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Weihnachten: Das Abseits auf der Weltbühne

Christian Wolff Von Christian Wolff
26. Dezember 2025
Weihnachtskrippe als Scherenschnitt

Sie ist ins Abseits geraten: die christliche Weihnacht. Was etliche Menschen als Verlust wahrnehmen, sollte zunächst niemanden beunruhigen. Denn die Geburt Jesu fand im Abseits statt, abseits des Weltgeschehens und der Öffentlichkeit. Sie stand nicht auf der Tagesordnung derer, die das Sagen hatten und anderen das Weitersagen verbieten wollten. Doch das Wirken des in Bethlehem geborenen Jesus blieb nicht im Abseits. Immer mehr Menschen wurden ergriffen von dem, was mit der Geburt Jesu neu geweckt wurde: die Hoffnung auf ein Leben in Frieden, in Würde, in Gerechtigkeit; die Hoffnung auf sinnvolles Leben nach persönlichem Scheitern, nach einer Niederlage, nach dem Tod. Gespeist wurde die Hoffnung dadurch, dass mit Jesus das wieder deutlich erkennbar wurde, was ungefragt und bedingungslos am Anfang eines jeden Lebens steht: das JA Gottes zu dieser Welt, sein JA zu jedem Menschenleben. Mehr noch: Mit Jesu Geburt wird jedes neugeborene Leben eingebettet in ein Davor und Danach:

  • Jesus steht in der großen Tradition des Glaubens Israels. Nichts davon ist überflüssig oder überholt: die Friedfertigkeit, die Erhaltung des schwachen und gekränkten Lebens, die Notwendigkeit von Diskussion und Kompromiss (Carl Amery).
  • Mit seinem Wirken und seiner Auferstehung gewährt Jesus uns einen Blick über den Tod hinaus in die neue Welt Gottes. Das ist Kraftstoff für den Motor des gegenwärtigen Lebens.

Dieser große Bogen macht Weihnachten zu einem Fest, das nicht üppig genug gefeiert werden kann – unter zwei Voraussetzungen:

  • Es darf grundsätzlich niemand von dem Fest ausgeschlossen werden. An der Krippe haben jede und jeder einen Platz.
  • Alles, was mit Jesus in diese Welt gekommen ist, behält seine Bedeutung – unabhängig von dem, was wir Menschen anrichten.

In diesem Jahr war in der Thomaskirche Leipzig eine außergewöhnliche Aufführung des Weihnachtsoratoriums zu hören. Rhythmisch dynamisch, kraftvoll und ausdrucksstark wurden die ersten drei und die sechste Kantaten des Weihnachtsoratoriums sowie die Kantate zum 1. Christtag „Unser Mund sei voll Lachens“ (BWV 110) musiziert – so, als wollten die Sänger des Thomanerchors, die Solisten und das Gewandhausorchester das Geschehen im Abseits von Krippe und Stall auf die Bühne dieser Welt tragen. Ja, Thomaskantor Andreas Reize machte mit seiner aufrüttelnden Interpretation die Geburt Jesu in Bethlehem im besten Sinne zu einem Welttheater – wohl ganz im Geist von Johann Sebastian Bach. Dieser hat mit dem Weihnachtsoratorium der Geburt Jesu jede Form von Beiläufigkeit und Banalität genommen. So konnte in der Thomaskirche jede:r spüren: Auf dieser Bühne überstrahlt all das, was die christliche Weihnacht so unverzichtbar macht: die Barmherzigkeit, der Frieden, der Triumph der Gerechtigkeit über „Tod, Teufel, Sünd und Hölle“, die Zustände, die das Geschehen von Bethlehem wieder ins Abseits verbannen wollen: „Bei Gott hat seine Stelle / Das menschliche Geschlecht.“ Dieses JA Gottes zum Menschen steht am Ende des Weihnachtsoratoriums, dem großen Welttheater. Doch all diejenigen, die meinen, das Weltgeschehen fest im Griff zu haben, müssen ihren Platz auf dieser Bühne räumen. Sie geraten über kurz oder lang ins Abseits: „Nur ein Wink von seinen Händen / Stürzt ohnmächtger Menschen Macht.“ Ein erfreulich gute Nachricht …

… für das Weihnachtfest 2025 in einer weltpolitisch höchst bedrohlichen Lage: Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine tobt weiter; seit Jahrzehnten bekämpfen sich im Nahen Osten Bevölkerungsgruppen und Staaten, angeheizt durch religiösen und politischen Fundamentalismus; in immer mehr Ländern versuchen Autokraten, ihre Macht und ihren Einfluss mit Gewalt durchzusetzen. Dabei bedienen sie sich schamlos der Lüge, der Verachtung des Rechts und der Demokratie, einer vernichtenden Vergeltungs- und rassistischen Ausgrenzungsideologie. Mit dieser bewussten Umwertung der Werte, im Turbotempo befördert durch „soziale“ Netzwerke, zerstören sie das Lebensgerüst von Gesellschaften und das Wertegefüge von Menschen. Gleichzeitig machen sie die Menschen durch nationalistische Propaganda für imperiale Raubzüge gefügig und hetzen sie zur rassistischen Menschenverachtung auf. Dies geschieht derzeit in ähnlich unnachsichtiger Weise wie vor 2000 Jahren. Da inszenierte Herodes einen brutalen Kindermord, um seine Macht zu sichern und die Menschen in Schach zu halten. Die neu geborene Würde des Menschen sollte als „abseitig“ deklariert werden. Heute ersticken sich selbst blasphemisch aufgeblasene Figuren wie Putin, Trump oder Erdogan die Sinnhaftigkeit eines Lebens aus dem Abseits von Krippe und Stall heraus im Keim. Nichts von dem, was uns Weihnachten so wertvoll, heilig macht – Frieden, Gewaltlosigkeit, Ehrfurcht vor dem Leben – soll Bestand haben. Doch genau das, was die Augustus und Herodes als abseitig ansehen, gilt es wieder und wieder auf der Bühne des Weltgeschehens sichtbar, erfahrbar, erkennbar zu machen. Darum ist es so wichtig, dass wir zumindest als Christinnen und Christen viel selbstbewusster, viel hoffnungsträchtiger, viel freudiger all das als neue Realität begreifen, was uns an Weihnachten im Jesus im Abseits von Krippe und Stall als Möglichkeit geschenkt wird: Gott die Ehre, der Erde Frieden, den Menschen Gerechtigkeit. Davon sollten wir auf der Weltbühne keine Abstriche machen!

Dieser Beitrag wurde im Blog unseres Autors Christian Wolff am 22.12.2025 erstveröffentlicht
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