Kaum sonst etwas auf dieser Welt könnte mich mehr erschrecken, als diese Schlagzeile (Tagesspiegel 31. Okt. 2025, S. 1): „Das atomare Gespenst kehrt zurück“
Da geht es um die aktuelle Ankündigung von Donald Trump, Atomwaffentests der USA nach einer Pause von 33 Jahren nun doch wieder neu zu beginnen. Dies vor dem Hintergrund akuter „Modernisierung“ von Atomwaffen bei den 9 Atommächten. Experten warnten, dass sich die Risiken einer atomaren Eskalation ohnehin bereits laufend erhöhen.
1964-1971 hatte ich solche diese Risiken in einem Forschungsprojekt der VDW (https://vdw-ev.de/) mit Rechenmodellen untersucht. Bald, am 13./14. November treffe ich „alte Weggefährten“ auf der VDW-Jahrestagung: „Frieden und Sicherheit in Zeiten der künstlichen Intelligenz“.
Erstmals atomare Bedrohung in Berlin gespürt
Neu, für mich – und vielleicht einige Leser – ist meine persönliche Reaktion: Zum ersten Mal fühle ich mich in Berlin nicht mehr sicher vor der einer Explosion einer Atomwaffe, genau hier! Das erlebe ich ganz anders als zum Beispiel in den 1970er Jahren: ich erinnere, wie in Bonn der amerikanische Militärstratege Hermann Kahn die Sicherheit durch die NATO betonte, nachdem jemand bezweifelte, dass man „Westberlin gegen die lokale Übermacht des Warschauer Pakte verteidigen könnte“. Falsch, meinte Kahn, entscheidend seien die Pässe der Soldaten aus den USA: Wenn die ok sind, werde die USA alles Erforderliche tun, keinen Aufwand scheuen, um Berlin und ganz Europa zu verteidigen. Jeglichen Zweifel an der NATO lehnte er ab.
Der Beginn der Atomrüstung war gegen Berlin
Und jetzt, insbesondere in Berlin? Prompt erinnere ich: Die ersten Atomwaffen waren im Manhattan-Projekt der USA gegen Berlin – nicht gegen Japan entwickelt und gebaut worden. Genauer: Hitler sollte auf keinen Fall ein Monopol bei Atomwaffen bekommen. Und sogar bis heute sind die früheren Alliierten (damals Truman, Stalin, Churchill, de Gaulle) einig: Deutschland darf auf keinen Fall eigene Atomwaffen haben. Das gilt rational ebenso wie emotional. Beides hat Egon Bahr immer wieder betont, und bekräftigt.
1963 hatte der schnelle Anstieg der globalen Strahlenbelastung durch Tests dazu geführt, dass USA, Russland und weitere Atommächte einen „Vertrag über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser“ abschlossen. Die Kernwaffentests dieser Staaten fanden nun nur noch unterirdisch statt. Nicht alle Atommächte unterzeichneten, und so gab es zuletzt 2017 einen Test durch Nordkorea.
Die Herausforderungen zielführender Rüstungskontrolle
Zu beachten sind ist die gigantischen Erfolge der Rüstungskontrolle: Nach den beiden Kriegseinsätzen 1945 in Hiroshima und Nagasaki gab es bis jetzt niemals einen weiteren Einsatz, obwohl die globale Aufrüstung vorübergehend zu 60.000 Atomwaffen geführt hatte – heute sind es weltweit noch etwa 12.000 Exemplare, davon etwa 4.000 jederzeit sofort einsatzbereit. Der Erfolg: Weder technisch, noch militärisch, noch politisch wurde ein erster Einsatz, oder gar eine Eskalation ausgelöst.
Um Pannen zu vermeiden, um die Risiken zu begrenzen gab es enorme Anstrengungen. Eigentlich planten über 50 der 200 Nationen auf unserem Planeten eigene Atomwaffen zu bauen oder zumindest zu haben. Mit dabei waren Nationen wie die Schweiz, auch Paare wie Argentinien und Brasilien die meinten gegeneinander rüsten zu müssen. Der Atomwaffensperrvertrag (Non Proliferation Treaty, wie von der Pugwash-Gruppe vorbereitet) hat dies verhindert. Es gab Situationen, in denen von zwei Nationen einer als Angreifer der zuerst zuschlägt, womöglich seinem Gegner zuvorkommen und ihn mit einem 1. Schlag entwaffnen könnte.
