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DAS UNERLEUCHTETE SICHERHEITS-NARRATIV DER BUNDESREGIERUNG

Jochen Luhmann Von Jochen Luhmann
23. August 2025
Bundeswehrsoldaten In Afghanistan

1.     Einleitung

Aus Anlass der ersten „100 Tage im Amt“ hat die Bundesregierung die Zusammenstellung „Kernbotschaften der 100 Tage Kommunikation“ für den internen Gebrauch erarbeitet. Zweck des Papieres ist, Sprachregelungen für Äußerungen vorzugeben. Medien können sich daran halten, müssen es aber, anders als zu Goebbels Zeiten, nicht. Das gibt einen originären Überblick, wie die Bundesregierung ihre Arbeit und Intentionen gesehen werden will.

Im unten stehenden Kasten ist ein Auszug, sind die fünf Botschaften für die neue Militärpolitik der Bundesregierung abgebildet. Sie werden im Anschluss je kommentiert. Motiv ist kommunikative Schulung der Empfänger durch Aufklärung.

Wir investieren in unsere Sicherheit und Verteidigung

  • Unsere Bundeswehr soll „konventionell zur stärksten Armee Europas“ werden – und das mit Blick auf eine veränderte Bedrohungslage zügig (neue Finanzregeln für Verteidigungsausgaben; Gesetz zur Beschleunigung von Planungs- und Vergabeverfahren der Bundeswehr)
  • In einer Welt, in der einige Staaten versuchen, mit militärischer Macht das Prinzip des Stärkeren durchzusetzen, müssen auch wir diese Stärke aufbauen.
  • Denn wir wollen uns verteidigen können, damit wir uns nicht verteidigen müssen.
  • Unser Ziel ist ein Deutschland und ein Europa, die gemeinsam mit den NATO-Verbündeten so stark sind, dass wir unsere Waffen, Männer und Frauen nicht zum Einsatz bringen müssen.
  • Freiheit, Frieden und Sicherheit in Deutschland sind entscheidende Verdienste der NATO. Sie zu stärken ist unser ureigenes Interesse. (Einigung auf neue NATO-Verteidigungsziele)

2. Unsere Bundeswehr soll „konventionell zur stärksten Armee Europas“ werden

Historisch gesehen ist das ein alarmierender Satz. Insbesondere wenn man ihn mit Narrativ 4 zusammen sieht. Die zentrale Lehre und ein Motiv für die Aufnahme (West-)Deutschlands in die NATO war bekanntlich, eine Wiederholung der Dramen von 1914 und 1939 zu verhindern, als Deutschland jeweils über die stärkste Armee Europas verfügte.

Dieser Satz ist von Bundeskanzler Merz in seiner ersten Erklärung im neuen Amt formuliert worden. Sie blieb ohne Widerspruch und ist anscheinend in unschuldiger Ahnungslosigkeit vorgetragen worden. Eine Kenntnis dessen,  dass unser Nachbar Polen, in dem die rechten Parteien sich mit Anti-Deutschland Rhetorik profilieren, dieses Ziel für sich auch bereits zuvor ausgeben hatte, schien nicht zu bestehen. Polen hatte sich vor Jahren bereits auf den Weg der Realisierung gemacht, indem die erforderlichen enormen Mengen an zusätzlichen Waffen programmatisch nicht in Europa geordert worden sind sondern in Südostasien. Polen will eine unabhängige Armee aufbauen, keine, die von den EU-Partnern abhängig ist. Das Motiv dafür ist unerklärt.

Auf Deutschland bezogen: Wozu benötigt Deutschland eine nationale Armee, die für sich alleine agieren kann als die „stärkste“ unter denen in der EU? Warum sollte Deutschland nicht eher eine Armee anstreben, die auf sich allein gestellt gleichsam amputiert ist und nur stark wird, wenn andere Europäer mitziehen, qua deren komplementären Fähigkeiten?

3. In einer Welt, in der einige Staaten versuchen, mit militärischer Macht das Prinzip des Stärkeren durchzusetzen, müssen auch wir diese Stärke aufbauen

Mit der Diagnose im ersten Teil des Satzes ist die faktische Ordnung, die aufgrund der defizienten Verfassung der UN-Ordnung nach dem 2. Weltkrieg geschaffen wurde, präzise beschrieben: Großmächte, die militärisch stark und zugleich mit Veto-Recht im UN-Sicherheitsrat ausgestattet sind, sind privilegiert. Sie können die Prärogative für sich in Anspruch nehmen, sich an die eigentlichen Regeln der fixierten Ordnung nicht halten zu müssen. So hat es der Völkerrechtler Matthias Kumm (FU Berlin) klug beschrieben. Die Bundesregierung will die EU in diese Liga aufsteigen sehen, so meine Interpretation, auch wenn sie es nicht sagt; sie will es nicht etwa für Deutschland. Preußen soll wohl nicht wiederauferstehen, soll weiterhin passé sein.

