Ich erinnere mich an ein Vorstellungsgespräch bei einer großen Regionalzeitung, Ort und Name spielen keine Rolle. Die Herren der Chefredaktion wollten von mir wissen, wie ich eine Zeitung machen würde. Das ist ein weites Feld, ich überlegte, wie sage ich es den Chefs, es darf nicht zu lang sein, nicht langweilig, aber auch nicht aufmüpfig. „Zeitung muss im Streit entstehen“, erklärte ich in aller Ruhe, die Herren stutzten, fragten nach. Also sagte ich: „Wir haben in der Redaktion viele Meinungen, sehr unterschiedliche, dazu gibt es viele diverse Themen aus der Politik, Kultur, dem Sport. Daraus die richtige Mischung zu rühren, das ist es.“ Führung, ergänzte ich, bedeute auch, die unterschiedlichen Auffassungen zu Wort kommen zu lassen, ja auch anzuecken, zu provozieren. Wir wollen doch die Leser interessieren.“
„Mut zum Unmut“, das Buch von Meisner/Starzmann gab es damals, vor 35 Jahren, noch nicht, aber es gab die Diskussion. Zu brav darf eine Zeitung nicht sein, sie muss Nachrichten bringen, Reportagen, Kommentare, sie braucht Bilder, die den Leser anziehen. Von Renitenz war bei uns nicht die Rede, Quertreiber waren nicht gerade beliebt.
Das ist das Interessante an dem Werk der beiden freien Journalisten, Paul Starzmann hat bis vor wenigen Jahren für den Berliner „Tagesspiegel“ gearbeitet, ein Blatt, das ich in meinen Berliner Jahren abonniert hatte. Eine liberale Zeitung, die Hauptstadtzeitung sein wollte, die sich abhob von den Springer-Blättern, die das Leben in Berlin spiegelte, aber auch das in der Republik, ja in der großen weiten Welt. Langweilig war der „Tagesspiegel“ nicht, vielleicht ein wenig staatstragend, aber das kannte ich ja, die WAZ, für die ich mein halbes Leben geschrieben hatte, rief ja auch nicht täglich die Revolution aus.
Renitenz ist gefragt
Renitenz steht im Mittelpunkt des lesenswerten Buches, das eine Mischung aus Ratgeber(vor allem für Journalisten) und einer politischen Streitschrift ist. Ein Sachbuch, durchaus spannend, auch für mich, obwohl ich die meisten Geschichten kenne. Beim Lesen fiel mir ein Lied aus den 60er Jahren ein: Leistet Widerstand… Ja, denn es gibt Anpassung genug in dieser Gesellschaft und zu viel Anpassung verdeckt dann eben alle Probleme, die diskutiert werden müssen, die notfalls an die Öffentlichkeit gezerrt werden müssen. Zur Demokratie gehört der Kompromiss, keine Frage, keine Partei hat die absolute Mehrheit. Und selbst wenn sie sie hätte, wäre sie gut beraten, die anderen Meinungen, die der Minderheit mit zu denken, sie zu hören. Auch Mehrheiten können Unrecht produzieren, die nötige gesellschaftliche Debatte zum Stillstand bringen. Stillstand aber bedeutet Rückschritt.
Renitenz. Nein sagen, wenn alle Hurra rufen, nicken, weil das ja auch Opportunismus bedeuten kann. Und davon haben wir viel zu viel. Schauen Sie sich mal die Jasager an, die vor dem Ja erstmal zum Chef oder Stimmführer rüberschielen und dann zustimmend nicken oder Beifall klatschen. Vorsicht vor der Erlahmung der Gesellschaft! Wir erleben davon im Augenblick eine Menge. Warum eigentlich wählen so viele die AfD, also eine in weiten Teilen rechtsextremistische Partei, die unsere Demokratie zerstören will. Die Deutschland aus der EU rausführen will, die Millionen Deutsche mit Migrationshintergrund außer Landes bringen will, notfalls auch mit Gewalt, wenn sie die Macht dazu in Händen hielte. Programmatisch haben die Rechten nichts zu bieten, außer dumpfen extremen Nationalismus. Reicht uns nicht, was ein Trump uns gerade in Amerika zumutet? Dass er die älteste Demokratie schleifen will. Das hatten wir schon mal, ein Blick in die Geschichtsbücher reicht, um zu sehen, wo das endet. Fremdenhass, Antisemitismus, die Fratze der deutschen Geschichte. Wollen wir das schon wieder, haben wir immer noch nicht genug?!
