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Warum die FDP-Wissenschaftsministerin unhaltbar ist

Christopher Onkelbach Von Christopher Onkelbach
6. Juli 2024
Bettina Stark-Watzinger

Tausende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fordern den Rücktritt von Bettina Stark-Watzinger nach der Fördergeld-Affäre. Professoren wehren sich gegen „Gesinnungsprüfung“

Warum ist FDP-Wissenschaftsministerin Bettina Stark-Watzinger noch im Amt? Sollte eine Wissenschaftsministerin, eine liberale zumal, nicht die ganze Kraft ihres Amtes daransetzen, den Forscherinnen und Forschern im Lande jenen Freiraum zu verschaffen, in dem allein wissenschaftliche Erkenntnisse und Fortschritte gedeihen können? Ihr Handeln weckt daran immer größere Zweifel, nachdem ihr Ministerium offenbar prüfen ließ, ob man unliebsamen Uni-Dozentinnen und Uni-Dozenten Bundesfördergelder streichen könnte. Das würde nichts anderes bedeuten, als ihnen aus politischen Gründen die Arbeitsgrundlage zu entziehen – ein beispielloser Angriff auf die grundgesetzlich garantierte Wissenschaftsfreiheit.
Das Vertrauen zwischen der Ministerin und der Welt der Wissenschaft ist inzwischen derart nachhaltig gestört, dass mehr als 3300 Hochschullehrende in einem offenen Brief ihren Rücktritt fordern. Sie werfen der Ministerin „politischen Machtmissbrauch“ vor. Diese Art „repressiver Überprüfungen“ seien bisher nur aus „autoritären Regimen bekannt“, heißt es in dem Brief.

Was ist passiert?

Seit Wochen steht die Ministerin in der sogenannten Fördergeld-Affäre in der Kritik. Den Anfang markiert ein offener Brief von Uni-Dozentinnen und Uni-Dozenten Anfang Mai: Nach der Räumung eines pro-palästinensischen Protestcamps an der FU Berlin hatten mehr als 1000 Dozentinnen und Dozenten ein Schreiben unterzeichnet, in dem sie sich gegen die Räumung und Polizeigewalt und für den Dialog mit den Studierenden aussprachen. Dabei machen sich die Unterzeichner keinesfalls mit den inhaltlichen Forderungen der Protestierenden gemein, sondern berufen sich allein auf die demokratischen Grundrechte. An verschiedenen deutschen Hochschulen gab es zuletzt teils massive Proteste gegen die israelische Militäroffensive im Gazastreifen.

In dem offenen Brief heißt es: „Unabhängig davon, ob wir mit den konkreten Forderungen des Protestcamps einverstanden sind, stellen wir uns vor unsere Studierenden und verteidigen ihr Recht auf friedlichen Protest, das auch die Besetzung von Uni-Gelände einschließt.“ Die Unterzeichner verweisen auf die Pflichten der Universitätsleitung, „solange wie nur möglich“ eine gewaltfreie Lösung anzustreben. „Diese Pflicht hat das Präsidium der FU Berlin verletzt, indem es das Protestcamp ohne ein vorangehendes Gesprächsangebot polizeilich räumen ließ.“

Lothar Zechlin, Gründungsrektor der fusionierten Universität Duisburg-Essen und emeritierter Professor für Öffentliches Recht, gehört zu den Unterzeichnern des offenen Briefs. „Hochschulen sind die Orte, wo kontroverse Meinungen artikuliert werden können, auch wenn man nicht damit einverstanden ist“, sagte er dieser Redaktion. Man dürfe die Kritik am Vorgehen Israels im Gazastreifen nicht mit dem Antisemitismus-Argument unterbinden. Die moralische Empörung der Ministerin über die Proteste habe ihn geärgert.

Stark-Watzinger reagierte scharf auf den offenen Brief und nutzte statt eines direkten Austausches mit den Initiatoren die „Bild“-Zeitung als Medium: „Dass es sich bei den Unterstützern um Lehrende handelt, ist eine neue Qualität.“ Sie stellte infrage, ob die Dozentinnen und Dozenten „auf dem Boden des Grundgesetzes stehen“. Den Unterzeichnern Verfassungsfeindlichkeit oder gar Antisemitismus vorzuwerfen, weil sie auf das Recht auf freie Meinungsäußerung hinweisen, ist ein gravierender Vorwurf.

