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Europa hat keine andere Wahl

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
7. März 2025
Europa auf dem Stier

Es sagt sich hin und wieder leicht, wenn etwas vermeintlich Großes passiert, dann sei das etwas Historisches. Dabei weiß man erst später, ob das wirklich so war. Es scheint, als tue sich in und mit Europa wahrlich Historisches. Unter dem Zwang der Ereignisse, dem Druck aus Moskau einerseits und dem Ego-Trip Trumps aus Washington andererseits versammelt sich das Europa der 27 Vaterländer, um sich vereint abwehrbereit aufzustellen. 800 Milliarden Euro will EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für Rüstungsausgaben organisieren, damit der alte Kontinent sich notfalls verteidigen kann gegen Putins Russland, sollte der es einst versuchen gegen die baltischen Staaten und/oder gegen Polen und gegen wen auch immer im Westen. 800 Milliarden Euro, das sind Argumente für Europa, das ist ein Bekenntnis, sich nicht zu unterwerfen einem Aggressor aus dem Osten. Der riesengroße Schritt ist dringend nötig, da US-Präsident Trump sich eher Putin zu- und sich von alten Freunden abwendet,  Europa notfalls im Stich lässt. Wer will sich da noch verlassen auf die NATO und auf Artikel 5, der die Beistandspflicht im Zweifel regeln soll. Aber der starke Freund will dafür seinen Arm nicht mehr hergeben, zu teuer, der Deal mit Moskau scheint dem eingebildeten Sonnenkönig ertragreicher. Im Grunde ein Schurkenstück, das zwischen Trump und Putin.

Ältere Semester werden sich erinnern, dass es schon mal in Europa den Gedanken der EVG gab: Europäische Verteidigungsgemeinschaft hieß der Plan aus dem Jahr 1952, sieben Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs und der Befreiung Deutschlands und Europas von der Hitler-Diktatur. Ziel war eine europäische Armee, die einen erneuten Krieg in Europa verhindern und die westeuropäische Einigung befördern sollte. Der sogenannte Pleven-Plan(Rene Pleven war der Name des damaligen französischen Ministerpräsidenten) hätte Frankreich, die Benelux-Staaten, Italien und Deutschland umfasst. Der Aufbau einer eigenen deutschen Armee wäre damit verhindert worden. Das Projekt scheiterte 1954 an der fehlenden Mehrheit im französischen Parlament. Ein Jahr später erfolgte die westdeutsche Wiederbewaffnung und der NATO-Beitritt der Bundesrepublik. Der Vertrag über die europäische Verteidigungsgemeinschaft(EVG) war schon unterzeichnet von den Außenministern, er sah langfristig sogar die Verschmelzung Europas zu einer politischen Union vor. Bundeskanzler Konrad Adenauer bezeichnete das Scheitern des EVG-Vertrages rückblickend als größten Rückschlag für die Politik seiner Kanzlerschaft.

Hätte, hätte wird mancher heute sagen. Geschenkt. Vorbei. Wir sollten auch mit dem Jammern über den möglichen Abschied der Amerikaner aus Europa aufhören und uns stattdessen auf unsere neue Rolle besinnen. Wir werden notfalls die Verteidigung Europas gegen den russischen Aggressor selbst stemmen müssen.  Ich fand es richtig, dass Ursula von der Leyen zunächst dafür das nötige Geld beschaffen und dafür alle Mitgliedsstaaten einspannen will. Denn war nützen uns die schönsten Pläne, wenn das Geld fehlt. Es handelt sich schließlich um Summen, die wir uns bis gestern nicht vorstellen konnten. 800 Milliarden Euro. Das ist in der Scholz-Sprache mindestens ein Doppel-Wumms, der uns zunächst sprachlos, aber zugleich darauf aufmerksam macht, dass die Gefahr real ist. Es ist fünf vor Zwölf, mag sein, dass wir lange, zu lange gewartet haben, weil es ja auch bequem war, unter dem Schutz des großen Amerika sich sicher zu fühlen. Trump hat dem ukrainischen Präsidenten den Stuhl vor die Tür gesetzt und ihm klar gemacht, dass die USA Kiew nicht mehr beistehen werden. Er soll Frieden machen mit Putin. Dass Trump dabei alles verdrehte, typisch für diesen notorischen Lügner, belegte zugleich, wie verantwortungslos dieser Präsident ist. Er will Geschäfte machen, Deals, natürlich zu seinen Gunsten, er diktiert. Wie Putin diktieren würde, würde Selenskyj das Handtuch werfen und vor dem russischen Aggressor in die Knie gehen.

