Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht ein neuer Vorschlag zur Rentenreform auf den Tisch gelegt wird. Zuletzt schlug der „Boomer-Soli“ des DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) hohe Wellen, der die Lasten innerhalb der Ruhestands-Community umverteilen will. Und sofort ertönt der Aufschrei von Beamtenbund bis CDU, dies sei nicht verfassungsgemäß, brandgefährlich oder gar „eine Katastrophe für den Standort“. Genau betrachtet bietet auch der DIW-Vorschlag nur eine Teil-Reparatur des Problems und ist weit entfernt von einer Komplettlösung. Die überwiegend beitragsfinanzierte Rente leidet unter mehreren Stressfaktoren. Da ist einmal der demografische Wandel, in den 60er Jahren finanzierten noch sechs Beitragszahler einen Rentner, 2023 waren es zwei! Und das Problem wird sich verschärfen: Denn es mehren sich die Prognosen namhafter Institute und Stiftungen, die vor einem Rückgang der Beitragszahler warnen – besonders durch die Einführung von Künstlicher Intelligenz (KI) in allgemeine Arbeitsprozesse. Diese Auswirkungen alleine Rentnern aufzubürden, wird kaum funktionieren und würde den sozialen Frieden in diesem Land erheblich gefährden.
Und trotzdem traut sich niemand, das Problem von Grund auf anzugehen, die Politik vertagt es von einer Kommission in die nächste. Schon im letzten Bundestagswahlkampf haben die Wähler vergeblich auf Reformvorschläge der Parteien gewartet. Aus der politischen Mitte waren sie jedenfalls kaum vernehmbar. Nur zaghaft kommen hin und wieder von der SPD alternative Vorstellungen (wie zuletzt von Bärbel Bas), die CDU dreht fleißig an einer kleinen Stellschraube, die sich „Aktivrente“ nennt (steuerfreier Hinzuverdienst), und die CSU ruft permanent nach der Mütterrente. Das alles löst aber nicht die eklatanten Systemmängel in der deutschen Altersversorgung. Man könnte ja vermuten, dass die Union sich besonders intensiv mit der Problematik und dem niedrigen Rentenniveau befasst, denn ihr haben bisher Wähler im Rentenalter bevorzugt die Stimme gegeben. Doch sie sehen sich getäuscht und das Wahlverhalten ändert sich. Die Wechselwähler in den älteren Jahrgängen nehmen zu, die Brandt-Schmidt-Generation ist im höheren Alter angekommen. Und die Jungwähler beginnen die Solidarität mit der älteren Generation aufzukündigen und wählen die Linke. Soll also kostbare Zeit verstreichen, bis sich im Deutschen Bundestag eine Mehrheit links der politischen Mitte (aus SPD, Grünen und Linken) zusammenfindet und der Sache annimmt? Oder ist die schwarz-rote Koalition im Stande, die Gerechtigkeitslücke zwischen den Systemen der Altersversorgung (Rente, Pension, freiberufliche Versorgungswerke, etc.) zu schließen und die gesamte Altersversorgung auf finanziell solide und zukunftsfeste Beine zu stellen?
Dabei brauchen Politiker auch mehr Mut zur Wahrheit. Kaum jemand traut sich offen auszusprechen, dass wir eine kontinuierliche Anpassung des Beginns aller Ruhestandsbezüge an die steigende Lebenserwartung brauchen. Da kann es durchaus einige wenige Ausnahmen geben (z.B. der bekannte Dachdecker), aber ohne diese Automatik ist eine Reform nicht finanzierbar. In Italien wird das Renteneintrittsalter demnächst auf 71 Jahre steigen, in Dänemark auf 74.
Eine gemeinsame Finanzierung der Altersvorsorge und ein übereinstimmendes Leistungsniveau ist bisher an Besitzstandsdenken, an politischen Blockaden und vermutlich auch am strukturellen Ungleichgewicht im Parlament gescheitert. Unverkennbar liegt eine Ursache darin, dass im Deutschen Bundestag die Gruppe durchschnittlicher Rentenbezieher unterrepräsentiert ist, während Beamte (besonders Lehrer und Juristen), Öffentlicher Dienst und Freiberufler das Agenda-Setting bei diesem Thema effektiv bestimmen. Diese Schieflage sollte offen thematisiert werden, bevor man eine Grundsatzdebatte beginnt. Der Deutsche Bundestag muss jeden Verdacht vermeiden, er würde Besitzstände konservieren zu Lasten einer gerechten Lösung für die Allgemeinheit.
Wie schlecht es um eine gerechte Altersversorgung in Deutschland steht, zeigt ein Blick über die Grenzen. Nach dem „Global Pension Index 2023“, einem Vergleich der Rentensysteme weltweit, weisen die Niederlande mit 85 von 100 Punkten das derzeit beste Rentensystem auf. Im Gegensatz dazu landet Deutschland mit Platz 19 im unteren Mittelfeld. Und laut OECD-Tabelle erreicht ein Durchschnittsverdiener in Deutschland ein Rentenniveau von 52 Prozent. In Dänemark, den Niederlanden oder Österreich liegt der Wert über 80 Prozent. Für ein Land wie Deutschland, das Politiker gerne als „funktionstüchtigen Sozialstaat“ rühmen, sind solche Ergebnisse eher blamabel. Das unverhohlen als „Pflegefall“ zu bezeichnen, ist angemessen. Deshalb muss die Rentenkommission der neuen Bundesregierung vor allem prüfen, welche inhaltlichen Anleihen aus den Altersversorgungssystemen anderer EU-Staaten übernommen werden können. Nach der „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ (Steinbrück, de Maiziére & Co) brauchen wir dringend eine „Initiative für eine solide, faire und zukunftsfeste Altersversorgung“. Übrigens: Die Niederlande werden – im Gegensatz zu Deutschland – im Jahr 2025 ein Wachstum von 1,3 Prozent haben. Also scheint die dort praktizierte für alle auskömmliche Ruhegeldregelung „keine Katastrophe für den Standort“ zu sein.
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Korrektur Bayers / Bias plus Kleinigkeiten
Ja, die weitere Entwicklung der Rente ist ein großes und schwieriges Thema. Vorsicht aber bei Bezugnahme auf den Global Pension Index von Mercer. Der hat einen klaren Bias zu Gunsten kapitalbasierter Anlagen. Österreich, dessen umlagefinanzierzes Rentensystem eine der höchsten Leistungsquoten aufweist, schneidet dort ganz schlecht ab. Tatsächlich muss man sehr genau hingucken bei solchen Vergleichen, zumindestens Sber auch Alternativen heranziehen wie von der OECD oder der ILO.