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Der lächelnde Aufsteiger Wüst – Machtwandler und/oder Karrierist

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
28. Juli 2023
Hendrik Wüst als NRW-Verkehrsminister unter Armin Laschet

Wenn man Hendrik Wüst manchmal beobachtet oder reden hört wie vor einigen Wochen im Duisburger Stahlwerk, mag man ihm die sanfte, ja kitschige Tour kaum abnehmen. Gerade hatte ihn ein Betriebsrat vor Tausenden Stahlkochern gelobt, weil NRW im Jahr zuvor 700 Millionen Euro für den Umbau des Stahlwerks hin zu klimaneutralem grünen Stahl locker gemacht hatte, und dann hatte der Betriebsrat dem Ministerpräsidenten noch zugebrüllt, „dafür habe ich ihm ein Herz aus Stahl geschenkt. Das hat er auf seinem Schreibtisch.“ Eine Vorlage für den CDU-Politiker, der die Buhrufe aus den vielen Kehlen der Arbeiter konterte: „Die Landesregierung steht an Eurer Seite.“ Was denen wenig imponierte, aber dann wandelte sich der smarte Polit-Manager zum Malocher-Freund und griff das mit dem Herz aus Stahl gern auf: „Das steht genau neben den Fotos der Familie und dem Kreuz aus dem Heiligen Land.“ Und er fügte im schmeichelnd klingenden Ton hinzu, es könne „Momente geben im Leben eines Ministerpräsidenten, wo man so viel im Kopp hat, dass man nicht mehr weiß, was wichtig ist.“ Dann blicke er auf Frau und Tochter, auf Kreuz und Stahlherz. Die würden ihm dann den Weg weisen. (Zitiert nach dem Bericht in der SZ „Der Pragmatiker“) Soll man weinen bei solchem Schwulst?

Den Weg weisen, auf Frau und Tochter blicken, die er auch schon mal mit zum Landtag nahm, als er zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Welch schönes Foto für die Öffentlichkeit, das macht sich gut. Der Familienmann Wüst, der sanfte, der dann in Duisburg zum Arbeiterführer mutierte, wie die SZ den Moment schilderte. Wüst „ballt die linke Faust, reckt den Arm zum Himmel und verheißt: „Damit Deutschland stark bleibt, muss der Stahl stark bleiben!“ Wie ein Wumms sollte das klingen. Wüst, der Politiker, der auf die Performance aus ist, seine eigene Darstellung. Er will Wirkung erzielen. Ich bin einer von Euch.

Hendrik Wüst ist in der Erfolgsspur. Wer ihn von früher her kennt ober über ihn Geschichten gehört hat, über den Rauflustigen, als er noch Generalsekretär der CDU in NRW war, ein konservativer Rabauke(SZ), ungestüm, über den möchte man eigentlich die früheren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mal fragen, wie er denn wirklich war. Damals. Angenehm oder aufdringlich? Fordernd oder fördernd? Sozial oder egoistisch? Sein damaliger Chef, Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, CDU-NRW-Chef, jedenfalls nahm ihn nicht länger hin, der Generalsekretär, Erfinder der umstrittenen Rent-a-Rüttgers-Idee, musste gehen. Seine Laufbahn schien vorbei.

„Ich bin der Arbeiterführer“

Doch dann folgte Rüttgers schneller Abgang als Ministerpräsident, nach gerade einer Legislaturperiode. Auch Rüttgers hatte sich gebrüstet, „ich bin der Arbeiterführer“. Sehr zum Ärger der SPD im Ruhrgebiet, was damals noch Herzland der Genossen war.  Und plötzlich, so schnell wie er aufgestiegen war, folgte die Ablösung durch die Sozialdemokratin Hannelore Kraft, gegen die Wüst und Co im Wahlkampf ziemlich gepöbelt hatten. Die SPD-Ministerpräsidentin aus Mülheim hielt sich nur ein paar Jahre und scheiterte auch, weil sie den mit dem NRW-Regierungsamt verbundenen bundesweiten Machtanspruch ohne Not von sich gewiesen hatte. Sie werde „nie, nie Kanzlerkandidatin der SPD“, schwor sie fast und hatte damit das frühzeitige Ende ihrer politischen Karriere vorgezeichnet. Aber sie hatte, wie sie gestand, als alles vorbei war, ihr Leben zurück. Politiker-Schicksal. 

