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Home Politik

Erinnerungen  an Peter Glotz: Mahner, Visionär und „erster Diener“ der SPD

Norbert Bicher Von Norbert Bicher
12. September 2025
Peter Glotz, Screenshot Youtube

Der Medienwissenschaftler, Sozialdemokrat und langjährige SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz starb vor 20 Jahren. Seine Mahnungen an die eigene Partei, seine Befürchtungen zu kriegerischen Auseinandersetzungen in Europa und seine frühen Warnungen vor der nicht  bezähmbaren Macht zukünftiger Tech-Giganten sind erstaunlich aktuell. Sie machen noch einmal deutlich, welche politische und intellektuelle Kraft in dem Denker mit der hohen Stirn steckten.

In den Nachrichten des Schweizer Fernsehens klang ein gewisser Stolz mit, welch bekannter deutscher Persönlichkeit das Appenzeller Örtchen Wald in den letzten Jahren zur Heimat geworden war. Im Bericht über die Trauerfeier für Peter Glotz vor 20 Jahren, am 12. September 2005,  wurde erwähnt, dass der Bundeskanzler der Bundesrepublik Gerhard Schröder den Gestorbenen mit einem Kranz würdigte, dass zu den Trauergästen auch der deutsche Innenminister Otto Schily gehörte.

Nach kurzer schwerer Krankheit war Glotz, der 1996 aus der aktiven Politik ausgestiegen war und seit 2000 eine ständige Gastprofessur für Medien und Gesellschaft an der Universität St. Gallen hatte, am 25. August im Alter von nur 66 Jahren gestorben.

An ihn zu erinnern, heißt auch, die Versäumnisse der SPD in den letzten Jahrzehnten in den Blick zu nehmen. Als Bundesgeschäftsführer der SPD von 1981 bis 1987 unter dem Vorsitzenden Willy Brandt („Ich bin ein Mann Willy Brandts“) schrieb er der Partei, die für ihn ein oft schwer zu bewegender „Tanker“ war,  ins Gewissen: Nur wenn die SPD die Oberhoheit über den vorpolitischen Raum behält oder zurückgewinnt und sich damit auf der Höhe der Zeit hält, hat sie eine Chance, als starke Volkspartei tonangebend zu bleiben. Sonst, so war er sich schon in den achtziger Jahren sicher, werde sie im „Zwanzigerturm der Zustimmung“ enden. Für damals eine pessimistische Prognose, die in der Realität von heute fast noch zu optimistisch war.

Glotz hat es immer geärgert, dass diese Phase seines Lebens als „erster Diener der Partei“ von vielen als Missverständnis, als Irrtum in seiner Karriere als Medienwissenschaftler, Vordenker, Querdenker, Intellektueller verstanden wurde. Trotzig hat er immer wieder darauf verwiesen, dass er dieses Amt länger als alle seine Vorgänger ausgefüllt habe, nicht vom Schreibtisch in der SPD-Zentrale aus, sondern immer vor Ort. In seiner Autobiographie heißt es dazu:

„Ich lief, ich gebe es zu, in meinen Maßanzügen herum. Ich roch falsch; manche Genossen vermissten ‚Stallgeruch‘. Aber ich rufe den heiligen Antonius, zu dem meine Großmutter immer betete, als Zeugen an: Ich verbrachte mein Leben – diesen Teil meines Lebens – mit den Bezirkssekretären, den Bezirksvorsitzenden, den Mandatsträgern und den Unterbezirken. Ich wollte die SPD wieder kampagnefähig machen: sie sollte in der Lage sein, ein Thema aufzuwerfen und vor dem Volk zu vertreten.“

Und was für eine SPD hatte er im Kopf? Jedenfalls nicht die, die sich immer, wenn es eng wird, bloß auf ihre soziale Kompetenz zurückzieht. Seine Vorstellung war eine andere:

„Für mich war die SPD (in dieser Reihenfolge) eine Partei der Aufklärung, des wissenschaftlichen Fortschritts, der Bürgerrechte und der sozialen Gerechtigkeit. Die ‚Seele‘ der Partei hing für mich nicht von der Höhe des Kinder- oder Mutterschaftsgeldes ab.“

Jenseits der Parteiarbeit hatte Glotz, dessen Leidenschaft in seinen letzten Jahren als Politiker dem Thema Europa galt, die Vision von einem Europa, das die gemeinsame Handlungsfähigkeit stärken und für die Bürger transparenter werden müsse. Ein Europa, so zeichnete er schon 1992 die Konsequenzen aus dem Zerfall Jugoslawiens auf, das sich nicht auf „Balkanisierung“, also auf die Zerschlagung staatlicher Gebilde, einlassen dürfe. Sonst, so schrieb er 1992 in einem Beitrag für die taz, dürfte Europa vor einer Fülle „kleiner Kriege“ stehen – „einer hässlichen Abfolge grausamer ethnischer Konflikte, bei denen immer wieder staatliche Deportationen, Vertreibungen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und sogar Völkermord vorkommen werden.“

Eine Befürchtung, die vor allem nach dem Zerfall der Sowjetunion – von Tschetschenien über Georgien bis zu dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine zur entsetzlichen Realität geworden ist. Und wer die russischen Lügen im Ukrainekrieg wahrnimmt, wird auch diese Mahnung von Glotz als prophetisch ansehen:

„Die Parteien in diesen Kriegen werden mit systematischen Desinformationen arbeiten, die Zeiten der (kleinen) Goebbels ist leider nicht vorbei; sie ist 1989 wieder angebrochen.“

Und schließlich noch eine ganz andere Weitsicht dieses Intellektuellen, der sich mit den Gefahren der Netzpolitik auseinandersetzte. Als alle anderen noch in den kommenden Netzgiganten des Silicon Valley nichts als die große Freiheit sahen, forderte er schon Einschränkungen für Datenschutz, Datensicherheit und Urheberrechte: Es sei unverantwortlich, „die wichtigste Branche des 21. Jahrhunderts einer Handvoll internationaler Großkonzernen auszuliefern.“

Peter Glotz, 1939 im böhmischen Eger geboren, mit seinen Eltern nach Bayern geflohen, lehrte als Wissenschaftler unter anderem in Berlin, Erfurt und St. Gallen. Als Politiker fand er vor allem in Bonn sein Zuhause. Für eine wirkliche Heimat war er zu unstet. Seine „wahre Heimat“ waren, wie der Zeit-Korrespondent Gunter Hofmann zu seinem Tod schrieb, die Worte: Der unvergleichlich schlagfertige, passgenaue Umgang mit ihnen sei der wahre, „feste Wohnsitz“ des unermüdlichen Buchautors gewesen.

Und dieser „Wohnsitz“ ist auch heute noch eine ergiebige, bereichernde Begegnung wert.

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Comments 1

  1. Christoph Fischer says:
    3 Monaten ago

    Sehr dankbar für diesen Beitrag von Norbert Bicher. Einer wie Peter Glotz, der von den Sozialdemokraten seinerzeit oft als „nur ein Intellektueller“ wahrgenommen wurde, den die Parte nicht wirklich braucht, fehlt dieser Partei heute an allen Ecken und Enden. Ein politischer Mensch durch und durch, ein Wissenschaftler, für den die Sozialdemokratie nicht nur eine politische Überzeugung, sondern eine Verpflichtung darstellte, besaß den Blick in die Zukunft und den passgenauen sozialdemokratischen Entwurf dazu. Ganz weit entfernt von aktuell handelnden Personen

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