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Keine Freiheit für die Feinde der Demokratie – Die Wiege der deutschen Demokratie steht in Herrenchiemsee

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
11. August 2023
Schloß Herrenchiemsee

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mahnt seit Zeiten die Verteidigung der Demokratie an. Immer wieder hat er in der Vergangenheit betont, dass die Demokratie kein Selbstläufer sei, nicht selbstverständlich, sondern dass sie Demokraten brauche, die sie im Ernstfall verteidigen würden. Kaum ein Ort könnte besser dazu berufen sein als das Schloss Herrenchiemsee, um dort die mahnenden Worte zu wiederholen. Dort, in malerischer Kulisse, wurde vor 75 Jahren die Grundlage geschaffen für das spätere Grundgesetz. Die Ergebnisse von Herrenchiemsee, binnen 14 Tagen und Nächten von 65 Vertretern der Länder erarbeitet, enthielten auch den Vorschlag, dass der die Grundrechte verwirkt habe, der sie zum Kampf gegen die freiheitliche und demokratische Ordnung missbrauche. Man wollte aus der Geschichte lernen, von Weimar, das auch eine demokratische Verfassung hatte, die aber von Hitler und den Nazis missbraucht wurde, um sie für ihre Alleinherrschaft zu nutzen. 

Der Bundespräsident nutzte den historischen Ort, den man die Wiege der deutschen Demokratie nennt, um vor allerlei politischer Prominenz an die Verpflichtungen zu erinnern, die uns die Väter- am Chiemsee waren nur Männer dabei- des Entwurfs für das Grundgesetz mit auf den Weg gaben.  Es galt einen Staat aufzubauen mit einem Gerüst, das ihn absichern würde gegen einen Missbrauch, wie ihn die Nazis mit ihren ungeheuren Verbrechen vollzogen hatten. Ja, sie waren gewählt, Hitler wurde von Hindenburg ernannt, das Ermächtigungsgesetz wurde vom Reichstag in der Kroll-Oper mit Mehrheit verabschiedet, allein die Sozialdemokraten hatten mit Nein gestimmt, die Kommunisten waren schon auf der Flucht vor ihren Schergen, den Nazis. Dieses Gesetz beinhaltete die Allmacht der NSDAP und für Adolf Hitler. Das Ende von Weimar, das Ende der Demokratie. 

Steinmeier vermied es, während seiner Rede den Namen der AfD zu nennen, aber jeder im Spiegelsaal von Herrenchiemsee wusste, welche Partei der Präsident meinte. Im Kampf gegen Extremismus gebe es eine historische Lehre, die sich wie ein roter Faden durch den Verfassungsentwurf von Herrenchiemsee ziehe und bis heute gelte: „Eine Demokratie muss wehrhaft sein gegenüber ihren Feinden. Niemals wieder sollen demokratische Freiheitsrechte missbraucht werden, um Freiheit und Demokratie abzuschaffen“. Worte des Präsidenten, die nachhallen über den Tag von Herrenchiemsee hinaus. Und Steinmeier ergänzte: „Wir haben eine gemeinsame Verantwortung für unsere Demokratie. Wir müssen sie schützen.“

Appell an alle Wähler

Damit nahm er aber nicht nur die Politikerinnen und Politiker demokratischer Parteien in die Pflicht, sondern alle deutschen Wählerinnen und Wähler. „Kein Wähler kann sich auf mildernde Umstände herausreden, wenn er sehenden Auges politische Kräfte stärkt, die zur Verrohung unserer Gesellschaft und zur Aushöhlung der freiheitlichen Demokratie beitragen“. So ist es. Wenn jemand für die AfD stimmt, sie wählt, mit ihr sympathisiert, muss er sich gefallen lassen, dass man ihn einen Nazi nennt. Wenn er das verneint, muss er die Frage beantworten: Warum wählst Du dann diese Partei? Man kann doch nicht aus Verärgerung über die CDU, die SPD, die Grünen für die AfD stimmen! Die will einen anderen Staat, will die EU abschaffen, raus aus der NATO. Noch Fragen?

Wer in die Debatten von Herrenchiemsee 1948 schaut, wer nachliest, auf was sich die Männer um Carlo Schmid(SPD) konzentrierten, findet im Zentrum ihrer Diskussionen die Würde des Menschen und die Rolle des Staates. So heißt es in Artikel 1: „Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen“: Und im zweiten Satz findet sich der Kern der Botschaft: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Bewusst formulierten die Väter und später auch die Mütter des Grundgesetzes: „die Würde des Menschen ist unantastbar“, nicht nur die Würde des Deutschen, sondern die Würde aller Menschen ist unantastbar. Das bezieht die Würde von Flüchtlingen mit ein, von Ausländern jeder Herkunft. Ich erinnere mich, dass einer der Amtsvorgänger von Steinmeier, Johannes Rau, in seiner kurzen Rede nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten 1999 ausdrücklich diese Würde des Menschen heraushob. Das gefiel damals nicht jedem. Warum eigentlich?  Zielte doch dieser Passus auf die deutsche Geschichte, auf die Nazi-Zeit, in der viele Gegner der Nazis, Widerständler, Juden, Sozialdemokraten, Kommunisten, Christen verfolgt wurden, sie fanden nicht überall Aufnahme, wurden an Grenzen abgewiesen, von den Nazis geschnappt und landeten in den KZs, wo sie ermordet wurden. 

