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Home Politik

Einstellungen und Meinungen zur Aussen- und Sicherheitspolitik in Deutschland: Viele sind nicht „auf Linie“

Christoph Habermann Von Christoph Habermann
3. Dezember 2024
Luftabwehr-Rakete beim Abschuß

I.

Das „Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr“ hat am 25. November die Ergebnisse seiner jährlichen repräsentativen Umfrage zu Fragen von Sicherheit und Verteidigung veröffentlicht.

In den Medien war über diese Studie „Zwischen Kriegsangst und Kriegstauglichkeit“ kaum etwas zu lesen. Am häufigsten transportiert wurde die Botschaft, dass die Mehrheit der Männer im Falle eines militärischen Angriffs bereit wäre, Deutschland mit der Waffe zu verteidigen.

Die Umfrage, die vom 18. Mai bis zum 23. Juni 2024 durchgeführt worden ist, bietet aber eine ganze Reihe Informationen, die für die gesellschaftliche und politische Diskussion in Deutschland weitaus interessanter sind, gerade drei Monate vor einer vorzeitigen Wahl zum Deutschen Bundestag.

Auch wenn man sich über manche Fragestellung wundert oder bestimmte Fragen vermisst, muss man dem „Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr“ zugute halten, dass es ungeschminkt auch Ergebnisse der Umfrage präsentiert und erläutert, die nicht zur Militarisierung von Denken und Reden passen, die seit dem russischen Überfall auf die Ukraine grosse Teile des politischen Diskurses und der veröffentlichten Meinung beherrschen. Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass viele Menschen ihren eigenen Kopf haben und sich nicht auf Linie bringen lassen.

II.

Zwei Drittel der Befragten stimmen der Aussage zu: „Das militärische Vorgehen Russlands in der Ukraine ist eine Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands.“ Die Studie nennt als „mögliche Erklärungen“ für diese Einschätzung „den ausgebliebenen Erfolg, der ukrainischen Sommeroffensive 2023, die im Winter 2023/2024 ausgebliebenen Waffenlieferungen der USA an die Ukraine, das Vorrücken der russischen Truppen an verschiedenen Frontabschnitten in der Ukraine im Jahr 2024 und die andauernden verbalen Attacken der russischen Führung gegen den Westen und die NATO, einschliesslich der Drohung mit dem Einsatz von Nuklearwaffen.“ (Seite 14)

Das sind sicher alles Gründe, die einzeln oder gemischt und in unterschiedlicher Gewichtung ein Gefühl der Bedrohung hervorrufen können. Ein Grund aber fehlt: Seit fast drei Jahren wird in den Medien fast ausschliesslich über gelieferte und geforderte Waffen gesprochen. Dass der Krieg nur durch Verhandlungen beendet werden kann, wird auf eine ans Pathologische grenzende Weise geleugnet oder beschwiegen. Wer über unterschiedliche Ursachen des Kriegs spricht und dabei auch berechtigte russische Sicherheitsinteressen anspricht, findet sich schnell ins Abseits oder vom Platz des öffentlichen Diskurses gestellt. Der fundamentale Unterschied zwischen der Suche nach den Gründen für einen Konflikt und der Rechtfertigung für die gewaltsame Lösung dieses Konflikts fällt der Militarisierung des Denkens zum Opfer. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel.

Umso bemerkenswerter sind manche Ergebnisse der Umfrage im Auftrag des „Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr“, die gar nicht dem entsprechen, was Tag für Tag in Zeitungen, in Radio und Fernsehen zu lesen, zu hören und zu sehen ist. Das ist auch den Verantwortlichen in der Bundeswehr bewusst. Vermutlich deshalb heisst es im „Fazit“ der Studie:

„Damit der zu beobachtende Mentalitätswandel in der Bevölkerung nachhaltig ist, muss er kommunikativ begleitet werden. Besonders wichtig erscheint es, den Bürgerinnen und Bürgern auch weiterhin die von Russland ausgehende Gefahr für unsere Sicherheit in aller Klarheit zu vermitteln und sie über die erforderlichen Verteidigungsmassnahmen umfassend zu informieren.“ (Seite 94)

Bessere und mehr Informationen täten der Diskussion über Frieden, Sicherheit und Bedrohung auf jeden Fall gut. Das Ergebnis sähe aber vielleicht ganz anders aus als hier gewünscht. Wenn einer grossen Mehrheit bekannt und bewusst wäre, dass die NATO, auch die europäischen Mitgliedsländer NATO allein, Russland militärisch in fast allen Bereichen klar überlegen sind, führte das wahrscheinlich zu einem noch einmal anderen „Meinungsbild“.

