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Sicherheit vor Russland – Ohne einen dritten Weltkrieg. Die Ukraine muss warten

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
14. Juli 2023
Natoflagge

Man kann ja verstehen, dass der ukrainische Präsident Selenskij einen Wutausbruch bekam, weil der Beitritt des Landes zur NATO vorerst nur vage Hoffnung für Kiew bedeutet. Es gibt keinen Termin, keine Zusage, keine Einladung. Aber immerhin war die Ukraine beim Gipfel in Vilnius dabei, erhielt umfangreiche Waffenzusagen, mehr Soldaten, viel Beifall, Schulterklopfen. Zwar heißt es im Abschlusskommuniqué: „Die Zukunft der Ukraine liegt in der NATO“, aber sie bleibt erstmal außen vor. Oder wie es US-Präsident Joe Biden ausgedrückt hat: „Die Ukraine ist noch nicht bereit für die NATO-Mitgliedschaft.“

Daraus könnte man den Schluss ziehen, es mangele dem Land, das sich gegen die Militärmacht Russland mit größtem Mut und den Waffen des Westens wehrt und das um seine Selbständigkeit kämpft, an der demokratischen Reife  und/oder der innerstaatlichen Reformfähigkeit. Mag sein, da ist ja was dran. Auf der Hit-Liste der Korruptions-Länder rangierte Kiew am unteren Ende oder, wenn man es anders sieht, in der Spitzengruppe.  Das Oligarchensystem ist auch kein Qualitätsmerkmal eines demokratischen Staates. Aber entscheidend für das Hinauszögern einer Mitgliedschaft in der westlichen Allianz ist doch, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine längst nicht beendet ist und dass der Westen, dass die NATO, dass Amerika, Deutschland, Frankreich alles daran setzen, damit wir nicht in den Dritten Weltkrieg hineinschlittern. Jetzt ist ein Beitritt nicht drin, auch keine Zusage, man will Moskau nicht unnötig provozieren, nichts tun, was den Krieg ausweiten könnte. 

Der Gipfel war kein Fehlschlag, ich würde sogar so weit gehen, ihn als Erfolg zu bezeichnen. Ungeachtet kritischer Stimmen z. B. aus Polen und anderen Staaten, die früher Teil des Warschauer Paktes oder der Sowjet-Republik waren und die die Knute der Sowjets nicht vergessen haben, steht das westliche Verteidigungsbündnis ziemlich geschlossen da. Streit gehört nun mal dazu, man muss nicht gleich von Spaltung reden, nur weil man heftig diskutiert. Die Fragen sind ja eminent wichtig. Aber sicher ist doch, dass, anders als Kreml-Chef Putin es wollte, die NATO größer geworden ist. Finnland gehört dazu, bald auch Schweden, da Türkei-Präsident Erdogan  seine Bedenken zurückstellte. Die Allianz will mehr als 300000 Soldaten in hoher Einsatzbereitschaft halten. Die Abschreckung, wie wir sie aus Zeiten des Kalten Krieges kannten und glaubten, sie überwunden zu haben, weil wir sie nicht mehr brauchten, ist wieder da. Die Bundeswehr wird mehr Soldaten nach Litauen schicken, London wird in Estland aktiv.

Wer soll das bezahlen?

Russlands völkerrechtswidriger Krieg gegen die Ukraine hat eine neue Realität geschaffen. Auch Deutschland sagte durch seinen Kanzler Olaf Scholz zu, die Mindestaufgaben der Verteidigung auf zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung zu erhöhen. Was eine Menge Geld kosten wird,  im Augenblick liegt der Anteil bei etwa 1,5 Prozent. Man darf gespannt sein, wie Scholz die Milliarden finanzieren will und wie sein Finanzminister von der FDP, Lindner, darauf reagiert. Neuer Ärger auch mit der eigenen Partei, der SPD, könnte die Folge sein, denn die Mehr-Ausgaben fürs Militär werden an anderer Stelle fehlen, in der Sozial- und Familienpolitik, in der Pflege, bei den Krankenhäusern. Das werden wir dann nach Ende der Sommerferien des Parlaments in Berlin sehen. Auf SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, der den Laden gut zusammenhält, kommen weitere knifflige Aufgaben zu.  