Ausgerechnet  Armin Laschet, den viele für einen Verlierer hielten,  löste sie ab, und der holte Hendrik Wüst zurück in die Regierung, Wüst wurde Verkehrsminister. Nicht, dass er dort besonders auffiel, aber er machte auch nicht viel. Der Verkehrsminister hätte sich zum Beispiel um die Autobahn-Brücken kümmern müssen, auch um die auf der Sauerlandlinie bei Lüdenscheid, die dann später für untauglich erklärt, gesperrt und inzwischen abgerissen wurde. Die heutige Opposition kritisiert ihn dafür, Wüst wird es, wie wir ihn kennen, überleben. Wie er anderes zuvor auch überstanden hat und Laschet beerben konnte, weil der unbedingt CDU-Chef werden wollte und Bundeskanzler. Das Ende der Geschichte von Laschet ist bekannt, er ist nur noch einfaches Mitglied der CDU-Bundestagsfraktion in Berlin.   Es hatte ihm nichts geholfen, dass man ein Doppel-Interview mit ihm und Gerhard Schröder, dem SPD-Altkanzler, organisiert und Schröder dem CDU-Herausforderer Kanzler-Tauglichkeit bescheinigt hatte. Begründung: Wer NRW-Ministerpräsident kann, kann auch Bundeskanzler. So kann man sich täuschen.

„Hendrik Wüst gewinnt. Immerfort, seit fast zwei Jahren.“ Urteilt der NRW-Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“. Gemeint damit ist, dass der „geschmeidige Jurist aus dem Örtchen Rhede-19300 Einwohner- im Münsterland“ das Ministerpräsidentenamt von Laschet übernahm. Nicht alle aus der CDU wollten ihn, sein Glück, dass Herbert Reul, der beliebte Innenminister, damals kein Landtags-Mandat hatte und somit nicht antreten konnte. NRW, ein einflussreiches Land, das bevölkerungsreichste im Bund und die NRW-CDU ist die mitgliederstärkste in der Bundes-CDU. Bei Wahlen auf Parteitagen redet sie mit. Wen sie ablehnt, der hat schlechte Karten, wen sie unterstützt, der darf sich Hoffnungen machen auf höhere Weihen. Und Hendrik Wüst redet seither nicht nur in der Länder-Kammer ein wichtiges Wörtchen mit, sondern auch als CDU-Landeschef.  Pikant ist, dass auch der Bundesvorsitzende der CDU, der zugleich Fraktionschef der Union im Bundestag in Berlin ist, Friedrich Merz, aus NRW kommt, aus dem Sauerland. 

Merz und Wüst. Parteifreunde. Nun wissen wir, dass das so eine besondere Sache sein kann mit Parteifreunden. Seit Konrad Adenauer kennen wir den Kalauer: Freund-Feind-Parteifreund. Und es ist kaum zu glauben, dass die beiden sich in inniger Freundschaft verbunden fühlen. Beide, Wüst und Merz, sind ehrgeizig. Dem Partei- und Fraktionschef Merz würde man qua Amt den ersten Zugriff auf die Kanzlerkandidatur zubilligen-wenn seine Kandidatur gegen den amtierenden SPD-Kanzler Olaf Scholz erfolgversprechend ist. Aber, Vorsicht, da ist noch Wüst, der NRW-Chef der CDU. Wer beliebter ist in der Union? Jedenfalls nicht Merz.  Und dieser Merz hat natürlich die Antwort von Wüst auf die Frage nach seiner, also Wüsts  Zukunft mitbekommen: „Meine Aufgaben liegen aktuell in Nordrhein-Westfalen.“ Aktuell, hat Wüst  eingeschränkt. Das ist kein Zufall, sondern gewollt. Merz hat das als Spitze gegen sich und seine eigenen Ambitionen angesehen.

