Ich weiß, es klingt altmodisch, und doch bleibe ich dabei: Der 3. Oktober ist und bleibt für mich ein hoher Feiertag. Dazu gehört, dass mit diesem Tag der Wegfall der Mauer verbunden ist mit dem Todesstreifen und das Ende dieser SED-Diktatur. Dazu gehört in Ostberlin, Leipzig, Dresden, Rostock und in den Tälern der Ahnungslosen Presse- und Meinungsfreiheit, freie Wahlen, freies Reisen in alle Welt, das Ende der Stasi-Schikanen mit ihrer Abhör-Praxis. Wer das alles nicht glaubt oder nicht mehr wissen will, lese dazu das Interview in der „Süddeutschen Zeitung“ mit der Schauspielerin Claudia Wenzel, die in der Lutherstadt Wittenberg in der DDR aufwuchs und heute in Berlin-Charlottenburg lebt.
1989 ist lange her, 35 Jahre sind seitdem vergangen. Wir vergessen sehr schnell, was war und wie schlimm das war. Ich bin immer mal wieder in der DDR gewesen, zumeist beruflich, durfte mich umschauen in Weimar, Ostberlin, Dresden und anderswo, das Land war grau in grau, Farbe kannte man wohl nicht oder war nicht zu bekommen wie Bananen und Orangen. „Es war natürlich eine Mangelgesellschaft“, beschreibt Claudia Wenzel den Alltag ihrer Familie. „In der Mitte des Monats, bevor meine Eltern wieder ein neues Gehalt bekamen, gab es etwas weniger zu essen. Nur Butterbrote und Margarineschnitte.“ Und doch, so räumt Frau Menzel ein, „haben wir uns glücklich gefühlt. Wenn du so aufwächst, weißt du ja nicht, was es noch alles gibt.“
Vieles gab es nicht drüben, wie es aus unserer Sicht hieß. „Wenn du im Konsum einkaufen gingst, gab es eben nur bestimmte Lebensmittel. Schokolade und exotisches Obst waren etwas Besonderes“, so die Schauspielerin. „Das wurde wertgeschätzt. ich bin dankbar, dass ich auf diese Weise groß geworden bin. Weil ich weiß, in was für einem reichen und tollen Land wir heute leben.“
Ein besseres Deutschland gab es nie
In einem tollen Land leben wir. Sagt Claudia Wenzel. Ich sage das auch. Was nicht bedeutet, dass man bei uns in Deutschland manches nicht noch besser machen kann. Aber es ist das beste Deutschland, das es je gab, so frei und wohlhabend wie nie zuvor. Wir leben in einer Demokratie, die es zu verteidigen gilt gegen die Verfassungsfeinde. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hört nicht auf, an die Demokratinnen und Demokraten zu appellieren, für diesen Staat und dieses freiheitlich-demokratische System einzustehen, es zu verteidigen gegen Angriffe, gegen Versuche, es zu zerstören.
Gerade vor dem Hintergrund dessen, was wir in Amerika erleben, wo ein Präsident namens Trump dabei ist, die Demokratie zu schleifen und die USA in einen autoritären Staat zu verwandeln. Die Pressefreiheit in Amerika, einst gepriesen, ist in Gefahr, weil sie Trump missfällt, er mag keinen Widerspruch, keine Kritik. Er will die Vereinigten Staaten auf sich und seine Macht, wie er sie versteht, zuschneiden. Die unabhängige Justiz will er abschaffen, auf sein Kommando sollen sie alle hören. Diese Veränderungen, diese präsidiale Revolte dauert nicht mal ein Jahr und schon ist Amerika nicht mehr das, was es war. Er lässt Truppen in Städte einmarschieren, in denen es Proteste gibt. Der Präsident lässt die Soldaten gegen das eigene Volk aufmarschieren. Der ZDF-Chef von Washington muss mit einer Abberufung rechnen, er geht Trump nicht auf den Schleim. So weit sind wir, dass wir Washington unter Trump schon mit dem einstigen Ostberlin vergleichen. 1976 warf die DDR den ARD-Reporter Lothar Loewe raus. Loewe hatte die Schüsse auf Menschen an der innerdeutschen Grenze thematisiert und dies als „Schießbefehl“ bezeichnet. Wörtlich sagte er in seinem Fernsehbeitrag: „Hier in der DDR weiß jedes Kind, dass die Grenztruppen den strikten Befehl haben, auf Menschen wie auf Hasen zu schießen.“
Es gibt hier keine Zensur
Das, was es in der DDR gab, gibt es hier im vereinigten Deutschland nicht. Auch wenn der eine oder andere schwadroniert, hier dürfe man seine Meinung nicht äußern, liegt der Autor solcher Sätze daneben. Es gibt hier keine Zensur, niemand muss mit einer Gefängnisstrafe rechnen, wenn er sich über die Berliner Politik kritisch äußert, über den Kanzler Merz oder den Präsidenten Steinmeier. Wer anderes behauptet, lügt.
