Die Blamage um die kurzfristig abgesetzte Wahl der Verfassungsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf (54) hat in Berlin eine heftige Debatte ausgelöst: Um die mangelnde Autorität von CDU-Kanzler Friedrich Merz und die missratene Performance von Unions-Fraktionschef Jens Spahn. Die viel wichtigere Frage aber wird dabei weitgehend ausgeblendet: Wie weit haben rechte und ultrarechte Influencer den Berliner Politikbetrieb bereits im Griff?
Im Normalfall geht die Wahl von neuen Verfassungsrichtern und -richterinnen fast geräuschlos über die Bühne. Und weil die 16 Juristinnen und Juristen am höchsten deutschen Gericht ja auch politisch denkende Menschen sind und auch sein sollten, ist der eine Richter in Karlsruhe halt eher etwas konservativer bzw. rechts orientiert, die andere Richterin eher liberal bzw. links. Das hat die breite Öffentlichkeit bislang wenig gestört – in Umfragen genießt das Verfassungsgericht bei den Bürgern stets hohes Ansehen. Jedenfalls ein deutlich höheres als die Parteien und sogar als der Parlament, das die höchsten Richterinnen und Richter bestimmen muss.
Mit der Nicht-Wahl der von der SPD vorgeschlagenen Potsdamer Verfassungsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf hat sich das dramatisch verändert. Schon im Vorfeld grummelte es gewaltig. In den rechten und rechtsextremen Foren wurde seit längerem massiv Front gemacht gegen die angeblich „linksradikale“ 54-Jährige. Und auch konservativ-klerikale Kirchenkreise mischten sich ein. Brosius-Gersdorf wurden ihre liberalen Ansichten zum Abtreibungsrecht vorgeworfen – teils mit schlimmen Lügen und Verdrehungen. So wurde behauptet, die Juristin fordere die Straffreiheit der Abtreibung bis zur Geburt – eine widerliche Unterstellung.
Hinzu kamen Äußerungen von Brosius-Gersdorf zu den Trigger-Themen der Rechten: Zur Kopftuch-Frage für Juristinnen, zur Impfpflicht in der Pandemie, zur Frauenquote in den Parteien und zum AfD-Verbotsverfahren. All das reizte rechte und extremistische Kreise offenbar bis aufs Blut. Eine regelrechte Hetzkampagne gegen die Juristin entbrannte. Natürlich zündelten die Rechtsextremen der AfD genüsslich mit und entfachten das Feuer immer stärker.
Irgendwann erreichte die „Diskussion“ auch die bürgerliche Presse. Hier wurde dann offenbar gedankenlos der Begriff „umstrittene Juristin“ für Brosius-Gersdorf gesetzt. „Umstritten“ – warum umstritten? Da hatte das rechte Narrativ offensichtlich schon verfangen. Warum schrieb die Presse nicht: „die von ultrarechten Kreisen diffamierte Juristin“?
Die demokratische Mitte wankt
Wie nun sollte und könnte die so viel beschworene „demokratische Mitte“ in der Politik auf solche gezielten Hasskampagnen reagieren? Unabhängig davon, ob man nun jede einzelne der Positionen von Brosius-Gersdorf unterstützt, gilt es doch festzuhalten: Diese höchst anerkannte Juristin steht fest auf dem Boden des Grundgesetzes, ihre Ansichten sind – von Fachleuten unbestritten – legitimer Bestandteil des juristischen Diskurses. Brosius-Gersdorf ist weder eine Exotin noch eine Extremistin in ihrem Fach. Es wäre also angebracht, wenn sich diese „demokratische Mitte“ schützend gegen die von Ultrarechts attackierte Frau stellen würde. Mehr noch: Es ist die verdammte Pflicht eines jeden Demokraten, andere Demokraten gegen den Hass und die Diffamierungen der Demokratie-Feinde zu verteidigen. Man kann Brosius-Gersdorf nur Mut und Kraft wünschen, ihre Kandidatur aufrecht zu erhalten. Und von der SPD muss man genügend Rückgrat fordern, zu ihrer Wahl zu stehen.
Doch was passiert? Namhafte Teile der Unions-Fraktion stellten sich offenbar auf die Seite der Hassprediger, übernahmen deren Argumente und verweigerten ihrem Kanzler Merz und ihrem mal wieder überforderten Fraktionschef Spahn die Gefolgschaft. Die beiden hatten nämlich ihrem Koalitionspartner SPD die Zustimmung zur Wahl Brosius-Gersdorfs zugesichert, zumal auch sie als Union gleichzeitig die Zustimmung der SPD für einen von Konservativen favorisierten Kandidaten erwarteten.
Was für eine Blamage für Merz – und vor allem für Spahn! Die SPD reagierte zornig und nur die Koalitions-Disziplin zwang viele Abgeordnete, sich in der Wortwahl zu zügeln. Und was für ein Super-Thema für die Journalisten in der Berliner Blase! Der angeschlagene Kanzler, der Versager Spahn, die zerzauste Koalition. In solchen Themen baden die Hauptstadt-Journalisten und -Journalistinnen allzu gern.
Nur am Rande wird seit dem Debakel indes ein anderes Thema diskutiert. Der AfD und ihren rechtsextremen Helfershelfern ist es wieder einmal gelungen, mit Hass und Lügen ein Thema an sich zu reißen. Dass dabei eine Frau zum Opfer der Macho-Ideologen wurde, ist sicherlich kein Zufall. Frau, selbstbewusst, intelligent und linksliberal – das ist das Feindbild der Faschisten. Die eigentliche demokratische Schande aber ist, dass sich Teile der Union an dieser Demontage der Demokratie beteiligen.
Hat die Union nicht verstanden, was die AfD hier inszeniert? Die Frage der Richterwahl war längst zum Experiment für die Rechtsextremen geworden: Wie erfolgreich kann eine Lügen- und Propaganda-Schlacht in einer solchen Einzelfrage werden?
Warum also fiel die rechte Propaganda bei der Union auf fruchtbaren Boden? Aus Naivität, weil man die Taktik der Extremisten nicht durchschaute? Diese Interpretation erscheint dann doch verharmlosend. Viel wahrscheinlicher ist, dass der von rechts seit langem geführte Kulturkampf gegen alles Liberale und Linke in Teilen der Union längst seine Anhänger hat. So mancher mag sich denken: Endlich kann man es dem ganzen links-grünen Gesocks mal so richtig zeigen. Hatte CDU-Chef Merz nicht noch im Wahlkampf gegen „grüne und linke Spinner“ gehetzt. Und laut posaunt: „LInks ist vorbei!“ Zudem steht so mancher in der Unions-Fraktion der Gedankenwelt der rechtsextremen AfD sicherlich näher als der der SPD. Ob der Rechtskonservative Jens Spahn dabei der Richtige ist, diese gefährliche Entwicklung einzudämmen, erscheint mehr als fraglich. Macht man da mit Spahn nicht eher einen Brandstifter zum Feuerwehrmann?
Die gescheiterte Richter*innen-Wahl ist ein jedenfalls böses Omen. Die AfD triumphiert. Ihr und ihren Hilfstruppen ist es mal wieder gelungen, mit ihrer verlogenen Propaganda eine Bresche ins demokratische Lager zu schlagen. Die Reaktion in der Unions-Fraktion wird die Faschisten ermutigen, diese infame Taktik schon bei nächster Gelegenheit wieder anzuwenden. Das ist – weit über Merz und Spahn hinaus – eine bittere Lehre aus der Causa Brosius-Gersdorf.
Die viel beschworene demokratische Mitte, sie wankt bedenklich.
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