Aus der Ausstellung: Der Wille zu Freiheit und Demokratie –
der Verfassungskonvent von Herrenchiemsee 1948. Foto Günther Freund.

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder(CSU) bescheinigte bei der Festveranstaltung dem Konvent eine unglaubliche Leistung. Söder würdigte das Ergebnis als „heute noch gültigen Kompass für die Zukunft“. Das in den Ergebnissen von Herrenchiemsee formulierte Menschenbild sei „die Basis, die uns zusammenhält, weshalb es keine Freiheit für die Feinde der Freiheit geben darf“. Landtagspräsidentin Ilse Aigner(CSU) mahnte, es seien „alle aufgerufen, das Land zusammenzuhalten, das Schüren von Wut ist brandgefährlich“. Wehret den Anfängen, zitierte die CSU-Politikerin den geflügelten Satz des römischen Dichters Ovid(Zu spät wird die Medizin bereitet, wenn Übel durch langes Zögern erstarkt sind). Man dürfe sich hierzulande nicht sicher sein, dass die Demokratie immer gesetzt sei. Deutschland habe Erfahrungen sammeln müssen, wie eine Demokratie mit zu wenigen Demokratinnen und Demokraten gescheitert sei.(zitiert nach einem Bericht der SZ)

Antisemitische Haltungen 

Man fühlt sich erinnert an die Mahnungen des Präsidenten des Verfassungsschutzes, Thomas Haldenzwang, der offen den Kampf gegen Rechts und die AfD führt und dessen Organisation Mitglieder der AfD beobachten lässt. Haldenzwang hatte auf dem jüngsten AfD-Parteitag „rechtsextremistische Verschwörungstheorien“ ausgemacht. Kandidaten der AfD für die Europawahl hatten sich für eine „millionenfache Remigration“ ausgesprochen und vor „Globalisten“ gewarnt, die Deutschland bedrohten. Vor einiger Zeit hatte Haldenzwang darüber hinaus gesagt, Teile der AfD verbreiteten Hass und Hetze gegen alle Formen von Minderheiten. Und: „Wir sehen, dass in Teilen der AfD eben auch antisemitische Haltungen vertreten und verbreitet werden, und wir sehen, dass auch Teile der  AfD sehr stark von Moskau beeinflusst sind und russische Narrative weiterverbreiten aktuell in Deutschland.“

Umstände, die „auch die deutschen Wählerinnen und Wähler bei ihrer Entscheidung mit im Hinterkopf haben sollten.“ So der Behördenchef.

Der Feind steht rechts. Wir wissen es. Diese Mahnung sprach schon Reichskanzler Karl Joseph Wirth(Zentrum) im Juni 1922 nach der Ermordung von Reichsaußenminister Walther Rathenau durch rechtsextremistische Attentäter aus. Rathenau war Jude. Die AfD sitzt in allen deutschen Parlamenten und im Europa-Parlament, jüngsten Umfragen zufolge kommt sie auf über 20 Prozent Zustimmung, sie liegt hinter der CDU auf Platz 2 und damit vor der ältesten deutschen Partei, der SPD. Vor allem in den neuen Ländern, darunter in Thüringen, könnte die AfD bei den Landtagswahlen im nächsten Jahr stärkste Partei werden. Ihr dortiger Landesvorsitzender, Björn Höcke, strebt  mindestens eine Regierungsbeteiligung der AfD an, wenn nicht gar das Amt des Ministerpräsidenten. Höcke darf laut Verwaltungsgericht Meiningen als Faschist bezeichnet werden. 

Zurück zu Herrenchiemsee und der Rede des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. „Der Verfassungskonvent vor 75 Jahren mag in der Kargheit des Alten Schlosses getagt haben“: Man darf nicht vergessen, dass 1948, drei Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges, weite Teile des Landes in Trümmern lagen, dass das Leben vieler Menschen aus Not und Elend bestand, man hatte nicht viel zu essen, im Winter kaum Heizung, die meisten Wohnhäuser waren zerstört, die Menschen sorgten sich um Vermisste und Kriegsgefangene. Zwischen 14 und 16 Millionen Deutsche suchten ihre Angehörigen. In dieser Situation tagten die Vertreter der Länder in Herrenchiemsee, ohne viel Glanz und Glamour schon gar nicht. Und doch rühmte Steinmeier die Runde und deren Arbeit: „Mit seiner zentralen Hervorhebung der Menschenwürde als Maxime allen staatlichen Handelns strahlt der damals entstandene Verfassungsentwurf heller in die Gegenwart als aller Prunk und Glanz dieses Saales“.

Aus der Ausstellung: Der Wille zu Freiheit und Demokratie –
der Verfassungskonvent von Herrenchiemsee 1948. Foto Günther Freund.

Vergessen wir das nicht. Herrenchiemsee und später der Parlamentarische Rat schufen Vorkehrungen, um einen „Typ von Demokratie zu entwickeln“, der in der Lage sein sollte, „um aus dem westdeutschen Staat, der Bundesrepublik, eine wertorientierte und wehrhafte Demokratie zu machen“. So hat es der Historiker August Heinrich Winkler in seinem großen Werk „Geschichte des Westens“ formuliert. „Die Verwirkung von Grundrechten“ gehört ebenso dazu wie „das Verbot verfassungsfeindlicher Parteien durch das (noch zu errichtende) Bundesverfassungsgericht“.

Bildquelle: Wikipedia, Guido Radig – Eigenes Werk, CC BY 3.0,

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