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Der Westen ist tot – Nach langer schwerer Krankheit in Afghanistan gestorben

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
17. August 2021
Friedhof mit Skelett - Fantasybild

Der Westen ist tot. Gestorben nach langer schwerer Krankheit in Afghanistan. An Heuchelei, Wortbruch, Versagen, Feigheit, Besserwisserei, Hochmut. Es trauern die Mitglieder dieser einst ruhmreichen Familie, die nun zerbrochen ist, weil sie keine Einheit mehr war. Die Asche wird von einem Hubschrauber über dem Meer verstreut. Von Trauer- und Mitleidsbekundungen am Grab bitten wir abzusehen. Bitte keine Reden von US-Präsident Biden, keine Reden von Bundeskanzlerin Angela Merkel, keine Reden von Außenminister Heiko Maas, keine Reden von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, keine Reden von Bundesinnenminister Horst Seehofer. Auch Nato-Generalsekretär Stoltenberg möge schweigen. Lediglich die Witwe eines in Afghanistan gefallenen deutschen Soldaten soll ein paar Worte sagen. Und vielleicht findet sich ein einstiger Helfer der Nato-Truppen, der ein paar Worte der Trauer äußert.

So etwa könnte eine Todesanzeige aussehen. Sie könnte noch ergänzt werden durch den Hinweis auf die blamable Führung der letzten sogenannten Weltmacht mit ihrem Sitz in Washington, die sich einfach aus dem Staub gemacht hat in einem Land, in das sie mit den Soldaten anderer westlicher Staaten vor 20 Jahren einmarschiert war, um die Terroristen der Al Qaida zu vernichten, die an 9/11 2001 mit ihren Anschlägen in New York und Washington Tausende Menschen in den Tod gerissen hatten. Die folgenden Kämpfe der Amerikaner und ihrer Unterstützer haben viele Menschen getötet, auch Einheimische, sie haben geglaubt, sie könnten nach ihren Vorstellungen das Land am Hindukusch verändern. Sie sind blamabel gescheitert, auf der ganzen Linie. Und mit der Führungsmacht aus Amerika ist der Westen untergegangen. 

Der Westen, das war ein Name, der für Freiheit stand, für Gleichheit, für Brüderlichkeit, für Wohlstand, für Demokratie. Wer das System nicht kannte, träumte vom Westen, als wäre es das Paradies. Bis Afghanistan passierte, bis die Amis fluchtartig das Land verließen, um es den Taliban zu überlassen. Und die Menschen im Land, die dem Westen geholfen hatten, wurden zurückgelassen, ihrem Schicksal übergeben und damit in die Hände der Taliban, die berühmt-berüchtigt sind für ihre Schreckensherrschaft gegen alles Demokratische, gegen Frauen und Kinder. Alle, die geholfen hatten, weil die Menschen aus dem Westen ihre Sprache nicht sprachen,  in der Ferne sich nicht auskannten, die Dolmetscher, Fahrer, die Leute von den Hilfsorganisationen, sie alle sind nun allein zu Haus in einem Land, in dem sie sich nicht sicher fühlen. Das Versprechen des Westens auf eine bessere Zukunft- es war ein Versprecher.

Häme und Spott begleiten das Ende vieler Hoffnungen. Entsetzt habe ich die Bilder vom Flughafen gesehen, als die Menschen die Maschinen stürmten, als sie sich an Flugzeuge hängten, um ins Ausland geflogen zu werden. Sie fürchten um ihr Leben. Aber Joe Biden, der Präsident nach dem unsäglichen Trump, betont, man habe alles richtig gemacht. Sollen die Afghanen sich doch selber verteidigen. Amerika, die letzte Weltmacht, scheitert an den Gotteskriegern. Welch eine Schmach!