Eskalation wie im Cowboy-Film
Um die Struktur solcher Eskalationsdynamik emotional nachvollziehen zu können, ein einfacher Vergleich, bei einfacheren Waffen: In Wildwestfilmen können sich zwei Cowboys in einer Bar streiten, Faustkämpfe austragen und vielleicht ein paar Knochen brechen, egal worum es geht. Jedoch, sie können dabei ziemlich sicher sein, dass es nicht ausufert. Aber wehe wenn einer die Hand in die Nähe seines Hosengürtels bringt, in die Nähe seines Colts, das sieht der andere und dann geht es nur noch darum, wer schneller diese eskalations-trächtige Waffe zückt und feuert. Dann gilt: „Erst schießen und danach reden“, so ein typisch amerikanischer Spruch. Da gibt es keinen 2. Schlag. Könnte jeder Tote noch zurückfeuern, dann gäbe es keine Wildwestfilme. Aber wie ist es bei Atomwaffen?
Atom-Uboote gegen Eskalationsdynamik
Das gemeinsame (!) Interesse, jeglichen Atomkrieg zu vermeiden, ergab die Entwicklung der Atom-Uboote, die nach beliebiger Eskalation doch noch einen 2. Schlag, eben den abschreckenden Gegenschlag ermöglichen konnten. Dafür wurden fünf technische Durchbrüche gebraucht und tatsächlich erreicht (mit Fähigkeiten die es zunächst gar nicht gab), teils im Vertrauen gemeinsam erforscht, nämlich:
- Mit einem Atomreaktor angetriebene U-Boote, die sehr lange tauchen und so unentdeckt bleiben können.
- Mit Festkörper-Treibstoff bestückte Raketen, bei denen ungewollte Explosionen mit hoher Sicherheit vermieden werden können.
- Elektronik mit stark erhöhter Computer-Leistung für Kontrolle.
- Atomwaffen, die ohne Pannen unter Wasser vom U-Boot aus gestartet werden können.
- Und Kontakte zu Satelliten, welche erlauben den Ort des Bootes im Meer genau zu bestimmen, um so die geplanten Ziele präzise zu erreichen und zu zerstören.
Peinliche Medien in Deutschland
Wie reagierten ARD und ZDF am 31. Oktober? Gar nicht, obwohl allein schon neue Atomwaffentests weltweit Millionen Tote verursachen können. Vor allem aber kann akut mangelhafte Eskalationskontrolle zu Milliarden Toten führen, darüber hatte ich im Blog der Republik am 14. Oktober berichtet: „Atomkrieg – Ein Szenario?“
Aber was berichteten unsere beiden öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF am 31. Oktober? Lang und breit, genüsslich und hingebungsvoll von den Reaktionen in UK auf bekannte Schandtaten von Andrew, einem Familien-Mitglied des englischen Königshauses. Außerdem über späte, umständliche Reaktion auf ein terroristisch motiviertes Drama in Mannheim. Richtig wäre (in Deutschland mit einer „Vorschrift“ dafür), dass man jegliche Terroristen und sonstige spektakuläre Gewalttäter, Vergewaltigung usw. still und humorlos wegsperren würde und im Übrigen ignorieren. Wir züchten täglich allzu Gewaltbereite. Nur in Fachzeitschriften sollte über solche Umgangsformen diskutiert werden, bis hin zu Versuchen angemessener Reha. Nach wie vor hat die Polizei die Aufgabe, uns zu schützen, auch gegen die vergleichsweise selten präsenten Schäden durch Terroristen. Die panisch ausufernde Juristerei sollte stark verringert werden, es genügt eine klare Straftat nachzuweisen und vielleicht noch kurz etwas im Umfeld. Etwas ganz anderes ist, wenn ein überschaubarer – durchaus tragischer – Schaden in Serbien eine intensive bemerkenswerte Opposition gegen Diktator Vucic auslöst, sowas kann eine bemerkenswerte Nachricht sein.
