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Vor 80 Jahren wurden Bonhoeffer, Elser, der Pfarrer Strohmeyer ermordet – Wo bleibt der Widerstand jetzt?

Alfons Pieper Von Alfons Pieper
6. April 2025
Gedenktafel für Pafrrer Willibald Strohmeyer

Der Historiker Heinrich August Winkler würdigt in seinem großen Werk „Geschichte des Westens“ die Rolle des Widerstands gegen Hitler und den Nationalsozialismus: „Wären sie und andere nicht gegen Hitler aufgestanden, die Deutschen hätten nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft wenig gehabt, woran sie sich beim Rückblick auf die Jahre 1933 bis 1945 aufrichten konnten.“ Winkler nennt einige der mutigen Widerständler mit Namen, darunter Johann Georg Elser, den Tischler, „Einzelgänger aus dem Volk“, „Sonderhäftling des Führers“, dessen Bombenanschlag 1939 im Bürgerbräukeller in München scheiterte und der am 9. April 1945 im KZ Dachau mit einem Genickschuss ermordet wurde. Am 9. April wurde Wilhelm Canaris, Admiral, Leiter der Abwehr, des militärischen Geheimdienstes und der Wehrmacht, im KZ Flossenbürg in Bayern von einem Standgericht zum Tode verurteilt und gehängt. Canaris hatte Kontakte zum Widerstand des 20. Juli 1944. Am selben Tag ermordeten die Nazis den Theologen Dietrich Bonhoeffer ebenfalls im KZ Flossenbürg, Nur wenige Tage später tötete die SS den Pfarrer in St. Trudpert, Münstertal/Schwarzwald, Willibald Strohmeyer. Brutale Morde wenige Wochen vor dem Ende der NS-Diktatur und dem Ende des 2. Weltkrieges, die Alliierten Truppen standen vor den Toren deutscher Städte, am 8. Mai erfolgte die Kapitulation.

Es geschah vor 80 Jahren. Und kurz nach dem Krieg mahnte der deutsche Philosoph Karl Jaspers: „Was geschah, ist eine Warnung…Es war möglich, dass dies geschah, und es bleibt jederzeit möglich. Nur im Wissen kann es verhindert werden.“ Wir wissen, wie die Nazis an die Macht kamen, legal, und wie sie die Macht missbrauchten. Die NSDAP kam nicht mit der absoluten Mehrheit in den Reichstag. 1928 hatte sie 12 Mandate. Ihr Propagandachef Josef Goebbels kündigte im Grunde an, was Hitler und Co vorhatten: „Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Reichstags-Abgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahmzulegen. Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freifahrkarten und Diäten zu geben, so ist das ihre eigene Sache.“ Zwei Jahre später hatte die NSDAP schon 107 Mandate. Die SPD hatte 143 Mandate, die KPD deren 77, das Zentrum kam auf 68 Mandate. Die NSDAP war also mit 18,3 Prozent der Stimmen zweitstärkste Kraft geworden, in Schleswig-Holstein erzielte sie mit 27 Prozent ihr bestes Ergebnis.

Der Hamburger SPD-Landesvorsitzende Karl Meitmann warnte damals vor einer Regierungsbeteiligung der Nazis: Ihnen gehe es um „die ganze Macht“. Die Nazis seien eine „reale Wirklichkeit, die wir nicht übersehen dürfen. Sie wollen nicht abwirtschaften, sie wollen eine Exekutive sein, die, wenn es sein muss, durch Ströme von Blut ihre Macht aufrichtet und erhält. Die Nationalsozialisten werden nicht nach Berlin marschieren, sie werden Stück für Stück den Boden ebnen, um die Herrschaft zu erringen.“ Wie Recht Meitmann mit seiner Worten hatte, machte Goebbels deutlich. „Nach der Verfassung sind wir nur verpflichtet zur Legalität des Weges, nicht aber zur Legalität des Zieles. Wir wollen legal die Macht erobern, aber was wir mit dieser Macht einmal, wenn wir sie besitzen, anfangen werden, das ist unsere Sache.“ 1933 folgte dann das Ermächtigungsgesetz, dem allein die SPD mit ihrem Nein die Zustimmung versagte, nicht aber die konservativen Parteien. Das war das Ende der Weimarer Demokratie.

