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Home Politik

Mit Putin reden, auch wenn sein Wort nicht gilt?

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
1. April 2022
Graffiti Putin

Wladimir Putin, ein lupenreiner Demokrat? Das würde heute wohl nicht mal mehr Gerhard Schröder bejahen, wie er es einst im Gespräch mit Reinhold Beckmann( November 2004) getan und hinzugefügt hatte: „Ja, ich bin überzeugt, dass er das ist.“ Er sei sicher, dass Putin Russland „zu einer ordentlichen Demokratie machen will und machen wird.“  Es sei klar, dass dabei nicht alles idealtypisch verlaufe. Schröder betonte, zwischen ihm und Putin bestehe ein Grundvertrauen. 2004, da war die Berliner Rede Putins schon Geschichte, die die halbe Welt in Staunen über den russischen Gast versetzt hatte. Sollte er wirklich wie Schröder es gesagt hatte…? Ich spreche es nicht mehr aus, weil wir heute alle klüger sind. Man frage die Staatsmänner, die Putin in den letzten Wochen immer wieder gesprochen und gemeint hatten, es werde schon irgendwie werden mit dem friedlichen Zusammenleben mit dem Kreml-Herrscher und die seit dem 24. Februar sicher sind: „Man kann Putin nicht vertrauen, dass er sein Wort hält.“ Das war der Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine. 

Und doch muss man mit ihm reden? Es ist müßig, wie wir es gerade getan haben, in einer Bonner Kneipe darüber zu spekulieren, was Willy Brandt getan hätte, der zusammen mit Egon Bahr einst die Politik-Idee des „Wandel durch Annäherung“ erfunden hatte. Richtig ist, dass dieser Willy Brandt selbst in der Hochzeit des Kalten Krieges und des Streits um atomare Mittelstreckenraketen-ältere Semester erinnern sich noch an den Nato-Doppelbeschluss- 1981 nach Moskau geflogen war, um mit KP-Generalsekretär Breschnew zu reden. Brandt hatte kein Regierungsamt mehr, er war nur noch SPD-Chef, aber er wollte herausfinden, ob man mit dem obersten Sowjet-Menschen über beidseitige Abrüstungen reden könnte. Die Raketen, um die man verhandelte, hatten das Zeug, den Erdball unbewohnbar zu machen. Jeder wusste und weiß: Wer zuerst schießt, stirbt als Zweiter. Es kam bei Brandts Gespräch im Kreml damals nicht viel dabei heraus, aber Brandt vertrat die These: Solange geredet wird, wird nicht geschossen.

Aber soll man mit Putin reden, wenn auf sein Wort nicht Verlass ist? Man frage den deutschen Kanzler Olaf Scholz, den französischen Präsidenten Macron oder den US-Präsidenten Biden, die allesamt mit Putin telefoniert haben, oder ihn gar aufsuchten im Kreml, wo sie an einem meterlangen Tisch sich gegenübersaßen. Und wo sie wohl den Eindruck gewannen, dass Putin nicht nur von der Wiederauferstehung des sowjetischen Weltreiches träumte, sondern diese größenwahnsinnige Idee auch umsetzen möchte. Zumal der Russen-Präsident glauben konnte, der Westen werde ihn schon nicht stören, sondern weiter die sogenannte Friedensdividende genießen, während er, Putin, nachrüsten könne auf Deubel-komm-raus, um dann zuzuschlagen.

Kein Freund der Freiheit

Wir haben vor einiger Zeit die frühere Leiterin des ARD-Studios in Moskau, Sonia Mikich, zitiert aus ihrem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung. Darin hatte Frau Mikich dem Westen heftige Vorwürfe gemacht, den Politikern, uns Journalisten, allen Putin-Verstehern die Leviten gelesen. Wir hätten Putin nicht richtig zugehört, hatte sie geschrieben, weil wir nicht allzuviel wissen wollten von und über ihn, als er vor gut zwei Jahrzehnten die politische Bühne betrat. Der Ex-Geheimdienstchef- sein Sitz war früher mal in Leipzig- habe „zu keiner Stunde, davon bin ich überzeugt, Menschenrechte, individuelle Freiheit und Widerspruchsfähigkeit akzeptiert.“ Viel mehr als das Näherrücken der Nato an die russische Grenze habe den Kreml-Chef die Zeitenwende in Kiew provoziert, wo Präsidenten einfach abgewählt und fortgejagt wurden und Menschen sich Freiheiten nahmen.“ So die Journalistin. Nein, nicht alle Russen seien putinbesoffen, wie sie das nennt, Zehntausende von Russen wünschten ihn weg, den Kriegstreiber. Versöhnung mit dem Bruderland hält sie für „undenkbar“. Wie auch, Putin lässt die Ukraine ja seit Wochen mit Bomben und Raketen Stück für Stück zerstören.

