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Home Politik

Ich kann das Wort „Reform“ nicht mehr hören

Gerd Eisenbeiß Von Gerd Eisenbeiß
26. November 2025
Straßenansicht vom alten Reformhaus Merz um 1900. Sieht echt aus und entspricht dem Weltbild und Stadtbild von Friedrich Merz, ist aber AI generiert.

Mich ärgern politische „Reform“-Versprechungen, weil sie die Illusion nähren (sollen!), es ginge nur um harmlose Umgestaltung und nicht um Umverteilung zu Lasten von Besitzständen, Wünschen und Erwartungen.

In Deutschland ist man seit langer Zeit gewöhnt, nicht bezahlen zu müssen, was man wünscht, fordert und genießt; ein gutes Beispiel ist das Deutschlandticket, dessen politisch fixierter Preis seine Kosten bei weitem nicht deckt und so den ÖPNV würgt statt fördert. Man will beste Betreuung und Schulen für die Kinder, intakte Straßen und Schienen für den Verkehr samt intakter Brücken, billige Dienstleistungen bei Gesundheit und Pflege, genug Wohnungen, billige Energie und natürlich gesunde Natur mit stabilem Klima weltweit – möglichst auch eine starke Bundeswehr, wirksame Hilfe für Ukraine und andere Völker in Not. Und schließlich möchte man mit immer weniger arbeitenden Menschen immer mehr Alte mit guter Rente versorgt sehen, ohne dass die netto-Einkommen sinken. Dabei sollen importierte Arbeitskräfte helfen, für die es keine Wohnungen gibt, weil schon jetzt 1 Mio. Wohnungen fehlen.

Da nun aber in all diesen Bereichen die für die Wunscherfüllung verfügbaren Gelder nicht ausreichen, nach 20 Jahren Infrastrukturvernachlässigung auch bei den Abschreibungen nichts mehr zu holen ist, also den unterlassenen Reparaturen und Modernisierungen, verspricht die ratlose Politik „Reformen“ – gar einen ganzen „Herbst der Reformen“, als ginge es um die Ernte reifer Früchte. Es geht aber darum, die erwarteten mit den tatsächlich möglichen Leistungen wieder in Übereinstimmung zu bringen.

Denn bei all den genannten Problemen gibt es eine gemeinsame Ursache, die von keiner der eingesetzten Kommissionen ignoriert werden kann: Wünsche und Versprechungen haben sich in einer unseligen Wechselwirkung zwischen Bevölkerung und Politik aufgeschaukelt – auf verhängnisvolle Weise durch Mechanismen der Demokratie, in der nach Gerhard Schröder der Mut der Führung verloren gegangen ist, unpopuläre Notwendigkeiten auszusprechen, zu erklären und auch durchzusetzen.

Was jetzt wichtiger ist als „Reform“-Forderungen und -Versprechungen, ist ein „Frühjahr der Wahrheiten“, die so lange geleugnet wurden. Wie in Frankreich, Belgien und Italien wird das eine sehr raue Wegstrecke, auf der jetzt nicht mehr nur die Hinnahme  immer maroderer Infrastruktur z.B. bei Bildung, Verkehr und Sicherheit zu beenden ist, sondern gleichzeitig der Verlust deutscher Überlegenheit an Kompetenz gegenüber insbesondere asiatischen Völkern zu berücksichtigen ist. Letzteres bedeutet im Klartext: wenn anderswo Fachkräfte und insbesondere Ingenieure genauso gute Produkte ebenso effizient auf den Weltmarkt bringen wie wir in Mitteleuropa, dann kann man hierzulande eben auch nicht mehr verdienen als ein asiatischer Konkurrent. Wenn wir unser Einkommens- und Konsumniveau verabsolutieren oder gar meinen, es weiter steigern zu können, werden weitere Märkte wegbrechen, wie zurzeit bereits im Maschinen- und Fahrzeugbau, Chemie und Pharmazie. Die einzige Chance, weiterhin an der Spitze zu marschieren, haben wir seit Jahren durch unterdurchschnittliche Bildungsausgaben verpasst – wahrscheinlich auch durch so manche Überregulierung.

Die Verheißung erlösender Reformen vernebelt die wahren Lage, weil den Menschen weis gemacht wird, durch irgendwelche organisatorische Maßnahmen ließe die alte Überlegenheit wieder herstellen. Man schaue  doch nur einmal auf den Außenhandelsüberschuss, der vor Jahren noch mehrere hundert Milliarden Euros ausmachte und damit z.B. den Tourismus der deutschen „Exportweltmeister“ finanzierte: er schmilzt weg in der Hitze Trumpscher Zollpolitik und chinesischer Handelsaggression!

Da passt es wie die Faust ins Gesicht, wenn eine Gewerkschaft ausgerechnet für den Öffentlichen Dienst 7% Lohnerhöhung fordert. Großartig: wir erhöhen unsere Einkommen und ziehen uns damit durch Binnennachfrage an den eigenen Haaren aus dem Sumpf.

Und immer wieder und ohne Rücksicht auf das Ganze entdecken wir moralaufgeladene Gerechtigkeitslücken in sozialen Aufwendungen an Mütter, Rentner, Pendler etc, die den persönlichen  Konsum weiter bevorzugen gegenüber einer verantwortungsvollen Investitionspolitik in Bildung, Kompetenz, Infrastruktur und Schutz vor Feinden und den unaufhaltsamen Folgen der selbst verschuldeten Erderwärmung.

Also liebe Politiker in oder außerhalb der Regierungen: redet nicht von Reformen, sondern lest mal die klaren Berichte und Empfehlungen z.B. von der 4-Bande um Julia Jäckel, Per Steinbrück u.a. oder auch von Mario Draghi, wenn ihr schon euren eigenen wissenschaftlichen Beiräten nicht folgen wollt.

Und beschließt, was zu beschließen ist, als nachträgliches Weihnachtsgeschenk für das deutsche Volk.

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Comments 1

  1. Jochen Luhmann says:
    1 Woche ago

    Dazu passt: „Bürokratieabbau“ ist Stellenstreichung über Nacht, ohne Begründung, beim Bundesrechnungshof. So geschehen in der Bereinigungssitzung zum Haushalt 2026. Wird die
    pauschale Stelleneinsparung in den Jahren ab 2027 fortgeführt, würde der Bundesrechnungshof in der aktuellen Legislaturperiode eine komplette Prüfungsabteilung verlieren.
    Das Kalkül scheint zu sein: Abbau der Budgetkontrolle spart Geld. Wahrscheinlicher aber ist: Künstliches Augen-verschließen kostet Ressourcen.

    Antworten

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