Es ist ein Sieg der rechten Hetzer, des rechten Mobs, der die angesehene Rechts-Professorin Frauke Brosius-Gersdorf ihren Rückzug erklären ließ, sie wird nicht weiter kandidieren für das Amt einer Verfassungsrichterin. Dieser Sieg war nur möglich, weil die Unions-Fraktion die widerliche Kampagne unterstützte. Anders kann man das ja wohl nicht sagen, auch wenn einer der einflussreichsten Unions-Männer, nämlich Fraktionschef Jens Spahn, im Nachhinein sein tiefes Bedauern über den Rücktritt der Juristin bekundete. Herr Spahn, nehmen Sie zur Kenntnis, dass ich Ihre Haltung als pure Heuchelei einstufe. Wo war Ihre Unterstützung der Kandidatur, als der rechte Mob gegen Frau Brosius-Gersdorf mobilisierte, als man diese Frau in übelster Weise schmähte, sie als linksradikale Juristin hinstellte, die angeblich zu extreme Positionen vertrete für das höchste deutsche Gericht. Eine Kampagne, die haltlos war, voller Lügen, der die Union aber folgte. Unglaublich! Und Herr Spahn, Ihre Art des Mitleids mit einer Sozialdemokratin erinnert mich an frühere Zeiten, wenn Konservative und andere Rechte SPD-Mitglieder lobten, als sie schon tot waren.
Wo eigentlich war der Bundeskanzler und CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, als die Kampagne gegen Frau Brosius-Gersdorf auf vollen Touren lief? Herr Merz, Sie hatten doch im Vorfeld für die Kandidatur der Sozialdemokratin gestimmt und sind dann abgetaucht. Haben Sie keinen Einfluss in Ihrer Fraktion? Zählt Ihr Wort gar nichts? Oder war Ihnen mulmig geworden angesichts des Drecks, der der Juristin von Rechtsdraußen entgegengeschleudert wurde? Oder wollten Sie es sich nicht verderben mit den UItra-Rechten, deren Stimmen Sie ja schon mal in Anspruch genommen hatten damals bei der Abstimmung über Sondervermögen? Sie würden ihren Weg gehen, haben Sie einst gesagt im Bundestag, gleich wer sie begleite. Sieht so ein Kanzler aus, der in Deckung geht, wenn der Wind mal scharf von Rechts weht? Bald 100 Tage sind Sie im Amt. Nein, Sie sind dort noch nicht angekommen. Was haben Sie denn geleistet bisher in diesen 93 Tagen? Die Sache mit der Stromsteuer ist vermasselt, ein Versprechen mehr, das Sie nicht gehalten haben. Eine Zeitung schreibt heute, „außenpolitisch hat Friedrich Merz seine Amtszeit bereits in den ersten Wochen anders geprägt als sein Vorgänger“.
Geprägt? Merz hat sich wie andere vor dem US-Präsidenten Trump in den Staub geworfen, hat sich brav verhalten, um ihn nicht zu verärgern. Wir brauchen ihn ja wegen der Zölle, wegen unserer Verteidigung, die wir allein nicht leisten können gegen ein aggressives Russland. Geprägt? Merz wie andere, darunter der Nato-Generalsekretär und die Präsidentin der EU-Kommission haben doch versucht, auf peinliche Art Trump die Schuhe zu putzen, sie mussten dabei nur aufpassen, dass sie auf der eigenen Schleimspur nicht ausrutschten. Souverän oder gar mutig sind sie alle nicht aufgetreten gegenüber diesem Präsidenten, der vorbestraft ist und eigentlich hinter Gittern hätte landen müssen, nachdem er vor Jahren seine Fans aufgewiegelt hatte, den Kongress zu stürmen. Dass er dafür nicht vor Gericht erscheinen und bestraft wurde, ist ein solcher Skandal. Im Kanzleramt angekommen, schreibt der Bonner Generalanzeiger. Da muss die Autorin aber die Merz-Brille aufgehabt haben. Wenigstens räumt sie ein, dass „es innenpolitisch an einigen Ecken brennt“. Wo eigentlich brennt es nicht bei Schwarz-Rot? Und die dicken Brocken kommen erst noch.
