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Als wäre das alles so einfach – Deutschland vor Landtagswahlen

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
29. August 2024
Wahlurne

Ein Attentäter ersticht in Solingen drei Menschen und verletzt einige schwer. Eine mutmaßlich islamistische Terrortat. Schlimm, ja eine Katastrophe für die Opfer, die Nation ist geschockt, der Kanzler wütend ob der Tat, für die er persönlich nichts kann, von der er aber schnell weiß, dass sie die ohnehin miese Stimmung im Land nur noch verschlechtert. Gegen Ausländer, gegen Islamisten, gegen die Ampel, gegen seine SPD. So ist das in der Bundesrepublik, wenn man regiert und wenn es nicht so läuft, wie man sich das gewünscht hatte beim Antritt dieser Koalition aus SPD, den Grünen und der FDP. Und wenn dann noch eine solche Tat geschieht, schießt die Empörung bis an die Decke. Und wie immer melden sich alle üblichen Verdächtigen, keiner kennt die Gründe für das Attentat, keiner kann sagen, wie es zu verhindern gewesen wäre, keine kennt den richtigen Ausweg aus dieser misslichen Lage. Aber sie alle, die sich zu Wort melden, glauben, etwas zu sagen zu haben.

Der Kanzler ist wütend, er macht Wahlkampf in Brandenburg, wo er wohnt, wo ihn aber der Ministerpräsident Dietmar Woidke nicht sehen möchte. Woidke befürchtet, dass der Genosse Kanzler ihm nicht helfen kann, zu schlecht sind die Werte von Olaf Scholz und der von ihm geführten Bundesregierung, Man kann die miese Laune Woidkes mit Blick auf Berlin und den dortigen Regierungschef verstehen, aber gut ist das nicht, wenn der eine Sozialdemokrat den anderen am liebsten weit weg sieht. Aber da kennt er den sturen Scholz schlecht, der Wahl-Potsdamer macht Wahlkampf. So oder so. Ob er helfen kann, dass Woidke wieder gewählt wird? Schwer zu sagen. Der Anschlag von Solingen hat auch ihm schwer zugesetzt. „Wir werden diesen Angriff auf unsere Freiheit, auf unsere Demokratie und auf unser Zusammenleben niemals hinnehmen. Wir werden mit aller Kraft das tun, was notwendig ist, um solche islamistischen Terroristen zu bekämpfen.“ Aber was ist notwendig? Weiß das jemand?

Merz´ vergiftetes Angebot

Vielleicht hat Scholz zu dieser Zeit schon vom Angebot seines politischen Kontrahenten in Berlin, Friedrich Merz, gehört. Der CDU-Partei- und Fraktionschef hat die durch Solingen erschütterte Stimmungslage der Nation sofort dazu genutzt, dem Kanzler ein Angebot zu machen. Ein Angebot der Zusammenarbeit, das aber vergiftet ist. Das Asylrecht müsse drastisch verschärft werden, fordert Merz und bietet Scholz eine Art Pakt an, für das man die anderen Koalitionspartner nicht braucht, das schafften Sozial- und Christdemokraten allein und gemeinsam. Und natürlich handelt Merz, wie er vor der Berliner Presse verkündet und beteuert, aus tiefer Sorge um das Land. Dass er dann noch erläutert, dass dem Kanzler das Land entglitten sei, verdeutlicht die Heuchelei, mit der der CDU-Chef und Schatten-Kanzler Merz auftritt. Dass der  Kanzler den Oppositionschef zum Frühstück ins Kanzleramt einlädt, um mit ihm die Sachlage zu bereden, ist selbstverständlich, es gehört zum guten Ton in einer Demokratie, wie sie in Deutschland gepflegt wird. Scholz weiß selber, dass die irreguläre Migration begrenzt werden muss, aber auch er weiß nicht, wie das gehen soll und gehen kann.

Die Debatte über mehr Abschiebungen, mehr Kontrollen an den Grenzen, schärfere Überwachung, über soziale Leistungen an Asylbewerber, die ohne Chance auf Asyl sind, verliert sich in den Diskussionen im Wahlkampf. Weil die AfD schreit: Abschieben! Abschieben! So fordert es Björn Höcke immer wieder ein. Er muss keine Lösung aufzeigen, es reicht die laute Forderung: Abschieben. Dabei braucht das Land Zuwanderung, jedes Jahr Hunderttausende seien wirtschaftlich notwendig, sagen alle Experten. Ausnahme Höcke: Man käme im Land auch mit einigen Millionen Menschen weniger zurecht. Seine Anhänger nehmen ihm das offensichtlich ab, sonst würden sie ihm nicht in allen Umfragen das Vertrauen aussprechen, sonst könnte der AfD-Chef nicht darauf hoffen, am Sonntag in Thüringen stärkste Kraft zu werden. Eine Hoffnung, die auch die AfD in Sachsen hat.

Urteil des Verfassungsschutzes

Es scheint keine Rolle zu spielen, das habe ich der ARD-Sendung von Jessie Wellmer vor Tagen entnommen, dass der Verfassungsschutz die AfD in Thüringen und Sachsen als gesichert rechtsextrem eingestuft hat. Die Menschen wählen sie trotzdem oder deswegen. Erinnerungskultur? Interessiert nicht im Osten, was mit dem Holocaust war, was die AfD-Leute immer wieder in der Gedenkstätte Buchenwald anrichten und dessen Leiter beschimpfen, attackieren, oder ihm gar drohen. Die SPD, die älteste Partei Deutschlands, die einzige, die 1933 Hitlers Ermächtigungsgesetz abgelehnt hat, was das Ende der Weimarer Demokratie bedeutete, die SPD, deren Mitglieder für ihre Überzeugung in die KZs gingen und ermordet wurden, diese SPD wird im Osten eher als „Abschaum“ verleumdet, wie ich es in einem Fernseh-Bericht gehört habe. Diese SPD muss um ihren Einzug in die Landesparlamente in Dresden und Erfurt zittern, in Brandenburg droht ihr der Verlust der Regierungsmacht. Die Rechtspopulisten und Nazis lassen grüßen.

