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Home Kultur

Bloß ein Spiel oder große Erzählung? Digitale Unterhaltungsmedien in der öffentlichen Wahrnehmung.

Julian Simon Von Julian Simon
28. August 2016
Deutschland ist stabil, aber die Krisen rücken näher

Wer einmal die Menschenmassen gesehen hat, die sich während der Gamescom an den unzähligen Ständen im Kölner Messepark vorbeischieben, konnte bereits ahnen, dass digitale Unterhaltungsmedien oder Videospiele kein Nischenphänomen mehr sind. Letzte Woche haben einmal mehr über 345.000 Menschen ihren Weg zur größten Videospielmesse der Welt gefunden (das sind gut 70.000 mehr als bei der Frankfurter Buchmesse). Auch was Einnahmen angeht hat die Videospielindustrie Hollywood mittlerweile abgehängt. Große Spieletitel wie etwa die der GTA-Reihe des Unternehmens Rockstar stechen sowohl was Kosten für Produktion als auch die Gewinne angeht jeden Blockbuster im Kino aus. Überhaupt konnte man jetzt wieder an verschiedenen Stellen lesen, dass heutzutage ja eigentlich jeder spielt, und sei es nur Candy Crush auf dem Smartphone oder neuerdings Pokemon Go.

Kinderkrankheiten der Kritik eines neuen Mediums

Das Verhältnis der Öffentlichkeit zum neuen Medium ist jedoch gespalten. Videospiele sind von enormer ökonomischer Bedeutung, und führen dennoch bis heute kulturell ein Schattendasein. Dies liegt natürlich auch daran, dass es sich noch immer um ein sehr junges Medium handelt, das dem Stadium der äußerst skeptischen Betrachtung noch nicht gänzlich entwachsen ist. So werden zwar keine Killerspieldebatten mehr geführt, aber im kulturellen Diskurs angekommen ist das Medium noch nicht wirklich. Zwar wird über manche Spiele sehr viel berichtet (etwa in den letzten Wochen zu Pokemon Go), jedoch selten in Bezug auf die Spiele selbst, etwa in einer feuilletonistischen Rezension.
Und wenn das dann doch einmal der Fall ist, sind diese fast immer sehr auf Handlung, Figuren und Erzählungen konzentriert. Wird der einschlägigen Fachpresse häufig vorgeworfen sich in Rezensionen von Spielen zu sehr in technischen Details zu verlieren, ist in den Feuilletons genau das Gegenteil der Fall. In diesem Gegensatz zwischen Spielmechanik und Erzählung steckt der Kern des Problems.

Mehr als Text und Bilder

Als sich vor einigen Jahren das akademische Feld der Game Studies, also der kulturwissenschaftlichen Betrachtung von Videospielen, formierte, kamen die meisten Wissenschaftler aus den benachbarten Disziplinen der Literatur-, Kunst-. und Filmwissenschaft. Diese brachten zur Analyse des neuen Mediums – quasi selbstverständlich – ihre eigenen Methoden mit, so wie die Filmwissenschaft bei ihrer Entstehung selbst Methoden aus der Literatur- und Kunstwissenschaft übernahm. Jedoch hat jedes Medium seine spezifischen Eigenheiten, die sich nur mit einem Analyseinstrumentarium erfassen lassen, das auf die genuinen Eigenschaften des jeweiligen Mediums bezogen ist. Aus diesem Kontext heraus gab es innerhalb der Game Studies eine Gegenbewegung, die dafür plädierte, Videospiele primär als Spiele und nicht als Erzählung zu behandeln. Dieser Streit zwischen Narratologen und Ludologen ist bis heute nicht abschließend geklärt, auch wenn er in letzter Zeit zugunsten von Ansätzen, die man als gemäßigt „ludologisch“ bezeichnen könnte, etwas abgekühlt ist.

Ein solcher synthetischer Ansatz wäre auch für die Rezensionen von Videospielen in der Presse wünschenswert. Natürlich soll weiterhin auf Handlung, Erzählung und Figuren eingegangen werden und es gibt auch Videospiele, an denen der klassisch gelernte Feuilletonist sich hemmungslos austoben kann, etwa das grandiose Bioshock Infinite, das gezeigt hat, wie komplexes postmodernes Erzählen in Videospielen aussehen kann, und ganz nebenbei noch die schönsten Bildwelten der letzten Jahre bietet, die allesamt vor intertextuellen Verweisen strotzen.

Aber es gibt auch Videospiele, deren Geschichten banal, Figuren platt und deren dargestellte Welten unoriginell sind, die aber als Spiele dennoch großartig funktionieren. Die Qualität solcher Spiele rührt dann von ihrer Spielmechanik her, die aufgrund ihrer Tiefe und Komplexität überzeugen kann. Man kann das sehr gut mit dem Schachspiel vergleichen. Wenn jemand das Spiel nicht kennt und wissen möchte, wie es funktioniert und was seine Qualität ausmacht, kann man ihm natürlich erklären, dass es sich bei den Figuren um einen symbolisierten mittelalterlichen Hof inklusive Heer handelt, was zwar eine interessante Information sein kann, jemandem der das Spiel nicht kennt jedoch kaum beim Verständnis helfen wird. Der Punkt an dem man besser ansetzen würde, wäre natürlich das Erklären der Regeln, Züge, Strategien und Taktiken; deren Äquivalent stellen bei Videospielen die Spielmechaniken dar.

Keine Angst vor dem Spielen

Bei Videospielen, die als Medium beides in sich vereinen, Spiel und Erzählung, sollte also naturgemäß auch auf beides eingegangen werden. Dabei scheint die Überwindung dazu ein Spiel für das, was es als Spiel ausmacht, ernst zu nehmen und danach zu behandeln, im deutschen Sprachraum größer zu sein als etwa im Englischen. Wo man im Deutschen das Wort „Spiel“ schnell mit unreifen Kindereien verbindet, umfasst das englische „game“ ein Vielfaches mehr, was sich etwa daran zeigt, dass der Angelsachse geostrategische Vorgänge der Weltpolitik auch schon mal als „great game“ versteht.
Die Kritiker müssten also werkimmanent interpretieren. Je nachdem, wie ein Videospiel gemacht ist, kann der Fokus dabei mehr zur Analyse der Erzählung oder mehr zur Analyse der Spielmechaniken einladen, in deren Spannungsfeld sich das Verständnis für das jeweilige Spiel als Gesamtkunstwerk schließlich ergeben kann.

Ein solcher Ansatz würde auch das Verständnis für ein neues Medium, dessen wirtschaftliche Bedeutung in den nächsten Jahren wahrscheinlich noch weiter wachsen wird, verbessern und könnte auch seiner wachsenden kulturellen Bedeutung gerecht werden.

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Tags: FeuilletonGamesNarrativeRezensionSpielVideogamesWahrnehmung
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