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Niemand kommt als Verteidigungsminister auf die Welt – Die Presse zu Pistorius/Scholz/Lambrecht

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
18. Januar 2023
Zeitungen

Es war fast eine Sensation die Causa Pistorius, als der Bundeskanzler den Namen plötzlich aus der Tasche zog.  Fehlte nur noch der Zusatz: Boris, wer?  Olaf Scholz muss selbst wohl sehr spät den Namen des bisherigen Innenministers von Niedersachsen in Erwägung gezogen haben, um die schwere Personalie „Bundesverteidigungsminister“ zu lösen. Dass er sich schließlich in der Provinz bediente, wird die Frauen und Männer von den Berliner Leitmedien  überrascht haben. Denn niemand von ihnen hatte Pistorius erwähnt, auf dem Schirm oder wie immer man das nennen will. Ihre Suche nach dem Mann/der Frau nach Christine Lambrecht drehte sich um Eva Högl, Lars Klingbeil, Hubertus Heil, Wolfgang Schmidt, Siemtje Möller. Wobei niemand mit Sicherheit sagen kann, ob Scholz wirklich alle erwähnten Personen in Betracht gezogen hat. Ich vermute mal, dass er das nicht gemacht und sich vielleicht sogar über die Medien, die sich seinen Kopf zerbrachen, amüsiert hat. So wie es früher Helmut Kohl tat, wenn die Journalisten über einen neuen Minister oder Staatssekretär spekulierten. Schön, dass Sie sich ihren Kopf über meine Probleme zerbrechen, so reagierte einst der Pfälzer.

„Auch Politiker verdienen ein wenig Fairness“, fordert der Chefredakteur des Bonner Generalanzeigers, Helge Matthiesen, in seinem Leitartikel zum Thema. Recht hat er. Und er wünscht dem neuen Mann auf dem Schleudersitz im Berliner Bendler-Block immerhin viel Glück. Das wird der brauchen.

Struck ein Glücksfall für die Truppe

Die große Frage ist ja immer, ob jemand der Richtige ist für den Kanzler-Job, das Amt des Ministers für Finanzen, die Verteidigung usw. Wer kann das schon wissen?! Niemand kommt als Kanzler oder Bundesminister der Verteidigung zur Welt. Und es reicht als Qualifizierung gewiss nicht, dass jemand gedient oder bei der Sparkasse gearbeitet hat, um ihn deswegen für ministrabel zu halten. Auch ein Peter Struck hatte nicht gedient, der Sozialdemokrat, Bundestagsabgeordneter, Mitglied des Haushaltsausschusses, Fraktionschef der SPD, promovierter Jurist. Er erwies sich dennoch als Glücksfall für die Truppe. Weil er mit Menschen konnte, ihnen zuhörte, das Gefühl vermittelte, sich ihrer Sorgen anzunehmen. Und wenn man dann noch mit beiden Beinen auf dem Boden steht, läuft man nicht so schnell Gefahr, abzuheben und in der Folge später abzustürzen.

Ob Pistorius der Richtige ist, die Frage stellt nicht nur die „Frankfurter Rundschau“. Sie attestiert dem neuen Mann zumindest Fähigkeiten und Eigenschaften, die ihm bei der Bewältigung der Mammut-Aufgabe helfen könnten: durchsetzungsfähig sei er, ein kommunikativer Politmanager, der in der Lage sein müsste, „die Soldatinnen und Soldaten sowie die Generäle mitzunehmen, um die nur noch teilweise einsetzbare Bundeswehr schrittweise wieder in eine Armee für die Landes- und Bündnisverteidigung umzubauen.“

Die linke „taz“ mokiert sich über Scholzens Personalpolitik unter der Überschrift „Krieg wird wieder Männersache“. „Aus Sicht der Grünen sei eine paritätische Besetzung des Kabinetts extrem wichtig“, so Fraktionschefin Katharina Dröge. Ihre Partei halte diesen Grundsatz ein und es hätte auch genug Frauen gegeben, die für das Amt geeignet gewesen wären.“ Der Ärger über den Kanzler, schreibt die taz weiter, sei nicht zu überhören. Schließlich hatte Scholz im Wahlkampf versprochen, „das Kabinett mit mindestens so vielen Männern wie Frauen zu besetzen.“ Jetzt würden auch keine Rechentricks und andere  Erklärungen mehr helfen, „den Wortbruch schlüssig zu erklären.“ Alles richtig, aber auch ziemlich kurz gegriffen. Das Geschlecht, weder das männliche noch das weibliche können doch nicht über die Kompetenz des Kandidaten entscheiden.

