Dirk Koch deckte die Flick-Spendenaffäre und zahlreiche andere Skandale der alten Bundesrepublik auf: Nun ist der frühere SPIEGEL-Mann im Alter von 82 Jahren gestorben. Nachruf von einem Weggefährten.
Er fand als erster Journalist heraus, wie der Flick-Konzern Politiker schmierte. Ein Mann hatte ihn angerufen. Der Anrufer gab weder seinen Namen preis, noch, wo man ihn erreichen könne. Mit verstellter Stimme nannte er nur Ort und Termin eines Treffens: Am nächsten Tag, Punkt 14 Uhr, solle Dirk Koch allein mit seinem Auto an der Rampe zum Obergeschoss in der Tiefgarage unter der Kölner Domplatte stehen – und zwar mit heruntergelassener Scheibe an der Beifahrerseite. Als Koch mit seinem Porsche vorfuhr, stand an der Rampe tatsächlich eine Gestalt, das Gesicht verhüllt, den Mantelkragen hochgeschlagen, den Hut tief heruntergezogen. Und als Koch auf die Rampe fuhr, reichte diese Gestalt einen braunen Umschlag ins Wageninnere und verschwand.
Was wie ein Agentenfilm begann, wuchs sich zu einer der größten Affären in der Geschichte der Bonner Republikaus. Weil der SPIEGEL-Redakteur Koch pünktlich zur Stelle war und hartnäckig am Thema blieb, weil er immer weiter bohrte und immer neue Zeugen auftrieb, wurde aus der flüchtigen Begegnung in der Tiefgarage die »Flick-Spendenaffäre«.
Später vereitelte Koch – von 1973 bis 1997 Chef des Bonner SPIEGEL-Büros – den Versuch der in den Skandal verwickelten Politiker, in aller Stille ein Amnestiegesetz durch den Bundestag zu schleusen, das ihnen Straffreiheit verschafft hätte. Weil der SPIEGEL Alarm schlug, misslang der Coup. Otto Graf Lambsdorff und Hans Friderichs, beide als FDP-Wirtschaftsminister in die Flick-Geschäfte verwickelt, mussten gehen.
Wöchentliche »Kohl-kaputt«-Attacken
Jahrelang hat Koch vergeblich versucht, den CDU-Regenten Helmut Kohl aus dem Kanzleramt zu schreiben. Kohl, von Statur und Gesinnung genauso massig und stur und, wie Koch, ein Alphatier, das kein zweites Alphatier neben sich duldete, überstand die wöchentlichen »Kohl-kaputt!«-Attacken. »Was stört es die Eiche, wenn das Wildschwein sich an ihr reibt?«, pflegte Kohl in kleinem Kreis zu höhnen. Wenn er auf Reisen ging, gab er Weisung, kein SPIEGEL-Redakteur dürfe an Bord der Kanzlermaschine mitfliegen. Koch und sein Freund und Kollege Klaus Wirtgen machten sich einen Spaß daraus, dem Regierungschef in einer Linienmaschine hinterherzufliegen – egal, wohin die Reise ging. Sehr zum Verdruss Kohls erschienen die beiden dann regelmäßig, wenn der deutsche Kanzler irgendwo in der Welt öffentlich auftrat oder Pressekonferenzen abhielt. Jemand aus seiner Entourage erfand für das Duo den giftigen Spitznamen »der ambulante Schlachthof« – sie empfanden es als Auszeichnung.
Es war ein ewiges Tauziehen und Kräftemessen, das Kohl gewann. Koch verließ 1997 als Chef das Bonner Büro, er wurde nach Brüssel versetzt. Kohl blieb ein Jahr länger im Amt. Und er hatte Glück, dass der Journalist Koch erst als Rentner einem Skandal auf die Spur kam, der Kohls Kanzlerschaft, wäre er 30 Jahre früher entdeckt worden, ernsthaft erschüttert, vielleicht sogar beendet hätte. Selbst engsten Freunden hat Koch nie verraten, von wem er die brisanten Akten hatte: In ihnen kann man nachlesen, dass und wie Helmut Kohl dafür sorgte, dass eine für ihn äußerst peinliche Korruptions- und Spionageaffäre jahrelang unter der Decke gehalten werden konnte.
Adolf Kanter, der Hauptakteur dieser Affäre, saß nur wenige Meter entfernt von Kochs Büro in der Bonner Welckerstraße. Er war ein Freund und Vertrauter des Flick-Bevollmächtigten Eberhard von Brauchitsch, aber – was dieser nicht ahnte – unter dem Decknamen »Fichtel« seit Jahrzehnten Agent des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit. Sein Chef Markus Wolf schrieb in seinen Memoiren, Kanter sei für die DDR »kaum weniger wertvoll« als der Kanzleramtsspion Günter Guillaume gewesen. Nach Einschätzung des Stasi-Experten Helmut Müller-Enbergs war er sogar »wesentlich wichtiger« für den Osten als Guillaume. Der Spion kannte und förderte den CDU-Politiker Kohl schon, als der gerade erst begann, sich in Rheinland-Pfalz nach oben zu arbeiten.
