Dass junge Menschen gern aufmucken gegen die da oben, ist nichts Neues. Man denke an die Proteste gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands, gegen die 68er, gegen die Notstandsgesetze, gegen den Vietnam-Krieg, gegen den Mief von 1000 Jahren unter den Talaren, um nur dieser Beispiele zu nennen. Insoweit sind die Demonstrationen gegen die neue Wehrpflicht, die ja keine Pflicht, sondern freiwillig geleistet werden soll, nichts Ungewöhnliches. Es geht ja auch erst los mit den Protesten kleinerer Gruppen. „Wir wurden nicht gefragt“, lese und höre ich seit Wochen von Schülern und Jugendlichen. Soll heißen: die Politiker wie der Kanzler Merz, sein Vize Klingbeil, wie auch der Verteidigungsminister Pistorius hätten erst mit der deutschen Jugend reden und sie fragen müssen, ob man sich denn überhaupt und wie man sich künftig verteidigen dürfe gegen Aggressoren wie zum Beispiel Russland. Das ist ja keine Erfindung und kein böser Traum, Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine dauert an, täglich sehen und hören wir von Kriegsmeldungen, von Drohnen, Bomben und Raketen, mit denen die Russen die Ukraine Haus um Haus, Straße um Straße zerstören, täglich gibt es Tote und Verletzte, wird die Infrastruktur des Landes mehr und mehr in Schutt und Asche gelegt, damit das Volk der Ukrainer kriegsmüde werde.
Geschichte der Erfolge und Abgründe
Deutschland ist ein komplexes Land mit einer langen Geschichte, mit Erfahrungen von Befreiungskriegen, Bauernaufständen, mit einem Industriezeitalter, der Reichsgründung unter Bismarck, mit Königen und Kaisern, mit einem siegreichen Krieg gegen Frankreich 1871, mit zwei verheerenden Weltkriegen, mit einer Nazi-Herrschaft, die fast ganz Europa umfasste, sechs Millionen Juden ermordete, weil sie Juden waren. Der 2. Weltkrieg begann mit dem Angriff auf Polen, mit sogenannten Blitzkriegen und Siegen, erst der Angriff auf die Sowjetunion brachte Hitlers Griff nach der Weltmacht ins Stocken und alles endete im Bombenhagel der Alliierten auf deutsche Städte und mit der bedingungslosen Kapitulation. Deutschland, entmachtet von den Alliierten, war geteilt, es begann der Wiederaufbau, der dank des Marshall-Plans zu einer Erfolgsgeschichte wurde. Die Bundesrepublik wurde Teil des Westens, so wollte es Konrad Adenauer, die DDR war Teil des Ostblocks, des Warschauer Paktes, der Kommunismus wurde als größte Gefahr heraufbeschworen, weil er angeblich die Welt unter seine Fuchtel zwingen wollte. Mauer und Stacheldraht, das geteilte Berlin, Aufstände im Osten, die niedergeschlagen wurden durch russische Panzer, 1953 in Berlin, 1956 in Ungarn, 1968 in der CSSR, Jahre später muckten die Polen auf mit der Gewerkschaft Solidarnosc und ihrem mutigen Chef Walesa. 1989 der Zusammenbruch der DDR, in Leipzig siegten die Bürgerinnen und Bürger mit Kerzen in den Händen über die schwer bewaffnete Obrigkeit, wenig später war es vorbei mit der SED, der Stasi, mit Mauer und Stacheldraht. Deutschland wurde wieder vereinigt, was so nicht ganz stimmte, weil die Ostgebiete Pommern, Schlesien und Ostpreußen längst verloren waren, an Polen und aus Königsberg wurde das russische Kaliningrad.
Wir wurden nicht gefragt, rufen heute die Jugendlichen und Schüler. Und sie wollen nicht lernen, wie das einer ihrer Anführer, ein gewisser Linus sagte, der die Proteste in München organisiert hatte, „andere Menschen zu töten“. Der junge Mann weiß natürlich, dass das völlig überzogen ist, dass sowohl Merz, wie Klingbeil und Pistorius betonen, die Bundeswehr solle wieder verteidigungsfähig gemacht werden, damit sie uns nicht verteidigen müsse. So ähnlich hieß es doch immer in all den Jahrzehnten der Bundeswehr, keiner ihrer Generäle, keiner der Minister waren kriegswütige Menschen. Der Frieden zählte oder wie es der frühere Bundespräsident Gustav Heinemann formuliert hatte: „Der Frieden ist der Ernstfall, indem wir alle uns zu bewähren haben.“ Mag sein, dass der eine oder andere den Satz von Kurt Tucholsky im Kopf hat: „Soldaten sind Mörder.“ Die Worte sind Teil der Glosse „Der bewachte Kriegsschauplatz“, die der Schriftsteller 1931 in der Zeitschrift „Die Weltbühne“ publiziert hatte. Ein umstrittener Satz, der aber nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts 1995 von der Meinungsfreiheit gedeckt wird.
