Die Meldungen über den Aufstieg einer gesichert rechtsextremen Partei sorgen kaum noch für die gebotene mediale Aufregung. Die Sonntagsfrage von Infratest dimap oder das Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen zeigen mittlerweile, wie knapp der Abstand zur Kanzlerpartei CDU geworden ist: 2% Prozent. Das Mobilisierungsthema der AfD hingegen, Migration und Asyl, entwickelt sich – zumindest in den Zahlen der Asylanträge- in genau die andere Richtung. Schon die Ampelkoalition hatte mit Rechtsänderungen einen – durchaus auch kritisch zu sehenden -Prozess des Rückgangs der Asylbewerberzahlen eingeleitet. Wolfgang Schmidt, damaliger Kanzleramtsminister, wird bis heute nicht müde, bei „Bluesky“ und „X“ darauf mit den exakten Zahlen hinzuweisen. Bundesinnenminister Dobrindt setzt diesen Kurs der von der Union als sogenannten „Migrationswende“ bezeichneten fort. Dabei wird bewusst die Verletzung von Europarecht in Kauf genommen, wie u.a. Prof. Hruschka im Verfassungsblog darlegt. Die Kritik ist mittlerweile vielstimmig. So verweist die Gewerkschaft der Polizei auf die Unverhältnismäßigkeit von Aufwand und Ergebnis, wenn sie sagt „Die Zahl der Zurückweisungen von Asyl- und Schutzsuchenden ist tatsächlich sehr gering, der Aufwand für die Bundespolizei dagegen riesig.“ Für den Migrationsexperten Gerald Knaus wird anhand der Zahlen deutlich, dass sich der Rückgang der Anträge in Deutschland und Österreich entscheidend auf den drastischen Rückgang syrischer Antragssteller*innen nach dem Sturz des Assad-Regimes begründet.
Die Zahl der Asylanträge wird also nicht durch die aktuellen Maßnahmen, sondern die faktische Entwicklung in Verbindung mit den schon längst vorhandenen gesetzlichen Regelungen reduziert. Dies kann (und muss) man mehr als kritisch sehen – aber unabhängig von der Kritik stellt sich die Frage, warum dennoch ein innenpolitischer Kurs gefahren wird, der auch vor Gerichten keinen Bestand hat, wie jüngst das Urteil des Verwaltungsgericht Berlin ausführlich begründet hat.
Einer der zentralen Ursachen für diese Politik liegt in der andauernden Hilflosigkeit der demokratischen Parteien im Umgang und dem weiterwachsenden Umfrageergebnissen der AfD. Erwartungen von Friedrich Merz, der Werte der AfD halbieren wollte, bis zur Brandmauer, die mit einem Tabubruch am 31.Januar 2025 und dem Antrag des Zustrombegrenzungsgesetzes der CDU/CSU dem sie unter Inkaufnahme der Stimmen der AfD zur Mehrheit verhelfen wolle, aber damit letztlich gescheitert ist.
Es ist der schwierige und uneindeutige Umgang der demokratischen Parteien, der ihre Politik in der Gesellschaft, als etwas wahrnehmen lässt, was eben bis heute nicht weiß, wie mit der Rechtsextremen umgegangen werden soll. Der Glaube, dass das Mobilisierungsthema der Rechtsextremen, „Migration und Asyl“ durch die Politik des Bundesinnenministers entzaubert wird und den Aufstieg der gesichert rechtsextremen Partei verhindere, hat sich als ein Irrglaube herausgestellt.
Mehr noch – diese Politik und die verbale Nähe zu den Inhalten der Rechtsextremen bewirkt sogar das Gegenteil. Der Politikforscher Prof. Karl-Rudolf Korte stellt im ZDF-Interview klar „Die vergleichende Parteienforschung, europaweit, ist ganz eindeutig bei dem Ergebnis, dass Parteien, die konservativ daherkommen und die Themen der Autoritären [und] Rechtsradikalen imitieren, am Ende nicht nur verlieren, sondern am Ende sich auflösen.“
Wie rote Linien Stück für Stück vom rechten Rand in die Mitte verschoben werden
Ein Blick in die letzten Wochen zeigt, wie sehr Demokrat*innen bereit sind, diesen kommunikativen aber auch für die Demokratie politisch gefährlichen Weg zu gehen:
So haben B90/Die Grünen im Bundestag die demokratischen Parteien zu einem Gespräch über ein mögliches AfD Verbotsverfahren gebeten. Während SPD und Linke nach interner Abstimmung zugesagt haben, ließ die Unionsfraktion noch auf sich warten, bis sie dann unter Hinweis auf eine zunächst notwendige fraktionsinterne Diskussion abgesagt hat. Die Wartezeit bis zur Absage und natürlich die Absage selbst signalisieren, gewollt oder ungewollt, wir sind bei der Suche nach Antworten – unabhängig vom Ergebnis- noch nicht dabei und agieren nicht auf gleicher Wellenlänge. Es sind die kleinen und großen Signale, die Normalität suggerieren und so Rechtsextreme in die gesellschaftliche Debatte einbeziehen.