III.

Fragt man die Menschen danach, ob und wie Deutschland die Ukraine gegen die russische Aggression unterstützen soll, findet die Ausbildung ukrainischer Soldatinnen und Soldaten in Deutschland mit 62 Prozent die mit Abstand grösste Zustimmung. Nur 16 Prozent lehnen das ab.

49 Prozent der Befragten stimmen der allgemeinen Aussage zu, „Deutschland sollte die Ukraine militärisch unterstützen, damit diese sich gegen Russland wehren kann“. 26 Prozent lehnen das ab. Angesichts der weichen Formulierung, die nicht nach defensiven oder offensiven Waffensystemen unterscheidet und erst recht keine weit nach Russland reichenden Waffen wie „Taurus“ nennt, ist das eine kleine Mehrheit.

37 Prozent der Befragten stimmen sogar ausdrücklich der Aussage zu, „Deutschland sollte die Ukraine ausschliesslich mit nichtmilitärischen Mitteln unterstützen.“ 38 Prozent lehnen diese Aussage ab.

Wie differenziert die Einschätzungen der Menschen sind, machen die Antworten auf konkretere Fragen besonders deutlich:

Nur 24 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu: „Deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine tragen zu einem schnelleren Ende des Krieges bei.“ 49 Prozent lehnen diese Aussage ab.

38 Prozent der Menschen sind davon überzeugt, dass „deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine zu einer Ausweitung des Krieges beitragen“, 32 Prozent teilen diese Auffassung nicht.

Ähnlich sehen die Verhältnisse aus, wenn danach gefragt wird, ob deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine „eine Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands“ sind.

36 Prozent sehen das so, 34 Prozent nicht.

Die Antworten unterscheiden sich zum Teil erheblich nach Geschlecht, Alter, Region oder Parteipräferenz.

„Frauen sprechen sich weniger stark für eine militärische Unterstützung und stärker für eine rein zivile Unterstützung der Ukraine aus als Männer…

Frauen befürchten durch deutsche Waffenlieferungen zudem eher eine Ausweitung des Krieges und sehen darin auch eher eine Gefahr für Deutschlands Sicherheit.“ (Seite 18)

Auch im Osten Deutschlands ist die Skepsis deutlich grösser als im Westen. Das gilt auch für die Anhängerschaft von „Linke“, BSW und AfD.

IV.

Mehr Geld für die Bundeswehr halten 57 Prozent der Befragten für nötig, so viele wie 2022 und 2023. 30 Prozent sind dagegen der Auffassung, dass die Ausgaben für die Bundeswehr „gleich bleiben“ sollen. Das ist ein bemerkenswertes Ergebnis vor dem Hintergrund, dass bisher erfolgreich der Eindruck verbreitet wird, die NATO sei Russland militärisch unterlegen, eine Behauptung, die keiner Überprüfung stand hält.

Von den Wählerinnen und Wählern der Grünen und des BSW sprechen sich die meisten für gleich bleibende Ausgaben für „Verteidigung“ aus und nur 42 % bzw. 34 % für höhere Ausgaben.

Noch interessanter sind die Antworten auf die Frage, für welche Politikbereiche der Staat mehr Geld ausgeben sollte. „Verteidigung“ steht da mit 59 Prozent Zustimmung auf Platz fünf, ganz knapp vor „Verkehrswegen wie Strasse und Schiene“ und „Digitalisierung und Ausbau des Internets“. Mit weitem Abstand auf den Plätzen eins und zwei stehen mit 75 bzw. 71 Prozent „Bildung“ und Gesundheit“, gefolgt von „Innere Sicherheit“ (62 %) und den „Renten“ (61 %).

