Ich hatte Friedrich Merz alle Daumen gedrückt, wirklich gehofft, dass er die Europäer hinter dem Plan versammeln könnte, die in belgischen Banken eingefrorenen russischen Milliarden Euro- die Rede ist von knapp 180 Milliarden- der Ukraine zu geben, quasi als Entschädigung für die entstandenen Schäden im ganzen Land durch den russischen Angriffskrieg. Aber Merz ist leider gescheitert, an den Europäern, an Ungarn, an Tschechien, an der Slowakei, ja auch an Italien und Frankreich. An den Nationalstaaten, die nicht bereit sind, europäisch zu denken und zu handeln, die die Hosen voll haben vor Putin. Der Kreml jubelt über das Ergebnis, er schüttet eimerweise Häme über Merz und Co.
Die Finanzierung der Ukraine ist für zwei Jahre gesichert, ein Teil der EU-Mitgliedsstaaten gewährt der von Russland bedrängten Ukraine einen zinslosen Kredit. Der Witz daran: Es haben alle zugestimmt, deshalb gilt der Beschluss, aber die Gegner müssen nicht für den Kredit gerade stehen. Wunderschönes Europa! Dass die Belgier zögerten, das russische Geld freizugeben für die Ukraine, habe ich noch verstanden. Das kleine Land fürchtet zu Recht die Macht des Kreml, womit ich nicht einen juristischen Prozess in Moskau meine, sondern andere Attacken auf die Infrastruktur zum Beispiel in Brüssel und anderswo, u.a. Cyber-Angriffe.
Duckmäuserei, empört sich t-online. Recht hat der Kommentator. Immer wenn es Ernst wird, knickt Europa ein. Es wollte ein Signal setzen als Machtfaktor neben oder zwischen den USA, Russland und China. Aber herausgekommen ist ein Pfeifen im Walde, nicht mehr. Europa feiert sich nach der Einigung der letzten Nacht, die sei lebenswichtig gewesen, sie sende ein Signal der Handlungsfähigkeit, alles andere wäre ein Totalbankrott gewesen. Wolfgang Ischinger, der frühere deutsche Botschafter in Washington und Ex-Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, ist da ehrlicher. Das Brüsseler Ergebnis wertet er als ein Signal der fehlenden Handlungsfähigkeit und der mangelnden Entschlossenheit. Europa habe dadurch an Glaubwürdigkeit eingebüßt. So ist es und wir tun gut daran, die Lage nicht schönzureden.
Es spricht nicht mit einer Stimme
Europa ist keine Macht, weil es nicht mit einer Stimme spricht. So hat es der Historiker Heinrich August Winkler schon vor Jahren bemängelt in seinem Buch „Zerbricht Europa“. Wo und wen rufe ich an, soll Henry Kissinger mal gefragt haben, als es um Europa ging. Wir haben eben keine europäische Regierung, keinen europäischen Kanzler oder Außenminister, jeder Staat versucht in Brüssel sein Süppchen zu kochen und dort abzusahnen, was es an europäischen Geldern abzusahnen gilt. Man nehme nur mal Ungarns Orban, der stets dazwischen funkt, wenn es um ein europäisches Projekt geht. Orban steht eindeutig auf der Seite Putins, des Aggressors, der den Krieg gegen die Ukraine zu verantworten hat, all die Kriegsverbrechen, die Vergewaltigungen, die Entführung von Tausenden von ukrainischen Kindern, die Bombardierung von zivilen Einrichtungen im Lande. Der Mann wird per Steckbrief gesucht, er ist vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Kriegsverbrechen verurteilt. Und? Putin lacht sich doch über Europa, über Brüssel schief. Zumal er von US-Präsident Donald Trump wie ein Staatsmann behandelt wird, der rote Teppich wird für ihn ausgelegt, Trump macht keinen Hehl daraus, dass er die Ukraine verantwortlich macht für den Krieg, sie soll auf Land verzichten zugunsten Russlands. Das wäre ein furchtbarer Diktatfrieden, der den Aggressor belohnt. Putin und Trump ähneln sich, sie lügen wie gedruckt. Der eine in Moskau ist ein Diktator, der Demokratie nicht zulässt, weil er die damit einhergehenden Freiheiten fürchtet, der andere in Washington ist dabei, die uralte Demokratie im Lande zu schleifen, indem er die Justiz unter seine Fittiche nimmt und die Freiheit der Presse mindestens einschränkt.
Zurück zur Einigung in Brüssel: Wochenland machte man, wie es neudeutsch heißt, auf dicke Hose, man war ja auch noch im Palaverzustand, da konnte man Putin drohen, man werde ihn an der Stelle treffen, wo es ihn am meisten schmerze, nämlich beim Geld. So hatte ich kürzlich noch unseren Verteidigungsminister Boris Pistorius verstanden, aber der ging noch von der Geschlossenheit der Europäer aus, davon, dass man dem Kriegstreiber Putin die Stirn bieten müsse, sonst werde der nach der Eroberung der Ukraine eben das übrige Europa angreifen, gemeint wohl das Baltikum, dann Polen, später Deutschland, usw. Und? 90 Milliarden Euro an die Ukraine- auf Kredit der Europäer. Von wegen russisches Geld. Falls Russland für die Kriegsschäden keine Entschädigung leisten sollte- wer glaubt noch an den Klapperstorch?- sollen die russischen Gelder zur Rückzahlung herangezogen werden.