Liste der Versager ist lang

Und Deutschland ist dabei- bei den Verlierern. Wie immer haben die Geheimdienste nichts gewusst. Und der smarte Herr Maas, der sicher eine gute Figur auf dem Laufsteg machen würde, hat nichts gewusst, nichts gehört, nichts geahnt. Es ist erbärmlich, wie dieser sogenannte Außenminister vor die Presse trat, um zunächst- das war vor wenigen Tagen- zu verkünden, dass es nicht seine Annahme wäre, dass die Taliban bald Kabul einnehmen würden und damit das ganze Land in der Hand hätten. Um dann eingestehen zu müssen, dass man sich getäuscht habe. Wenn dieser Herr noch einen Funken Anstand besitzt, packt er seine sieben Sachen zusammen und verlässt das Amt, die Regierung, die Politik. Er möge sein Rennrad, das ihn ja auf seinen vielen Reisen um die Welt begleitete, mitnehmen, um dann durch die Brandenburger Wälder zu düsen.

Dann ist da die Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Sie war mal als Merkel-Nachfolgerin im Gespräch, scheiterte, blieb jedoch Chefin der Verteidigung. Warum eigentlich, das ist mir ein Rätsel? Fehlt noch der CSU-Mann in Merkels Kabinett, der Horst Seehofer, der war mal Chef der bayerischen Schwester der CDU und im Freistaat Ministerpräsident. Er hat einst auf einem CSU-Parteitag die Kanzlerin vor Publikum zur Rede gestellt. Ein unverschämtes Auftreten. Und jetzt wollte der doch Afghanen in die Heimat abschieben, wie damals an seinem Geburtstag, dem 69., wo er lächelnd meinte, passend zu diesem seinem Ehrentag würden 69 in das ferne Land abgeschoben. Toller Humor! Er nennt sich christsozial. Dieses Mal ist das gerade noch gestoppt worden. Vielleicht sollte man den Herrn Innenminister mal mit einer Maschine jetzt nach Kabul fliegen lassen, ehe er sich aufs Altenteil in Ingolstadt zurückzieht. Dort mag er im Keller seinem Hobby frönen und die Züge Runden drehen lassen. Hauptsache, er wäre nicht mehr Minister.

Es ist auch, das darf wenige Wochen vor der Wahl, bei der sie nach16 Amtsjahren nicht mehr antritt, nicht unterschlagen werden, eine Blamage für Angela Merkel. Wie war das noch mit der Richtlinienkompetenz? Der Physikerin, die auf Sicht fährt und Politik vom Ende her denkt und macht? Der mächtigsten Frau der Welt? Und jetzt dieses Desaster, das Leben kosten kann. Überhaupt muss sie sich die Frage gefallen lassen nach dem Sinn des ganzen Unternehmens. War es das wert, Frau Merkel? Die Toten, Verletzten, die Milliarden Euro wie zum Fenster rausgeworfen. Die Taliban jubeln ob der Schwäche des Westens, die noch im Land verbliebenen Mitarbeiter des Westens zittern um ihr Leben, fürchten die Rache der Taliban. Diese Hauruck-Politik der Amerikaner hatte nie ein Konzept für die Zeit danach, für die Zeit nach dem Abzug. Man fühlt sich erinnert an schwarze Stunden der Amerikaner damals in Korea, später in Vietnam, dann im Irak, jetzt in Afghanistan. Trümmer, nichts als Trümmer. 

Der Versuch, unsere demokratischen Vorstellungen den Menschen in aller Welt überzustülpen, ist wieder mal gescheitert. Auch weil man die Menschen gar nicht mitgenommen, nicht auf ihre Geschichte und Eigenheiten Rücksicht genommen hatte. Mit dem „Wir sind die Besseren“ kommen wir nicht weiter. Demut ist gefragt nach so einer Blamage, die unser System infrage stellt. Helmut Schmidt hat vor Jahren vor einem Eingreifen am Hindukusch gewarnt und auf die Geschichte des Landes hingewiesen, darauf, dass schon Alexander der Große dort gescheitert sei, Jahrhunderte später die Briten, dann die Sowjets. Warum hat man auf den alten weißen Mann an der Alster nicht gehört?