Mithilfe seines Freundes von Brauchitsch habe Kanter den aufstrebenden Jungpolitiker Kohl schon damals »Spenden aus dubiosen Quellen« zugeschoben, las Koch in den Akten. Dafür habe sich der CDU-Vorsitzende Kohl später erkenntlich gezeigt: Als Ministerpräsident ließ er einen Staatsanwalt zurückpfeifen, der seinem Förderer Kanter auf den Fersen war. Der Prozess Mitte der Neunzigerjahre gegen den enttarnten Spion fand weitgehend hinter verschlossenen Türen statt.
Seltsamerweise endete das Verfahren 1995 mit einer Verurteilung »auf Bewährung«, was angesichts der Faktenlage nur schwer zu erklären war. Koch schrieb, ihm sei von verschiedenen Mitarbeitern aus Kohls Kanzleramt bestätigt worden, dass von dort Druck auf das Gericht in Koblenz ausgeübt worden sei. Er, Koch, habe den Vorsitzenden Richter gefragt, ob das stimmt. Der Richter habe die Frage weder verneint noch bejaht, sondern erklärt: »Dazu sage ich jetzt nichts!«
Dies alles steht in Kochs Buch »Der Schützling«. Es ist mit Details und Zitaten gespickt, eine echte Fleißarbeit über einen vertuschten Skandal. Aber als es 2021 erschien, waren alle Beteiligten gestorben, sodass Kochs Enthüllungen kaum mehr Beachtung fanden.
Eine Journalisten-Familie
Mit Journalismus hatte Dirk Koch schon zu tun, bevor er lesen und schreiben konnte. Ständig wurde in seiner Familie über Meldungen, Aufmacher, Kommentare und Exklusivgeschichten geredet. Sein Vater, Erwin Erasmus Koch, war als Journalist in Fernost und in den Niederlanden unterwegs. Sein älterer Bruder, Peter Koch, den er als Vorbild verehrte, wurde Chefredakteur der Illustrierten »Stern«. Dirk hielt eisern zu ihm, auch nachdem der Stern-Chef über die Hitler-Tagebücher gestürzt war. Sein jüngerer Bruder Einar wurde ebenfalls Journalist.
Dirk Koch hatte schon als Schüler für Regionalprogramme des WDR gejobbt und als Student ein Volontariat beim Bonner General-Anzeiger absolviert. Danach kam er nach Zwischenstationen bei der Deutschen Presse-Agentur und der Stuttgarter Zeitung in das Bonner SPIEGEL-Büro mitten im Regierungsviertel. Fast ein Vierteljahrhundert hat er es geleitet: gefürchtet, geliebt und umstritten – ein Patriarch, der Konkurrenz kaum duldete und dem es jahrelang gelang, Rivalen auf Distanz zu halten.
Dabei ging es in diesem Bonner Büro keineswegs leise zu. Es gab Widerworte, heftige Diskussionen, man fetzte und man vertrug sich – nur nach außen durfte nichts dringen, am wenigstens in die Hamburger Zentrale. Wer sich daran hielt, gehörte dazu. Wer nicht, war draußen. Als Chef hatte Koch die seltene Gabe, Widerworte nicht nur auszuhalten, sondern nutzbar zu machen. Er verstand es, die unterschiedlichen Talente seiner Leute so einzusetzen, dass am Ende der Woche Geschichten ins Blatt kamen, die das Bonner Büro schmückten – und damit ihn.
Und ja: Er war ein gefühliger Familienmensch, auch seine Bonner Mannschaft (mit drei Ausnahmen gab es dort über Jahre nur Männer) betrachtete er als seine Familie. Stundenlang konnte er erzählen, wie er im Siebengebirge morgens um fünf Uhr unterwegs war, um zu jagen. Gern lud er ausgewählte Kollegen und befreundete Politiker auf seine Farm in Irland ein, seine zweite Heimat, an der schroffen Steilküste gelegen. Er besaß einen kleinen Kutter, mit dem er morgens hinausfuhr, um eimerweise Fische zu fangen, die anschließend in großer Runde frisch in riesigen Pfannen gebraten wurden – und köstlich schmeckten.
In den letzten Jahren fiel ihm das Gehen schwer. Man sah ihn nur mit einem schweren Stock unterwegs, meistens mit einem seiner Hunde. Am 18. November traf er sich das letzte Mal mit den noch lebenden SPIEGEL-Veteranen aus dem Bonner Büro. Er war klar im Kopf und erzählte von alten Zeiten. Nichts deutete darauf hin, dass seine Zeit so bald enden würde. Nun ist er, für die meisten überraschend, aber ohne langes Siechtum, im Alter von 82 Jahren in Bad Honnef gestorben.












