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Niedergang oder Erneuerung der SPD?

Wolfgang Lieb Von Wolfgang Lieb
24. Februar 2025
Etwas verschwommene SPD Schriftzeichen auf rotem Grund

Die CDU hat nach Roland Kochs „Doppelpass“-Kampagne in Hessen im Jahre 2003 und Jürgen Rüttgers „Kinder statt Inder“-Parolen in NRW im Jahre 2005 zum dritten Mal einen Wahlkampf mit dem Schüren von Ängsten in der Bevölkerung und einem Generalverdacht gegen Ausländer und vor der Zuflucht- und Zuwanderung von Migranten nach Deutschland gewonnen. Mit 28,6 Prozent (in den Ost-Ländern nur 18,4 Prozent) der Wählerstimmen fuhr Kanzlerkandidat Merz trotz seines „All in“ und seines „Geradeausdenkens“ das zweitschlechteste Ergebnis nach ihrer Gründung ein. Die CDU blieb – und das gilt auch für die CSU in Bayern mit 37,2 Prozent der Zweitstimmen – weit unter den eigenen Erwartungen und hinter den Umfragen vor der Wahl zurück. Es war eben ein „Wettbewerb der Unbeliebten“ (Karl-Rudolf Korte). Friedrich Merz hat die die Hoffnungen seiner Partei eher enttäuscht, er steht mit einem blauen Auge da. Dabei hat eine gescheiterte und immer unbeliebter werdende Ampel-Regierung geradezu eine Wechselstimmung provoziert.

Friedrich Merz trieb – vor allem nach den schrecklichen Attentaten in Deutschland – die Stimmung gegen Ausländer mit seinem „Zustrom(!)begrenzungsgesetz“ und dazu noch durch gemeinsame Abstimmungen mit der AfD die Ängste in der Bevölkerung in die Höhe. Obwohl fast zwei Drittel der Befragten es gut finden, dass sich Merz so klar gegen eine „irreguläre“ Migration aussprach, und er viele Stimmen von früheren FDP- und noch mehr von ehemaligen SPD-Wählern bekam, hat er über eine Million Stimmen von der CDU/CSU an die AfD verloren.

Die rechtsextreme Partei hat ihren Stimmenanteil auf 20,8 Prozent verdoppelt und einen historischen Erfolg erzielt. (Zum Vergleich: 1930 erzielte die NSDAP 18,3 Prozent.) Wieder einmal bewahrheitete sich der Satz, dass wer die Themen der Rechtsextremen aufgreift, diese „salonfähig“ und damit das „Original“ stärker macht. Es wird für Alice Weidel und für ihre auf nun über 150 Parlamentsabgeordnete gewachsene Fraktion eine Lust sein, eine CDU/CSU-geführte Regierung zu “jagen“, indem die AfD als stärkste Oppositionspartei ganze Abschnitte aus dem Wahlprogramm des künftigen Bundekanzlers Friedrich Merz, etwa zur Migrations-, Wirtschafts- oder zur Steuerentlastungspolitik vor allem für höhere Einkommen, wörtlich als Anträge in den Bundestag einbringen wird. Denn für die illiberale AfD wird selbst ein von Merz angekündigter „Politikwechsel“ – selbst mit einem wahrscheinlich pflegeleichten Koalitionspartner SPD – nie weit genug nach rechts gehen. Die AfD wird noch ruppiger als bisher im Parlament vorgehen und als stärkste Oppositionspartei noch mehr Stimmung im Land für sich machen. Die Medien werden ihre Politiker noch mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken (müssen). Eine dann aus Koalitionsdisziplin notwendige Ablehnung solcher provokativen Anträge durch die künftige Regierung, wird wiederum die AfD weiter stärken und es steht zu befürchten, dass diese national-autoritäre und in weiten Teilen rechtsextreme, ja neonazistisches Partei – wie Weidel androhte – schon während oder spätestens nach der jetzt anstehenden Legislaturperiode stärkste Kraft werden könnte. Der Osten Deutschlands ist ja -bis auf winzige Einsprengsel von schwarz und rot in und um Berlin – schon mit mehr als 30 Prozent der Stimmenanteile nahezu komplett blau. Im Höcke-Land Thüringen erzielte die AfD sogar 38,6 Prozent und auch in Sachsen, Sachsen-Anhalt kam sie auf über 37 Prozent.

