Sicherheit.

Unternehmen und Wissenschaftler, die Unternehmens-Propaganda als wissenschaftliche Erkenntnisse ausgeben, untergraben nicht nur das Vertrauen in Wissenschaft und unternehmerische Verantwortung, sondern auch in die Arbeit staatlicher Behörden und in demokratische Entscheidungen allgemein.

Deshalb wäre es gut, wenn über solche Praktiken in den Medien mindestens genauso umfassend berichtet würde wie über politische oder juristische Entscheidungen zugunsten von Unternehmen.

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