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Wir sind ein Land

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
5. Oktober 2022
Menschenkette aus Papier

Jetzt streiten sie wieder mal darüber, wer die Zeche bezahlen soll, wie viele von den Milliarden Euro der Bund und wie viele die Bundesländer zu tragen haben. Worum es geht? Um massive Hilfen in der Energiekrise, um Mittelständlern, um Familien, jenen, die es wirklich nötig haben, zu helfen. Es sind gewaltige Summen, die die Bundesregierung genannt hat, Hunderte von Milliarden als ein Abwehrschirm, der Schaden von den Menschen und Firmen nehmen soll, damit sie überleben können. Sie werden sich einigen, irgendwie, möglichst bald. Wir sind ein Land, ein Staat und nicht ein gespaltenes Gebilde. Die Kosten, die Belastungen, die der Bund und die Bundesländer zu zahlen haben, also wir alle, müssen gerecht verteilt werden. Es hilft doch nicht, so zu tun, als könnte sich ein Bundesland davonstehlen oder sich bei allem eine goldene Nase verdienen. Niemand darf untergehen. Es gilt der Satz von Olaf Scholz: You’ll never walk alone. Wir müssen uns unterhaken.

„Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ So steht es im Grundgesetz, Artikel 20, Absatz 1. Also Demokratie, Soziales, Föderales. Diese Republik mag ihre Schwächen haben, das ist wahr, aber wahr ist auch, dass wir eine starke Demokratie haben und ein soziales Netz, das in der Not Abstürze ins Unendliche verhindert. Dem Schwächeren wird geholfen wie auch dem Kranken und den Alten. Dafür müssen die Stärkeren herangezogen werden, die mit den breiten Schultern müssen mehr tragen als die anderen. Auch das ist Sozialpolitik, weil sie human ist, Ausdruck einer Nächstenliebe.

Wahre Helden und Maulhelden

Die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hat in ihrer Rede am Tag der deutschen Einheit ein Wort von Johannes Rau zitiert: Einander achten und aufeinander achten. Heißt auch, was der Kanzler mehrfach gesagt hat: Respekt vor einander, vor dem Leben des anderen und seiner Lebensleistung. Wir sind ein Land, wir sind ein Volk. Mich erinnert das immer wieder an die Zeiten vor dem Fall der Mauer, an jenen 9. Oktober 1989, als 70000 Menschen in Leipzig mit Kerzen auf die Straßen gingen und die verhasste Stasi zuschauen, ja erleben musste, wie Menschen ihre Angst vor der Gewalt staatlicher Organe abgelegt und ihnen die Stirn geboten hatten. Das waren die echten Freiheitskämpfer in der ehemaligen DDR, die mit hohem Risíko vor Verhaftung und Prügel demonstrierten für ihre Freiheit des Wortes, der Versammlung, der Presse.  Sie waren die Helden und nicht die heutigen Maulhelden, die auf Montagsdemonstrationen irgendeinen Unsinn in die Welt brüllen und so tun, als gehörte Mut dazu. Heute doch nicht mehr. Es ist schamlos, wie sie daherreden, die Höckes von der AfD, der im übrigen aus dem Ort Neuwied in Rheinland-Pfalz stammt, unweit von Bonn. Die wirklichen Freiheitskämpfer sollten sich von diesen ultrarechten Kräften distanzieren, die wollen einen anderen Staat, die wissen doch gar nicht, wie das Leben in der einst von der SED regierten DDR wirklich war.

Bärbel Bas sagte ferner: „Wir halten zusammen.“ Und sie erinnerte daran, dass wir seit 1990 „gemeinsam viele Krisen und Umbrüche gemeistert“ hätten. Ja, gemeinsam wurde die neue, größere Bundesrepublik umgebaut und ausgebaut. Dass dabei Fehler gemacht wurden, wen wundert das. Und dennoch ist das, was erreicht wurde, unser Land, das uns allen gehört. Man darf, man muss heutzutage daran erinnern, weil ein paar Hundert Kilometer weiter östlich das Volk der Ukrainer um jene Rechte kämpft, die die Ostdeutschen sich damals von der SED zurückholten: Freiheit, Einheit, Demokratie, Wahlrecht, Menschenrechte.  Das Selbstbestimmungsrecht.