Desaster der Union
Am 13. August ist die Regierung Merz/Klingbeil 100 Tage im Amt, den SPD-Vizekanzler lasse ich dieses Mal außen vor. (Klingbeil ist schon angezählt in den eigenen Reihen.)Merz ist schließlich der Chef. Arroganz? Eher nicht, heißt es in dem GA-Beitrag. Fehlende Empathie auch nicht. Auch Parteifreunde seien überrascht, der Kanzler merke sich Geburtstage, frage nach der Familie, nehme Rücksicht. Donnerwetter, es gibt offensichtlich neue Kriterien für die Beurteilung eines Kanzlers nach knapp 100 Tagen. Dass das Bild der Regierung erste Risse bekam, wird aber eingestanden, dass die abgesagte Richterwahl ein „handwerkliches Desaster für die Unions-Fraktion“ war und ist, lässt sich auch nicht leugnen. Dass es ein Versagen von Spahn war, dem Chef der Regierungsfraktion, der kurz zuvor schon mal hatte aufhorchen lassen mit seiner Bemerkung, die AfD sei als normale Oppositionspartei zu behandeln.
Nach dieser Bemerkung verstehe ich die Zurückhaltung großer Teile der Union, auch von Merz, gegenüber der Forderung der SPD, ein Verbotsverfahren gegen die in weiten Teilen rechtsextremistische AfD einzuleiten. Ganz nebenbei fordern auch die Grünen wie die Linke ein solches Verfahren, ein Gutachten des Verfassungsschutzes liegt ja zur Zeit beim Oberverwaltungsgericht in Köln zur Prüfung. Auch der CDU-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther, ist für ein Verbot der AfD, vom CDU-Regierungschef von NRW, Hendrik Wüst, ist der Satz bekannt: „Die AfD ist eine Nazi-Partei“. Aber hält die Brandmauer der Demokraten gegenüber einer rechtsextremistischen Partei wie der AfD oder bricht sie ein, wenn diese Koalition scheitert? Oder legen es einige aus der Union gar auf ein Scheitern von Schwarz-Rot an, damit sie sich an die AfD annähern können?
Jens Spahn hat in diesen knapp 100 Tagen bewiesen, dass er es nicht kann, dass er die Fraktion nicht führen, sie nicht zusammenhalten kann. Er muss doch die Mehrheit für seinen Kanzler organisieren. Wenn er das nicht schafft, muss er gehen. Denn was ist ein Kanzler wert, der seine eigene Fraktion nicht geschlossen hinter sich weiß? Ein Kanzler ohne Land, um ein historisches Bild zu verwenden.
Kein Anstand, kein Respekt
Zurück zum Verzicht der Kandidatur von Frau Brosius-Gersdorf. In einer Erklärung hat die Potsdamer Rechtsprofessorin der Union vorgeworfen, ungeprüften Behauptungen aufgesessen zu sein, sie kritisierte zugleich eine Diffamierungskampagne, die teils durch künstliche Intelligenz generiert worden sei und sie greift die Union auch deshalb an, weil sie ihre Prinzipien von Anstand und Respekt in der Frage der Richterwahl über Bord geworfen habe. Harte Attacken einer Frau, der man übel mitgespielt hatte und der man nicht einmal die Chance einräumte, sie anzuhören, damit sie ihre Sicht der Dinge hätte darstellen können. Nein, die Ablehnung von Brosius-Gersdorf in der Union stand fest, also weg damit. Ist ja auch nur eine Frau. Oder?
Die linke „taz“ geht in ihrer Berichterstattung noch weiter: Es dürfe niemanden verwundern, dass das Parlament und insbesondere die Unionsfraktion für rechte Kampagnen, Falschinformationen und Panikmache anfällig sei. Wer etwas anderes behaupte, habe sich längst daran gewöhnt, dass etwa die Migrationspolitik von Verschärfung zu Verschärfung getrieben werde, ohne dass sich etwas an der rechten Stimmungsmache ändere. Folgt bald die Kampagne gegen die Rente, die Pflege, gegen die Sanierung der Infrastruktur, der Bahn, von Brücken, alles möglich? Jede künftige Personalentscheidung könnten sie hintertreiben, jede mögliche Ministerin und jeden möglichen Ministerpräsidenten abschiessen.
Für SPD, Grüne und Linke, kommentiert die taz weiter, die bis zuletzt hinter Brosius-Gersdorf gestanden hätten, sei ihr Rückzug ein fatales Signal, weil es zeige, dass ihre Kraft zur Zeit nicht ausreiche, um sich einer solchen Kampagne wirksam zu erwehren. Zudem habe die SPD die Kritik an der Richterin zu spät erkannt und die Stimmungsmache nicht entschieden genug versucht zu verhindern. Stimmt, das Nein der Juristin wurde ja auch schnell akzeptiert-ja, unter Protest.
