1 Deutschlands Militärausgaben gemäß Haushaltsgesetz 2025
Die NATO hat beschlossen, dass „Alliierte“ bis 2035 das Ziel erreichen, „mindestens 3,5%“ (des BIP) für Verteidigung auszugeben. Dabei gilt die NATO-Definition für „defense expenditures“. Das ist ein Wert, der auf NATO-Ebene weiter definiert ist als in Deutschland. Auf EU-Ebene ist er noch einmal enger definiert.
Die „Verteidigungsausgaben“ in Deutschland sind definiert als die Summe der Aufwendungen, die im regulären Verteidigungshaushalt (Einzelplan 14) sowie ergänzend im „Sondervermögen Bundeswehr“, welches am 3. Juni 2022 eingerichtet wurde, aufgelistet sind. Auf den für Deutschland veranschlagten NATO-Wert kommt man erfahrungsgemäß, indem man auf die Verteidigungsausgaben nach der Nomenklatur des deutschen Haushaltsrechts einen Aufschlag in der Größenordnung von 10% hinzurechnet. Die 3,5%-Verpflichtung der NATO entspricht also etwa 3,15% im Verständnis deutschen Haushaltsrechts.
Im Jahr 2025 steigt der Einzelplan 14, so der vom Kabinett verabschiedete Entwurf, auf rund 62,4 Mrd. €; das sind rund 10,5 Mrd. € mehr als im Vorjahr. Hinzu kommen 27 Mrd. € aus dem Sondervermögen. In Summe stehen der Bundeswehr damit in 2025 gut 86 Mrd. € zur Verfügung. Die dominanten Posten sind Aufwendungen für
- Personal 24 Mrd. €
- Betrieb 12 Mrd. €
- Beschaffungen 45 Mrd. €
D.h. gegenwärtig ist der Haushaltsansatz stark beschaffungsintensiv. Hinzu kommen Verpflichtungsermächtigungen in beiden Titeln, also ebenfalls für Beschaffungen, in Höhe von zusammen 84 Mrd. €. Ein Bezug auf die legitimierenden NATO-Fähigkeitsziele findet sich in der 3.400 Seiten starken Drucksache zum Haushaltsgesetz aber nicht.
Deutschland hat sich im Finanzplan (Eckwerte) zum Entwurf des Haushaltsplans 2025 zudem vorgenommen, das 3,5%-Ziel der NATO bereits bis 2029 zu erreichen. Die von der Bundesregierung beschlossenen Eckwerte sehen für den Verteidigungshaushalt incl. Sondervermögen einen Aufwuchs von rund 83 Mrd. € im Jahr 2026 bis auf 153 Mrd. € im Jahr 2029 vor.
Erst in seiner Rede im Rahmen der Haushaltsberatungen hat Verteidigungsminister Pistorius klargestellt, dass er der NATO einen erheblichen personellen Aufwuchs zugesagt hat. Die Fähigkeitsziele werden nun doch, wenn auch nur peu à peu, nicht systematisch, öffentlich gemacht.
„Die neuen Nato-Fähigkeitsziele und der Operationsplan Deutschland verlangen von uns einen massiven Aufwuchs. Mindestens 60.000 zusätzliche aktive Soldatinnen und Soldaten braucht es. Hinzu kommt eine leistungsfähige Reserve von mindestens 200.000 gut ausgebildeten und ausgerüsteten Frauen und Männern.
… Unsere Zielgröße von 203.000 Soldatinnen und Soldaten muss angehoben werden. Auch die Wehrverwaltung braucht mehr Personal.“
Das bedeutet als Ziel in 2029, einen militärischen Personalbestand von 240.000 zu erreichen, plus einen Aufwuchs in der Wehrverwaltung. Gerundet bedeutet das, eine Bundeswehr240, einen Aufwuchs um 33%. Nach Kalkulationen des einzigen Lehrstuhlinhabers für Militärökonomie in Deutschland entspricht das einem Finanzbedarf in 2032 von 100 Mrd. €/a (in Preisen von 2025).
Ansteht öffentlich zu debattieren, was diese enormen Veränderungen bedeuten. Ich sehe mindestens drei Felder von Ausstrahlung:
- intergenerationelle Umverteilung – ab der kommenden Legislaturperiode;
- Schaffung eines öffentlichen Bewusstseins, welches diese Umschichtung von Prioritäten mitträgt;
- Divergenzen und Rivalitäten Europa-intern.
Hier wird lediglich in letzteres Feld noch aufgeblendet.
2 Europäische Einordnung
Hierzu adressiere ich zwei Punkte.
2.1 Wer in Europa nicht mitmachen wird bei der exzessiven Aufrüstung nach NATO-Vorstellungen
Die eingangs zitierte Formel, die NATO habe beschlossen, dass „Alliierte“ bis 2035 das NATO-Ziel gemäß Gipfelerklärung erreichen, ist von erheblicher Bedeutung. Der Text der Declaration wurde angepasst, nachdem Spanien im Vorfeld des Gipfels offiziell mitgeteilt hatte, das quantifizierte Ausgabenziel nicht mittragen zu können – es hatte sein Veto gegen den geplanten Beschluss eingelegt. Daraufhin wurde der bestimmte Artikel vor „Alliierte“ gestrichen, der besagt hätte, dass sämtliche Alliierte diesem Ziel verpflichtet sind. Mit der angepassten Formel ist jedes NATO-Mitglied frei, sich nach dem Vorbild Spaniens dem Beschluss zu unterwerfen oder auch nicht. Es wurde faktisch eine op-out-Option geschaffen.
