Es ist ein schweres Buch, vollgestopft mit Fremdwörtern vor allem aus den Bereichen der Politik und der Soziologie. Man kann das Buch „Zerstörungslust“ von Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey nicht in einem Zug durchlesen, ich zumindest brauchte immer wieder eine Pause, um Luft zu holen und zu verarbeiten, was die beiden Autoren mir da als Leser abverlangten, ja zumuteten. Aber die Schwerarbeit lohnt sich, wenn man die ersten 50 Seiten gelesen, wenn man sich eingelesen, sich der Problematik geöffnet hat. Denn es ist ein wichtiges, vielleicht ja überlebenswichtiges Thema, das einen bedrücken kann, weil es um das Überleben der Demokratie geht, bei uns wie in Amerika, wo ein Präsident Trump dabei ist, die Demokratie zu schleifen, die Justiz unter seine Kontrolle nimmt, damit sie ihn nicht weiter belästigt, die Freiheit der Presse einschränkt, indem er ihm unliebsame Medien einfach aus der White House Press ausschließt. So einfach machen das autoritäre Herrscher wie Trump. Dagegen ist die Bundespressekonferenz in Berlin und überhaupt das Arbeiten für Journalisten in Deutschland fast ein Paradies.
Und doch: Wer die Lage in Deutschland genauer beobachtet, macht sich seit längerem Sorgen darüber, was denn aus unserer schönen Demokratie werden soll, wenn eine Partei wie die in weiten Teilen rechtsextreme AfD bei Wahlen und in allen Umfragen immer mehr Zuspruch findet. Zum Nachteil z. B. der ältesten deutschen Partei, der SPD, die Hitler und die NSDAP historisch am stärksten bekämpft hatte. Man denke an das Ermächtigungsgesetz 1933, das die SPD als einzige Partei- die KPD war schon verboten-abgelehnt hatte. Berühmt der Satz, mit dem SPD-Chef Otto Wels in der Debatte über das Gesetz, das der Weimarer Republik endgültig den Tod brachte, das Nein begründete: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ Es scheint die Nachkommen nicht länger zu interessieren, die AfD hat die SPD weit hinter sich gelassen, sie hat sogar die CDU mindestens eingeholt, ja sie ist sogar an ihr vorbeigezogen. Und im nächsten Jahr könnte diese AfD erstmals in Sachsen-Anhalt einen Ministerpräsidenten stellen. Es ist Gefahr im Verzug für unser Land, für unsere parlamentarische Demokratie, der Bundespräsident mahnt und warnt immer wieder, die Demokratie brauche Demokraten, die sie tagein tagaus verteidigen. Die nächste Meinungsumfrage sieht die AfD weiter auf ihrem Siegeszug zu einem Deutschland, das die EU verlassen, den Euro aufgeben, das sich Moskaus Putin zuwenden, das die Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen den russischen Aggressor beenden soll. Das wäre dann ein anderes Land.
Das Buch der Stunde
„Zerstörungslust. Elemente des Demokratischen Faschismus“. Die Autoren Amlinger und Nachtwey sind ja nicht irgendwelche Schreiber, sie sind gerade preisgekrönt, weil ausgezeichnet mit dem Geschwister-Scholl-Preis, heißt: Das Buch zeugt von geistiger Unabhängigkeit und ist geeignet, bürgerliche Freiheit sowie den moralischen, intellektuellen und ästhetischen Mut zu fördern. Der Preis stammt vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Es ist, so hat es die Fernseh-Sendung ttt(Titel, Thesen,Temperamente) gewürdigt „Das Buch der Stunde“.
Die liberale Demokratie hat über den Kommunismus gesiegt. So lauteten die Leitartikel, ja der Jubel 1989, einige sprachen voreilig vom Ende der Geschichte. Sie wurden längst eines Besseren belehrt, weil die liberale Demokratie selber an Vertrauen verloren hat. Hat sie sich doch als „unfähig“ erwiesen, „für umfassenden Fortschritt zu sorgen. Stattdessen bringt sie Stagnation, eine hochdrehende Politik der Bewahrung des Status Quo, den buchstäblich rasenden Stillstand.“ Die Gesellschaften scheinen nicht mal mehr in der Lage zu sein, „die Probleme zu sehen und auf die ‚Tagesordnung zu setzen“. Als Beispiel dienen hier die maroden Brücken in Deutschland.
Destruktiv ist ein Stichwort des Buches. Dafür wird das Bild mit der Kettensäge bemüht, zerstören. Die Autoren haben knapp 2600 Menschen im Land befragt, von 41 von ihnen haben sie sich in ausführlichen Gesprächen Auskunft erteilen lassen. Man liest das Buch, stößt auf eine Aussage: Ich möchte die Gesellschaft in Schutt und Asche legen. Nicht wenige der Befragten stimmten dieser Aussage zu. Man mag es kaum glauben. Die Lust an der Zerstörung mittels der Kettensäge. Diese Zeitgenossen halten dann auch drakonische Strafen für richtig, um soziale Probleme zu lösen, also den Einsatz von Gewalt. Ihre eigenen Verluste nehmen sie wahr als Gewinne der anderen. Migranten nehmen uns die Arbeit weg, zu viele Geschlechter untergraben die Geltung der zwei gewohnten, männlich und weiblich.
Der Begriff demokratischer Faschismus lässt mich fast erschaudern. Demokratie und Faschismus, schließen sich die beiden nicht aus? Hat der Faschismus in Italien wie in Nazi-Deutschland nicht die Demokratie ausgelöscht mit all ihren Freiheiten? Und folgte dann nicht die Diktatur des Mussolini wie von Hitler? Also Gewaltherrschaft? Die rechten Populisten sprechen von einer Erneuerung: Erst wird etwas in Schutt und Asche gelegt, damit daraus oder darauf Neues entstehe. Sie sprechen von einer Demokratie, um sie dann von innen heraus zu untergraben. Am Ende unserer Demokratie soll das Licht ausgelöscht werden.
