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Boris Palmer ist Palmer – Provokateur, Zündler, Wahlsieger

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
25. Oktober 2022
Boris Palmer

Bei Markus Lanz trug er einst einen Anzug, dessen Farbe Boris Palmer(50) als „ruhendes Grün“ bezeichnete. Als der Moderator nachfragte, weil ihn natürlich das mit dem ruhenden Grün irritierte, antwortete der Tübinger Oberbürgermeister: „Ruhendes Grün. Ich bin ja ruhendes Mitglied meiner Partei.“ Das ist er immer noch, auch nach seinem überzeugenden Wahlsieg bei der OB-Wahl in der Universitätsstadt Tübingen. Zum dritten Mal die absolute Mehrheit und das als unabhängiger Kandidat, der er war und ist, weil die Grünen ihn wegen einiger Unbotmäßigkeiten aus der Partei werfen wollten. Jetzt ruht seine Mitgliedschaft, was aber die Partei-Prominenz wie Robert Habeck und Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann nicht davon abhielten, dem Sieger zu gratulieren.

Palmer, das darf man sagen, ist ein Provokateur im grünen Gewand, der sich nicht einschüchtern lässt, wenn er meint, er müsste, wie in der Flüchtlingspolitik, seine eigenen Erklärungen abgeben. Dann sagt er das, komme wer wolle. „Wir können nicht allen helfen“, hat er gesagt und aufgeschrieben. Das kann man noch teilen, das andere wird dann schon mehr als problematisch, weil es populistisch ist, eher bei der AfD zu finden, was der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz kürzlich von sich gab. Dass Geflüchtete in die sozialen Systeme in Deutschland einwanderten, ein Satz, der vor Jahren schon mal aus der CSU-Spitze um Markus Söder zu hören war. Eine solche Sprache ist durchaus gefährlich, weil sie in Ausländerhass ausarten kann, und dass solche Diktion sehr zum Verdruß seiner grünen Freunde geschah, ist beinahe selbstverständlich. Aber das ist dem Boris Palmer ziemlich egal, er redet und greift die Sorgen der Menschen in Tübingen auf, gleich, was die in Berlin davon halten. Deshalb haben sie ihn gewählt und die anderen Kandidaten eben nicht. Auch die offizielle Kandidatin der Grünen nicht.

Ähnlich, beinahe verletzend seine bissigen Kommentare in der Corona-Politik. So kritisierte er die  Corona-Beschränkungen, weil damit Menschen gerettet würden, die sowieso bald tot wären. Eine kalte, ja menschenunwürdige Unverschämtheit, für die er sich später entschuldigte. 5000 Euro Strafgeld forderte er für Ungeimpfte, was Streit auslöste, aber auch Beifall. So ist er immer gewesen, so wird er bleiben. Zur Not auch als eine Art Hilfssheriff fungieren und einen Falschparker zur Anzeige bringen. Das ist Palmer, wie er leibt und lebt. Sanft und bequem wird der nie werden.

Eine Stadt berühmter Köpfe

Die Grünen werden ihn aushalten müssen, weil er andererseits eben viele Fans hat, nicht nur in Tübingen, dieser alten Universitätsstadt, mit der so viele berühmte Köpfe verbunden werden wie der SPD-Politiker, der frankophile Carlo Schmid, einer der Großen der ersten Bundestage nach dem verheerenden 2. Weltkrieg. Oder Walter Jens, der Philosoph. Oder die Nobelpreisträger Hans Albrecht Bethe, ein Physiker, Günter Blobel, ein Mediziner, Ferdinand Braun, ein Physiker, Eduard Buchner, ein Chemiker wie Adolf Butenandt, der Schriftsteller Hermann Hesse, der den Nobelpreis für Literatur erhielt, Hartmut Michel wurde als Chemiker mit dem Nobelpreis geehrt wie Christiane Nüsslein-Volhard, die den Preis für Physiologie und Medizin bekam, Georg Wittig, der Chemiker und Nobelpreisträger, Wilhelm Hauff, der Schriftsteller, Friedrich Hegel, Friedrich Hölderlin, Ludwig Uhland, der Dichter, ja diese gerade mal 90000 Menschen zählende Kleinstadt ist wahrhaft berühmt. Viele weitere Namen wären noch zu nennen im Zusammenhang mit Tübingen wie die Bundespräsidenten Roman Herzog und Horst Köhler.