Es scheint keine Rolle zu spielen, dass Unternehmer und Manager mit klaren Worten vor dem drohendem Rechtsruck im Osten warnen. Es scheint den Wählerinnen und Wählern der AfD nichts auszumachen, wenn Björn Höcke die Unternehmer beschimpft, sie betrieben „pure Heuchelei“ und sollten „einfach mal die Klappe halten, wenn es um Politik geht.“ Und dann erhoffte sich  Höcke noch etwas für die Zukunft: „Ich hoffe, dass diese Unternehmen in schwere, schwere wirtschaftliche Turbulenzen kommen.“ Wie schön, das von einem Mann zu hören, der Ministerpräsident in Thüringen werden will. Es ist gut und notwendig, dass sich führende Unternehmer und Manager wie Christian Kullmann, Evonik-Chef,  sich offen gegen die AfD geäußert und betont haben, wie schädlich die AfD für die Wirtschaft sei. Die rechtsextreme AfD ist ein Risiko für den jeweiligen Standort. Die Politik der AfD, gegen Zuwanderung gerichtet, für eine Remigration, ihre Opposition gegen die EU, ihre Absage an den Ausbau erneuerbarer Energien, ist schädlich für deutsche Standorte. Wer investiert noch, wenn die AfD ans Ruder kommen würde?

Auch die Firmen in Sachsen und Thüringen brauchen den freien Handel, suchen Fachkräfte. Welcher Arbeitnehmer aus NRW mit Migrationshintergrund wird sich denn in Sachsen oder Thüringen bewerben? Fremdenfeindlichkeit, ein Merkmal der AfD, ist Gift für Unternehmen aus Thüringen und Sachsen und deren Ruf in aller Welt. Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dullig(SPD) betont: „Wir haben hier ein Problem mit Fremdenfeindlichkeit.“ Der Klimawandel wird von den Rechten bestritten, dabei merkt ihn ein jeder, egal, wo er lebt. Die Erbschaftssteuer will man streichen. Und sich im übrigen abschotten. SZ-Kolumnist Axel Hacke beschrieb kürzlich den deutschen Arbeitsmarkt und stellte die Frage: Was würde passieren, wenn bei der nächsten Debatte über Remigration alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Migrationshintergrund streiken würden? Es würde Stillstand herrschen im Land, nichts mehr funktionieren, kein Laden öffnen, geschweige etwas verkaufen, alles wäre geschlossen, die Kneipen zu. Aus. Ende. So sieht es aus.

Demokratie nicht gelernt

Warum rund 30 Prozent der Sachsen und der Thüringer die AfD wählen wollen und weitere 15 Prozent oder mehr das BSW, ist schwer zu verstehen. Dass sie sich abgehängt fühlen, kann es nicht allein sein. Dass im Durchschnitt im Osten immer noch weniger verdient wird, auch nicht, denn sie haben ja aufgeholt. Dass in dem einen Dorf kein Bus fährt, dort kein Lebensmittelladen mehr ist und keine Apotheke, kein Miteinander, mag sein.  Abstiegsängste sollen es sein, vielleicht der Groll auf die im Westen und deren Arroganz, die Migration überhaupt, ein Kulturkampf könnte es sein, wird spekuliert. Noch einmal zur ARD-Sendung von Jessie Wellmer. Sie konnte auch keine Lösung nennen, auch nicht die Gründe für all das Negative, sie zeigte viele Bilder, ließ Menschen über ihre Sorgen reden, über ihre Verzweiflung. Dass sie keine Demokratie gelernt haben, wie man sie uns im Westen nach 1945 auch erst beibringen musste, eine Demokratie, zu der der Kompromiss gehört, der Wille, mitzumachen, sich einzubringen und nicht zu warten, dass einem alles fertig auf den Tisch gelegt wird. Eine Demokratie, zu der der Respekt gehört, den jeder seinem Nachbarn und Gegenüber erweisen muss, die Anerkennung für dessen Leben und Arbeit. Das mussten wir lernen und dieses Fundament erwies sich in bald 80 Jahren als tragbar.

Es fehle dieser Gesellschaft das Narrativ, las ich in einer Geschichte der SZ von Gilda Sahebi, einer Ärztin und Journalistin. Ich habe ihr Buch gelesen „Wie wir uns Rassismus beibringen“. Sie zitiert am Ende ihres lesenswerten Essays die US-Präsidentschaftskandidatin der Demokraten Kamala Harris. „Kraft kommt aus Zusammenhalt.“ Das ist es, was wir denen voraus haben, die unsere Gesellschaft spalten wollen. Wir haben viel erreicht. Unsere Demokratie ist zu wertvoll, als dass wir sie denen überlassen sollten, die sie zerstören wollen. Zusammenhalt, das ist es, nicht Gegnerschaft. Es ist falsch zu glauben, es ginge  den einen besser, wenn es den anderen schlechter geht. Es ist unser Land, das wir alle zusammen aufgebaut haben auf oder aus den Trümmern, für die ein autoritäres Regime, die Nazis, verantwortlich waren. Die Konsequenz des Attentats von Solingen darf doch nicht sein, dass der eine gegen den anderen austeilt, ihm die Schuld vorwirft für eine Tat, die er nicht begangen und nicht zu verantworten hat. Die AfD will die Spaltung. Die Konsequenz aber muss die sein: Die Gesellschaft rückt zusammen.

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