Die Wahlbeteiligung war mit 82,5 Prozent seit 1987 nicht mehr so hoch wie bei diesen vorgezogenen Winter-Wahlen. Die Parole „Wählen gehen“ kam aber mit 1,8 Millionen bisherigen Nichtwählern vor allem der AfD zugute. Die Parteien „links der Mitte“ konnte mit gerade noch knapp 37 Prozent so wenig Stimmenanteile auf sich ziehen, wie noch nie.

Selbst CDU, CSU, SPD und Grüne zusammen hätten keine Zwei-Drittel-Mehrheit mehr im Bundestag, um eine notwendige Reform der Schuldenbremse oder von Sondervermögen für Hilfen für die Ukraine oder für noch höhere Militärausgaben durchzusetzen. Kein Wunder, dass Merz plötzlich darüber nachdenkt, das Grundgesetz noch mit bisherigen (alten) Mehrheiten zu ändern.

Für die Regierungsbildung bleibt, jedenfalls für den Fall, dass sich das BSW nicht noch in den Bundestag klagt, und wenn Merz bei seinem Wort bleiben sollte, sich nicht von der AfD zum Bundeskanzlerwählen zu lassen, keine andere Koalition als eine kleine „Große Koalition“ mit der SPD. Dabei wird der Druck vor allem vor allem von Seiten ost-deutscher CDU-Politiker, die offen für eine Zusammenarbeit mit der AfD sind, zunehmen. So dass der SPD, wenn sie nicht riskieren will, dass sich CDU/CSU mit einer Minderheitenregierung von der AfD tolerieren lässt, keine andere Wahl bleiben wird, sich „aus staatspolitischer Verantwortung“ als geschwächter Juniorpartner dem neuen Kanzler Merz unterzuordnen. Merz dürfte erleichtert aufgeatmet haben, als er sah, dass er durch das Ausscheiden von FDP und BSW aus dem Bundestag nach dem vorläufigen amtlichen Wahlergebnis keinen dritten Koalitionspartner zum Regieren braucht.

Angesichts dieser eher national-konservativen Drucksituation von mehr als der Hälfte der Wählerinnen und Wähler und des Kräfteverhältnisses in einer schwarz-roten Koalition werden die Sozialdemokraten – mehr noch als in der Regierung Merkel – mehr Kompromisse machen müssen als in der gescheiterten Ampel-Regierung, in der immerhin noch die Grünen für Umwelt und auch Soziales standen. Damit wird die SPD künftig noch mehr an Vertrauen und Zustimmung verlieren. Sie dürfte noch konturloser werden, zumal man sich bei Scholz wenigstens darauf verlassen konnte, dass er den Sozialstaat nicht zu Lasten von Militärausgaben opfern und Steuersenkungen für Reiche nicht zu Lasten der Renten und der Ärmeren zugestehen würde. Scholz will sich an der künftigen Regierungsbildung nicht mehr beteiligen, auch Christian Lindner und Robert Habeck werden in der politischen Versenkung verschwinden.

Bündnis 90/DIE GRÜNEN sind zwar mit 11,6 Prozent nicht so stark eingebrochen und haben gemessen an der FDP (minus 7 Prozent) und der SPD (minus 9,3 Prozent) nur rd. 3 Prozent Stimmenanteil, wohl vor allem wegen ihrem Bellizismus vor allem an die Linkspartei verloren (rd. 700.000 Wähler). Der Wechsel von Baerbock zum „Kanzlerkandidaten“ Habeck, der zwar hohe Sympathie genießt, hat nicht geholfen. Da mag Christian Lindner die Freien Demokraten noch so sehr als nicht besiegt erklären, die FDP hat eine „voll auf die Zwölf“ bekommen (Strack-Zimmermann), sie ist mit 4,3 Prozent nicht mehr im Bundestag vertreten.

Die SPD hat mit 16,4 Prozent Stimmenanteil seit 1890 (damals immerhin noch 19,8 Prozent) und seit 1930 (damals noch mit 18,3 Prozent) und mit Ausnahme der Europawahl im letzten Jahr (mit 13,9 Prozent schnitt sie da noch schlechter ab) ihr deutschlandweit schlechtestes Wahlergebnis erzielt und mit einer Erdrutschniederlage den in Prozentpunkten tiefsten Absturz aller anderen früheren Ampelparteien erlitten.