Ja, gab es denn den guten Putin nicht, den uns Gerhard Schröder einst beschrieb, mit dem der Sozialdemokrat, der er immer noch sein will, befreundet ist(oder war), mit dessen Hilfe er russische Kinder aus St. Petersburg adoptieren konnte? Und nicht vergessen private Geschäfte. Dazu Sonia Mikich: „Hat Putin nicht aus Grosny ein zweites Stalingrad gemacht?“ Die Stadt in Tschetschenien flach gelegt, in Schutt und Asche. Grauenhaft. Brutal. Was hat er in Syrien angerichtet, wo er dem Diktator und Menschenschlächter Assad half, das schöne Aleppo dem Boden gleich zu machen. Wir haben kurz vor dem Krieg Syrien bereist, waren u.a. in Damaskus und Aleppo. Und sahen später die schweren Zerstörungen durch Putins Flieger-Angriffe. Rücksichslos wurden Krankenhäuser bombardiert, es wurde Giftgas eingesetzt. Der Westen ließ es geschehen, reagierte wohl auch nicht, weil der Feind aus islamischen Gruppierungen bestand. 2008 dann der Krieg gegen Georgien, 2014 die Annexion der Krim, die man ihm nachsah, weil die Krim in den 50er Jahren von KP-Chef Nikita Chruschtschow den Ukrainern aus einer Laune heraus geschenkt worden war. Was aber damals strategisch keine Rolle spielte, die Krim, die Ukraine, das was wie Georgien und die anderen Republiken Sowjetunion. Und wir hatten verständnisvoll darauf hingewiesen, dass in Sewastopol ja die Schwarzmeerflotte der Russe liege. Wenn die Ukraine Teil der EU und der Nato geworden wäre, hätte das westliche Bündnis seine Grenze um 1000 Kilometer nach Osten verlegt und es hätte eine gemeinsame Grenze mit Russland gegeben. Dann waren da noch die Zusagen des Westens aus der Wende-Zeit der 90er Jahre, als der Ostblock aufgelöst wurde, die Nato aber bestehen blieb und niemand die Absicht hatte, die einstigen Staaten des Warschauer Paktes in die Nato aufzunehmen.

Wandel durch Annäherung

Hätte man Putin mehr einbinden sollen? Hätte der Westen seine Kontakte zu Russland intensivieren müssen? Politisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich? Also nach dem Motto Wandel durch Annäherung? Russland als Partner ernstnehmen und es nicht als Regionalmacht abstufen, wie es Obama getan hatte? Das mag Putin getroffen haben, ihn, der ja mit der Sowjetunion groß geworden ist, als sie noch eine Weltmacht war, gefürchtet auch. Und der dann den Zerfall durch Gorbatschow und Jelzin erleben musste. Was er als seine größte Katastrophe bezeichnet hat. Hat man versäumt Vertrauen aufzubauen? Oder wäre das mit einem wie Putin unmöglich? Weil man nicht vertrauen kann?

Aber es stimmt ja, was Sonia Mikich und andere Kritiker uns vorwerfen: Wir haben weggeschaut. Es gab verhaltene Kritik nach dem Attentat auf den Ex-Agenten Litwinenko, dem Giftgasanschlag von Salisbury, nach dem Tiergartenmord von Berlin am asylsuchenden Selimchan Changoschwili, mutmaßlich im Auftrag des russischen Geheimdienstes. Es war eine Form des russischen Staats-Terrorismus. Putin ließ die Journalistin Anna Politkowskaja ebenso ermorden wie die Menschenrechtlerin Natalaja Estemirowa, den Demokraten Boris Nemow. Es ist kaum denkbar, dass er das alles nicht gewusst und seine Finger nicht in diesem üblen Spiel gehabt hat. Wir haben weiter mit ihm Geschäfte gemacht, auch unter Angela Merkel, die im übrigen es begrüßt hatte, dass Gerhard Schröder in die Dienste der staatlich gelenkten russischen Gas-Industrie eintrat. Von dort bezogen wir ja die Energie. Aus Wandel durch Annäherung war Wandel durch Handel geworden, wir bekamen das Gas und das Öl und finanzierten damit Putins Militär.