Und natürlich rangeln die beiden jetzt schon um die Meinungs-Vorherrschaft in der Union. Wenn Merz betont, der Hauptgegner der CDU seien im Wahlkampf die Grünen, muss das einen wie Wüst herausfordern, der in NRW mit den Grünen regiert. Ohne die Grünen keine Macht-Option für die CDU im Bund. Die FDP ist viel zu schwach. Und  übrigens verdanken auch andere CDU-Ministerpräsidenten ihr Amt der Allianz mit den Grünen, so in Schleswig-Holstein und Hessen. Nicht vergessen darf man hier, dass der Grünen-Regierungschef von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, in Stuttgart mit der CDU regiert. Und die CDU im Ländle gehört zu den einflussreichsten Landesverbänden der Union. Man geht sicher nicht zu weit, wenn man Kretschmann eher in die Nähe der CDU rückt als der SPD. Man muss in Baden-Württemberg die weitere Entwicklung abwarten, weil der 75jährige Kretschmann im Laufe der Legislaturperiode den Stab des Ministerpräsidenten an einen jüngeren Grünen weitergeben will und soll. Der amtierende Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir(57) gilt als möglicher Nachfolger. Anders verhält sich die Lage in Bayern, wo Ministerpräsident Markus Söder(CSU) mit den Freien Wählern regiert und das auch nach der Landtagswahl im Freistaat fortsetzen will. Söder hat sich wie Merz gegen die Grünen positioniert. Aber Söder gilt wie Wüst als ein Politiker, der sich immer wieder neu erfindet- wenn es die Lage erfordert.

Er macht nichts, aber dies geschickt

Hendrik Wüst macht nichts, aber dies sehr geschickt. Eine Polemik, mit der man die Kritik der SPD-Opposition im Düsseldorfer Landtag zusammenfassen kann. Richtig daran ist, dass seine Regierungs-Bilanz bis jetzt sehr bescheiden ist. Manches liest sich auf dem Papier wie ein Aufbruch. Wenn dahinter auch kaum mehr als PR-Arbeit steht, darf sich der CDU-Frontmann in NRW nicht wundern, dass der Spruch auf seinem T-Shirt „Stillstand hat noch nie was bewegt“ auf ihn zurückfällt. NRW zur ersten klimaneutralen Industrie-Region Europas machen- klingt gut. Aber wenn man genauer hinschaut, wie diese Transformation gelingen soll, ist es mehr heiße Luft. Die SZ nennt ein Beispiel: Das Protestdorf Lützerath im Braunkohlerevier sei zwar weggebaggert, die neuen Jobs nach dem Braunkohle-Ausstieg 2030 jedoch fehlten. Der Bau neuer Windräder verlaufe nur schleppend. Und Europas größtes Stahlwerk in Duisburg- Kulisse für Wüsts Auftritt und Versprechen- sei weder gerettet noch ergrünt. Fazit der SZ:“NRW bleibt Labor, kein Modell.“

„Machtwandler“ heißt das Buch der Korrespondenten Tobias Blasius(Funke Mediengruppe) und Moritz Küpper(Deutschlandfunk), das Ende September/Anfang Oktober auf den Markt kommt. (Die beiden Autoren haben vor Jahren das sehr gute, informative Buch über Armin Laschet geschrieben.) Im Klappentext findet sich Näheres zu dem möglichen Kanzlerkandidaten der Union.  „Hendrik Wüst ist ein Wandlungskünstler der Macht. Der NRW-Ministerpräsident schafft es immer wieder, ein neues öffentliches Bild von sich zu entwerfen. Er startet als schneidiger Jungunionist, macht Karriere als rechter Hardliner, erfindet sich als Mann des CDU-Wirtschaftsflügels neu und erklimmt die Spitze schließlich im Gewand des sanften Konservativen mit schwarz-grüner Agenda.“ Wüst sei zwar nie Liebling der Partei gewesen, zähle aber gleichwohl zur „smarten Führungsreserve der Union, der man die Kanzlerkandidatur zutraut. Wie macht er das? Was ist echt an ihm?“