Das heißt nicht, dass hier alles in Ordnung sei. Die schlechten Umfragewerte für die SPD kommen nicht von ungefähr. Die Sozialdemokraten regieren ja in Berlin seit Jahren mit und sie trugen lange Jahre Verantwortung in NRW, wo sie aber abgestürzt sind und nicht wissen, wie sie wieder auf einen grünen Zweig kommen können. Sich kümmern um die kleinen Leute, das muss die SPD wieder lernen, die Probleme anpacken und den Menschen klarmachen, dass sie für sie da ist. In Duisburg hat es der OB Sören Link gemacht und die Leute haben ihn gewählt- trotz der Schwierigkeiten in der Stadt mit dem Thema Zuwanderung und vor allem dem Missbrauch des Bürgergelds.
Auch in Hamm hat der SPD-OB Marc Herter gezeigt, wie man eine Wahl gewinnen kann. Indem man für die Menschen da ist und eine Politik betreibt, damit die Stadt die familienfreundlichste werde im Land. Helfen und da sein für die Bürgerinnen und Bürger, ihnen zuhören und ihnen nicht pausenlos eigene Botschaften verkünden, denen die Menschen sowieso nicht trauen. Auch die Wahl in Gelsenkirchen hat der SPD Hinweise gegeben, wie man den Kampf gegen die AfD gewinnen kann. Daraus sollte man lernen können für die Zukunft. Übrigens: Dass die SPD und die CDU in Hagen die Stichwahlen gegen die AfD-Herausforderer für sich entscheiden konnten, heißt nicht, dass das Problem AfD gelöst ist.
AfD ein gesamtdeutsches Problem
Ja, die AfD ist ein gesamtdeutsches Problem, wobei man einräumen muss, dass ihr Einfluss in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern größer ist. In den neuen Bundesländern besteht die Gefahr, dass diese in weiten Teilen rechtsextremistische Partei bald so stark wird, dass man gegen sie nur schwer regieren kann. Warum das so ist, warum die Wut und Enttäuschung jenseits der Elbe so ausgewachsen ist auf die sogenannten Alt-Parteien, also CDU, SPD, die Grünen, die FDP, darüber gibt es viele Vermutungen, Erklärungen, Spekulationen. Niemand weiß es genau, warum so viele Wählerinnen und Wähler zwischen Schwerin und Dresden, zwischen Frankfurt-Oder und Magdeburg einer Partei die Stimme geben, die den Protest schürt, die Hass und Hetze verbreitet, die die Spaltung der Gesellschaft als oberstes Ziel hat, die aber über kein inhaltliches Konzept verfügt, aus dem hervorgehen würde, was denn eine AfD-geführte Regierung besser machen würde.
Außer: sie würde viele, sehr viele Migranten, Deutsche mit Migrationshintergrund des Landes verweisen wollen. Remigration nennt sie diese menschenunwürdige Politik. Und die AfD erweckt den Eindruck, dass mit einer erfolgten Remigration alle anderen Probleme gelöst wären. Was nicht stimmt. Käme es so, würden wir Millionen von Migranten in ihre Heimat zurückschicken, notfalls mit Gewalt, wie es die AfD auch schon gesagt hat, das Leben in Deutschland käme zum Erliegen. Nichts würde mehr funktionieren.