Lag diese Wahlniederlage nur an Kanzler Olaf Scholz oder auch an der SPD bzw. deren Parteiführung?

Die SPD hat die Wahl nicht erst nach der Entlassung von Christian Lindner – dem Ego-Shooter der FDP – verloren. Sicher, Scholz war zumal bei der mittleren Altersgruppe und auch bei der Arbeiterschaft kein Zugpferd. Er hat innerhalb der Ampel zögerlich, zaudernd und risikoscheu agiert und allenfalls das verhindert, was er nicht will. Aber er war unfähig mit seiner besserwisserischen Außendarstellung für das, was ihm wichtig war, politische und vor allem auch gesellschaftliche Mehrheiten zu schaffen. In der Ampel konnte er kein Profil gewinnen, weil er von vorneherein nur zuließ oder nur das durchsetzte, was er – und sein symbiotischer Ratgeber Wolfgang Schmidt im Kanzleramt, der es nicht ins Parlament schaffte – für „durchsetzbar“ hielt. Er hat bei aller Intelligenz und Regierungserfahrung mit seiner selbstgewissen Eigenbrötelei und Unnahbarkeit auch innerhalb seiner Regierung und in seiner Partei niemand um sich herum geduldet, der seine Unfähigkeit zu Empathie und zu Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern hätte ein wenig aufwiegen können.

Erschwerend kam hinzu, dass die SPD-Parteiführung die Defizite und auch Fehler von Olaf Scholz, ohne inhaltlichen Widerspruch und ohne auf sozialdemokratisches Profil Wert zu legen, hingenommen hat. Statt einer – wie sich nicht zuletzt an dem breiten politischen Spektrum bei der basisdemokratischen Kandidatenkür um den Parteivorsitz ab 2019 zeigte – offenen innerparteilichen Diskussion und einem geschlossenen Auftreten nach außen – was übrigens wesentlich zu dem überraschenden Wahlsieg der SPD bei der Bundestagswahl 2021 beitrug – war vom Präsidium der SPD kaum etwas zu hören und von den beiden Co-Vorsitzenden waren allenfalls Schönfärbereien wahrzunehmen oder im Wahlkampf bestenfalls plumpe Durchhalteparolen aufzuschnappen. Die Ernennung des früheren Sprechers der Parlamentarischen Linken, Matthias Miersch, als Generalsekretär und als Nachfolger von Kevin Kühnert, erfolgte wohl auch eher deshalb, um ihn als möglichen Fraktionsvorsitzenden der SPD im Bundestag aus dem Rennen zu nehmen.

Es lag auch nicht nur an dem spröden und schroffen Auftreten von Saskia Esken, das ihr in ihrem eigenen Wahlkreis in Calw in Baden-Württemberg gerade mal noch 12,9 Prozent der Erststimmen einbrachte. Sie war zuletzt auch nur noch mit holpriger Sprache als Kanzlerjublerin in Erscheinung getreten und hofft wohl auf eine Entsorgung im künftigen Kabinett.

Und der integre und sicherheitspolitisch versierte Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, der von der Parteiführung politisch oft genug im Regen stehen gelassen wurde und deshalb wohl auch seinen Wahlkreis knapp an die Grüne Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge verlor, hat sich als Brückenbauer zwischen den Regierungsfraktionen und innerhalb seiner eigenen SPD-Fraktion weit über seine Kräfte hinaus verschlissen und musste sich nun auch noch – von der Parteiführung zu dieser Inszenierung genötigt – als Steigbügelhalter für Lars Klingbeil hergeben, der auch weiterhin als Parteivorsitzender fungieren will.

