„Kulturkämpfer“, schreibt der SZ-Autor Holger Gertz in seinem feinen Stück nach dem Sieg der deutschen Fußball-Frauen über Frankreich(„Heult doch Männer“), „brauchen keine Fakten. Kulturkämpfer stellen Behauptungen in den Raum .., im Vertrauen, dass sich genügend Nachbeter finden. So macht es der gewohnheitsmäßige Lügner Donald Trump mit seinem ewigen Gebet vom Wahlbetrug“. Und für Holger Gertz, der nicht nur etwas vom Fußball versteht, sondern auch gekonnt die vielen Seiten unserer Gesellschaft und der Politik zu beschreiben versteht, ist damit das Spiel noch nicht beendet und deshalb leitet er zum Fall der vorerst gescheiterten Wahl der Richterin Brosius-Gersdorf über: „So haben es gerade jene Zündler betrieben, die behaupteten, die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf trete für Abtreibungen bis zur Geburt ein. So machen es die, die sagen, der Frauenfußball interessiere keine Sau und werde dem Publikum von Gehirnwäscheabteilungen des Öffentlich-Rechtlichen ins Bewusstsein gefräst und gedengelt. Das ist kulturkämpferisches Prinzip: Etwas, das nicht wahr ist, wird dadurch für wahr erklärt, dass es wieder und wieder dumpf und stumpf in alle Kommunikationskanäle hineingeblasen und hineintrompetet wird.“
Es geht also, um es mit Trumps Medienstrategen Steve Bannon zu sagen darum: „Flood the zone with shit“. Soll bedeuten: Überflute die Menschen und die Netze, die Blogs mit hetzerischen, unsinnigen, faktenverdrehenden, aber glaubwürdig erscheinenden Meldungen, und mach es so lange, bis auch normale Zeitgenossen nicht mehr wissen, was richtig und was falsch ist, dass sie gar am Ende so verunsichert sind, dass sie meinen, es gebe prinzipiell gar keine Fakten und keine Wahrheit. Das ist nicht nur die Strategie von Trump, sondern auch der rechtsdraußen Parteien wie der AfD, die Öffentlichkeit derart mit Unsinn, Halbwahrheiten und Lügen zu überschwemmen, dass es nahezu unmöglich ist, Fakten von Fiktionen zu unterscheiden. Beispiel Donald Trump am 10. September 2024 in einer Präsidentschaftsdebatte: er behauptete, dass haitianische Einwandererinnen und Einwanderer in Springfield(Ohio), Hunde und Katzen essen würden. Was natürlich nicht stimmte, aber Stimmung machte gegen Einwanderer. Denn man hat nicht die Zeit, um diesen Unsinn, diese Lügen zu widerlegen. Journalisten berichten darüber und schon steht es in vielen Medien. Auch in Österreich ist dieses Spiel durch die FPÖ bekannt.
Kommen wir zurück nach Deutschland, zur Debatte um eine Richterkandidatin für das Bundesverfassungsgericht. Die AfD-Politikerin Beatrix von Storch hat die Falsch-Meldung über die anerkannte Juristin Frauke Brosius-Gersdorf verbreitet und schon lief die Diskussion darüber, ob sie für Abtreibungen bis kurz vor der Geburt eintrete. Das tut sie natürlich nicht. Aber so war die unschöne Sache in der Welt, in der Union und überall. Und so wurden die Abgeordneten von CDU und CSU geflutet im Stil von Bannon und Trump: „Flood the zone with shit“. 37000 Mails wurden von Rechtsextremen verschickt. Dann folgte noch das mit dem angeblichen Plagiat, was sich auch als falsch herausstellte. Die Meinung in der Unions-Fraktion über Frauke Brosius-Gersdorf kippte Richtung scheitern lassen. Sie hatten keine Beweise, nichts hatten sie nachgeprüft, nur der Müll der Mails und des unsinnigen Plagiats war ihr Fundament gegen die renommierte Professorin. Sie ließen sich auch nicht von der öffentlich geäußerten Meinung ihres Kanzlers und Vorsitzenden Friedrich Merz beeindrucken, der betont hatte, er werde die SPD-Kandidatin wählen. Ich frage mich natürlich, welche Rolle hier Jens Spahn gespielt hat, der ehrgeizige Fraktionschef der Union? Hat er die Stimmung in der CDU und CSU nicht mitbekommen? Wieso konnte es passieren, dass der CDU-Kanzler Merz von den eigenen Leute überstimmt wurde? Peinlich ist das, ein Armutszeugnis. Man hätte Spahn feuern müssen.
Rufmord an einer Professorin
Was mit der Rechtsprofessorin geschah war und ist Rufmord. Wie naiv müssen die Unions-Abgeordneten sein, anzunehmen, dass es hier wirklich nur um die Wiederauflebung des alten Streits um die Legalisierung von Abtreibungen ging und geht. Nie und nimmer. Die Mails kamen aus der rechten Ecke, da, wo die AfD-Leute ihre Hände im Spiel haben. Da im Netz kennen sie sich aus, sind sie in der Mehrheit, weil die etablierten Parteien das Netz vernachlässigen. Dabei wird hier richtig Stimmung gemacht. Gegen alles, da wird nicht gefragt, was stimmt und was nicht, es wird gemailt und gelogen, dass sich die Balken biegen. Kaum einer prüft etwas nach, sondern schreibt es ab, der nächste übernimmt es genauso. Und dann ist es in der Welt. Zumeist anonym kommen die neuen Wahrheiten, die keine sind, daher. Und wer sich fragt, wie die Meinungsbildungen passieren, warum die Rechten auf dem Vormarsch sind und von Regierungsbeteiligung träumen, der schaue ins Netz, lese nach, was Trump gelang, der FPÖ und warum die AfD in neuesten Umfragen der Union auf den Fersen ist.