Bundestagspräsidentin Julia Klöckner sorgte im August mit einer Rede beim Sommerempfang der CDU Koblenz für heftige Kritik. So stellte sie fest, dass es kaum einen Unterschied in der „Methodik“ zwischen dem rechtspolitischen Portal NIUS des ehemaligen BILD-Chefredakteurs Reichelt und der Tageszeitung taz gebe. Der Deutsche Journalisten Verband DJV, der Koalitionspartner SPD und viel andere kritisierten die Bundestagspräsidentin für diese Gleichstellung. Journalistische Standards auf der einen Seite gegen eine rechtspopulistische Agenda.
Die Grenzen werden immer weiter verwischt: So ist es auch für den Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesinnenministerium von der CSU, Christoph de Vries, gar kein Problem, sich bei Nius im Interview über die Migrationspolitik der Bundregierung und dann auch noch über die Debattenkultur in Deutschland auszulassen. Das dies bewusst bei dieser Plattform erfolgt und ausgesucht kommuniziert wird, steht außer Frage. So hat auch Mecklenburg-Vorpommerns CDU-Landeschef Daniel Peters bei Nius die Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht, Frauke Brosius Gersdorf aufgefordert, die Bewerbung zurückzuziehen. Und das in dem rechtspopulistischen Portal, dass nach Meinung des DJV-Bundesvorsitzenden Mika Beuster, entscheidenden Anteil an der Schmutzkampagne gegen die Juristin hatte.
Der CDU-Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag, Jens Spahn, hatte schon im Frühjahr einen anderen organisatorischen Umgang im Parlament mit der AfD gefordert: sie nämlich als Oppositionspartei so zu behandeln, wie jede andere Oppositionspartei auch. Da ist der Weg zur Normalität nicht mehr weit – aber wenn Spahn sich gegen die Empörung und Kritik an seinem Vorschlag zur Wehr setzte, bleibt mehr als ein fader Beigeschmack. Denn so ebnen die demokratischen Parteien Stück für Stück den Weg des Rechtspopulismus und der gesichert Rechtsextremen in die Normalität der Gesellschaft.
Vor wenigen Wochen war es der Werber Jean-Remy von Matt, der sein neues Buch auf der Plattform Nius vorstellte. Dabei war er auf so großen Widerstand aus der eigenen Werbebranche gestoßen, dass er anschließend versuchte, sich mit einer wachsweichen Erklärung aus der Affäre zu ziehen. Dort wäre er „nie hingegangen, wenn ich mir vorher genau bewusst gemacht hätte, was das für ein Medium ist und für was die stehen“. Er sei zu den vom Ullstein-Verlag organisierten Terminen einfach hingegangen – und musste gleich eine zweite Erklärung hinterherschieben, um seinen Verlag wieder aus der Schusslinie zu nehmen. Bei LinkedIn teilt er mit, dass es „einfach bescheuert war, mich für meine Buch-Promo bei Nius aufs Frühstückssofa zu setzen“ und stellt klar: „Der Ullstein-Verlag war nicht involviert, der Kontakt lief über mich.“ Da hat der Branchenprimus mehr schlecht als recht die Kurve gekratzt.
Taten und Worte
Die Methode ist mittlerweile bekannt: mit bewusster verbaler Grenzüberschreitung wird die Demokratie ausgetestet.
Jede neue Provokation versucht, ein Tabu zu brechen. So bezeichnete Alexander Gauland 2018 die Nazi-Diktatur unter Adolf Hitler einen „Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“. Im Sommer 2021 waren Chats öffentlich geworden, in denen sich der AfD Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich als das „freundliche Gesicht des NS“ bezeichnete. Nach Diskussion in der AfD-Bundestagsfraktion zu Beginn der neuen Legislaturperiode wurde er als vollwertiges Fraktionsmitglied aufgenommen. Ein Vorgang der auch in der internationalen Berichterstattung beachtet wurde.