Und heute? 80 Jahre danach sitzt eine in weiten Teilen rechtsextreme AfD im Bundestag, sie ist zur zweitstärksten Partei geworden, sie hat Faschisten und Nazis in ihren Reihen. Einer ihrer Wortführer Björn Höcke aus Thüringen darf laut Gerichtsbeschluss als „Faschist“ bezeichnet werden. Er stellt offen die Erinnerungskultur in Frage und nennt das Holocaust-Denkmal in Berlin eine „Schande“. Ein anderer führender AfD-Politiker, Alexander Gauland, ehedem Mitglied der hessischen CDU unter Alfred Dregger und Walter Wallmann, hat die Nazi-Zeit einen „Fliegenschiss“ in der ansonsten glorreichen deutschen Geschichte genannt. Laut neuesten Umfragen des Instituts Insa für „Bild“ hat diese AfD inzwischen die Union eingeholt. Beide erreichen zur Zeit rund 24 Prozent Zustimmung. Die älteste deutsche Partei, die SPD, liegt abgeschlagen mit 15 bis 16 Prozent auf Platz drei. Die Grünen erreichen gerade mal 12 Prozent, die Linke wirkt mit 10 Prozent leicht erholt. Bei der Bundestagswahl hatte die Union noch 28,6 Prozent der Stimmen gewonnen.

Für ein Verbot der AfD

Der SZ-Kolumnist und Jurist Heribert Prantl plädiert seit Monaten für ein Verbot der AfD. Es gehe um unterlassene Hilfeleistung für die Demokratie und für unsere demokratische Gesellschaft, wenn die Politik, also Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung nicht endlich einen Verbotsantrag beschlössen und dies durch das Bundesverfassungsgericht prüfen ließen. Prantl erinnert an den Widerstand gegen Hitler, an Bonhoeffer, an Elser, an Claus Schenk Graf von Stauffenberg und Ewald von Kleist, an den Admiral Canaris, an das andere Deutschland, wie es Winkler formuliert hat, das „vor dem Richterstuhl Freislers stand. Seine besten Vertreter handelten aus einer Tradition heraus, die christlich oder humanistisch, kantianisch oder preußisch geprägt war. Diese Tradition kannte einen Befehlshaber oberhalb des Staates und des Mannes an seiner Spitze: das eigene Gewissen.“ Winkler erwähnt in diesem Zusammenhang drei Daten: den 8. November 1939, der mit dem württembergischen Schreiner Johannes Georg Elser verbunden ist, den 20. Julio 1944, der zu einem großen Tag für die neuere deutsche Geschichte geworden ist dank Stauffenberg und all der anderen rund 200 Helden, die in der Folge des gescheiterten Attentats von Hitlers Schergen ermordet wurden, und den 18. Februar 1943, als die Geschwister Scholl(Weiße Rose) unter dem Eindruck der Niederlage von Stalingrad im Lichthof der Münchner Universität Hunderte von Flugblättern verteilten gegen die gewissenlose Kriegsführung Hitlers“ und vom Hausmeister der Uni angezeigt wurden. Für sie alle war es eine Frage der Ehre, wie Winkler schreibt: „Die Welt und die kommenden Generationen von Deutschen sollten wissen, dass Hitler nicht Deutschland war, sondern dass es noch ein anderes, ein besseres Deutschland gab.“

Sie alle waren Märtyrer für ein besseres Deutschland. Gegen den Rassenwahn Hitlers, gegen die Menschenverachtung. Wir sollen nicht zulassen, dass der heutige Rechtsextremismus sich ausgerechnet auf den Widerstand des 20. Juli beruft, auf einen wie Bonhoeffer, um damit seine Attacken gegen den liberalen Rechtsstaat zu begründen.(Prantl) Dass ausgerechnet Bonhoeffer im letzten US-Wahlkampf in einem Film zu einem kämpfenden Helden für Trump stilisiert wurde, ist mehr als pervers. Dem Pazifisten Bonhoeffer eine Waffe in die Hand zu rücken und sagen zu lassen: „Der Kampf gegen die Tyrannei beginnt jetzt“. Womit der Sturm auf das Kapitol gerechtfertigt werden sollte. Das alles ist widerlich und wird trotzdem gemacht und gesagt. Die rechtsstaatliche Demokratie in unserem Land, ein höchster Wert, wird mit dem Begriff des Systems abgetan, die anderen Parteien seien die Basis einer zu stürzenden, volksverräterischen Herrscherclique.(Prantl) Und sie berufen sich ausgerechnet auf das Grundgesetz und dort auf das Widerstandsrecht, festgelegt in Artikel 20 Absatz 4. Es klingt wie Hohn, wenn sie daraus ihre Politik ableiten. Als würde der Widerstand gegen Hitler, den die Bonhoeffers und Elsers und Stauffenbergs mit ihrem Leben bezahlten, vergleichbar mit ihren hasserfüllten Kommentaren gegen unser demokratisches System. Prantl nennt das eine „Verhöhnung des Angedenkens an den Widerstand gegen Hitler; das ist kriminelle Erbschleicherei.“