Die Konsequenz ist: Man hat davon auszugehen, dass die großen westeuropäischen Staaten ganz unterschiedlich der Intention des NATO-Beschlusses Folge leisten werden. Die mit hoher Staatsverschuldung werden sich nicht in der Lage sehen, das anspruchsvolle konventionelle Aufrüstungsprogramm, welches die NATO umgesetzt sehen will, ihrerseits mit zu vollziehen. Die Abbildung zeigt, dass es sich dabei um Italien (in 2024: 1,49% nach NATO-Angaben), Frankreich (in 2024: 2,06%) und Spanien (in 2024: 1,28%) handelt, aber auch um Portugal und Belgien. Und selbst im Falle Finnlands (in 2024: 2,41%) muss man sehen, ob das Land sich wirklich zutraut, auf 3,5% zu gehen. Frankreich ist im übrigen ein Sonderfall. Ein Großteil seines Budgets für Verteidigungszwecke steht nämlich nicht für konventionelle Bewaffnung zur Verfügung sondern hat in die eh überfällige Renovierung seines nuklearen Waffensystems zu gehen.
2.2 Die Rivalität um die “größte Armee” zwischen Polen und Deutschland
Es wird in Europa auch eine Zeit nach Wegfall der Bedrohung durch Russland und/oder der Dominanz seitens der USA in der NATO geben. Die Frage, die zu stellen ist, lautet: Was bedeuten die dann, nach 2032, erreichten Armeegrößen für den Frieden in Europa? Und das vor dem Hintergrund, dass diese Ambitionen militärischer Stärke bekanntlich nur zu realisieren sind, wenn das öffentliche Bewusstsein zur Kriegstüchtigkeit hin militarisiert, mit entsprechender Feindbildbereitschaft erzogen worden ist. Dann wird es, stand Planung heute, zwei Staaten geben, die um die Position der „stärksten konventionellen Armee in Europa“ einen Wettbewerb ausgetragen haben und weiter austragen werden. Das sind Polen und Deutschland. Es handelt sich um ein Polen, welches von einer Deutschland gegenüber revanchistisch eingestellten Landschaft rechter bzw. nationalistisch aufgestellter politischer Parteien geprägt ist.
Warschau realisiert gerade ein beispielloses Aufrüstungsprogramm, welches von der PIS-Regierung konzipiert worden ist und von der gegenwärtigen Tusk-Regierung fortgeführt wird. Kern des Plans ist eine massive Truppenaufstockung. Derzeit gibt es in Polen rund 128.000 Berufssoldaten sowie 36.000 Mitglieder der Territorialverteidigung – zusammen etwa 164.000. Bis zum Jahre 2035 soll deren Zahl fast verdoppelt werden, auf insgesamt 300.000 anwachsen – davon 250.000 aktive Soldaten und 50.000 in der Territorialreserve. Polens Streitkräfte werden damit größer werden als die deutschen und französischen Armeen zusammengenommen und innerhalb der NATO hinter den USA und der Türkei auf den dritten Platz vorrücken.
Der Verteidigungshaushalt Polens (27 Mrd. €) beträgt aktuell 3,9% des BIP. Perspektivisch soll der Anteil auf 5% steigen, entsprechend 39 Mrd. €. Zusätzlich ist ein Sonderfonds in Höhe von 31 Mrd. € geplant, ausschließlich zur Beschaffung neuen Materials. Finanziert wird er außerhalb des Haushalts, über Leasingmodelle, Anleihen und Kredite.
Polens Sicherheitsstrategie spiegelt, dass ein solch extrem hoher Militärhaushalt einer zielgerichteten Beeinflussung der eigenen Bevölkerung – des Souveräns in einer Demokratie – bedarf. Die etablierte Sprechweise dafür lautet, dass deren „Wehrwille gestärkt werden“ solle. Zu diesem Zweck ist in Polen u.a. seit dem Schuljahr 2024/25 an den 16.000 Schulen des Landes ein verpflichtender Schießunterricht mittels Simulatoren für alle Schülerinnen und Schüler der 8. und 9. Klassen eingeführt worden. Das ist Teil eines umfassenden Konzepts zur sog. „zivil-militärischen Landesverteidigung“.
Dass ausgerechnet ein deutscher Bundeskanzler in seiner ersten Regierungserklärung den Plan einer „stärksten konventionellen Armee in Europa“ verkünden kann, ist für mich verstörend. Das klingt so, also ob er diese Formulierung in Unkenntnis des akuten Rivalitätsverhältnisses zu Polen gewählt hat; und als ob ihm die geschichtliche Dimension der „Deutschen Frage“ im 19. Jahrhundert nicht im Blick ist.
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