Diese Ergebnisse machen deutlich, dass aller „Zeitenwende“ zum Trotz die Menschen klare Vorstellungen davon haben, was ihnen besonders wichtig ist. „Verteidigung“ steht da nicht hinten, aber weit hinter anderen Aufgaben.

V.

Breite Zustimmung findet mit 74 Prozent die Mitgliedschaft Deutschlands in der NATO und 56 Prozent sagen, „Deutschland sollte sich sicherheits- und verteidigungspolitisch vorrangig in der NATO engagieren.“

Anders sehen die Antworten aus, wenn nach Themen gefragt wird, die in der deutschen Diskussion oft aggressiv tabuisiert werden.

37 Prozent lehnen die Aussage ab, „Deutschland sollte sich weiterhin an der nuklearen Teilhabe im Rahmen der NATO beteiligen, d.h. Deutschland sollte mit eigenen Flugzeugen amerikanische Atombomben zum Einsatz bringen können.“ 36 % stimmen zu.

Wer hätte gedacht, dass die „nukleare Teilhabe“, die kritische Köpfe als besonderes Risiko für Deutschland sehen, während die offizielle Sprachregelung sie zum Kern des „atomaren Schutzschirms“ erklärt, den die USA angeblich über Deutschland und Europa halten, auf so wenig Zustimmung in der Bevölkerung stösst?

Mit Blick auf die katastrophale Situation in der Ukraine zum Zeitpunkt der Umfrage mehr als zwei Jahre nach dem russischen Überfall ist ein Ergebnis besonders interessant:

Ein Drittel der Befragten stimmt der Aussage zu. „Die NATO hat durch ihre Osterweiterung zum Konflikt zwischen dem Westen und Russland beigetragen.“ 36 Prozent lehnen diese Aussage ab. Das wird viele in Politik und Medien überraschen, die es seit Jahren als ihre Haupt- und Staatsaufgabe sehen, jeden Beitrag der NATO zum Konflikt mit Russland zu leugnen.

VI.

Knapp die Hälfte der Befragten ist für die Einführung eines Wehrdienstes, 49 Prozent im Rahmen „einer allgemeinen Dienstpflicht“ und 46 Prozent im Rahmen „einer allgemeinen Wehrpflicht“. Jeweils ein Viertel lehnt beide Varianten ab. In den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen gibt es bei dieser Frage deutliche Unterschiede:

„In den meisten untersuchten Gruppen hält eine relative oder absolute Mehrheit die Einführung eines neuen Wehrdienstes für notwendig. Ausnahmen sind die Gruppe der jüngeren Frauen (16-29 Jahre) sowie die Wählerinnen und Wähler der Grünen, der Linken und des BSW… Je jünger die Befragten sind, umso kritischer stehen sie einem neuen Wehrdienst gegenüber. Insgesamt ist die Einstellung der jüngeren Befragten zur Aussage, ob ein neuer Wehrdienst notwendig ist oder nicht, ambivalent: 37 Prozent stimmen hier zu, 37 Prozent lehnen ab und 20 Prozent sind unentschieden.“ (Seite 35)

Bemerkenswert ist, dass die Wehrpflicht von einer grossen Minderheit nicht nur als Einschränkung „der Freiheitsrechte junger Erwachsener“ gesehen wird, sondern auch als Beitrag „zu einer Militarisierung der deutschen Gesellschaft“. So sehen das 37 Prozent für die Wehrpflicht im Rahmen einer „allgemeinen Dienstpflicht“ und 39 Prozent im Rahmen einer „allgemeinen Wehrpflicht“. 36 bzw. 33 Prozent lehnen diese Aussage ab.

VII.

Die Einstellungen der Befragten zu den „Mitteln der deutschen Aussen- und Sicherheitspolitik“ fasst die Studie so zusammen:

„Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung befürwortet den Einsatz von zivilen und militärischen Mitteln in der Aussen- und Sicherheitspolitik, wobei eine relative Präferenz für den Einsatz ziviler Mittel besteht.“ (Seite 81)

Wie relativ der Begriff „relative Präferenz“ ist, wird deutlich, wenn nach der Bewertung unterschiedlicher Mittel der Aussen- und Sicherheitspolitik gefragt wird:

Mit weitem Abstand auf den Plätzen eins und zwei liegen „Diplomatische Verhandlungen“ mit 84 Prozent Zustimmung und „Rüstungskontrolle“ mit 75 Prozent Zustimmung.