Viel versprochen, wenig gehalten
Die Autoren lassen den Bürger Rainer Kunz sein Schicksal erzählen. Der Titel „Blockiertes Leben“ zeigt schnell auf, was ihm missfällt. Den meisten Deutschen gehe es schlecht, findet er, viele seien arbeitslos, alles sei teurer geworden. Den etablierten Parteien seien die Nöte der Menschen aber egal. „Viel wurde versprochen, wenig eingehalten.“ Darum seien so viele unzufrieden mit der liberalen Demokratie, sie hätten die Schnauze voll. Kunz wird lauter und wütender, vor allem erzürnt ihn die Migrationspolitik. Es gehe nicht an, dass immer mehr Menschen ins Land kommen. Es sei ohnehin schon zu wenig da. Die etablierten Parteien kümmere das nicht. „Diese Arroganz kotzt mich an.“ Er spricht von einer Meinungsdiktatur, seit langem wähle er die AfD. Damit sei er nicht mehr allein. Und dann bricht es aus ihm raus: „Eine andere Zeit breche an, verkündet er triumphierend kurz vor der Bundestagswahl 2025. Sein Wunsch: Es muss Tabula rasa gemacht werden. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.“
Ein Stephan Büchner macht einen Vorschlag zur Migrationspolitik: „Es kann jeder kommen, und jeder kriegt drei Monate Zeit. Und in den drei Monaten kann er sich einen Job suchen. Wer das nicht geschafft hat, der fliegt wieder raus. Aber nicht mit Lufthansa und Polizeibegleitung, sondern die werden im Marsch über die Grenze begleitet und kriegen einen richtigen Tritt. Ja, einen Tritt, der so weh tut, dass er nicht wiederkommt!“
Nach einem Auslandsjahr kurz nach der Flüchtlingskrise kehrt eine Maria Kretschmar in die Heimat zurück und fühlt sich plötzlich fremd. „Die Straßen waren bevölkert von Menschen aus verschiedenen Kulturräumen, die sich, davon ist sie überzeugt, niemals deutsch fühlen werden. Ein Freund riet ihr, der das Selbstdenken doch eigentlich wichtig ist, die AfD zu wählen und das tut sie bis heute.“ Sie nimmt die Partei aber nicht als extrem wahr, sondern als liberal. Motto: „Jeder, wie er will.“ Seit der Pandemie ist ihr Vertrauen in die repräsentative Demokratie erodiert. Dass die AfD die Gesellschaft verändern könne, käme sie an die Regierung, sieht sie skeptisch. Die Welt sei chaotisch, die Menschen isoliert und einander fremd. „Es ist alles aus den Fugen geraten.“
Marihuana legalisiert-Geflüchtete lungern rum
Die angesprochenen Menschen vermischen vieles und sublimieren es unter den verschlechterten Lebensbedingungen: “ Erst schließt das Krankenhaus, und dann wird es in eine Flüchtlingsunterkunft umfunktioniert. Die Mieten explodieren, und dann wird für Geflüchtete eine Containersiedlung gebaut. Das Gesundheitsamt lehnt die Unterstützung für Pflegebedürftige ab, und dann beziehen Menschen mit Migrationshintergrund Unterstützungsleistungen. Die Straßen sind voller Löcher, und dann lungern Geflüchtete auf öffentlichen Plätzen herum. Man konnte viel Geld verdienen, und dann kommen Feministinnen und fordern Frauenrechte ein. Marihuana wird legalisiert, und dann wartet man Monate auf einen Facharzttermin.“ Das eine erfolgt aus dem anderen, so sehen diese Menschen das, die „weibliche Erwerbstätigkeit bringt das männliche Ernährermodell zum Einsturz, Geflüchtete unterminieren kulturelle Normalitätsannahmen.“
Mit moralischer Überlegenheit, so folgern die Autoren, komme man dem Faschismus nicht bei. Man schüttele den Kopf über die dummen Politiker der AfD oder die Lügen, die Trump in seinen Reden vorbringe. Man lache über Trump, wie er spricht, gestikuliert, wie schlecht sein Geschmack sei, sein protziges Angebertum mag grotesk wirken, aber die Kritik daran laufe ins Leere, weil viele Menschen sich eben in Politikern wie Trump wieder entdeckten, sie identifizierten sich mit Trump, wer sich über ihn lustig mache, mache sich auch über seine Wähler lustig, was wiederum die Bande zwischen ihnen eher verfestige denn schwäche. An Alice Weidel gefalle den AfD-Anhängern die „kalte Härte, die ohne Erbarmen exekutiert werden muss.“
Das Buch zeigt, so würdigte die Preis-Jury das Werk, „dass Gefährdung der Demokratie nicht nur von außen kommt, sondern aus uns selbst erwächst.“ Es fordere dazu auf, „sich den Selbstgefährdungen der Demokratie zu stellen und Verantwortung für die Gegenwart zu übernehmen.“ Und wie kann man die Menschen wieder für die Demokratie gewinnen? Jedenfalls reiche es nicht mehr aus, an die Vernunft zu appellieren und die guten Seiten der liberalen Demokratie zu beschwören. Es brauche vielmehr eine emotionale Ansprache und einen kraftvollen Antifaschismus. „Auch der Antifaschismus braucht ein geistiges Obdach. Etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt“. Den Schlusssatz haben sich die Autoren von Max Horkheimer ausgeliehen: „Wer aber vom Kapitalismus und vom Liberalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.“