Ich habe diese Namen zitiert, um die Bedeutung von Tübingen herauszustreichen. Dies ist schon ein besonderer Platz und wenn man dort wie Boris Palmer dreimal hintereinander die OB-Wahl gewinnt, dann ist das schon etwas Besonderes. Es lässt sich gut leben, liest man von Tübingern, die dort wohnen und sich ganz offensichtlich wohl fühlen. In 16 Jahren seiner Amtszeit hat dieser Palmer viele Arbeitsplätze geschaffen, das rechnen sie ihm genauso hoch an wie den Klimaschutz, den er in seiner Stadt vorangetrieben hat. Er hat Tübingen mit kreativen Ideen durch die Corona-Pandemie geleitet, wenn man das so sagen darf. Und deshalb mögen ihn die Kritiker einen Zündler und Provokateur schimpfen, seine Anhänger, und das sind viele, sehen in ihm fast einen Helden.

Vergleiche hinken. Und doch: Er ist nicht der männliche Sarah Wagenknecht, wie das jemand beschrieben hat, Palmer hat auch mit der AfD nichts am Hut. Und dass er so hoch und gleich im ersten Anlauf gewonnen hat, hat zwar die FAZ auf ihre Art ausgelegt, indem sie argumentierte, die CDU habe keinen eigenen Kandidaten aufgestellt und deshalb hätten CDU-Wähler den Oberbürgermeister als „ihren“ Kandidaten verstanden. So ähnlich wurde schon zu Zeiten von Helmut Schmidt kommentiert, den sahen Konservative mangels eigener Klasse-Persönlichkeiten gern als eigentlichen Mann der Union, was Schmidt selber bei aller Kritik belächelt hatte.

Große Ausstrahlung

Im Wahlkampf kämpfte Palmer allein, wissend, dass er sich auf seine Ausstrahlung verlassen kann. Allein zu kämpfen, das bewahrt einen Politiker auch vor Querschüssen. Auch die Grünen-Prominenz in Bund und Land hielt sich zurück über die Wochen, weil sie um die Beliebtheit und Anerkennung ihres ruhenden Parteimitglieds wusste und weiß, weshalb leidenschaftliche Appelle oder Aufrufe zugunsten der Spitzenkandidatin ausblieben. Der Sieger freilich, gewiss nicht uneitel, vergass in der Stunde seines Triumphes nicht zu erwähnen, dass er Kontakt gehabt habe mit dem Vizekanzler, was der Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck ist, und mit dem Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, was kein Geringerer ist als der Grünen-Politiker Winfried Kretschmann. Verkehrte Welt? Palmer wird sich wohl wieder eingliedern wollen in die Reihen der Grünen,  hat er doch angekündigt, wieder für die Partei werben zu wollen.

Die Grünen werden mit ihm leben, Palmer sich bewegen müssen. Über die Probleme der Integration offen zu reden, schonungslos die Schwachstellen zu nennen, um sie abzustellen, über Sicherheit und Wohnungsnot und schulische Bildung und Ausbildung, über Ängste zu diskutieren, das allerdings ist Pflicht, wenn man ernsthaft an Lösungen interessiert ist. Tabus und Denkblockaden helfen nicht weiter. Denn die Willkommenskultur, so schön das Wort klingt, hat auch Schattenseiten. Daran vorbeizuschauen, würde nur den Rechtspopulisten helfen. Das will einer wie Palmer nicht. In diesen schwierigen Zeiten, so verband Kretschmann seinen Glückwunsch mit einem Rat, sei es wichtig, die Menschen zusammenzuführen und nicht zuviel zu polarisieren. Was ja nicht bedeutet, dass er nur noch schweigen soll. „Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine.“ Zitierte Palmer Helmut Schmidt und der hatte den Spitznamen: Schmidt-Schnauze. Und war angesehen und auch nicht bequem.

Bildquelle: Foto Reinhard Kraasch, Lizenz: CC-BY-SA 4.0 DE, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons

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