Renitenz. Widerstand. Nein. Das geht von der Arbeitswelt bis in unseren Alltag, es fängt schon bei den nörgelnden Kindern an, die ihren Unmut über dies und das in der Erziehung oder beim Essen durch Schreien deutlich machen. Auch hier gilt es, sich ein wenig umzuschauen. Kinder brauchen auch Hinweise für das Leben, nicht alles ist gut, was sie gerade wollen. Das muss man ihnen auch zeigen, beibringen.
Dienst nach Vorschrift, Bummelstreik. Streik. Graffiti, das Sich-Festkleben auf den Startbahnen der Flughäfen, auf Kreuzungen von Straßen. Da kommt man mit dem Rechtsstaat in Konflikt, es drohen Verhaftungen, dicke Geldstrafen, das Buch nennt Beispiele. Michael Kohlhaas, der Pferdehändler in der Novelle von Heinrich von Kleist, sollte man nicht in jedem Fall nacheifern, das kann teuer werden. Auch Graffiti ist mindestens umstritten, der eine oder andere Hausbesitzer kann die „Künstler“ wegen Sachbeschädigung anzeigen. Das mit dem Wir-Gefühl ist eine gute Sache, aber ich rate allen Anhängern der Klimabewegung und der letzten Generation dazu, abzuwägen. Protest ist wichtig, auf die Folgen für die Menschheit hinzuweisen auch mit drastischen Mitteln, aber Leute bedenkt bitte auch das Ende, es kann sehr teuer werden.
Durchsetzungsvermögen der Frauen
Renitenz, Durchsetzungsvermögen. Gerade für Frauen ist das wichtig, sie werden immer noch im Durchschnitt schlechter bezahlt als die Männer, in Führungspositionen sitzen weit mehr Männer als Frauen. Das hat in den wenigsten Fällen mit der besseren Qualifikation der Männer zu tun, sondern eher mit Vorurteilen, damit, dass Männer die Muskeln spielen lassen, sich besser verkaufen oder so tun, als seien sie besser, sie führen das erste Wort, wo Frauen noch schweigen.
Anpassung ist der falsche Weg. Konstruktiver Ungehorsam wäre besser- für die ganze Gesellschaft. Renitenz, fordern die Autoren, dürfe man nicht den Rechten überlassen, Widerstand müsse fröhlich sein, nicht verkniffen, verbittert, fair nicht fies. Zeigen Sie schon mit ihrem Gesicht, dass ihr Nein dem Unternehmen, für das sie arbeiten und streiten, förderlich sein wird und der Arbeit. Meisner und Starzmann legen den Finger in die Wunde, sie nennen Namen, die mit dem Mut zum Unmut bekannt wurden: Petra Kelly, Kevin Kühnert, Werner Schulz, Marco Wandersitz, Kristina Hänel, Lisa Pöettinger, Marie von Kuck.
Aufschlussreich das Kapitel über die angebliche Neutralität der Presse. Da fiel mir sofort Hans-Joachim Friedrichs ein, ein Großer unseres Berufsstandes, der mal festgestellt hatte: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer vermeintlich guten. Distanz halten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein. Nur so schaffst Du es, dass die Zuschauer dir vertrauen, dich zu einem Familienmitglied machen, dich jeden Abend einschalten und dir zuhören.“ Das heißt aber nicht, dass ein Journalist keine Haltung haben darf, das Gegenteil ist gefordert: Haltung, Rückgrat. Meinung darf, muss man äußern, wenn Parteien und deren Vertreter Grund- und Menschenrechte, wie sie im Grundgesetz stehen, verletzen. Wie das die AfD macht. Dann müssen sie, wir ihre, unsere politische Neutralität aufgeben, Position beziehen, klare Kante zeigen. Das Buch endet mit dem Satz, den wir von Angela Merken kennen: „Wir schaffen das“. Das mit dem Unmut und das mit der Demokratie. Ein bisschen Mut gehört zum Unmut dazu.













