Die SPD muss am 3. Oktober sichtbar sein – nicht aus Nachgiebigkeit oder illusionärem Pazifismus, sondern aus historischer Erfahrung, klarem Verstand und strategischer Weitsicht. Frieden entsteht nicht durch Verzicht, sondern durch Stärke, die den Raum für Dialog öffnet. Nur die Sozialdemokratie verfügt über das institutionelle Gedächtnis und die begriffliche Klarheit, Sicherheit so zu gestalten, dass sie dauerhaft trägt – heute und in Zukunft.
Im Kanzleramt, wo Willy Brandt einst mit Weitsicht und strategischem Machtaufbau die Entspannungspolitik prägte, ist von diesem Geist heute wenig zu spüren. Dabei erinnert sein Vermächtnis daran: Wahre Stärke beruht auf innerer Überzeugung, nicht auf nervöser Provokation. Diese Haltung ist keineswegs überholt – sie war es, die der SPD in der Vergangenheit ihre größten Wahlerfolge bescherte.
Was wir derzeit erleben, ist ein gefährlicher Kurs. Mit der geplanten Stationierung neuer Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden rückt unser Land erneut ins Zentrum möglicher militärischer Auseinandersetzungen. Wer Deutschland zu einem vorgeschobenen Aufmarschgebiet macht, erhöht nicht die Sicherheit, sondern das Risiko, im Ernstfall zum ersten Ziel zu werden. Hinzu kommt die Debatte über Rüstungsausgaben in Höhe von fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts – eine Zahl, die eher an Kriegswirtschaft erinnert als an verantwortungsvolle Sicherheitspolitik. Milliarden, die in Panzer und Raketen fließen, fehlen bei Schulen, im Wohnungsbau oder beim Kampf gegen die Klimakrise. Sozialdemokraten wissen seit jeher: Sicherheit nach außen darf nicht durch soziale Unsicherheit nach innen erkauft werden.
Besorgniserregend ist die zunehmende Militarisierung von Sprache und Denken. Wer Zweifel an der Logik des ,Immer mehr Waffen‘ äußert, gilt rasch als illoyal. Doch Kritik ist kein Verrat, sondern Ausdruck demokratischer Verantwortung. Gerade die SPD darf nicht dem Reflex erliegen, jede abweichende Stimme zu disziplinieren. Sie muss deutlich machen, dass Frieden nicht durch Lautstärke entsteht, sondern durch Weitsicht.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dauert inzwischen drei Jahre. Ein militärischer Sieg ist nicht in Sicht, die Opferzahlen steigen. Solidarität mit der Ukraine bleibt geboten – durch den Schutz von Menschenleben, etwa mit Luftabwehr, und durch humanitäre Hilfe. Doch Solidarität allein reicht nicht. Diplomatie muss wieder in den Mittelpunkt rücken. Waffenstillstände, internationale Vermittlung, eine europäische Friedensordnung: Das sind die Bausteine, auf denen nachhaltige Sicherheit ruht. Die SPD hat die Pflicht, daran zu erinnern, dass Frieden nicht am Ende einer Waffenlieferung entsteht, sondern am Verhandlungstisch.
Gerade der 3. Oktober mahnt dazu. Vor 35 Jahren fiel die Mauer nicht durch Raketen, sondern durch den Mut zur Verständigung. Die deutsche Einheit zeigt, dass politische Konfrontationen überwunden werden können – wenn die richtigen Kräfte den Mut haben, gegen die Logik der Eskalation zu handeln.
Darum ist die Teilnahme an der Friedensdemonstration kein Rückzug, sondern ein Bekenntnis. Sie macht deutlich, dass Sozialdemokratie mehr ist als Verwaltung des Status quo: Sie ist Gestaltungsanspruch. ‚Diplomatie ist der Weg zum Frieden. Das ist auch Sozialdemokratie‘, heißt es im Aufruf des Erhard-Eppler-Kreises. Wer am 3. Oktober in Berlin oder Stuttgart auf die Straße geht, zeigt: Frieden ist keine Utopie, sondern eine Frage des politischen Willens. Und die SPD muss dabei sein – sichtbar, vernehmbar, entschlossen.
Zum Autor: Axel Fersen ist Politikwissenschaftler und Experte für digitale Transformation und künstliche Intelligenz. Nach dem Studium an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz führte ihn sein Weg in die Technologiebranche. Heute lebt und arbeitet er in Barcelona. Politisch ist er seit 1984 in der SPD engagiert und Mitglied der katalanischen Schwesterpartei PSC. Er koordiniert den Erhard-Eppler-Kreis, gehört dessen Leitungskreis an, ist Vorstandsmitglied des Europa-Instituts für Sozial- und Gesundheitsforschung an der Alice Salomon Hochschule Berlin und wirkt in der Studiengruppe Technikfolgenabschätzung der Digitalisierung der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) mit.