Wir lügen uns in die Tasche
Mehr noch, was die Lage Europa schwächt. Trumps Amerika ist nicht mehr unser Verbündeter. Also nicht mehr unser Partner. Auf die USA können wir uns nicht mehr verlassen, vor allem auch nicht sicherheitspolitisch. Er würde mit uns Deals machen wie mit Putin, wenn er daran verdienen kann. Lügen wir uns bitte nicht mehr in die Tasche! Und hören wir auf, diesem US-Präsidenten hinterher zu laufen, dem die westliche Wertegemeinschaft egal ist, es sei denn, sie besteht aus einem Topf, gefüllt mit Milliarden Dollar. Das Trump-Team hat vor Tagen in einer nationalen Sicherheitsstrategie deutlich gemacht, dass es die EU untergraben will, also zerstören. Klingelt es da bei dem einen oder anderen? Schon mal davon gehört, dass das auch der Plan der AfD ist? Trump und Co wollen populistische Kräfte in Europa stärken, um den Kontinent zu spalten. Die AfD wird jubeln, wie Putin, den die Rechtsextremisten verehren. Das Strategiepapier liest sich, als wäre es vom Mann im Kreml diktiert worden. Das ist kein Zufall, auch kein Ausrutscher, Trumps Vize Vance hat es ähnlich auf der Münchner Sicherheitskonferenz erklärt und die Europäer angegriffen. Vance wäre wohl der Nachfolger von Trump.
Wenn aber die USA erstens kein Verbündeter mehr sind von Europa und auch nicht von Deutschland, was wird dann aus der NATO? Die interessiert Trump doch auch nur am Rande, sollte sie zerbröseln, auch gut. Das glauben Sie nicht? America first, hat er gesagt und er handelt auch so, wenngleich er im Falle von America auch zuerst an sich und sein Dollar-Vermögen denkt. Ein Waffenstillstand in der Ukraine will er verbinden mit Geschäften, die USA sollen daran verdienen, wenn es um den Abbau von Rohstoffen wie seltene Erden geht. Übrigens möchte der US-Präsident, den die SZ heute in einem Beitrag mit dem Beinamen „Schmutzfink“ versieht, auch an den in Belgien eingelagerten russischen Milliarden mitverdienen, sollte es zu deren Verteilung kommen. Amerika und Russland, die neue Allianz, Europa steht allein da. Mit seinen 27 Staaten.
Zurück nach Brüssel. Da war von einer historischen Entscheidung die Rede, heute entscheide sich das Schicksal- ja von wem eigentlich? Das von Friedrich Merz? Der Kanzler hat hoch gepokert, „all in“ nennen das die Profis. Danach, morgens um drei Uhr, sprach der CDU-Chef, der Deutschland ja wieder auf dem Parkett der Weltpolitik sieht, von einem „entscheidenden Signal zur Beendigung des Krieges“. Und wörtlich betonte Merz:“ Putin wird erst einlenken, wenn er begreift, dass sich sein Krieg nicht lohnen wird.“ Ob Merz selber an diese Worte glaubt? Ja, die Ukraine kann weitermachen, sich wehren, sie ist nicht pleite, weil ein Teil des Westens ihr Geld leiht. Der Menschenverächter im Kreml aber ließ über das Ergebnis des EU-Gipfels seinen Sprecher jubeln und Häme ausbreiten. Und dass er eines Tages zu Reparationszahlungen bereit wäre, das ist Teil eines Traumes europäischer Politiker.
Heute Geld oder morgen Blut
Das europäische Haus, ja es steht noch. Aber es hat seine Ausstrahlung verloren. Entweder heute Geld oder morgen Blut, hatte der polnische Ministerpräsident Donald Tusk die Alternativen aufgezeigt und die Kollegen gemahnt. Sie sind gescheitert an den Egoismen der Europäer, der Franzosen, der Italiener, der Ungarn, der Slowaken usw. Sie alle denken national, dabei wissen sie, dass sie allein im Konzert der Großen keine Chance haben. Die hätten sie nur als Europa, in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, in der Außenpolitik, in der Sicherheitspolitik. Konrad Adenauer und Charles de Gaulle haben das vor Jahrzehnten eingeleitet, weil sie die Lehren aus dem gegenseitigen Hass und den daraus folgenden Kriegen gezogen hatten.
Ein halbes Jahrhundert später erklärte Angela Merkel: „Europa muss sein Schicksal selbst in die Hand nehmen.“ Merkel sagte diese Worte in ihrer Laudatio auf den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, als dieser mit dem Karlspreis in Aachen ausgezeichnet wurde. Das war im Jahr 2018. Europa hat sein Schicksal nicht selbst in die Hand genommen, auch weil Merkel zauderte. Friedrich Merz hat es versucht mit seinen Berliner Ukraine-Gesprächen, als er andere europäische Staats- und Regierungschefs um sich versammelte, um dem Ukraine-Präsidenten Selenskyj und Putin zu demonstrieren: Europa steht geschlossen an der Seite Kiews im Kampf gegen den russischen Aggressor, ein Signal auch aus Eigennutz. Aber die Frage darf nach dem Brüsseler Ergebnis erlaubt sein: Gibt es dieses Europa denn überhaupt? Oder ist es besser eine Stelle, wo man Gelder beantragt für Bauern, damit deren Ernteausfall kompensiert oder der EU-.Markt geschützt wird gegen Exporte aus Südamerika oder es macht wie Orban, der EU-Gelder vor allem auch dazu nutzt, um sich und seine Sippe zu bereichern?
Europas Solidarität könnte übrigens auch im Baltikum auf die Probe gestellt werden. Friedrich Merz wird hoffentlich nicht aufgeben. Europa bleibt wichtig und richtig. Trotz und alledem.