Ja, was ist echt an Hendrik Wüst? In der FAZ hat der mögliche Kandidat vor Wochen zur Position der CDU geschrieben, was nicht ohne Aufmerksamkeit im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin blieb: Die CDU sei stark, wenn sie Gegensätze versöhne, Spaltung überwinde, Ausgleich schaffe. Sie müsse auch künftig Stabilitätsanker der Mitte sein. Das kann man als Kritik an Merz deuten, zumindest als Formulierung, um sich abzuheben vom Sauerländer. Wüst ist einer, der um Kontrolle bemüht ist, Polarisierung vermeidet, der nie Sätze sagen würde wie Merz  mit den kleinen Paschas, der auch im Zusammenhang mit Ukraine-Flüchtlingen nicht von Sozialtourismus reden würde. Sondern Folgendes herausstellt: „Das sind unsere Kinder, diese Kinder sind unsere Zukunft- andere haben wir nicht“. Klingt etwas pastoral. 

Er legt sich nicht fest

Wüst legt sich nicht fest, er ist der Mann für viele Fälle. Für alle Flügel. Er drängelt nicht, hält sich oft zurück, überlässt die möglichen Fehler den Ministerinnen und Ministern. Eine Linie erkennt man bei ihm nicht, was Angriffe des politischen Gegners erschwert. Lieber ist er auf Bilder aus mit seinem Parteikollegen in Kiel, Daniel Günther, der ihn einen der „wichtigsten Köpfe der CDU“ nennt. Oder er trifft sich mit Söder in Bayern unter blauem Himmel. Das macht sich gut. Dann verleiht er Angela Merkel eine Orden, das freut die immer noch zahlreiche Fan-Gemeinde der Dauer-Kanzlerin, und wird Friedrich Merz sicher nicht freuen. Aber den vergisst ein Hendrik Wüst auch nicht und begrüßt den „lieben Friedrich“ auf dem NRW-Sommerfest in Berlin und gibt bei Gelegenheit dem „lieben Friedrich“ Recht, oder er fügt irgendwo hinzu: „Das sehe ich genauso“. Nein, mit dem lieben Friedrich wird er aktuell keinen Streit führen, das mit dem Kanzlerkandidaten kommt später und wer weiß, ob sich Merz nicht irgendwann selber abschießt. Wenn er wieder mal ungeduldig nach vorn prescht.

„Das Herz der CDU schlägt in der Mitte“. So der Titel eines Aufsatzes von Hendrik Wüst in der FAZ, dem Leib- und Magenblatt eines jeden Konservativen. In derselben FAZ hatte einst auch Angela Merkel einen Aufmacher geschrieben und betont, dass die Ära von Helmut Kohl beendet sei. Der Altkanzler war sauer, aber das Sagen in der CDU hatte Merkel. Wüst weiß also, wo man Zeichen setzen muss für seine politische Zukunft.  Die Kritik der NRW-SPD perlt an ihm ab, Wüst regiere das Land im Schlafwagen, er gestalte nicht. Will er wohl auch nicht, zumindest nicht aktuell. Weil er keine Fehler machen will, wartet er lieber ab. Aber er wäre da, wenn man ihn ruft. Aus Berlin. Wüst wäre dann 50 Jahre alt. Helmut Kohl war bei seiner Wahl 52, Angela Merkel 51 und Gerhard Schröder war 54, als er ins Kanzleramt zog.

Bildquelle: Wikipedia, Originalbild wurde verändert, Original © Raimond Spekking

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