Kurz darauf berichtete das NDR-Magazin „Panorama“ von einem schwerwiegenden Verdacht: Im Bundesministerium für Bildung und Forschung sei überlegt worden, jenen Hochschullehrenden die Forschungsförderung zu streichen, die in dem offenen Brief die Räumung des Protestcamps kritisiert hatten.
Ab diesem Zeitpunkt werden die Vorgänge unübersichtlich und sind bis heute noch nicht restlos von der zuständigen Ministerin aufgeklärt worden: Offenbar sollte im Ministerium eine namentliche Liste mit allen Unterzeichnern des Briefes erstellt werden, die vom Bund finanziell gefördert werden. Vermutlich mit dem Ansinnen, ihnen die Gelder zu entziehen. Als dies bekannt wurde, musste Staatssekretärin Sabine Döring ihren Posten räumen. Zuvor hatte Döring eingeräumt, den zuständigen Abteilungsleiter im Ministerium telefonisch mit einer „rechtlichen Prüfung“ beauftragt zu haben, also um zu klären, ob der Inhalt gegen Gesetze verstößt. Dass zudem eine Überprüfung möglicher „förderrechtlicher Konsequenzen“ für einzelne Unterzeichner erfolgte, erklärte Döring später mit einem Missverständnis. Das sei nicht gemeint gewesen.

Inzwischen vom Ministerium veröffentlichte Dokumente belegen, dass die verhängnisvolle förderrechtliche Prüfauftrag schon am 10. Mai in Auftrag gegeben wurde, also nur zwei Tage nach der Veröffentlichung des Briefes. Auftraggeber sollen demnach ein Abteilungsleiter und die Pressestelle gewesen sein. Dieser Vorgang sei kurz darauf gestoppt worden, erklärte Stark-Watzinger, die davon aber erst am 11. Juni erfahren haben will, also nach Veröffentlichung des NDR-Beitrags. Wieso aber musste dann Sabine Döring gehen? Dies weckt den Verdacht, dass ein „Bauernopfer“ den Skandal schnell und möglichst geräuschlos beilegen sollte, ohne die komplexen Hintergründe detailliert öffentlich aufklären zu müssen.

Zurück bleibt eine beschädigte Ministerin, die angeblich nicht genau wusste, was in ihrem Hause vorging und die auch keinen Grund zu einer Entschuldigung sieht. Es wäre ihre hoheitliche Aufgabe, die Wissenschaftsfreiheit zu verteidigen, gerade in Zeiten steigender populistischer Anfeindungen gegenüber Forschenden. Stattdessen prüft ihr Haus Sanktionen gegen unbotmäßige Akademikerinnen und Akademiker. „Ich finde das unglaublich, das ist eine Art Gesinnungsprüfung der Professoren und Professorinnen“, sagt Zechlin, der ebenfalls ihren Rücktritt fordert. „Sie ist als Ministerin verantwortlich für das, was in ihrem Hause geschieht. Egal, ob sie persönlich die Maßnahme angeordnet hat oder nicht. Ihr Ruf an den Hochschulen ist vollkommen dahin.“

Das vorerst letzte Kapitel der Affäre markiert ein neuer offener Brief vor wenigen Tagen. Einige Hundert Professorinnen und Professoren verurteilen darin Antisemitismus und Gewalt an deutschen Hochschulen und betonen das Existenzrecht Israels. Auch die im Zuge der Fördergeldaffäre entlassene Staatssekretärin Sabine Döring unterzeichnete das Schreiben.

Die „Bild“ wertete dies prompt als „Aufstand der anständigen Uni-Profs“ – was wohl bedeuten soll, als dass die kritischen Professorinnen und Professoren, die sich gegen Stark-Watzinger stellen, „unanständig“ sind. Dabei wiederholt das Papier im Grunde lediglich selbstverständliche und von Hochschulen seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober schon häufig geäußerte Positionen. Stark-Watzinger begrüßte trotzdem das „klare Statement“ aus den Universitäten. Was zeigt: Der politische Streit verläuft inzwischen mitten durch die Hochschulen.

Bildquelle: Bundestagaktuell, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

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