4. Wir wollen uns verteidigen können, damit wir uns nicht verteidigen müssen.

Das ist das übliche Militär-Narrativ. „Angriff“ wird gedanklich durch Wahl der Vokabel „Verteidigung“ ausgeschlossen. Das Gestatten des Verteidigungskriegs im Falle eines bewaffneten Angriffs in Art. 51 UN-Charta schließt aber bekanntlich den Angriff im Deckmantel der Selbstverteidigung nicht aus.

Es ist in Deutschland aktuell so: Die Bundesregierung lässt weitreichende Waffen stationieren bzw. anschaffen, die nur mit Präemptiv-Schlägen sicher einsetzbar sind. Die Bundeswehr nimmt dieserhalb, dankenswerterweise, kein Blatt vor den Mund.

Angesichts des von den Militärs erarbeiteten strategischen Kriegsführungs-Konzepts grenzt das strikte „Verteidigungs“-Narrativ an Bevölkerungsverdummung. Sein Sinn ist: Bloß keine öffentliche Diskussion führen, noch gar im Deutschen Bundestag, über die waffentechnisch vorbereiteten Kriegsführungsoptionen!

5. Unser Ziel ist ein Deutschland und ein Europa, die gemeinsam mit den NATO-Verbündeten so stark sind, dass wir unsere Waffen, Männer und Frauen nicht zum Einsatz bringen müssen.

Das ist ein bemerkenswert kurzfrist-geschichtsvergessenes Narrativ. Aufgegriffen wird die Kampf-Erfahrung von Klein-Bubi auf der Straße. Wenn der verprügelt worden ist, meint er, er müsse besser prügeln können, das schütze ihn vor Prügel. Aber bereits wenn er Jugendlicher ist und die Kausalitäten der Gang-Auseinandersetzungen gelernt hat, weiss er, dass Schutz durch Furcht vor Gegengewalt auch anders zu organisieren ist. Und wenn er noch älter ist und als Offiziersanwärter Clausewitz und Biden studiert hat, dann weiß er, dass es andere Optionen als die Gewalt gibt, um dem Gegner seinen Willen „aufzuzwingen“. Wenn er schließlich in den Abgrund der Gewaltanwendung geschaut hat und seine erste Depression erlebt hat, dann hat er begriffen, dass auf Sicherheit durch „Gegengewalt“ kein Segen liegt. Dieser Versuch ist nicht nachhaltig, er führt weder zu Stabilität noch gar zu Frieden. Dieser Versuch ist eher Ausdruck der Unfähigkeit verkrümmter Seelen, der kollektiven Friedlosigkeit. Wer durch das eigene Militär (alleine) Sicherheit verspricht, verweigert seinem Volk die ungeschminkte Realität. Bereits ein Blick in die Geschichte der Gewalt vermag es zu lehren. Mindestens gilt schon denklogisch: Ein jedes eigene Niveau militärischer Stärke kann durch Rüstung seitens des Gegners nivelliert werden. Damit militärische Sicherheit stabil und verlässlich wird, braucht es Kooperation mit dem Gegner. Der Name dieser unausweichlichen Mindest-Kooperation ist „Rüstungskontrolle“.

6. Freiheit, Frieden und Sicherheit in Deutschland sind entscheidende Verdienste der NATO. Sie zu stärken ist unser ureigenes Interesse

Dieser Satz gleicht der Strategie der Angstbekämpfung durch Pfeifen im Walde. Die Angst, die die Bundesregierung und ihre europäische NATO-Partner treibt, ist das kommende Verhalten der USA. Auf deren Verlässlichkeit hat man hierzulande seine militärische Sicherheit gebaut, nun glaubt man Trump kein Wort, der gilt als notorisch wankelmütig. Nur eine Ausnahme soll es geben: Auf die Zusage nach Art. 5 NATO-Vertrag soll angeblich Verlass sein. Wer im Volk, welches die Volksvertreter repräsentieren, soll ihnen das glauben?

Für diesen Schein an Sicherheit durch den Beistand der USA lässt man sich in Europa beliebig erpressen. 5 %/BIP als NATO-Ziel, auf Basis einer von Trump hingeworfenen Bemerkung, werden akzeptiert, ohne geprüfte Bedarfsbasis und ohne Verhandlungen. Damit war Trump auf den Geschmack gekommen. Für seinen Zollsatz-Deal von Turnberry (Schottland) vom 27. Juli 2025 wurden ihm 1,2 Billionen (!) als „Geschenk“ gemacht. Das expansive Verhalten des NATO-Partners Türkei wird übersehen. Die Expansionsdrohungen des US-Partners auch.

 

Bildquelle: Pixabay

 

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