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat immer wieder gemahnt, die Demokratie sei keine Selbstverständlichkeit, sie müsse täglich geschützt werden vor und gegen ihre Feinde. Das ist die wehrhafte Demokratie, die uns das Grundgesetz lehrt, die aber, wenn sie nicht praktiziert wird, eine Worthülse bleibt. Wir verbeugen uns vor dem Leben der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer, die mit ihren 103 Jahren von Schule zu Schule geht, um zu berichten, was damals war, damit es nicht wieder passieren möge. Gerade hat sie aus der Hand des deutschen Staatsoberhauptes den „Sonderpreis des Internationalen Preises des westfälischen Friedens“ in Münster erhalten. Nach mehr als 60 Jahren in Amerika kehrte sie im Alter von 88 Jahren nach Berlin zurück, in das Land der Täter. In Münster sagte die Geehrte, sie spreche für alle Menschen, die man ermordet habe, weil Menschen sie nicht als Menschen respektiert hätten. Derzeit sei der Frieden im Äußeren wie im Inneren bedroht. Jeder einzelne habe die Verpflichtung, sich für ein friedliches Zusammenleben, für Respekt und die Demokratie einzusetzen. „Denn das, was damals passiert ist, darf nie, nie wieder passieren.“

Verhöhnen unsere Werte

Im Grundgesetz werden wir aufgefordert, Widerstand zu leisten, wenn es geboten ist. Dazu gehört gewiss Zivilcourage. Aber wenn dies nicht ausreicht, wenn die Feinde des Grundgesetzes, die diesen Staat zerstören wollen, die unsere Werte verhöhnen wie die Würde des Menschen, Freiheit, Gleichheit, Demokratie, braucht es mehr als Worte, dann braucht es das, was im Grundgesetz, Artikel 21 Absatz 2 steht: Parteien „sind verfassungswidrig, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden.“ Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben das damals vor dem Hintergrund ihrer schmerzhaften Erfahrungen der Hitler-Zeit so formuliert. Verfassungswidrige Parteien „können durch das Bundesverfassungsgericht verboten werden“.

Das ist doch nicht zu vergleichen mit heute.

Eine Abgeordneten-Gruppe um den früheren CDU-Politiker Marco Wandersitz erreichte im Bundestag für ihren Verbots-Antrag der AfD mit gerade 124 Stimmen nicht die Mehrheit des Parlaments. Wanderwitz hatte sein Engagement mit den Worten begründet: „Die AfD ist verfassungsfeindlich, menschenfeindlich und ein Feind der Demokratie“. Der Grünen-Politiker Till Steffen will weitermachen. „Es bleibt unser Ziel, noch mal ein Gruppenverfahren auf den Weg zu bringen“. Ähnlich äußerte sich die SPD-Politikerin Carmen Wegge. Allerdings stehen die führenden Politiker der demokratischen Parteien wegen der Größe der AfD einem Verbots-Verfahren skeptisch gegenüber aus Sorge, das Bundesverfassungsgericht könnte den Antrag ablehnen.

Dabei ist für die meisten Demokraten klar: Die AfD ist eine Nazi-Partei. (NRW-Ministerpräsident Wüst) Wir sind es den Widerstandskämpfern schuldig, diese Demokratie vor ihren Feinden zu schützen. Sie haben damals ihr Leben eingesetzt. Wir sollten uns trauen, den Weg nach Karlsruhe zu gehen.

 

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