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Home Politik

Vor 10 Jahren: die EU-Kommission entscheidet, den Abgasbetrug durch die PKW-Hersteller zuzulassen

Jochen Luhmann Von Jochen Luhmann
17. Juli 2022
Lemuren

1.     Das herrschende Narrativ zum Diesel-Abgas-Fall

Der Diesel-Abgasbetrug flog am 18. September 2015 auf mit einer Presseerklärung der EPA, der Umweltschutzbehörde in den USA. Wer genau hinhörte, konnte schon damals stutzig werden: Wieso nahm die EU-Kommission von jetzt auf gleich, nach der Offenbarung seitens der US-Behörde, als gegeben, dass hierzulande derselbe Betrug stattgefunden hat? Schließlich gelten jenseits und diesseits des Atlantiks unterschiedliche Abgasgesetze. Es hätte doch sein können, dass VW eine Testzykluserkennung nutzt, die allein in den USA verboten ist. VW leugnet bis heute, in der EU Widerrechtliches getan zu haben. Nur in Deutschland wurde es, mehrfach, konkludent allerdings nur, zugegeben.

Durchgesetzt hat sich zu diesem Skandal ein Narrativ nach dem Muster: Es habe sich um ein „Unternehmensversagen“ gehandelt, im einfachen Falle lässt man den Plural „Unternehmen“ auf eines zusammenschnurren, dann ist es der „Dieselskandal von VW“. Da man mit privatrechtlichen Klagen Chancen auf Entschädigungen hat, handelt es sich um ein Problem mit Massentauglichkeit – das lud zur Entpolitisierung durch die Medien geradezu ein.

Im Juli 2022 hat aber die zentrale politische Entscheidung 10-jähriges Jubiläum. Dessen wird hier erinnert mit dem Ziel, ein anderes Narrativ ins Spiel zu bringen. Im Juni 2012 erhielt der damals, von 2010 bis 2014, zuständige Industrie-Kommissar der EU, Antonio Tajani, Post von einem Manager eines Automobilzulieferer-Unternehmens (Schrader Electronics). Darin wurde darüber informiert, dass PKW-Hersteller mit Softwareprogrammen die Emission von Stickoxiden (NOx) – und übrigens auch Kohlendioxid (CO2) – bei Zulassungstests widerrechtlich manipulieren. Am 4. Juli 2012 kam es einem persönlichen Treffen zwischen zwei Vertretern des Unternehmens und vier Vertretern der Kommission, darunter Tajani, in einem Straßburger Büro der EU-Kommission.

Die Unternehmensvertreter teilten dem EU-Kommissar mit, die eingesetzte Software erkenne, wenn sich ein Auto im Zulassungstest befinde, und mindere dann die Emissionen. Wenn die Kommission gegen diesen Betrug nicht vorginge, so offenbarte die Wirtschaftswoche im November 2015 die Warnung an Tajani, „diskreditiert das die gesamten Bemühungen der EU, den Straßenverkehr weniger umwelt- und gesundheitsschädlich zu machen“. Naja. Ich unterstelle, die Abgesandten von Schrader Electronics hatten nicht nur Gemeinwohl-Interessen im Sinn.

2.     Die drei übergangenen Narrative

Diese Schilderung legt jedenfalls nahe, dass es sich bei dem Skandal, der im September 2015 das Scheinwerferlicht der Welt erblickte, in Wahrheit nicht einfach nur um ein Schummeln von Fahrzeug-Herstellern, also von Unternehmen, bei der Diesel-Abgasreinigung gehandelt hat. In allen drei durch Unterstreichung hervorgehobenen Eigenschaften handelt es sich um Engführungen. In Wahrheit gilt:

  1. Es handelte sich nicht um Unternehmensversagen sondern um Staatsversagen. Führende Köpfe der Kommission haben nach der Finanzkrise 2007/08 entschieden, die rechtliche Umsetzung der strikten NOx-Regulierung in Form von Vorgaben der Kommission abzubrechen, um die Unternehmen nicht weiter zu belasten. Das ist das Ergebnis der Untersuchungskommission des Europäischen Parlaments (EMIS)dazu.
  2. Es handelt sich nicht um eine Schummelei allein bei Dieselabgasen. Auch andere Fahrzeugeigenschaften (Lärm z.B.) sind von Manipulationen betroffen, auch die CO2-Werte, die nicht fahrzeug-individuell sondern für ganze Flotten festgestellt werden, werden manipuliert. Da die CO2-Werte in die Grundlage der KfZ-Steuer eingehen, würde ein Finanzminister, der sein Treuegelübde ernst nimmt, dieses Thema an sich ziehen.

Das Wistleblowing eines Vorstandsmitglieds eines Automobilzulieferunternehmens offenbart, dass es auch um einen ökonomischen Konflikt zwischen Herstellern (OEM) und Zulieferern ging. Die Entscheidung der führenden Brüsseler Kreise, „die Unternehmen“ zu entlasten, war ein einseitiger Eingriff zulasten der Zulieferer und zugunsten der OEM. Letzteren wurde durch die Freigabe der Schummelei erspart, von den Zulieferern all das einzukaufen, was diese im Hinblick auf die in Kraft getretene schärfere Abgas-Regulierung ihrem Business Model gemäß entwickelt hatten und liefern konnten. Die Zulieferer wurden nicht etwa entlastet, sondern belastet. Diese auffällige Bevorzugung eines Teils der Branche ist in ihren Motiven bis heute ungeklärt. Hinzu kommt als klärungsbedürftig: Tajani hat den Wistleblower mit Namen und Kontaktdaten öffentlich gemacht[4], als er im Zusammenhang mit den EMIS-Untersuchungen in 2015 deswegen unter Druck geriet – das grenzt im Umgang mit einem Wistleblower, der VW-Kunde war, an mafiöses Verhalten.


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