Die Strategie der Ultra-Rechten zielt darauf ab, einen Keil in die Reihen der Union zu treiben und damit die ohnehin angeschlagene schwarz-rote Regierung zu treffen. Die Union soll zerstört werden, das linke Lager ist ohnehin zerstritten und schwach. Und ja, es fehlen Persönlichkeiten, wie es kürzlich ein guter Freund betonte, es fehlen die Brandts und Schmidts, die Weizsäckers, Geißlers und Kohls, Späths, Raus, Genschers. Wo bleibt der Kampf gegen Rechts, das Aufbäumen gegen die Verfassungsfeinde? Ihre Strategie darf nicht aufgehen, sie wollen eine andere Republik, ohne unsere parlamentarische Demokratie, ohne Presse- und Meinungsfreiheit, ohne die Unabhängigkeit der Justiz. Wir haben doch gesehen, was Orban mit Ungarn macht. Wie Trump dabei ist, die Demokratie in Amerika zu schleifen. Der Kampf der AfD verhöhnt unser System, unseren Staat. Unsere Regeln und Gesetze, unser Grundgesetz mit der Würde des Menschen, die für alle gilt, auch für Deutsche mit Migrationshintergrund. Auch für Ausländer, die hier leben und arbeiten.
Die Demokratie braucht Demokraten, die sie verteidigen. Mehrfach hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an die wehrhafte Demokratie erinnert. Überlassen wir sie nicht ihren Feinden, die sie zerstören. Die AfD ist demokratisch gewählt, aber sie ist keine demokratische Partei. Herr Spahn, das alles läuft seit Jahr und Tag vor unser aller Augen ab, auch vor ihren. Oder haben Sie nicht gewusst, dass das alles von rechten Medien gesteuert wurde, diese Kampagne gegen eine Richterin? Wenn die Spalter hier siegen, werden sie es beim nächsten Mal wieder versuchen, eine Kandidatin oder einen Kandidaten abzuschießen. Die AfD ist keine normale Partei.
Bischof sollte sich schämen
Es ist lächerlich, die Richterin als linksradikale Aktivistin zu verunglimpfen. Den Gipfel der Unverschämtheit in diesem miesen Spiel erklomm dann der Mann aus Bayern, Markus Söder, der Ministerpräsident und CSU-Parteichef. Er bedauerte das alles natürlich und betonte dann, er erwarte, dass die SPD Frauke Brosius-Gersdorf zurückziehe und durch eine andere Bewerberin oder einen anderen Bewerber ersetze. Frage an Herrn Söder: Wer hat in diesem Fall eigentlich den Brunnen vergiftet? War das nicht Ihre Partei und die der CDU, die dem Lärm der Rechtsextremen willfährig gefolgt ist und völlig zu Unrecht eine SPD-Professorin scheitern ließ? Über das Verhalten des Bamberger Bischofs will ich lieber schweigen. Er sollte sich schämen, die Entschuldigung würde ich nicht annehmen.
Die AfD und ihre Verfassungsfeinde reiben sich mal wieder die Hände. Es reichten 37000 Hetzmails, um der Regierung Merz/Klingbeil ein Bein zu stellen. Es wäre übrigens ein Leichtes gewesen, um diese Peinlichkeit zu vermeiden. Man hätte alle Richter-Kandidaten und -Kandidatinnen für das Bundesverfassungsgericht in den Fraktionen sich vorstellen und sie anhören lassen. Dort hätte man Fragen stellen können. Ist das so schwer? Und noch eins an die Adresse des SPD-Chefs und Bundesfinanzministers Lars Klingbeil: Sollten Sie einknicken vor den rechten Scharfmachern-ja, das muss ich so nennen-dann müssen Sie sich fragen lassen, ob Sie der richtige Mann sind an der Spitze der ältesten deutschen Partei, die Vorsitzende in ihrer ruhmreichen Geschichte gehabt hat wie Otto Wels, der das Nein der SPD zum Ermächtigungsgesetz Hitlers in der Kroll-Oper zu Berlin 1933 begründete, und Willy Brandt, der wegen seiner Entspannungs-Politik gegenüber Osteuropa als Bundeskanzler 1971 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Ich hoffe, Frau Brosius-Gersdorf hat den Mut, an ihrer Kandidatur festzuhalten, und genießt die volle Unterstützung von Klingbeil und der SPD. Alles andere würde, wie es ein Leser des Bonner Generalanzeigers empört feststellte, „dem Ganzen die Krone“ aufsetzen, weil das Opfer zum Täter gemacht würde.