Bildquelle: Pixabay, Bild von Stefan Keller, Pixabay License

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Comments 4

  1. Joke Frerichs says:
    4 Jahren ago

    Am 3.8. verabschiedete AKK in Wilhelmshaven die Fregatte „Bayern“. Ziel: der indische Ozean. Dort soll sie die westlichen Werte verteidigen. Aus Berlin meldete sich Heiko Maas: Es gehe darum, „eine regelbasierte internationale Ordnung“ herzustellen. Wie ist es möglich, dass derart unfähige, verantwortungslose Leute Regierungsämter besetzen und über Leben und Tod Anderer entscheiden? Man kann nur noch verzweifeln, zumal auch eine „grüne“ Außen- und Sicherheitspolitik ein Desaster werden dürfte.

    Antworten
  2. Jochen Luhmann says:
    4 Jahren ago

    Lieber Herr Pieper,

    zu Ihrem Requiem die folgenden untermauernden Hinweise

    i) für den 25. August steht der Start der offiziellen „Bilanzdebatte“ im Kalender

    https://www.bmvg.de/de/presse/afghanistan-start-bilanzdebatte-5205442

    Ich bin gespannt, ob der Termin unter den obwaltenden Umständen bleibt. Wäre ja potentiell schon recht aufschlussreich.

    ii) AKK will Nachfolgerin von Stoltenberg werden – ihre Aktivitäten muss man vor diesem Hintergrund verstehen.

    iii) Der Westen droht an sich, seiner Überheblichkeit, zu Grunde zu gehen. Mein letzter Artikel bei Ihnen, zur Anti-Korruptions-Politik des Westen in der Ukraine, ist, sehe ich jetzt, eins zu eins auf Afghanistan zu übertragen. Die Lehren

    # Anti-Korruptions-Politik ist NUR als Außenpolitik möglich.

    # Unterlässt man sie, dann bricht alles mit Militärhilfe Aufgebaute nach Abzug des Militärs zusammen; und nicht nur das: Alle gelieferten Waffensysteme und viele ausgebildete Soldaten landen beim Feind – man hat ihn selbst ausgerüstet.

    iv) Selbst der SWP, dem BuRe-eigenen aber unabhängigen außenpolitischen Think Tank, wird es mit der Politik der Doppelstandards zuviel. Vgl.

    https://www.swp-berlin.org/publikation/eine-heikle-mission-die-fregatte-bayern-zeigt-flagge-im-indopazifik

    Herzlichst
    Jochen Luhmann

    Antworten
  3. Peter Boettel says:
    4 Jahren ago

    „Videant consules, ne quid detrimenti capiat res publica.“ („Die Konsuln mögen zusehen, dass der Staat keinen Schaden erleide.“) sagte Cicero im Senat von Rom.

    Die heutigen Konsuln (Merkel, Maas, AKK und Seehofer) würden durch ihren überfälligen Rücktritt Sorge tragen, dass der Staat keinen Schaden erleide.

    Antworten
  4. Herr Roland Kartoffelsack says:
    4 Jahren ago

    Würde Maas oder AKK jetzt zurücktreten, würden sie der endlich laufenden Rettungsaktion schaden, weil sich die Verantwortlichen in den Ministerien nicht mehr völlig darauf konzentrieren könnten.

    Nein, die Damen und Herren haben jetzt über die brechtigte Kritik und (mögliche) Selbstzweifel hinwegzusehen um wenigstens noch die Menschen zu retten, die zu retten sind. In ein paar Wochen ist Wahl. Sollen sie sich dann nicht mehr für ein Ministeramt zur Verfügung stellen. Das wäre Anstand, der dann auch einen gewissen Respekt abverlangen würde (vorausgesetzt ihre Partei kann überhaupt Ministerposten besetzen).

    Antworten

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