Klingbeil, der an zentraler Stelle dafür mitverantwortlich war, dass seit seiner Zeit als Generalsekretär und danach als Co-Vorsitzender der SPD die Sozialdemokraten zuletzt in Brandenburg, in Sachsen, in Thüringen, bei der Europawahl, zuvor in Bayern, Hessen, Berlin, Niedersachsen, NRW, Schleswig-Holstein bei all diesen Wahlen Stimmen eingebüßt oder gar dramatisch verloren haben, will nun den Vorsitz der von 206 auf 120 Mitglieder geschrumpften SPD-Bundestagsfraktion übernehmen. Alle die vorausgegangenen Niederlagen der von ihm gemanagten und geführten Partei blieben nicht an ihm haften. Er hat es sogar geschafft, den überraschenden Wahlsieg der SPD im Jahre 2021, der sowohl was den Wahlkampfauftritt der SPD als auch was den offenen innerparteilichen Diskussionsprozess anbetrifft, vor allem dem Brückenbauen des damaligen Co-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans zu verdanken war, zu seinem persönlichen Erfolg umzudeuten. Er hat es als Machttaktiker geschafft, um sich herum Netzwerke für die eigene Karriere zu knüpfen. Und er ist bislang politisch durch nichts anderes als damit in Erscheinung getreten, bittere Kompromisse als volle Erfolge der Sozialdemokratie zu verkaufen. Niemand außer ihm in der Bundespartei durfte und konnte neben ihm Profil gewinnen. Keinesfalls steht Klingbeil für das, was für die Sozialdemokratie richtig und notwendig wäre, nämlich gesellschaftliche Mehrheiten zu schaffen. Er ist mitverantwortlich, dass die SPD ihr wichtigstes Pfund, nämlich bei der Zumessung von sozialer Kompetenz dramatisch verloren hat.

Der 47-Jährige ist bestenfalls gemessen an seinem Alter unverbraucht, er soll nun die nach dem Wahldebakel angekündigte Erneuerung der SPD schaffen und nun als neuer Hoffnungsträger aufsteigen – zunächst noch als Fraktionsvorsitzender und danach – nach einer Regierungsbildung mit der CDU/CSU – wohl als Vizekanzler und möglicherweise Außenminister. Ansonsten könnte ihm ja Boris Pistorius seine angestrebte Führungsrolle streitig machen. Die, die lautstark eine Erneuerung fordern, schweigen einmal mehr. Wie man damit „nach vorne gehen“ (so Olaf Scholz) könnte, bleibt ein Rätsel. Dabei gäbe es für einen wirklichen Neuanfang eine ganze Reihe von Hoffnungsträgern im Bund und in den Ländern für eine Sozialdemokratie, die nicht das Schicksal des Niedergangs ihrer Schwesterparteien in Frankreich oder den Niederlanden erleiden will, und die sozial-konservative Wählerschichten genauso ansprechen könnten, wie demokratische Kräfte auf der fortschrittlichen Seite etwa bei der Klima- und Umweltpolitik wie auch hinein ins kulturelle Leben und in die Wissenschaft. Wie das Willy Brandt einst vorgemacht hat.

Die Konturlosigkeit der SPD und ihr Nacheifern der CDU/CSU und der AfD in der Migrationspolitik hat neben dem Bellizismus der Grünen der Partie Die Linke einen überraschenden 8,8 Prozent, im Osten Deutschland sogar einen zweistelligen Stimmenanteil verschafft und vor allem jüngere Wähler auf die Internetseite von Heidi Reichinnek und dem Verteidigungspolitiker Jan van Aken geführt. Eine halbe Million Wähler und vor allem Wählerinnen, die für eine gerechtere Politik eintreten, sind mit ihrer Zweitstimme von der SPD zur Linkspartei abgewandert. 200 Mitglieder der Linkspartei mussten gehen um 20.000 neue Mitglieder zu gewinnen. Auch diese nach der Agenda-Politik von Kanzler Gerhard Schröder „Wiederauferstehung“ dieser Partei links von der SPD müsste ein weiteres Alarmzeichen für die Sozialdemokraten sein, wo sie in Sachsen und Thüringen mit gerade mal über 8 Prozent schon zur Splitterpartei dezimiert wurden, während Die Linke im Osten zweistellige Ergebnisse erzielte (12,9 Prozent).

Diese politische Konstellation stimmt nicht gerade hoffnungsfroh in einer Situation in der die „westliche Wertegesellschaft“ an einem MAGA-Präsidenten Trump zerbirst und Deutschland an einer neuen Wegkreuzung in seiner Europapolitik steht.

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