Der Rückzug von Frau Brosius-Gersdorf hat zu einem tiefen Vertrauensbruch innerhalb der Koalition geführt. Vor allem in den Reihen der ohnehin angeschlagenen SPD macht sich Enttäuschung und Wut breit, dass man sich auf Spahn und Merz nicht verlassen könne. Frau Brosius-Gersdorf hat mit ihrer mutigen und selbstlosen Entscheidung die schwarz-rote Regierung vor einem möglichen Absturz bewahrt. Aber diese Geschichte lässt uns erahnen, dass der rechte Mob durch diesen Fall seine Macht erkannt hat und er wird diese Macht bei nächster Gelegenheit wieder nutzen und die Regierung Merz/Klingbeil in weitere Nöte stürzen. Die Mehrheit der Koalition ist ohnehin so schwach, dass der „Abgrund immer nur einen Schritt entfernt liegt“(SZ) Letzte Bemerkung: Der „Deutschlandtrend“ zeigt, dass das Vertrauen in weiten Teilen der Bevölkerung in die Politik der schwarz-roten Regierung gesunken ist. 69 Prozent der Befragten seien weniger oder gar nicht zufrieden mit dieser Regierung. Anders gesagt: Nur noch 32 Prozent der Wahlberechtigten sind mit der Arbeit von Bundeskanzler Merz zufrieden. Würde an diesem Sonntag gewählt, käme die Union auf 27 Prozent, die AfD auf 24 Prozent und nur noch 13 Prozent würden die SPD wählen. Schwarz-Rot hätte also keine Mehrheit mehr. Ganz im Sinne der Rechtsdraussen, der Verfassungsfeinde, die die demokratischen Freiheiten dazu missbrauchen, um das System, die Demokratie zu zerstören.
Bildquelle: Wikipedia, Harald Dettenborn, CC BY 3.0 DE
Der Wortlaut der Erklärung. die Frauke Brosius Gersdorf über ihre Rechtsanwälte hat verbreiten lassen:
1. Nach reiflicher Überlegung stehe ich für die Wahl als Richterin des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr zur Verfügung. Mir wurde aus der CDU/CSU-Fraktion – öffentlich und nicht-öffentlich – in den letzten Wochen und Tagen sehr deutlich signalisiert, dass meine Wahl ausgeschlossen ist. Teile der CDU/CSU-Fraktion lehnen meine Wahl kategorisch ab.
Zudem droht ein Aufschnüren des „Gesamtpakets“ für die Richterwahl, was die beiden anderen Kandidaten für das Bundesverfassungsgericht gefährdet, die ich schützen möchte. Auch muss verhindert werden, dass sich der Koalitionsstreit wegen der Richterwahl zuspitzt und eine Entwicklung in Gang gesetzt wird, deren Auswirkungen auf die Demokratie nicht absehbar sind.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat bis zuletzt an mir festgehalten. Sie stand uneingeschränkt vor und hinter mir. Für sie ist es eine Prinzipienfrage, dem Druck unsachlicher und diffamierender Kampagnen nicht nachzugeben. Großen Zuspruch und Rückendeckung habe ich auch von der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie von der Bundestagsfraktion Die Linke erhalten.
2. Nach dem TV-Gespräch mit Markus Lanz hat sich die Berichterstattung in den Medien deutlich versachlicht und wurde sie ganz überwiegend inhaltlich geführt. Der CDU/CSU-Fraktion ist es dagegen nicht gelungen, sich mit meinen Themen und Thesen inhaltlich auseinanderzusetzen. Eine Einladung in eine Fraktionssitzung hat sie bis zuletzt nicht ausgesprochen. Stattdessen wurde mir vorgehalten, dass ich im Zusammenhang mit dem Schwangerschaftsabbruch folgenden Satz geschrieben habe: „Es gibt gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt.“
Abgesehen davon, dass dieser Satz Ausdruck wissenschaftlicher Freiheit ist, die durch meine Nichtwahl sanktioniert wird, wurde die Begründung für diesen Satz nicht zur Kenntnis genommen. Nochmals zum Dilemma: Da die Menschenwürdegarantie nach herrschender Meinung nicht abwägungsfähig ist, wären bei Geltung der Menschenwürdegarantie für den Embryo ab Nidation Konflikte mit den Grundrechten der Schwangeren nicht lösbar.
Ein Schwangerschaftsabbruch wäre dann unter keinen Umständen rechtmäßig, auch nicht bei Gefährdung des Lebens der Frau. Es ist aber bestehende Rechtslage, dass ein Abbruch bei medizinischer (§ 218a Abs. 2 StGB) und kriminologischer (§ 218a Abs. 3 StGB) Indikation legal ist. Die verfassungsrechtliche Lösung kann denklogisch nur sein, dass entweder die Menschenwürde abwägungsfähig ist oder für das ungeborene Leben nicht gilt.