US-Präsident Biden hat Putin einen „Schlächter“ genannt, andere bezeichnen ihn einen Mörder, einen Kriegsverbrecher, nachdem er mit einem Angriffskrieg in die Ukraine einmarschiert war. Aber wie oben beschrieben, hat er schon früher Tschetschenien terrorisiert und Syrien. Wie war das noch mit den Cyber-Attacken und der Unterstützung rechtsradikaler Parteien gegen westliche Demokratien? Ein lupenreiner Demokrat? Der? Wir haben uns getäuscht, weil es so bequem war, alles war weit weg, wir konnten das liebe und viele Geld besser für anderes ausgeben als für die Bundeswehr. War es nicht so? Deshalb wurden die Gas-Geschäfte mit Russland ja von allen demokratischen Parteien in Berlin begrüßt, oder hat damals jemand vor der zu großen Abhängigkeit Deutschlands von russischer Energie gewarnt? Jetzt muss es plötzlich rasch gehen, muss die Energiewende her, ganz schnell. Putin, das wissen wir spätestens seit dem 24. Februar, hatte einen Plan. Ob er aufgeht, wissen wir nicht, wir hoffen es nicht, schicken Waffen nach Kiew, helfen mit Geld, beschließen Sanktionen, um den Erpresser im Kreml zu treffen, zu schwächen. Er ist jetzt im Westen ein Geächteter, aber er ist noch im Amt und nicht ungefährlich, zumal Experten ihn für unberechenbar halten, wenn er merkt, dass seine Macht schwinden sollte. Seine wenigen Freunde sitzen in Eritrea, in Damaskus, in Nordkorea, alles nicht verlockend.

Regime change

Hoffen auf einen Regime-Change, wie es Biden gesagt hat? Das könnte die Reihen hinter Putin schließen, wenn die russische Propaganda zum Thema macht, dass der Westen ihren Präsidenten aus dem Amt putschen lassen will oder wie man das nennt? Putin hat sich offensichtlich verkalkuliert, so Fachleute, er habe nicht damit gerechnet, dass der Westen sich so zusammenschließen, so geschlossen reagieren werde. Wenn wir das denn auch durchhalten! Wenn nicht Ungarn einen Alleingang macht, wir wissen nicht, wie lange die Polen das mit der Aufnahme der Flüchtlinge aus der Ukraine durchhalten. Einige Millionen hat Polen bisher aufgenommen. Respekt. Und wie wird das in Deutschland werden, wenn der Krieg länger dauert?

Wir haben schließlich noch die Pandemie zu meistern. Wir brauchen mehr Pflege-Personal, Ärzte, das kostet viel Geld, weil wir jahrelang geschludert haben bei dem Thema. Wie bei der Schule, über deren Bedeutung Politiker pausenlos reden, wie wichtig doch die Bildung sei für die Kinder, aber sie machen sich einen schlanken Fuß, wenn es darum geht, die Schulen endlich zu sanieren. Wir wissen es und es passiert so gut wie nichts. Und das gilt unabhängig davon, wer gerade regiert. Ähnlich andere Bereiche der Infrastruktur, nehmen wir Brücken und Straßen, überall fahren wir auf Verschleiß, es wird nicht gewartet, nicht renoviert und plötzlich muss eine Autobahnbrücke über die Sauerlandlinie gesperrt werden. Der Abriss ist unvermeidbar. Peinlich, superpeinlich. In diesem starken Land, das so reich ist. Aber das passt zum Zustand der Bundeswehr, wo es nicht einmal genügend warme Unterwäsche gibt für die Soldaten. Für solche Lächerlichkeiten hatte einer der ganz Großen in diesem Bereich, der Baron aus Franken, von und zu Guttenberg, natürlich keine Zeit, er flog mal lieber schnell nach Kabul, um dort mitten im Kriegsgebiet ein Fernseh-Interview führen zu lassen. Seine Frau hatte er dabei.

Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung vom 27. Februar von einer „Zeitenwende“ gesprochen. Drei Tage nach Kriegsbeginn stellte er fest: „Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor.“ 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr, der Wehr-Etat soll auf zwei Prozent angehoben werden, was Zig-Milliarden zusätzlich kosten wird. Ob damit das Problem mit der Unterwäsche geklärt wird, weiß ich nicht. Ich hoffe nur, der Kanzler und seine Ampel haben einen Plan, wie die gesamte Misere in dieser Republik endlich angepackt und gelöst wird. Wir haben ja nicht nur eine Flüchtlingskrise, wir haben eine Energiekrise, wir haben eine Pandemie, und schlecht ausgerüstete Schulen, kaputte Straßen und Brücken. Und so weiter. Es wird Zeit.

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