Auf den Plätzen drei und vier folgen „Wirtschaftssanktionen“ mit 64 Prozent und „Entwicklungszusammenarbeit“ mit 62 Prozent Zustimmung.

Erst dann taucht die Bundeswehr auf. 61 Prozent unterstützen „Ausbildungseinsätze“ und 56 Prozent „Stabilisierungseinsätze“. 55 Prozent sind für „Militärische Massnahmen zur Verteidigung des NATO-Bündnisgebietes, 47 Prozent für „Waffenlieferungen an befreundete Staaten“ und 33 Prozent befürworten „Kampfeinsätze der Bundeswehr“, die von 37 Prozent abgelehnt werden.

VIII.

Zwei Drittel der Deutschen halten die USA für einen „zuverlässigen Partner Deutschlands“, der auch in Zukunft, so 67 Prozent, „in die Verteidigung Europas eingebunden bleiben“ soll. Auch bei anderen Fragen werden die USA mehrheitlich positiv gesehen. Schon heute darf man gespannt darauf sein, wie die Antworten auf diese Fragen im kommenden Jahr ausfallen werden.

Bemerkenswert sind die Antworten auf die Frage, ob „zur Abschreckung Russlands amerikanische Atomwaffen in Deutschland stationiert bleiben (sollen)“.

Dem stimmen 44 Prozent der Befragten zu und 32 Prozent lehnen diese Aussage ab. Diese relative Mehrheit bei einem Drittel Ablehnung passt zur kritischen Sicht der Menschen auf die „nukleare Teilhabe“, von der weiter oben die Rede war.

IX.

Das Meinungsbild zur Zusammenarbeit innerhalb der EU zeigt, dass die positive Bewertung der USA und ihres Engagements die Zustimmung zu mehr Unabhängigkeit der EU von der NATO nicht hindert. 52 Prozent der Befragten sagen, die „EU sollte ihre Sicherheit unabhängig von der NATO gewährleisten können“, nur 19 Prozent lehnen das ab. Bei der Interpretation dieser Zahlen ist allerdings zu berücksichtigen, dass es ganz unterschiedliche Vorstellungen darüber gibt, was Unabhängigkeit der EU von der NATO praktisch bedeuten soll.

Nach einzelnen Aspekten wurde gefragt. 47 Prozent sind für eine „gemeinsame europäische Armee“, 26 Prozent lehnen das ab.

Eine „militärische Führungsrolle“ in der EU sollte Deutschland nach Auffassung von 37 Prozent übernehmen, während 31 Prozent das ablehnen.

31 Prozent sprechen sich für „gemeinsame Atomwaffen“ der EU aus, während 45 Prozent das ablehnen. Auch hier stellt sich allerdings die Frage, was das praktisch bedeutete.

X.

Warum war über die hier dargestellten Ergebnisse der jährlichen Umfrage der Bundeswehr nirgendwo etwas zu lesen oder zu hören? Hat niemand Zeit oder Interesse, sich die Ergebnisse einer Umfrage zu Themen genauer anzuschauen, die doch ziemlich aktuell sind? Entsprechen die Ergebnisse der Umfrage nicht dem, was in den meisten Redaktionen gedacht und geredet, geschrieben und gesendet wird?

Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, teilweise überraschend deutlich, dass die Menschen in Deutschland weit differenzierter und kritischer über Themen, Ziele und Mittel deutscher Sicherheits- und Aussenpolitik denken als die meisten politisch Verantwortlichen das zu glauben scheinen.

Die Unterschiede zwischen öffentlicher Meinung und veröffentlichter Meinung sind enorm.

Vieles, was die meisten, die in den Medien als „Experten“ und „Expertinnen“ auftreten, für selbstverständlich und „alternativlos“ halten, stellen viele Bürgerinnen und Bürger in Frage. Sie haben ihren eigenen Kopf. Sie sind nicht auf Linie.

Bevölkerungsbefragung 2024: Zwischen Kriegsangst und Kriegstauglichkeit, Forschungsbericht 25.11.2024

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