3. Die ablehnende Haltung von Teilen der CDU/CSU-Fraktion wegen meiner Position zum Schwangerschaftsabbruch steht im Widerspruch zum Koalitionsvertrag. Es ist paradox, jemanden wegen einer Position abzulehnen, die man selbst vertritt. Da der Koalitionsvertrag von Kostenübernahme „durch die gesetzliche Krankenversicherung“ spricht, bezieht sich die vereinbarte Erweiterung der Kostenübernahme nicht auf eine Verbesserung der finanziellen Unterstützung durch die Länder für sozial bedürftige Frauen.
Eine Erweiterung der Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung setzt aber voraus, dass der Schwangerschaftsabbruch in der Frühphase der Schwangerschaft rechtmäßig, d.h. legal ist. Der Koalitionsvertrag geht also selbst von einer Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in den ersten Wochen der Schwangerschaft aus.
4. Medien, insbesondere Leitmedien, sind Eckpfeiler unserer demokratischen Ordnung. Zum professionellen Journalismus gehören sachlich fundierte, auch in zugespitzter Form geführte Kampagnen; Desinformation und Diffamierung hingegen nicht. Erstaunlich ist, dass im Politik-Teil (nicht: im Feuilleton) eines Qualitäts- und Leitmediums einzelne Journalisten (nicht: Journalistinnen) zunächst „Speerspitze“ eines ehrabschneidenden Journalismus waren.
So wurde im Blatt das Narrativ einer „ultralinken“ „Aktivistin“ geprägt, obwohl die Verantwortlichen wissen mussten, dass hiermit ein wirklichkeitsfremdes Zerrbild gezeichnet wird. Der Kampagnencharakter manifestierte sich auch in Artikeln über meine Position zum Schwangerschaftsabbruch. Obwohl die Verantwortlichen – teilweise Juristen – wissen müssen, dass es in der Rechtswissenschaft nicht nur um Ergebnisse, sondern vor allem auch um die Argumentation und Begründung geht, haben sie – zumal teils unvollständig bzw. falsch – lediglich Ergebnisse dargelegt („Menschenwürde erst ab Geburt“), nicht hingegen die dafür genannte rechtsdogmatische Begründung und das rechtswissenschaftliche Dilemma.
Dies kann nicht dem Anspruch eines Qualitätsmediums entsprechen, das gerade in Juristenkreisen Verbreitung und Wertschätzung genießt. Die veränderte Berichterstattung im Blatt in der letzten Zeit könnte Ausdruck einer entsprechenden Selbstreflektion sein. Die Medien tragen besondere Verantwortung für das Gelingen und die Erhaltung der Demokratie.
5. Dass die diskurserweiternden und demokratiestärkenden Möglichkeiten des Internets mitunter zur Verbreitung von Fakenews und Schmähungen missbraucht werden, ist nicht neu. Neu und bedrohlich ist jedoch, dass sich in sozialen Netzwerken organisierte und zum Teil KI-generierte Desinformations- und Diffamierungskampagnen Bahn brechen zur Herzkammer unserer Demokratie, dem Parlament.
Von politisch verantwortlichen Funktionsträgern wie Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion, die für bürgerliche Werte wie Anstand, Respekt und Verantwortungsbewusstsein stehen, darf und muss man erwarten, dass Grundlage ihrer Entscheidung nicht ungeprüfte Behauptungen und Stimmungen, sondern Quellen- und Faktenanalysen sind. Die Politik muss gegenüber von bestimmten Seiten geführten Kampagnen „Resilienz“ zeigen.
6. Lässt sich die Politik auch künftig von Kampagnen treiben, droht eine nachhaltige Beschädigung des Verfahrens der Bundesverfassungsrichterwahl. Die fachliche Kompetenz als zentrales Entscheidungskriterium darf nicht von öffentlichen Diskussionen über vermeintliche politische Richtungen oder angebliche persönliche Eigenschaften überlagert werden, zumal wenn diese ohne Tatsachenbezug erfolgen. In Zukunft sollte das Verfahren der Richterwahl mit mehr Verantwortungsbewusstsein praktiziert werden.
7. Mein Verzicht auf die Wahl als Richterin des Bundesverfassungsgerichts wird viele Menschen enttäuschen, die mir geschrieben und mich – bis zuletzt – zum Durchhalten aufgefordert haben, weil sich unsachliche und diffamierende Kampagnen nicht durchsetzen dürfen. Durchhalten macht aber nur Sinn, wenn es eine reelle Wahlchance gibt, die leider nicht mehr existiert.