Immer häufiger lese ich, es habe ein Kulturkampf in der modernen westlichen Welt begonnen. Ja, das ist offenbar so! Und es ist brandgefährlich für die Zukunft von Mensch und Planet.
Mir schien ein langes Leben lang, dass die westliche Welt immer stärker versuchte, sich an Fakten und Erkenntnissen zu orientieren – auch an solche Erkenntnisse, die sich mit sehr großer Wahrscheinlichkeit erst in der Zukunft realisieren würden. Man bemühte sich z.B. um Technology Assessment, um nicht blind in die Zukunft zu stolpern, und man untersuchte den Zustand der Natur und entdeckte, dass die Speicher- und Regenerationsfähigkeit der Natur bereits weit überfordert worden war: Erderwärmung durch die Emission von Treibhausgasen, Verschmutzung der Meere und schrumpfende Artenvielfalt sind bekannte Beispiele.
Nun bedeutete diese Wahrnehmung von Fehlentwicklungen und Gefahrenprognosen nicht, dass die westlichen Gesellschaften und ihre zumeist demokratische politische Klasse zu jenen radikalen Änderungen bereit wären, die sich aus den gesicherten Erkenntnissen ergeben müssten. Nein, sie bekennen sich zwar zu Maßnahmen wissenschaftlich empfohlener Gegensteuerung, aber die tatsächlich ergriffenen Maßnahmen bleiben jeweils weit unter den Notwendigkeiten. Beim Klimaschutzwird ist dies besonders deutlich, weil nur eine schnelle Reduktion der Emissionen die Erderwärmung innerhalb eines gerade noch tolerablen Maßes von 2° begrenzen könnte.
Diese Dissonanz zwischen anerkannten Notwendigkeiten und tatsächlichem Handeln kann jeder in sich selbst spüren und in der Gesellschaft als Ganzes täglich beobachten – auch beim Thema Migration, wo das laute Bekenntnis zu Asylrecht und Humanität überall die Existenz tief sitzender Xenophobie ignoriert.
Dieser Kultur der Dissonanz und der Inkonsequenz wächst eine „alternative Kultur“ entgegen, die sich schlicht auf die zugesicherte Freiheit beruft, nur so zu leben, wie es einem passt. Die Träger dieser Kultur weigern sich auch, sich belehren zu lassen von „Eliten“, deren Selbstlosigkeit sie misstrauen und deren Aussagen sie mit ihrem „gesunden Menschenverstand“ ohnehin weder folgen können noch wollen. Mit unglaublichem Zynismus wird mit „alternativen Fakte“ argumentiert, wenn einem die wahren Umstände nicht passen.
Für diese Bewegung ist Trump der anerkannte Führer und Held, weil er sich an keine Etikette oder „vorgeschriebene“ Wahrheit hält, sondern redet und handelt, wie es ihm gerade passt – ein Beispiel extremer Machtausübung, die bei immer mehr Menschen Bewunderung und Ermutigung auslöst, auch so „frei zu sein“. Dass Trumps extreme Freiheit zu lügen, zu demütigen und zu strafen auch die Freiheit der eigenen Anhänger beschneidet, wird im Rausch einer Art selbstermächtigenden Befreiung nicht gespürt und daher nicht geglaubt. Die Befreiung besteht ja zunächst darin, dass man kein schlechtes Gewissen haben muss, wenn man sich nicht um Bildung und Verstehen bemüht, sondern so lebt, wie man es immer gelebt hat – ohne jede Rücksicht auf Dritte im eigenen Land, auf andere Völker und auf die Zukunft des ganzen Planeten.
Noch ringt Europa um eine Zähmung der „Künstlichen Intelligenz“, des nächsten Innovations-Tsunamis. Doch Trump hat bereits entschieden (wie übrigens auch Clinton vor 30 Jahren bzgl. der „sozialen Netzwerke“), keine Bewertung von Chancen und Risiken, kein Regulierungsmodel abzuwarten, sondern alle Schleusen zu öffnen, auf dass sich alles nach den Gesetzen freier Märkte entwickeln darf.
Auch wenn ich hier scheinbar mit Verständnis beschreibe, welche Kultur im Vormarsch ist, muss doch klar sein: es ist eine Kultur ohne Anstand, eine Kultur des radikalen Rückschritts, eine Kultur, die die Aufklärung selbst bekämpft, die seit 300 Jahren so viel für die Befreiung der Menschen von der „selbst verschuldeten Unmündigkeit“ geleistet hat.
Es ist nicht überraschend, dass sich gerade die von der Aufklärung zurückgedrängte Macht der Religionen wieder rührt und sich in der Form von Evangelikalen, Freikirchen und auch russisch Orthodoxen einreiht in die wachsende Bewegung, die in USA MAGA heißt, in Russland „Russische Welt“ und in Deutschland AFD. Ich nehme hier Russland mit hinein, obwohl es sicher nie ein Teil jener westlichen Kultur war, die ich eingangs schilderte. Aber es ist ein machtvoller Treiber bei der Zerstörung unserer liberalen, so unvollständig humanen und aufgeklärten Kultur der letzten 80 Jahre; dem muss mit aller Macht und höchster Priorität entgegen gewirkt werden.
Denn bei aller Unzulänglichkeit, den anerkannten Zielen angemessen zu entsprechen, bleibt die liberale, öko-sozial orientierte Demokratie diejenige Staats- und Regierungsform, die dem Menschen in seinem Wesen und seiner Würde am meisten entspricht.














Hat die Aufklärung tatsächlich „seit 300 Jahren so viel für die Befreiung der Menschen von der „selbst verschuldeten Unmündigkeit“ geleistet ? In diesem Zeitraum gab es immerhin den Kolonialismus (daran waren fast alle westlichen Länder maßgeblich beteiligt); Sklaverei, 2 Weltkriege, Faschismus – um nur die wichtigsten Verirrungen der Menschheit zu nennen.
Horkheimer und Adorno haben in ihrer „Dialektik der Aufklärung“ ein zutreffendes, weil realistisches Resümee der Aufklärung bzw. ihres Scheiterns gezogen. Und ich bezweifle nicht, dass Kant sich im Grabe umdrehen würde, wüsste er um den Zustand der Welt von heute.