Schulstreik gegen Wehrpflicht
Herbst 2025. Schüler gehen nicht zur Schule, um an den Demonstrationen gegen die Wehrpflicht teilzunehmen. Schulstreik gegen die Wehrpflicht. Es soll auch Druck gegeben haben von Seiten einiger Lehrer, diesen Demos besser fernzubleiben. Ob sie mit den Streiks etwas bewegen können? Ob daraus noch eine richtige Bewegung wird? Der Autor und Podcaster Ole Nymoen darf in dieser Runde nicht fehlen. Der 27jährige hatte sich schon vor Monaten einen Namen gemacht, als er im Fernsehen erklärte: „Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde“. Ich fand seine Erklärung ziemlich anstößig. Klar, er darf hier alles sagen, es ist von der Meinungsfreiheit gedeckt, aber so zu tun, als sei dieses Land es nicht wert, dass man es verteidigen müsse, fand ich unerhört. Man kann an diesem Land vieles kritisieren, den Zustand der Schulen, die kaputte Bahn, die maroden Brücken, aber dieses Land ist immer noch die drittstärkte Volkswirtschaft in der Welt. Und das Land wird wieder auf die Beine kommen, wenn wir wieder in die Hände spucken und anpacken und aufhören mit der ewigen Jammerei.
Den Politikern der Bundesregierung werden die Erklärungen nicht abgenommen, Merz, Klingbeil und Pistorius wird vieles unterstellt, auch, dass sie Stück für Stück die Wehrpflicht einführen wollten. Damit es weniger Widerstand gebe. Und so weiter. Der Wehrminister wird kurz umgetauft in „Boris Pimmeltorius“, was diesen so wenig stören wird wie die Aufforderung, er möge selber kämpfen. Fehlt noch die Losung, die ich von früher kenne: Lieber rot als tot, als wenn das Leben unter roter Herrschaft, wie unter Putin in Moskau oder anderswo in seinem Reich so schön wäre. Ohne Meinungs- und Pressefreiheit, ohne Wahlfreiheit. Ist es das, was so verlockend ist? Aus einer anderen Umgebung hörte ich, dass junge Männer gesagt hätten, dann wanderten sie aus nach Neuseeland. Gemeint wohl, wenn es einen Krieg geben, wenn Putin Deutschland angreifen sollte. Ja, das, nur das kann gemeint sein, die Bundeswehr ist eine Verteidigungsarmee. Sie greift Moskau nicht an und sonst auch niemanden. Ich weiß, auch das ist dann nicht glaubwürdig in einigen Köpfen, aber dann kann ich ihnen auch nicht helfen.
Ich habe in den letzten Tagen erneut das Buch von Heinrich August Winkler „Wie wir wurden, was wir sind“ gelesen. Das Buch ist eine kurze Geschichte der Deutschen, der Historiker erzählt und analysiert sie, erklärt dieses komplexe Gebilde Deutschland mit all seinen Höhen und Tiefen, Erfolgen und Abgründen. Ein lesenswertes Werk. Über der Einleitung stehen drei Sätze aus der Antrittsrede des Bundespräsidenten Gustav Heinemann vom 1. April 1969: „Es gibt schwierige Vaterländer. Eines davon ist Deutschland. Aber es ist unser Vaterland.“ Zu Winkler: Der Professor war früher Mitglied der CDU, er verlies sie aus Protest gegen Adenauers Kampagne gegen den SPD-Kanzlerkandidaten Willy Brandt alias Herbert Frahm- das uneheliche Kind. Winkler trat der SPD bei, er war ein Anhänger von Brandts Ostpolitik.
Mehr Demokratie wagen
Heinemann hatte aus Protest gegen Adenauers Wiederbewaffnungspolitik sein Ministeramt niedergelegt und war aus der CDU ausgetreten. Er gründete zusammen mit Robert Scholl, dem Vater der Geschwister Scholl, die GVP(Gesamtdeutsche Volkspartei), der auch Diether Posser, Erhard Eppler und Johannes Rau angehörten, die später zur SPD wechselten. Als Heinemann zum Bundespräsidenten gewählt worden war, sprach er selber von einem „Stück Machtwechsel“. So kam es im Herbst des Jahres 1969 zur Bildung der sozialliberalen Koalition unter dem Kanzler Willy Brandt, der in seiner ersten Regierungserklärung betonte, mehr Demokratie wagen zu wollen. Und der wegen seiner Ostpolitik, seines Versöhnungskurses gegenüber dem Ostblock, der UdSSR, Polen- „Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein“- den Friedensnobelpreis erhielt.
Ein Land, das ich nicht verteidigen würde? Dazu bin ich zu alt, Jahrgang 1941. Aber eines möchte ich dazu noch feststellen und dabei aus einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ aus Anlass der Wiedereröffnung des Hauses der Geschichte in Bonn zitieren: Dieser Staat ist „komplex“, „widersprüchlich“, „durchaus fragil“- aber eben auch „erhaltenswert“. Ja, liebens- und lebendwert, wie es Bundeskanzler Friedrich Merz in der Diskussion mit Bundesbürgern im WDR-Fernsehen formuliert hatte.
Ein besseres Deutschland gab es nie.