Mit Energie erpressen

Nur 39 Prozent der Ostdeutschen sind mit dem Erreichten zufrieden. Das ist ein bitterer Wert, der untersucht werden muss, wir müssen die Gründe erfahren, die für die Enttäuschung so vieler Ostdeutscher verantwortlich sind. Und wir müssen versuchen, gegenzusteuern, zu helfen, damit es besser werde. Ich halte das Gerede von der Demokratiekrise in Deutschland für ziemlich überzogen. Es gibt Probleme, ausgelöst von der Corona-Pandemie, die immer noch nicht zu Ende ist, und es gibt die Konsequenzen des Krieges, den Putins Russland gegen die Ukraine führt. Der russische Kriegstreiber versucht den Westen, allen voran Deutschland mit Energie zu erpressen.

Die Klimakrise wurde durch den Krieg ein wenig in den Hintergrund gerückt, als würde die Erderwärmung quasi zum Parken abgestellt mit der Bitte zu warten, bis wir wieder Zeit, Kraft und Geld dafür haben. Als wäre das noch nicht genug, droht Europa anderes Ungemach, wie die Wahl in Italien deutlich gemacht hat. Die Neofaschisten haben gewonnen, es ist nur ein kleiner Trost, dass ihre Anführerin Georgia Meloni, die Mussolini einst einen großen Politiker gerühmt hat, nur 26 Prozent der Stimmen erhielt. Aber dazu kommen ja auch noch so politische Gesellen wie Salvini und Berlusconi. Und nicht vergessen sollten wir, wer in Ungarn das Sagen hat, in Polen, dass die Schweden Rechts gewählt haben. Die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, mahnte angesichts der Krisen, die Europa zu schaffen machen: „Wenn es jemals einen Moment für mehr Europa gab, dann ist es dieser.“ Die Christdemokratin aus Malta plädierte für mehr politische Führung in Europa und sie meinte damit Deutschland, Bundeskanzler Scholz. Von dem Sozialdemokraten kennen wir den Spruch: Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie. Scholz ist aber in erster Linie darum bemüht, mit den Partnern im Westen, mit Frankreich, den USA, der EU und der Nato gemeinsam zu handeln, einen deutschen Alleingang lehnt er ab.

Die Schulden türmen sich

Es gibt also viel zu tun in Deutschland, in Europa. Eine allzulange Balgerei zwischen Bund und Ländern um die Kosten für die sündhaft teuer gewordene Energie können wir uns gar nicht leisten. Der Winter steht vor der Tür, es wird kälter. Der Krieg dauert an und die Bürgerinnen und Bürger warten auf politische Entscheidungen, darauf, dass ihnen der Kanzler, der Finanzminister und der Wirtschaftsminister endlich mal etwas genauer sagt, wie teuer die Gasrechnung wird. Die Menschen haben jetzt schon schlaflose Nächte angesichts des Schuldenbergs, der sich türmt. 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, 60 Milliarden Euro für den Klima-und Transformationsfonds, 200 Milliarden Euro für den Energiepreisdeckel versteckt in Nebenhaushalten. Es reicht nicht, wenn der Kanzler mal den Wumms bemüht, dann den Doppelwumms. Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, zu erfahren, wie sich das in ihrem Geldbeutel auswirkt. Klar ist ihnen schon heute, dass diese Schulden eine Last für spätere Generationen sein werden, also ihre Kinder.

Es wird ungemütlicher, Putin gibt keine Ruhe, der deutsche Wohlstand ist in Gefahr, es werden magere Jahre kommen mit Sparen und Verzicht. Wir müssen uns in mancher Hinsicht warm anziehen. Und gerade deshalb gilt der Satz: Wir müssen uns unterhaken. Auch gegen unsere Feinde von Rechts, für unsere soziale Demokratie.

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