Es liest sich mindestens komisch, was da im Dokument des NATO-Gipfels steht: Die Ukraine wird zur NATO-Mitgliedschaft eingeladen, wenn sich alle einig und die Voraussetzungen erfüllt sind. Dass man oben in Litauen, unweit der Grenze zu Belarus-Entfernung 33 Kilometer- und der russischen Exklave Kaliningrad- Entfernung hier 160 Kilometer- die Dinge anders sieht, kann man verstehen, wenn man sich mal mit der Geschichte des Landes befasst oder die Region besucht hat. Hier fühlt man mit den Ukrainern. Hier hat man mehr Angst als anderswo, weil man nahe dran ist an der Grenze, sich viel stärker bedroht fühlt  als wir in Bonn oder in Berlin. Das Töten und Sterben in der Ukraine lässt die Menschen in den baltischen Staaten mitleiden. Und dass die estnische Premierministerin Kaja Kallas zu den stärksten Unterstützern von Selenskij gehört, darf niemanden überraschen. Sie wurde 1977 geboren, als Estland noch Sowjetrepublik war, ein Teil ihrer Familie wurde in den 40er Jahren nach Sibirien verschleppt. Russische Besatzung ist für sie mehr als dies für uns bedeutet. Und es ist klar, dass eine wie Kaja Kallas felsenfest davon überzeugt ist, dass gegen die Bedrohung durch Russland nur eines hilft: die Nato-Mitgliedschaft. Artikel 5 des Nato-Vertrages verpflichtet die übrigen Mitglieder, im Falle eines militärischen Angriffs Beistand zu leisten. Einer für alle, alle für einen. Diesen Artikel kann da oben jedes Kind auswendig.

Aber es ist müßig, immer wieder über vertane Chancen zu reden, an den Gipfel 2008 zu erinnern. Damals in Bukarest verhinderte die Kanzlerin Angela Merkel(CDU) was der Republikaner und US-Präsident George W. Bush befürwortete: der Ukraine den schnellen Weg ins westliche Bündnis zu ebnen. Merkel hielt das für unverantwortlich, die Ukraine und Georgien seien nicht reif, mehr noch sorgte sich die Kanzlerin, dass eine Aufnahme der Ukraine Moskau sehr verärgern und zu einem großen Konflikt führen könnte. So war das, weil die Zeiten auch so waren. Und herauskam in Rumänien nur ein loser Satz, kein Versprechen, das man als Einladung hätte werten können.

Das Beistands-Versprechen

Der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz(SPD) ist da ähnlich seiner CDU-Amtsvorgängerin zurückhaltend, abwägend. Aber anders als 2008 ist er sich mit dem US-Präsidenten, der dieses Mal Joe Biden heißt, einig, dass Kiew warten muss. Man kennt den Satz von Scholz: „Russland darf den Krieg nicht gewinnen.“ Und dafür tut Scholz eine Menge, wie eben auch Amerika und die anderen im Bündnis. Sie liefern Waffen und Geld und werben in aller Welt für die Sache der Ukraine und gegen den Kriegstreiber Wladimir Putin. Die Ukraine ist zwar nicht Mitglied des Bündnisses, aber sie steht auch nicht außerhalb des Beistands-Versprechens der Nato-Mitglieder, wie das der Brüssel-Korrespondent des Bonner Generalanzeigers formulierte. Und hatte Selenskij anfangs noch wütend von „abstrus“ und „beispiellos“ auf die Wortklauberei der NAT0 reagiert, so beurteilte er am Ende den Gipfel als Erfolg. Er hat Sicherheitszusagen bekommen, die sein Land befähigen sollen, Russland nach dem Ende des Krieges von weiteren Attacken abzuschrecken.

Europa, die Ukraine, Polen, Deutschland und all die anderen brauchen heute Sicherheit vor Russland, solange einer wie Putin imperialistische Politik betreibt. Die NATO steht dafür. Und einer wie Selenskij weiß genau, wem er die massiven Hilfen zu verdanken hat, ohne die sein Land nicht mehr existieren würde oder längst Teil Russlands wäre. Da ist Amerika und da ist Deutschland mit dem Kanzler Scholz, dessen Zögerlichkeit ihn einst auf die Palme brachte. Einst wurden die 5000 Helme Deutschlands an die Ukraine belächelt, in Vilnius brachte Scholz ein Waffenpaket im Wert von 700 Millionen Euro mit. Und Sicherheitszusagen des Bündnisses tun ein Übriges. Man muss angesichts des schrecklichen Krieges nicht das Ergebnis des Gipfels bejubeln, weil der Krieg täglich Menschen tötet und Raketen Häuser in der Ukraine vernichten. Aber das Bündnis des Westens steht. 

Charles de Gaulle, Michail Gorbatschow, Willy Brandt

Ungeachtet des Krieges, aller Verbrechen und Zerstörungen, des Hasses, der dadurch entsteht, müssen wir dahin arbeiten, dass wir eines hoffentlich nicht zu fernen Tages wieder Frieden in Europa haben, Frieden in der Ukraine und ein Russland, mit dem das übrige Europa zusammenarbeitet. Eine Sicherheit mit Russland muss das Ziel sein. Und dafür sind Brücken zu bauen, wie das der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Hans Wallow in einem Leserbrief im „Bonner Generalanzeiger“ schrieb. Wallow erinnerte an den ehemaligen französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle, der von einem Europa vom Atlantik bis zum Ural gesprochen hatte. Später wünschte sich der sowjetische Präsident Gorbatschow in einem „großgemeinsamen europäischen Haus“ ein Zimmer für Russland.  Und Willy Brandt ´“hinterließ uns die historische Aufgabe, Europa ein Ziel zu setzen. der russischen Bevölkerung das Feindbild zu nehmen. Notwendig ist dazu Verteidigungsbereitschaft und Entspannung.“

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