Der Prozess des Zusammenwachsens, erklärt Claudia Wenzel in der SZ, hätte besser gemacht werden müssen. „Wie kann es sein, dass die Menschen im Osten im Jahresgehalt immer noch 20 Prozent weniger verdienen?“ 35 Jahre nach der Wiedervereinigung. „Wie kann es sein, dass in Führungspositionen nur zwölf Prozent Ostdeutsche sitzen? Wir hatten das große Glück, 1989 mit einer friedlichen Revolution wieder als Land zusammen zu kommen. Aber man hätte es mehr gemeinsam meistern müssen. Dass den Ostdeutschen alles vorgeschrieben wurde und dass Biografien zerstört wurden, weil man viele Menschen nicht weiterbeschäftigt oder besserwisserisch -,belehrt hat, das belastet uns bis heute.“
Natürlich gibt es die von Helmut Kohl einst beschworenen blühenden Landschaften, man denke an Görlitz, an Dresden, an Leipzig, alles renoviert, wunderschön. Man denke an Berlin Prenzlauer Berg, da haben wir ein paar Jahre gewohnt, Bruchbuden zur Zeit der Einheit, längst Schmuckstücke, wenngleich oft im Besitz von Menschen aus Hamburg oder Stuttgart. Die Ostdeutschen hatten damals kaum Ersparnisse, bekamen kaum Kredite. Ein Ärgernis für Ostdeutsche bis heute.
Mit Kerzen gegen Waffen
Claudia Menzel erinnert in dem lesenswerten SZ-Interview an die entscheidende Montags-Demonstration in Leipzig 1989. Die Stadt „war ab Mittag abgesperrt, die Betriebe wurden geschlossen, und es wurde Panik in der Stadt verbreitet. Es wurde gesagt: Heute findet eine schlimme Demonstration statt, geht bloß nicht hin, die schießen. Ich bin dann aus meinem Haus raus und sah, wie trotzdem überall die Türen aufgingen und alle Richtung Nicolai-Kirche liefen… Und dann kommst Du zur Kirche und da stehen 20000 Menschen. Da ist mir ein Stein vom Herzen gefallen, und es wurden immer mehr Demonstranten. Ich dachte: Auf 70000 können sie nicht schießen.“ So war es und die bewaffnete Stasi und Berufskampfgruppen, Tausende und Abertausende mussten mit ihren Waffen tatenlos den Demonstranten zuschauen, die nur Kerzen in ihren Händen hielten.
„Ein Glückstag“ sei die Wiedervereinigung für sie persönlich gewesen, betont Claudia Wenzel. Wie für viele. Kritikern könnte man Claudia Wenzels Hinweis vorhalten. „Manchmal denke ich, wenn ich in NRW bin, dass man jetzt den Soli für den Westen erheben müsste.“ Städte wie Duisburg, Gelsenkirchen, Oberhausen, Herne und Hagen könnten ihn gut gebrauchen. Wer es nicht glaubt, möge mal ins Ruhrgebiet fahren. Aber das ist die andere Seite der Einheits-Medaille.
Bildquelle: Wikipedia, Migra, CC BY-SA 3.0














03.10.2025
DEUTSCHLAND EINIG VATERLAND
Gut, dass es so gekommen ist.
Es wurden blühende Landschaften versprochen, die auch umfangreich vorhanden sind.
Aber einig sind viele Bürger sich nicht, über die gegenwärtige politische Entwicklung.
„Deutschland soll in Europa die modernste Armee konventionell erhalten,
Deutschland soll bewaffnet sein bis unter die Zähne“, der Rüstungshaushalt soll unbegrenzt sein“,
so der aktuelle Bundeskanzler.
Das sind doch keine Ziele mit Vernunft mehr.
2001 wurde weltweit mit Russland eine Abrüstung eingeleitet. Über diese neue Friedenssituation waren viele Menschen froh. Aber wo sind wir jetzt gelandet?
Mir persönlich gefällt, dass der Text nicht in Überheblichkeit endet, sondern auch acknowledges, dass noch vieles nicht perfekt ist – z. B. Ungleichheiten zwischen Ost und West oder neue Bedrohungen für die Demokratie.