Mit Bierhumpen in die Kameras

In der „Süddeutschen Zeitung“ liest man, dass es in der SPD „grummelt“. Das Blatt attestiert dem Kanzler, “ jetzt, da die letzten Tage besonders turbulent waren, erst recht dickköpfig sein Ding durchzuziehen.“   Als Beispiele für Scholzens Ding werden dann genannt, dass dieser am Montag eine Brauerei in Ulm besucht „und mit Bierhumpen in die Kameras“ geprostet habe, während in Berlin Lambrechts Rücktrittserklärungen eingegangen seien. (Frage: Hätte Scholz mit Sprudelwasser anstoßen sollen?) Etwas kleinteilig wirkt dann der Satz in der SZ: „Im Kanzleramt fragten sie noch, ob der Besuch wirklich stattfinden solle? Aber Scholz Mantra lautet: Getrieben  ist nur der, der sich treiben lässt.“ Im SZ-Leitartikel auf der Seite 4 wird die Kritik am Kanzler fortgesetzt: Scholz habe zu lange gewartet, „um die überforderte Lambrecht auszutauschen. Spätestens ihr Silvestervideo bewies, dass sie den Ernst der Lage nicht begriff. Statt sofort zu handeln, traf Scholz erst nach zwei Wochen eine Entscheidung und probierte dann lieber Bier in Ulm, als im Kanzleramt den Neuen vorzustellen.“ Scholz pflege „eben manchmal eine sonderbare Art der Kommunikation“.

Dem neuen Mann mit der IBuK(Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt) unterstellt die SZ, „dass er gerade mal die Mindestanforderungen“ ans Amt erfülle. Das Verteidigungsressort sei “ von allen das komplizierteste, da gehören Kenntnisse im Regierungshandwerk zur Grundausstattung.“ Letzteres hat Pistorius in Niedersachsen erworben, er war zehn Jahre Innenminister, sei verwaltungserprobt und insofern mit einem Teil des Sicherheits-Problems befasst. Pistorius verdiene „Respekt dafür, dass er Olaf Scholz nun aus der Personalnot befreit und eine Aufgabe übernimmt, die oft mit Rücktritt, Rauswurf oder nachhaltiger politischer Beschädigung endet.“ Der neue Wehrminister habe Wehrerfahrung, stamme aus einem Bundesland mit starker Bundeswehrpräsenz, hatte aber mit Verteidigungspolitik bisher „allenfalls am Rande zu tun.“ Das werde es ihm erschweren, ein guter Minister zu sein, müsse ihn aber auch nicht daran hindern. Auch der später viel gelobte Peter Struck habe anfangs nicht viel vom Fach verstanden.

Pistorius sei „zu unfallfreien öffentlichen Auftritten fähig und kann klare Aussagen formulieren“. Mit solchen Aussagen „des hemdsärmeligen Machers Pistorius“, mahnt oder warnt der Autor schon mal Olaf Scholz, „muss nun auch der Kanzler rechnen, was nicht schaden kann. All dies spricht für Pistorius, und doch ist klar, dass er einen kleinen Werkzeugkasten mitbringt auf die Großbaustelle, auf der die Bundeswehr wieder zur Landesverteidigung befähigt werden soll.“ Herkules, heißt es anderer Stelle des 2. SZ-Leitartikels zur Sache Pistorius(Bundeswehr: Was sie verdient) habe erkennen müssen, „dass selbst die Kraft des Heroen nicht ausreicht, um den Augiasstall zu säubern“. 

Frieden ist der Ernstfall

Von Pistorius wird schon vor Amtsantritt verlangt, er müsse grünes Licht für den Leopard 2 in Richtung Ukraine geben. Das sagte Friedrich Merz, der CDU-Chef. Quasi stellvertretend nenne ich ihn, weil sich seine Forderung durch viele Medien zieht. Ich sehe fast die werten Kollegen auf dem Panzer sitzen. Schneidig und leicht wird über Waffen geredet und so getan, als seien mehr schwere Waffen, wie sie von FDP-Strack-Zimmermann wie dem Grünen Hofreiter wie Merz und Dobrindt gefordert werden, die Lösung aller Probleme im Krieg Russlands gegen die Ukraine. Wo bleibt eigentlich eine diplomatische Offensive des Westens? Putin ist der Kriegstreiber, keine Frage, aber auch dieser Krieg hatte eine Vorgeschichte, an dessen Entstehung der Westen nicht so ganz unbeteiligt war. Jeden Tag sterben Menschen in der Ukraine, Tausende und Abertausende, der Krieg dauert nun schon fast ein Jahr. Der Frieden ist der Ernstfall, das habe ich von Gustav Heinemann gelernt, dem ersten SPD-Bundespräsidenten.

Früher hätte man einem neuen Minister der Verteidigung eine 100-Tage-Frist eingeräumt, ehe man ein erster Urteil gefällt hätte. Mit der Zeitenwende hat sich das geändert. Pistorius erhält am Donnerstag die Ernennungs-Urkunde aus der Hand des Bundespräsidenten, aber seit Dienstag  wird die Frage gestellt, ob er überhaupt fähig sei, das schwierigste Ministerium auf Vordermann zu bringen. Man muss weder SPD-Sympathisant oder Freund von Pistorius sein, um zumindest eines für ihn einzufordern, wie es Helge Matthiesen vom Bonner Generalanzeiger getan hat: „Auch Politiker verdienen ein wenig Fairness.“ Und Journalisten sollten bedenken, dass sie berichten, analysieren und kommentieren müssen, aber dass es nicht ihre Aufgabe ist, Politik zu machen.

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