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Die SPD in NRW taumelt – wie lange noch?

Lutz Heuken Von Lutz Heuken
15. September 2025
SPD-Wahlplakat auf dem Boden

Wer es wohlwollend meint mit der „guten alten Tante SPD“, der wird das Kommunalwahl-Ergebnis in NRW vom Sonntag so interpretieren: Da sind die Sozialdemokraten ja noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen. Oder mit zweien. Das Resultat sei schlecht, interpretierte die SPD-Chefin und bekennende Duisburgerin Bärbel Bas in ihrer Heimatstadt, aber es sei „kein Desaster“. Mit Verlaub: Eine solche Sichtweise der sonst so taffen Bärbel Bas ist dann doch sehr blauäugig.

Aufs gesamte Bundesland gerechnet holte die CDU 33,3 Prozent (-1,0), die SPD 22,1 Prozent (-2,2), die Grünen kamen auf 13,5 Prozent (-6,5). Während das für CDU und SPD das jeweils schlechteste Ergebnis bei eine Kommunalwahl seit der Gründung des Landes NRW im Jahre 1946 war, bejubelte die rechtsextreme AfD an Rhein und Ruhr eine Verdreifachung ihres Stimmenanteils: Die Partei kam auf 14,5 Prozent (+9,4).

Und so fiel denn auch der triumphierende Jubel von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst über den klaren Wahlsieg seiner CDU für Außenstehende eine Nummer zu groß aus. Angesichts des Vormarsches der Extremisten kann sich auch die Union nicht zufrieden zurücklehnen. Und die Aussagen von Bärbel Bas lassen sich nur so erklären, dass viele Genossinnen und Genossen vor allem im Ruhrgebiet ein noch schlechteres Ergebnis befürchtet hatten.

Die Lehren aus der Wahl

Was lehrt uns die Kommunalwahl in NRW, die ein erster bedeutender Stimmungstest nach der Bundestagswahl von Februar war:

  1. Hendrik Wüst, der immer noch so wirken will wie der stets freundliche Schwiegersohn, wurde in der langen Wahlnacht nicht müde, seinen „Kurs der Mitte“ in der Union zu loben. Das war natürlich – hinter freundlicher Fassade – ein Tritt vors Schienbein gegen all die Rechtsausleger in CDU und CSU, die ihre Parteien deutlich weiter in der erzkonservativen Ecke positionieren wollen. Denn mit einem hat Wüst ja recht: Er hat sich wie kaum ein anderer Christdemokrat von der AfD distanziert. Und damit durchaus begrenzten Erfolg. Er hat sie als „Nazipartei“ bezeichnet – selbst die meisten Sozialdemokraten trauen sich das nicht. Für seinen relativ liberalen Kurs ist Wüst namentlich vom bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Boss Markus Söder immer wieder unverhohlen und bösartig mit Häme überschüttet worden. Nun also war es Zeit für Rache. Mit seinem Kurs habe er es geschafft, die NRW-CDU rund 10 Prozentpunkte über dem derzeitigen Bundestrend zu positionieren, sagte Wüst in jedes Reporter-Mikrofon. Diesen Seitenhieb hat sicherlich nicht nur der Macho aus München verstanden, auch Kanzler und  CDU-Chef Friedrich Merz wird das als offene Kampfansage seines angeblichen Freundes aus Düsseldorf deuten. Denn was Wüst da sagt, ist nichts weniger als eine offene Auseinandersetzung um den künftigen Kurs der Union. Sollen CSU und CDU weiter die Parolen der AfD – etwa in der Migranten- oder Sozialpolitik – kopieren oder soll man besser klare Kante zeigen gegen die Faschisten? Wüst, der mit seiner schwarz-grünen Koalition NRW fast geräuschlos regiert, sieht sich bestätigt. Der nette Herr stellt Machtansprüche.
  2. Der SPD ist es wieder nicht gelungen, ihren Verfall zu stoppen. Man muss es so klar sagen: Wenn die Sozialdemokraten nicht bald eine Wende schaffen, kämpfen sie in absehbarer Zeit um ihre blanke Existenz. Im Ruhrgebiet, in dem die Partei in den 80er Jahren noch Ergebnisse von mehr als 75 (!) Prozent einfuhr, ist die SPD jetzt schon froh, wenn sie es bei der Kür der Oberbürgermeister*innen in die Stichwahl schafft. Vor allem in den Stadtteilen, in denen nach jahrelangem Verfall der Schmutz und das Elend für jeden sichtbar sind, wurde die SPD brutal abgestraft. Zu lange hat sie hier weggeschaut oder die offensichtlichen Probleme mit Armut und Migration kleingeredet. Dabei zeigt sich doch: In Städten wie Duisburg oder Herne, in denen die SPD-Oberbürgermeister Klartext sprechen und Probleme angehen, genießen sie noch deutlich mehr Zustimmung bei den Wähler*innen als ihre Partei. Wo Schrott-Immobilien stehen, wo Müllberge auf der Straße liegen und Jugend-Gangs Angst verbreiten, da erwarten die Bürger pragmatische Lösungen und keine Theorie-Debatten. Das alles hat nichts mit Rassismus zu tun – asoziales Verhalten gibt es in allen Bevölkerungsschichten. Es gilt, den Staat, die Kommune, als handlungs- und auch durchsetzungsfähig zu zeigen. Ja, natürlich mit Sozialpolitik und Pädagogik, aber notfalls auch mit dem deutlichen Hinweis auf Regeln und Gesetze.
  3. Die Grünen wurden bei dieser Wahl heftig abgestraft – weniger in den ärmeren Vierteln der Städte, in denen sie schon vorher stets schlecht abgeschnitten hatten, als vielmehr von ihrer vermeintlichen Klientel. Offenbar hat das permanente Getrommel von Konservativen und Springer-Presse gegen jeden Umweltschutz, gegen Wärmepumpe und Verkehrswende sowie – natürlich – gegen Vegetarier und andere „Weicheier“, bei Teilen der relativ wohlhabenden Grünen-Wähler verfangen. Für diese Gruppen gilt: Solange es chic ist, wählt man die Öko-Partei, wenn sich der Wind aber wie in den vergangenen Jahren dreht, dann wendet man sich auch ganz schnell wieder ab. Da ist einem die kulturell begründete Foto-Safari in Südafrika dann doch wichtiger als irgendwelche Umweltbedenken.
  4. Der eigentliche Wahlsieger vom Sonntag ist die AfD – auch wenn sich die Rechtsextremen in ihrem Größenwahn sicherlich noch bessere Ergebnisse erträumt hatten. Dass die Partei keinerlei Lösungen für die dringendsten Probleme aufzeigen kann, dass sie im Kommunal-Wahlkampf ihre zumeist drittklassigen Kandidat*innen versteckt hat, dass sie in den Städten kaum zu sehen ist, dass sie stattdessen im Netz Hass und Hetze verbreitet – all das scheint viele Wähler*innen nicht abzuschrecken. In Gelsenkirchen und Duisburg, den „Armenhäusern“ des Ruhrgebiets, wählte fast jeder oder jede Dritte die  „Nazi-Partei“. In beiden Städten schafften es die AfD-Kandidaten in die Stichwahl um den  Oberbürgermeister*innen-Posten. Nur ganz knapp landeten die Extremisten bei der Ratswahl in Gelsenkirchen mit 29,9 Prozent hinter der SPD, die 30,4 Prozent erreichte. Immerhin blieb den Sozialdemokraten damit die Schmach der Bundestagswahl erspart: Im Februar wurde die AfD in Gelsenkirchen stärkste Partei – das gelang den Extremisten in Westdeutschland sonst nur noch im ebenfalls verarmten Kaiserslautern. Gelsenkirchen lockte mit diesem Grusel-Ergebnis plötzlich Heerscharen von Journalisten aus ganz Deutschland an wie sonst nur ein Taylor-Swift-Auftritt in der Schalke-Arena. Geschichte voller Klıschees mit „datt“ und „watt’’ aus dem darbenden Ruhrpott lassen sich halt gut verkaufen.

Und nun? Ein „Weiter so!“ dürfe es nach dieser Wahl nicht geben, lautete am Wahlabend die Standard-Antwort aus der SPD zum Wahldesaster. „Wir haben verstanden“, sagte Sarah Philipp. Sarah wer?? Dass sich am Sonntagabend die meisten Zuschauer in NRW gefragt haben dürften, wer diese sympathische Frau im Fernsehen denn wohl sei, das sagt vieles aus über den Zustand der SPD in ihrem einstigen Stammland. Sarah Philipp ist die SPD-Chefin in NRW, dem wichtigsten Bundesland der Republik. Ich behaupte – ohne es beweisen zu können: Bei einer Umfrage wüsste das nicht einmal jeder oder jede Zehnte der 18 Millionen Einwohner*innen. Wenn Johannes Rau das noch erleben müsste! Der ist zwar seit beinahe 20 Jahren tot – aber den kennt hier noch – fast – jeder.

Hat die SPD also wirklich verstanden? Dann muss sie dringend vieles ändern. Kümmern und machen statt Arbeitskreise zu gründen. Sonst taumelt die einst so stolze Partei unaufhaltsam ihrem Untergang entgegen? Um realistisch zu sein: Im Moment sieht es allerdings fast so aus.

 

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