In beiden Fällen der Nachrichten vom 31. Oktober ist es für die vergleichsweise wenigen vom Unheil Betroffenen bitter, tragisch – ohne Zweifel. Es könnte sogar ethisch bedeutungsvoll sein, wenn es für die Zukunft eine bemerkenswerte Verbesserung unserer Zivilisation auslösen könnte, über die es etwas zu berichten gäbe.
Waren also ARD und ZDF naiv, verantwortungslos, blind, idiotisch? Fragen wir nicht uns gelernte Verdränger, sondern mögliche Überlebende eines durchaus drohenden eskalierten Atomkrieges (also jeden von uns – dann, danach), ich fürchte alle vier Bezeichnungen würden ganz selbstverständlich verstanden und betont. Wären wir in und/oder als Deutschland mit verantwortlich? Ja, und in einem Aspekt sogar vorbildlich: Wir haben keine Atomwaffen gebaut. Aber um Vermeidung stark gewordener Fehler der Rüstungskontrolle müssten wir uns politisch bemühen – immerhin sind wir, nahe an der Grenze des NATO-Bereiches, schon bei möglichen ersten Eskalationsstufen stark bedroht. Und wenn Frankreich sich in einem taktischen Atomkrieg verteidigt, wäre das (zur Vermeidung von Frankreich als Ziel) in Baden-Württemberg, genau wie schon zu de Gaulles Zeiten so vorbereitet. Das liegt nahe, obwohl einzelne dieser etwa 300 einsatzbereiten taktischen Atomwaffen auch Moskau erreichen können. Das alles geht uns an.
Optionen für Deutschland
Das Problem von Deutschland, neuerdings ähnlich von einem neuen NATO-Mitglied wie Finnland: man kann selbst kaum verhindern, in eine atomare Eskalation mit hineingezogen zu werden. Andererseits will man eine Situation wie bei der Ukraine auch verhindern, Finnland hat die längste Grenze zu Russland.
Was wir brauchen sind Politiker, die Kenntnisse und ein Gespür für die Eskalationsdynamik entwickelt haben. Beides traf zu auf Helmut Schmidt und Franz Josef Strauß. Deren Umgang mit Rüstungskontrolle war dann trotzdem ganz unterschiedlich, und sogar lauthals im Bundestag höchst kontrovers. Aber wenigstens sachkundig. Heute könnten beide sachkundig zu einer neuen Rüstungskontrolle beitragen, die bisher kaum auch nur angedacht wird und doch wie bei den neuen Atom-Ubooten für Chancen des Überlebens grundlegend sein kann. Wenn überhaupt „Modernisierung“ von Atomwaffen, dann ist dabei am wichtigsten, aus gemeinsamem (!) Interesse heraus in gemeinsamer Planung ungewollte Eskalationen so sicher wie irgend möglich gemeinsam zu vermeiden! In unserem Interesse: Dazu sollten wir beitragen.
Wie so oft seit 1945, werden akut wieder neue Atomwaffen im Wettrüsten entwickelt. Für uns sind bei dieser Sackgasse von Sicherheit vor allem USA und Russland von Bedeutung, und evtl. Frankreich, UK, und/oder China. Mit am schlimmsten wäre eine Ausweitung der „Multi-Domain Operations“ (MDO) der Army der USA auf Vorbereitungen zu atomaren Kriegseinsätzen. Ziel der MDO ist, auf jeder (!) Ebene von Kriegführung mitsamt Eskalationsstufen durch rasche Schläge überlegen zu sein, zu dominieren, egal was dabei alles zertrümmert wird.
Was tun? Wir brauchen eine NATO, aber so eine? Keine KI und/oder KE, die Argumente von Schmidt und Strauß studiert hat, kann uns da bei Verhandlungen zur Rüstungsplanung angemessen und würdig vertreten. Politisch Aktive wie Minister Boris Pistorius und Pugwash-Beauftragter Götz Neuneck (VDW) stehen dabei vor existenziellen Herausforderungen. Sie brauchen mehr sachkundige und zugleich vorsichtige, selbstkritische Begleiter.