Auch der Thüringer AfD Fraktionsvorsitzende Höcke macht immer wieder vor, wie man mit Unsagbarem Emotionen erzeugen und Menschen mobilisieren kann. Mit dem bewussten Einsatz einer NS-Parole oder leichten Abwandlungen, wurde er 2024 vom Landgericht Halle , gerade vom Bundesgerichtshof rechtskräftig bestätigt, zu einer Geldstrafe von 130 Tagessätzen zu je 130 Euro verurteilt.
Die AfD passt sich, getrieben durch die Bewertung des Verfassungsschutzes als „gesichert rechtsextreme Partei“, an. So taucht der Begriff „Remigration“ im Strategiepapier der AfD Bundestagsfraktion, dass durch die Website Politico in diesem Sommer enthüllt wurde, nicht mehr auf. Unter Beibehaltung der gleichen menschenverachtenden Ziele, aber jetzt im Gewand bürgerlicher Rhetorik, will man sich einer Wählerschaft präsentieren, die bisher durch die rechtsextreme Rhetorik abgestoßen wurde. Und mittlerweile sind statt der Rechtsextremen, die offen die Demokratie ablehnen, die wirkmächtigeren Akteur*innen der AfD die sogenannte „Neue Rechten“. Das konstatiert die Untersuchung „ Antidemokratie getarnt als politische Bildung“ der Heinrich-Böll-Landesstiftungen. Die Untersuchung stellt fest, dass sich diese Akteur*innen „ vordergründig demokratisch positionieren, aber de facto antidemokratische, also autoritäre und antiegalitäre Ziele und Methoden hat. Sie vertritt eine autoritäre und antiliberale Vorstellung von Demokratie als Volksherrschaft.“
Können Demokrat*innen etwas tun?
Das Engagement für die Demokratie zählt zu den wichtigen Voraussetzungen einer lebendigen Zivilgesellschaft. Da ist das Gespräch mit der Familie, mit Freunden oder Nachbarn, das wertvoll ist. Klare Haltung für die Demokratie. Das Engagement kann in den sozialen Medien genauso stattfinden, wie in einer lokalen Initiative oder auch in einer bundesweiten NGO, wie Gesicht Zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland.
Dazu zählt auch, sich einzumischen und selbst zu vergewissern, wie Rechtsextreme argumentieren und die Demokratie von innen aushöhlen wollen.
Aber Achtung! Auch hier wirkt Politik jetzt schon kontraproduktiv und öffnet zusätzlich den Rechtsextremen Tor und Tür. Gerade hat CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann die Arbeit der NGOs in Frage gestellt, indem er deren Arbeit unter Generalverdacht stellt, in dem er verlangte, jede NGO-Projektförderung zu überprüfen oder gar einzustellen. Partein sollten die NGO-Arbeit nicht diskreditieren, sondern ganz im Gegenteil die Wertschätzung für Demokratiearbeit der Zivilgesellschaft zum Ausdruck bringen.
Es darf kein falscher Eindruck entstehen: eine gesichert rechtsextreme Partei, die sich als Partner auf Augenhöhe missversteht, als Teil des demokratischen Spektrums fehlinterpretiert oder gar in der Normalität der politischen Debatte vermeintlich wiederfindet, schadet der Demokratie.
Die Ziele, die Methoden und die Rhetorik der rechtsextremen Partei muss verständlich und mit klarer Ablehnung kommuniziert werden. Dabei zählen alleine Fakten. Aber das Narrativ muss eine nachvollziehbare Geschichte sein. Beispiele dafür gibt es genug. Wenn z.B. „Remigration“, also die Ausweisung von Geflüchteten oder Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft Wirklichkeit wird, kann die Gesundheitsversorgung nicht mehr sichergestellt werden. Mit Beispielen der Integration, wie dem aus Syrien geflüchteten Ryyan Alshebl, der heute Bürgermeister im Baden-Württembergischen Ostelsheim ist, kann viel klarer werden, was rechtsextreme Politik in Wirklichkeit bedeutet.
Wenn demokratische Parteien das verstehen und sich gemeinsam aufmachen, die Bürger*innen, die zur rechtsextremen Wählerschaft zählen, konkret anzusprechen, dann können auch diejenigen erreicht werden, denen die Demokratie im Moment nur schlechtgeredet wird. Was aber die Rechtsextreme selbst und seine Vertreter*innen in den Parlamenten betrifft, muss allen klar sein, diese rote Linie darf nicht überschritten werden.