Russland darf den Krieg nicht gewinnen

Europa wird es richten müssen, koste es, was es wolle. Russland darf den Krieg nicht gewinnen, hat der bald scheidende Kanzler Scholz klugerweise mal gesagt. Damit es keinen Appetit bekommt auf mehr. Denn das ist allen in Europa klar- Ungarns Orban zähle ich nicht, er ist ein Zwerg- Putin würde sich mit der Ukraine nicht zufriedengeben, er hat die alten Weltmachtträume der gestorbenen Sowjetunion im Kopf. Das muss man wissen und ihn Ernst nehmen. Die baltischen Staaten brauchen den Schutz der Europäer, den alten Westen gibt es nicht mehr. Deshalb muss Europa alle Kräfte bündeln. Nur ein geeintes Europa hat eine Chance zu überleben. Das ist es, worum es geht. Deshalb dürfen wir Selenskjy und die Ukraine nicht hängen lassen, die Ukraine darf nicht allein dem Kriegstreiber Putin ausgeliefert gegenüberstehen, die Europäer müssen präsent sein,  Kiew helfen, koste es, was es wolle. Europa muss sich in die Lage versetzen, sich selbst zu schützen, sich zu verteidigen, so wie es die Ukraine in die Lage versetzen muss, sich selbst zu schützen. Das alles kostet viel Geld, Kraft und Überzeugung, Ausdauer. Putin hofft auf die Kriegsmüdigkeit der Europäer, er sollte sich täuschen, er muss sich täuschen.

Ob aus der Europäischen Union eine Verteidigungsunion wird, lasse ich mal offen. Wichtig sind die jetzt beschlossenen Maßnahmen, ist die Entschlossenheit, mit der die europäischen Staatschefs diese neue Ära der Aufrüstung nun weiter gehen. Sie dürfen nicht nachlassen. Polens Ministerpräsident Tusk hat ausgedrückt, was ihn und die meisten der Amtskollegen in diesen Tagen beschäftigt. „Europa muss sich dieser Herausforderung, diesem Wettrüsten stellen. Und es muss gewinnen.“ Ich weiß, all das klingt sehr militärisch, mag sein bellizistisch. Aber Europa ist nun mal nicht auf den Verteidigungsfall vorbereitet und muss jetzt schnell nachholen, woran es fehlt, militärisch gesprochen an nahezu allem, das hat schon der Überfall Russlands auf die Ukraine deutlich gemacht. Die europäischen Armeen werden eher als „Bonsai-Streitkräfte“ verspottet(SZ), es fehlt an einem Raketenabwehrschirm, Deutschland kann sich nicht einmal wehren gegen Aufklärungs-Drohnen, die Einsatzfähigkeit der Streitkräfte in ganz Europa ist mehr als fraglich. Um diese Mängel abzubauen, muss also geklotzt werden, braucht Europa Flug-und Raketenabwehr, Munition, Panzer, Flugzeuge, Drohnen, im Grunde alles. Und dass die deutschen Geheimdienste ohne das US-Auge nahezu blind sind, ist bekannt.

Frankreichs Präsident Macron hat angeboten, den französischen Atomschutzschirm über Deutschland auszuweiten.  Vom wohl baldigen Kanzler Friedrich Merz ist zu hören, dass man über eine europäische nukleare Abschreckung reden müsse. Das kann wichtig werden, wenn sich Trump aus der Nato zurückziehen würde. Wer will sich schon auf diesen Präsidenten verlassen, wenn man erlebt hat, wie er, der Große Trump, sich über den kleinen Selenskjy in seiner Truppenkleidung mokierte und dann mit ihm Schlitten fuhr. An dem Beispiel konnte man den fehlenden Charakter des mächtigsten Mannes der Welt begutachten. Nach unten treten, das ist kein Ausdruck von Größe, sondern Schwäche. Nein, auf den darf man sich nicht verlassen, sonst ist man verlassen.

Entspannungspolitik von Willy Brandt 

Aufrüstung. Aufrüstung. Aufrüstung. Wird sich mancher aufregen. Ohne das Problem klein zu reden, darf man darauf hinweisen, dass selbst unter einem Bundeskanzler Willy Brandt(SPD) der Verteidigungsetat auf 3,5 Prozent des BIP angestiegen war. Der Friedensnobelpreisträger war nun gewiss kein Bellizist, aber auch kein Träumer. Er verhandelte über Entspannungspolitik aus einer Position der Stärke, da wusste er, dass die andere Seite ihn Ernst nahm. Und nur so konnte er Verbesserungen für die Menschen erzielen. Brandt wollte Frieden, Verständigung mit dem Osten, das war damals nicht einfach. Es war kalter Krieg. Die Mauer teilte Deutschland, das 1941 Russland überfallen hatte. Es musste Vertrauen aufgebaut werden, die anderen mussten ihm trauen, er musste den Sowjets vertrauen. Später war es Helmut Kohl, der Kanzler, der mit Gorbatschow verhandelte und der erklärte: Ich traue Helmut Kohl. Und der dann im Grunde den Weg frei machte für den Fall der Mauer. Schon vergessen?

Vertrauen schaffen mit mehr Waffen? Vereint abwehrbereit, las ich in der SZ. Damit aus der EU eine Verteidigungsunion wird. Damit Europa nicht angegriffen wird von den Russen. Nicht um Krieg zu führen, sondern um ihn  zu verhindern. Eines dürfen wir dabei nicht tun: Diese Politik den Nationalisten überlassen. Sie wollen Europa zerstören. Für mich gab in dieser schwierigen Lage der britische Premierminister Keir Starmer den überzeugendsten Europäer ab.  Obwohl Großbritannien gar nicht mehr Mitglied der EU ist, ergriff er nach Trumps Rüpel-Tritt gegen Selenskyj im Oval Office in Washington die Initiative und lud Selenskjy und andere Staatschefs nach London. Ein wahrer Europäer. Mehr davon und der alte Kontinent wird zu neuem Glanz erstrahlen.

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